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Erdogan auf Siegeszug in Kairo

Türkischer Premier präsentiert sich als propalästinensischer Vertreter im Nahostkonflikt

Von Jan Keetman, Istanbul *

Mit einer scharfen Rede gegen Israel hat der türkische Ministerpräsident Erdogan seine Reise durch die Länder des »arabischen Frühlings« Ägypten, Tunesien und Libyen eröffnet. Erdogan hielt seine Rede vor den Außenministern der Staaten der Arabischen Liga. Israel, so Erdogan, sei das einzige Hindernis, das dem Frieden entgegenstehe. Er bezeichnete Israel erneut als »ungezogen«.

Die mit zorniger Stimme im Stil seiner Wahlkampfreden gehaltene Ansprache fiel weniger durch das auf, was der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, als durch das, was er nicht sagte. Verschiedene Kommentatoren hatten so etwas wie einen Fahrplan zur Demokratisierung der Region von ihm erwartet. Das türkische Blatt »Milliyet« spekulierte sogar, Erdogan werde sagen, die Ägypter bräuchten keine Angst vor dem Laizismus zu haben. All das blieb ungesagt.

Die Reise steht für Erdogan ganz im Zeichen des Konfliktes mit Israel, der nach dem Bekanntwerden des UNO-Berichtes über den israelischen Angriff auf das Schiff »Mavi Marmara«, bei dem neun türkische Aktivisten erschossen wurden, neu entbrannt ist. Das kündigte sich bereits an, als Erdogan unmittelbar vor seiner Abreise dem katarischen Sender Al Dschasira ein Interview gab, in dem er sagte, der Überfall auf die »Mavi Marmara« wäre eigentlich ein Kriegsgrund gewesen.

Das kommt an, insbesondere in Kreisen, die mit einer Kampagne gegen den billigen Prügelknaben Israel selbst gerne Politik machen wollen. Schon am Montagabend wurde Erdogan von einer Menge mit Plakaten mit seinem Konterfei am Flughafen empfangen. Es wurden Parolen wie »Retter des Islams!« »Nieder mit Israel!« »Willkommen Held Erdogan!« skandiert.

Doch obwohl Erdogan die Stimmung anheizt, ist er doch auch bemüht, sie nicht ganz überkochen zu lassen. Auf einen ins Auge gefassten Abstecher nach Gaza hat er fürs erste verzichtet – angeblich mit Rücksicht auf die ägyptische Regierung, die die Spannungen mit Israel nicht weiter eskalieren lassen möchte. Doch auch die USA könnten diesen Wunsch geäußert haben. Zudem machte Erdogan in seiner Rede vor der Arabischen Liga einen Unterschied zwischen der israelischen Regierung und dem Volk Israels. Erdogan will sich nicht in die antisemitische Ecke stellen lassen.

Der Applaus der versammelten arabischen Außenminister war artig, aber nicht enthusiastisch. Mehr als zu ihnen hatte Erdogan ohnehin zu seinen Wählern in der Türkei und zu den arabischen Massen gesprochen. Erdogans Hoffnung ist, dass er als Held im arabisch-israelischen Konflikt die Massen gewinnen kann, die einst von Regimes unterdrückt wurden, die wie Hosni Mubarak in Ägypten die Sache der Palästinenser nicht mehr verfochten haben. Es geht ihm dabei um politischen und ökonomischen Einfluss in der Region. Die Delegation von 200 Personen, darunter viele Wirtschaftsvertreter, die ihn begleitet, spricht für sich. Mit seiner Konzentration auf Israel ignoriert Erdogan jedoch, dass der Kampf gegen Israel nicht das eigentliche Motiv des arabischen Frühlings war. Kann dieser Schachzug also gelingen?

Zumindest findet diese Politik bereits ihre Neider. Teheran hat Ankara aufgefordert, nach der Herabstufung der Beziehungen zu Israel auf das niedrigste Level die israelische Botschaft ganz zu schließen. Offenbar hat man in Iran Angst, die Führungsrolle im Kampf gegen Israel an die Türkei zu verlieren.

* Aus: Neues Deutschland, 14. September 2011


Der neue Held

Von Roland Etzel **

Ein Türke neuer Führer der arabischen Volksmassen? Deren heimlicher Held ist Erdogan bereits vor seinem triumphalen Ägypten-Besuch gewesen. Der türkische Ministerpräsident regiert ein – im Gegensatz zu allen Nachbarn – wirtschaftlich prosperierendes, dazu militärisch starkes Land, das mit allen globalen und regionalen Mächten auf gutem Fuße steht.

Bisher auch mit Israel. Das ist seit dem lautstarken Streit um die Gaza-Hilfsflotte anders. Zwar gilt als ausgemacht, dass Israels Premier Netanjahu schon mit einem Mindestmaß an Demut in Ankara Verzeihung hätte erlangen können. Aber er tat es nicht. Erdogan, der Netanjahu an demagogischem Talent in nichts nachsteht, hat den leichtfertig dahingeworfenen Fehdehandschuh des Israelis dankbar aufgenommen. Noch ein paar militante Parolen, und schon genoss er die Ehre des obersten Verteidigers der Palästinenser.

Diese machte ihm zuletzt freilich niemand in der Region streitig. War die Solidarität mit den Palästinensern einst Konsens unter allen arabischen Führern – wenigstens in Worten –, so ist davon fast nichts geblieben. Vor allem Wortführer Ägypten war unter Mubarak eher Garant der israelischen Politik als Sachwalter palästinensischer Menschenrechte. Die Krise ausnahmslos aller arabischen Regimes am östlichen Mittelmeer, dazu die in Griechenland, hat ein Machtvakuum hinterlassen, das förmlich danach schrie, ausgefüllt zu werden. Tayyip Erdogan hat es nur erhört.

** Aus: Neues Deutschland, 14. September 2011 (Kommentar)


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