Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Annapolis: Euphorie mag nicht so recht aufkommen

Weitere kritische Kommentare zu den Ergebnissen der Nahost-Konferenz in den USA

Zur Nahost-Konferenz in Annapolis (hier geht es zur gemeinsamen israelisch-palästinensischen Erklärung) gibt es weiterhin kritische Berichte. Wir dokumentieren im Folgenden zwei Artikel aus Tageszeitungen.



Durchbruch oder Verbalkosmetik?

Überraschung im Nahen Osten über Verheißungen des Gipfels in Annapolis

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *


Überraschend haben Israelis und Palästinenser in Annapolis in einer gemeinsamen Erklärung einen Friedensschluss bis Ende 2008 angekündigt. Seitdem streiten sich die Experten: Nur ein Manöver? Oder eine echte Chance?

Ja, das war's: Der Funken ist übergesprungen. Im fernen Annapolis tagte man noch, als in Jerusalem Menschen, die den Gipfel und die Vorbereitungen zuvor stoisch ignoriert hatten, plötzlich am Abendbrottisch, in der Kneipe oder bei einer Wasserpfeife in verhaltene Euphorie ausbrachen: »Ganz ehrlich – ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass dabei was rauskommt«, sagt der 42- jährige Khalil, Manager eines Restaurants im arabischen Osten der Stadt, und seine Gäste pflichten ihm bei: »Es wurde so viel geredet, dass man am Ende nicht mehr glaubt, dass sich jemals etwas ändern wird.«

Aber es ist passiert: Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und der israelische Premierminister Ehud Olmert haben das getan, womit selbst Mitglieder der Verhandlungsdelegationen kaum noch rechneten: Sie haben einer gemeinsamen Erklärung zugestimmt. Kernpunkt: Von nun an soll dauerhaft verhandelt werden; bis Ende 2008 soll das Abkommen über die Zukunft der palästinensischen Gebiete stehen, hieß es in der von USAPräsident George W. Bush verlesenen Erklärung. In der schriftlichen Version wird die Frist allerdings nicht genannt. So kurzfristig hatten sich beide Seiten geeinigt, dass Bushs Mitarbeitern die Zeit fehlte, den Teleprompter zu programmieren. Der Präsident musste seine Rede vom Blatt ablesen.

Das Dokument hat den Menschen in der Region Appetit auf mehr gemacht, darin sind sich die Beobachter einig – aber auch nur darin. Ob die Erklärung am Ende tatsächlich in Ergebnisse, in ein Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts münden wird, darüber streiten sie sich. Das Ganze sei nichts Neues, reine Verbalkosmetik, die darauf ziele, allen Beteiligten mehr Zeit zu verschaffen, sagen manche. Andere sprechen von einer Chance, gar einem Durchbruch, denn die Beteiligten seien nun zum Erfolg verdammt. Ein Fehlschlag nämlich würde die Radikalen auf beiden Seiten bestätigen, die aus Sorge um ihre Pfründe schon jetzt mit Massendemonstrationen kräftig gegen die Verhandlungen schießen, und unweigerlich zu einer neuen Gewaltrunde führen.

Aber die Gewalt ist auch das Argument der Pessimisten: Olmert und Abbas hätten sich nicht nur zu formellen Verhandlungen, sondern auch zur gleichzeitigen Umsetzung der ersten Phase der »Straßenkarte zum Frieden« unter Kontrolle des US-amerikanischen Generals Jim Jones verpflichtet. Will heißen: Die Palästinensische Autonomiebehörde geht gegen extremistische Gruppen vor und Israel stoppt sämtliche Bauaktivitäten in Siedlungen, räumt ohne Genehmigung gebaute Außenposten und zieht sich aus palästinensischen Städten zurück.

Das klingt zwar einfach, ist es aber nicht: Die Autonomiebehörde schafft es nur mit Mühe, die schwer bewaffneten Kampfgruppen im Westjordanland in Schach zu halten; über den Gazastreifen, der im Juni von der radikalislamischen Hamas erobert wurde, hat sie überhaupt keine Macht mehr.

Aber auch Israels Regierung dürfte mit den Ergebnissen von Annapolis seine Schwierigkeiten bekommen: Für Siedlungsstopp und Außenpostenräumung müsste sich die Regierung mit einigen der radikalsten Siedler anlegen, und das in einer Zeit, in der zwei der Koalitionspartner, die religiöse Schas-Partei und die rechtspopulistische Jisrael Beitenu, ohnehin darüber nachdenken, die Regierung zu verlassen. Olmert wäre gegebenenfalls von der Unterstützung der arabischen Parteien abhängig – eine Konstellation, die es in einer derartigen diplomatischen Situation noch nicht gegeben hat und die der Öffentlichkeit, die in Zeiten großer Entscheidungen große Koalitionen liebt, schwer zu verkaufen wäre.

Aber: Sollten die beiden Fraktionen aus der Koalition austreten, und sollte Olmert daraufhin Neuwahlen anstreben, wäre das nicht zwangsläufig das Ende der Verhandlungen; denn die Umsetzung der in der gemeinsamen Erklärung festgelegten Punkte ist auch für seinen Nachfolger verbindlich.

* Aus: Neues Deutschland, 29. November 2007


Annapolis – die falsche Agenda

Die Interessen der Palästinenser werden bei Bushs Nahostkonferenz nicht vertreten

Von Sophia Deeg **


Mustafa Barghouti, Abgeordneter im palästinensischen Parlament (für Al Mubadera, die Palästinensische Nationale Initiative), hat es immer noch nicht aufgegeben, den Palästinensern eine Stimme zu geben. Auf einer Pressekonferenz in Ramallah beschrieb er das Verhalten Israels unmittelbar vor Beginn der Nahostkonferenz in Annapolis. Es ziele darauf ab, »die palästinensische Uneinigkeit zu vertiefen, Demokratie zu verhindern, die israelischen Menschenrechtsverletzungen stillschweigend zu übergehen und dem besetzten Volk die Verantwortung für die Besatzung aufzubürden«. Er äußerte sich zutiefst skeptisch, ob Annapolis irgend etwas Positives für die Bevölkerung von Gaza bringen könnte, da die Konferenz auch auf dem Ausschluß Gazas von den Verhandlungen beruhe, während sich dort eine durch Israel herbeigeführte und »kontrollierte humanitäre Katastrophe« abspiele.

Barghouti, ein Arzt, der seit Jahren mit den Palestinian Medical Relief Committees wesentlich zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung unter schwierigsten Bedingungen beiträgt, macht dafür die israelischen Besatzer verantwortlich. Seit dem 17.Juli, dem Tag, an dem George Bush das Treffen von Annapolis angekündigt habe, hätten 1051 Angriffe Israels auf die Westbank und den Gazastreifen stattgefunden, so der Abgeordnete. Dabei wurden 148 Palästinenser getötet (16 davon Kinder) und 649 verletzt (101 davon Kinder). Im selben Zeitabschnitt kamen durch palästinensische Angriffe drei israelische Soldaten und ein Siedler um.

Vom 1. Januar 2007 bis zum 20. Juli wurden von der Besatzungsmacht 3743 Palästineser verhaftet. Seit Jahren bereits sind ständig rund 10000 Menschen aus den besetzten Gebieten in israelischen Gefängissen. Zwar wurden am 21. Juli 2007 256 dieser Gefangenen entlassen, seither wurden jedoch erneut 1581 Palästinenser verhaftet.

Insgesamt, resümierte Barghouti, sind diese Zahlen Beleg für eine Politik, die jegliche friedliche Absicht seitens Israels vermissen läßt. Im übrigen bewiesen sie, daß Israel nach wie vor nicht nur den Gazastreifen, sondern auch die Westbank angreift, während es gleichzeitig erklärt, es sorge für »vertrauensbildende Maßnahmen«.

In diesem Zusammenhang wies Barghouti auch auf einen kürzlich erschienenen Bericht von Machsom Watch (der israelischen NGO an den Checkpoints innerhalb der Westbank) hin, der nachweise, daß von den 24 Straßensperren, die Israel angeblich abgebaut habe, nur zwei tatsächlich verschwunden seien und im übrigen viele der übrigen von Ehud Olmert großspurig benannten 22 überhaupt nicht existiert hätten. Die beiden tatsächlich abgebauten Barrieren seien ein Tropfen auf dem heißen Stein angesichts der systematischen Blockade jeglicher Bewegungsfreiheit für Menschen und Waren in der Westbank durch 837 tatsächliche Straßensperren (561 ständige und 276 vorübergehende; Stand: Oktober 07).

Außerdem, so der Abgeordnete, könne von einem Einfrieren des Siedlungsbaus keine Rede sein, solange Israel gegenüber den Vereinigten Staaten lediglich erkläre, es beabsichtige, keine weiteren Siedlungen in der Westbank zu errichten und erweitere nur die bestehenden. Denn auch diese Politik verstoße flagrant gegen die UN-Resolutionen zur Lösung der palästinensischen Frage und gegen das internationale Recht, wonach alle Siedlungen durch eine Besatzungsmacht in besetztem Gebiet illegal sind. Barghouti zitierte in diesem Zusammenhang das Beispiel Ma’ale Adumim, Israels größter Siedlung in der Westbank, deren geplante Erweiterung um mehrere Wohnhäuser in dieser Woche angekündigt wurde.

Abschließend stellte er fest, daß diese lange Reihe von Übertretungen durch Israel eine unmißverständliche Sprache sind: Israel hat kein Interesse an einem echten Frieden, die Palästinenser werden in Annapolis keinen israelischen Partner für Frieden finden. Einmal mehr legte er der Palästinensischen Autonomiebehörde nahe, ihre Teilnahme an den Gesprächen an vier Bedingungen zu knüpfen, die Israel zu erfüllen habe. Zum ersten die Rücknahme der Erklärung Gazas zu einem »feindlichen Gebilde« durch Israel und ein Ende der israelischen Aggression gegen die palästinensische Bevölkerung. Zum zweiten sei ein umfassendes und vollständiges Einfrieren aller Siedlungsaktivitäten zu fordern. Drittens gehe es um das Ende der Baumaßnahmen an der Apartheidmauer sowie um deren vollständigen Abbau. Und schließlich müsse ein päziser Zeitplan zur Lösung aller existentiellen Fragen erarbeitet werden, bei denen es um Jerusalem, die palästinensische Staatlichkeit, Flüchtlingsrechte und die Siedlungen gehen müsse.

Nichts von alledem steht auf der Agenda von Annapolis.

** Aus: junge Welt, 28. November 2007

Nicht in unserem Namen

Von Rüdiger Göbel **

Frei nach dem Motto der US-Friedensbewegung »Nicht in unserem Namen« haben Zehntausende Palästinenser gegen die Nahostkonferenz von Annapolis demonstriert. Während die Proteste am Dienstag im Gazastreifen von der regierenden Hamas unterstützt wurden, gingen im Westjordanland bewaffnete Fatah-Milizen gegen Gipfelgegner vor. Die vom Westen unterstützte palästinensische Führung um Präsident Mahmud Abbas hatte bereits am Montag in ihrem Einflußbereich jede Form des Protestes gegen das internationale Treffen in Übersee untersagt. »Wir haben entschieden, das Abhalten von Demonstrationen, Kundgebungen und Pressekonferenzen zu verbieten, die sich gegen das Treffen in Annapolis richten«, teilte Informationsminister Rijad Al Maliki lapidar mit. »Wir wollen, daß die Konferenz ein Erfolg wird.« Abbas’ Auftritt an der Seite von US-Präsident George W. Bush und von Israels Regierungschef Ehud Olmert im Land der Freien und Gleichen tat die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit keinerlei Abbruch.

Die in Gaza regierende Hamas bekräftigte dagegen, mögliche Ergebnisse des Treffens von Bush, Olmert und Abbas nicht anzuerkennen. »Die Entscheidungen, die in Annapolis getroffen werden, sind für das palästinensische Volk nicht bindend«, betonte Hamas-Sprecher Fausi Barhum am Dienstag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Wie auch: Obwohl die Hamas bei den letzten regulären Wahlen in den palästinensischen Gebieten die absoute Mehrheit der Stimmen erzielt hatte, war sie nicht in die USA eingeladen worden. Und so hatte die Organisation am Montag abend in Gaza kurzerhand eine »Gegenkonferenz« veranstaltet, um auf »Gefahren einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel« hinzuweisen.

Iran lud am Dienstag (27. November) Interessierte für die kommenden Tage zu einem alternativen Nahostgipfel nach Teheran ein. Vertreter aller palästinensischen Organisationen, »die für die Befreiung ihres Landes kämpfen«, würden in dieser oder der kommenden Woche erwartet, sagte Regierungssprecher Gholamhossein Elham in der iranischen Hauptstadt. »Annapolis repräsentiert nicht die Palästinenser und läuft ihren Rechten zuwider.« Israel habe als Besatzungsmacht in den palästinensischen Gebieten »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« zu verantworten und besitze daher keine Legitimität.

Gastgeber Bush verbreitete Zweckoptimismus. Es sei jetzt der »richtige Moment« für eine Nahost-Friedensregelung gekommen, meinte der US-Präsident zum Gipfelauftakt am Dienstag. Dabei konnte sich Israel bis dahin noch nicht einmal mit dem prowestlichen palästinensischen Vertreter Abbas auf eine gemeinsame Erklärung zur Aufnahme von Friedensverhandlungen einigen. Ohne die schützende Hand von Washington und der EU könnte sich die nahöstliche Besatzungsmacht eine solche Blockadepolitik nicht leisten.

Es blieb Nichtregierungsorganisationen vorbehalten, auf die »humanitäre und politische Krise« im Gazastreifen aufmerksam zu machen. 40 internationale, israelische und palästinensische Gruppen forderten zum Gipfelbeginn ein sofortiges Ende der israelischen Blockade und ein Ende der internationalen Isolation. In dem von medico international in Frankfurt am Main verbreiteten Aufruf hieß es unter anderem: »Wir fordern alle verantwortlichen Parteien, insbesondere aber den israelischen Staat, der nach wie vor die Besatzungsmacht mit effektiver Kontrolle ausübt, auf, Kollektivstrafen der Zivilbevölkerung sofort zu beenden.«

Aus: junge Welt, 28. November 2007




Zurück zur Nahost-Seite

Zur Palästina-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage