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Libyen ist ein Waffenbasar

Laut einem UN-Report werden massenhaft Kriegsgüter nach Syrien und in die Region geliefert

Von Olaf Standke *

Die Vereinten Nationen haben massive Waffenlieferungen aus Libyen in Konfliktländer wie Syrien oder Mali ausgemacht. Sie hätten trotz eines bestehenden Waffenembargos eine »alarmierende Rate« erreicht, betonen UN-Experten in einem am Dienstag (Ortszeit) in New York veröffentlichten Report.

Die westlichen Staaten hätten eine friedliche Konfliktbeilegung in Syrien längst aufgegeben und wollten in dem kriegsgebeutelten Land ein »modernisiertes« libysches Szenario umsetzen, erklärte Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, am Dienstag im russischen Unterhaus.

Schließlich hätten Frankreich und Großbritannien schon angekündigt, gleich nach Ablauf des verhängten Embargos im Mai mit Waffenlieferungen zu beginnen, und die USA würden dabei die organisatorische und koordinierende Rolle übernehmen: »Es ist kein Geheimnis, dass US-Instrukteure in Basen in Jordanien Rebellenkämpfer schulen.« Das hier heraufbeschworene »libysche Szenarium« hat allerdings noch einen ganz anderen Aspekt: Bereits jetzt gibt es einen regelrechten Waffenstrom für die Assad-Gegner – aus Gaddafis Erbe.

Libyen habe sich nach dem Sturz des langjährigen Machthabers zu einer der wichtigsten Bezugsquellen in der Region für Waffen verschiedenster Art entwickelt, so der UN-Bericht. Mehr als ein Dutzend Empfängerländer hat er für Pistolen, Sturmgewehre, Panzerfäuste- und minen, Granaten, Plastiksprengstoff oder Munition ausgemacht. Viele Fälle seien bewiesen, andere würden noch untersucht. Die Lieferungen von Kriegsgütern nach Syrien, wo in einem seit zwei Jahren anhaltenden Bürgerkrieg nach UN-Angaben bislang über 70.000 Menschen getötet worden sein sollen, wurden danach von verschiedenen libyschen Städten aus organisiert. Peter Bouckaert, Waffenexperte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, hatte bereits vor zwei Jahren nachdrücklich vor dem Waffenbasar Libyen gewarnt und von der »größten Waffenverbreitung« gesprochen, die »wir je gesehen haben«. Auch der früherer CIA-Direktor Porter Goss bestätigte, dass Waffen aus dem libyschen Krieg massenweise »ihren Weg nach Syrien« genommen hätten. Der Geheimdienst wisse darüber Bescheid, da viele über Bengasi verladen würden, in dessen Konsulat der CIA eine Basis hatte.

Libyens Sicherheitskräfte sind seit dem Sturz Gaddafis schwach. Viele Landesteile werden von bewaffneten Milizen und kriminellen Kartellen kontrolliert, vor allem im Osten. Sie schmuggeln Drogen, Flüchtlinge und eben Waffen – und die Regierung in Tripolis tut sich sehr schwer, für die verarmten Regionen wirtschaftliche Alternativen zu entwickeln oder die rund 4000 Kilometer lange Wüstengrenze zu überwachen. 200.000 Waffen sollen sich heute in libyschen Händen befinden. Gaddafi hat im ganzen Land große Waffenlager hinterlassen, wie am Rand des Flughafens von Misrata, wo in über 40 Bunker zum Teil durch NATO-Bomben zerstörte Kriegsgüter aus China, Russland, Belgien, Frankreich, England und Italien lagerten. An Abnehmern im Ausland mangelt es nicht: die Aufständischen in Darfur, die Dschihadisten in Algerien, die Sezessionisten in Mali, die Islamisten in Oberägypten und auf dem Sinai; selbst Raketenwerfer und Boden-Luft-Raketen fanden den Weg aus Libyen zu ihnen – und nach Syrien.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. April 2013


Libysches Menetekel

Von Olaf Standke **

Mit Kriegsgütern aus aller Herren Länder hatte einst Muammar al-Gaddafi seine Macht gesichert. Nach dem Sturz des libyschen Herrschers verwandelte sich das Land in einen riesigen Waffenbasar, beherrscht von paramilitärischen Milizen und kriminellen Netzwerken. Eine zerstrittene und schwache Regierung schaut hilflos zu, wie die tödlichen Angebote längst den Weg in die Nachbarländer finden und von Mali bis Syrien blutige Konflikte befeuern. Von einem »alarmierenden« Zustand sprechen UN-Experten in einem jetzt vorgelegten Bericht.

Es ist genau jenes Szenarium, vor dem Kritiker des internationalen Waffenhandels immer wieder warnen. Auch und gerade mit Blick auf Nordafrika und den Nahen Osten, die die am stärksten militarisierte Region der Welt bilden. Schätzungsweise durchschnittlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden dort jährlich für Rüstungsgüter und Militär ausgegeben. Daran hat auch der »Arabische Frühling« nichts geändert. Und der Westen rüstet das Spannungsgebiet weiter mit Waffen wie mit Sicherheits- und Spionagetechnik auf; allen voran die USA, um den Erzfeind Iran in Schach zu halten. Aber beispielsweise auch deutsche Waffenlieferungen in die Golfstaaten haben sich 2012 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Dabei vermag niemand, auch hiesige Firmen und Regierungen nicht, wirklich zu sagen, in wessen Händen seine Rüstungsexporte am Ende Menschen töten und Unheil über ganze Länder und Regionen bringen.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. April 2013 (Kommentar)


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