Die Irrfahrt Luis Moreno Ocampos
Von Hannes Hofbauer *
In der Nacht zum Dienstag (23. Aug.) ist Saif al-Islam genau in jenem Hotel am Rande von Tripolis
aufgetaucht, in dem er zwei Tage zuvor angeblich gefangen genommen worden war. Die
Chefredakteure sämtlicher europäischer Nachrichtensender und Zeitungen, die den Tag mit
Meldungen wie »Söhne Gaddafis in Haft« aufgemacht hatten, waren blamiert.
Krieg ist immer auch eine Propagandaschlacht. Im Fall des Krieges gegen Libyen ist eine breite
Front tätig. Als mögliche Auslöser des Waffenganges sind die Unzufriedenen und Rebellischen aus
der Kyrenaika zu nennen, wenn es nicht doch andersrum koordiniert war. Die stärkste Militärallianz
der Welt hat dann mit einer Handvoll williger Staatsmänner am 22. März 2011 ihr Arsenal geöffnet
und damit begonnen, was sie offensichtlich am besten kann: von Flugzeugträgern und
Militärstützpunkten aus Kampfeinsätze gegen fremde Länder zu fliegen.
Die mediale Unterstützung in Europa ließ noch ein paar Tage auf sich warten, konnten doch anfangs
die in Tripolis stationierten Journalisten die Nachrichten aus NATO-Kreisen, wonach ein
»Terrorregime mit Waffengewalt gegen Demonstranten« vorgehe, mit der Wirklichkeit nicht in
Einklang bringen. Es fehlte schlicht der Augenschein. Fünf Monate lang musste die Kriegsallianz
Luftangriffe fliegen, um diesen »Aufstand in Tripolis« herbeizubomben. Und nach wie vor bestehen
Zweifel, ob es einen solchen gibt.
Die psychologisch stärkste Waffe im Propagandaarsenal der westlichen Wertegemeinschaft ist
deren juristische Kodifizierung. Im Fall Libyens dient ihr dazu der Internationale Strafgerichtshof in
Den Haag. Dieser wurde 2002 tätig und geriert sich seither als rechtlicher Flankenschutz westlicher
(geo)po- litischer Interessen. Sein Chefankläger, Luis Moreno Ocampo, nahm sich am NATO-Krieg
gegen Jugoslawien ein Vorbild, als er am 16. Mai 2011 Anklage gegen Muammar al-Gaddafi, seinen
Sohn Saif al-Islam und seinen Geheimdienstchef erhob.
Mitten im Bombenkrieg hatte auch das zuvor ad hoc einberufene »Jugoslawien-Tribunal« nach zwei
Monaten Luftangriffen am 27. Mai 1999 Anklage gegen den Feind in Person des Slobodan Milosevic
erhoben. Er soll Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen
haben. Wie wir wissen, konnte ihm das bis zu seinem Tod im Prozess nicht nachgewiesen werden.
Im Krieg gegen Libyen ist dasselbe Muster zu beobachten: Wieder zwei Monate nach dem Beginn
des Bombenkrieges folgt die juristische Keule mit denselben Anklagepunkten. Direkt greifbar ist
auch diesmal, wie das Gericht als politisches Instrument eingesetzt wird. Während die Bomber
fliegen, werden die Führungsfiguren des Feindes angeklagt. Ironie am Rande der Geschichte: Die
USA erkennen, wie viele andere Länder dieser Welt, den Internationalen Strafgerichtshof nicht an.
Luis Moreno Ocampo hat jedenfalls dienstbeflissen die Festsetzung Saif al-Islams vom Wochenende
über seine Pressestelle verlauten lassen. Er dürfte in engem Kontakt mit der NATO und den
Rebellen gestanden haben. Denn eine unabhängige Bestätigung des Ereignisses schien ihm gar
nicht nötig, ein weiteres Indiz dafür, wie und in welchem Umfeld Ocampo seine Rolle als oberster
Ankläger versteht.
Bereits seine ersten juristischen Sporen hatte sich Ocampo übrigens im selben Spannungsfeld von
Krieg und Justiz verdient. Als argentinischer Generalstaatsanwalt machte er Ende der 80er Jahre
den militärisch Verantwortlichen des verlorenen Malvinas-Krieges den Prozess.
Seine gegenwärtige Aufgabe ist es, der Allianz im Wüstenkrieg post tragödiam juristisch
Schützenhilfe zu leisten und damit die politische Legitimation für ihre Aggression zu liefern. Doch
schon der Name, unter dem die USA diese Militäroperation gestartet haben, »Morgendämmerung
der Odyssee«, scheint auf eine langwierige, auch rechtliche Irrfahrt hinzudeuten.
* Aus: Neues Deutschland, 24. August 2011
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