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Beim Zielen mit dabei: die Bundeswehr

Deutsche Soldaten arbeiten in NATO-Stab für Libyen-Krieg – Regierung verschwieg Einsatz vor Parlament

Von René Heilig *

Derzeit sind rund 7300 deutsche Soldaten auf drei Kontinenten und zwei Weltmeeren im Einsatz. Doch gegen Libyen werden keine Soldaten eingesetzt, behauptete die Bundesregierung – und log. Denn in NATO-Stäben steuern deutsche Soldaten den Krieg gegen Gaddafi an exponierter Stelle.

Fast 20 000 Luftwaffeneinsätze, darunter über 7300, bei denen Bomben und Raketen ausgeklinkt wurden, hat die NATO seit Ende März gegen das von den Gaddafi-Anhängern gehaltene Gebiet in Libyen geflogen. Dabei haben die NATO-Piloten immer wieder zivile Ziele getroffen. Vor wenigen Tagen erst – am 8. August – bombardierten NATO-Flugzeuge unbekannter Nationalität ein Gehöft nahe der Stadt Zlitan. Dabei – so sagen libysche Quellen – wurden 85 am Krieg Unbeteiligte getötet: 33 Kinder, 32 Frauen, 20 Männer.

Die Fakten sind wie zumeist schwer nachprüfbar. Die NATO behauptet, sie habe in dem Gebiet nur Gaddafis Militär angegriffen und verlässliche Aufklärungsergebnisse zur Grundlage gehabt.

An der Zielzuweisung im Libyenkrieg sind auch elf Soldaten der Bundeswehr beteiligt. Das Verteidigungsministerium bestätigte dies auf eine parlamentarische Anfrage, die der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele Ende Juli gestellt hatte. Die Luftwaffenangehörigen arbeiten in den NATO-Hauptquartieren in Neapel und in Poggio Renatico in Norditalien. Für den Libyeneinsatz forderte das NATO-Bündnis – laut Bundesverteidigungsministerium – insgesamt 250 Soldaten zur Verstärkung an. Die Bundeswehr stellte elf ab. Diese würden allerdings »derzeit« keine Führungs- und Entscheidungsfunktionen wahrnehmen. Deutschland, das sich im UNO-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über den Libyeneinsatz der Stimme enthalten hat, ist nicht mit Einsatzkräften am Krieg beteiligt, betonte unter anderem Außenminister Guido Westerwelle (FDP) mehrmals. Aus AWACS-Aufklärungsflugzeugen waren deutsche Spezialisten sogar abgezogen worden.

Wegen ihres plakativ vorgetragenen Nein zu dem Kriegseinsatz hat die Regierung jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem. »Mit diesem Einsatz nimmt die Bundeswehr am Libyenkrieg aktiv teil«, sagte Ströbele gegenüber ND. »Erst anlässlich dessen Beginns sandte sie die fraglichen Soldaten in den neu geschaffenen Gefechtsstand, beließ also nicht lediglich deutsche Soldaten in einem zuvor begonnenen Einsatz bei einer regulären NATO-Dienststelle.«

Das nennt der Abgeordnete »verfassungsrechtlich sehr bedenklich«. Denn die Bundesregierung verschwieg diesen Einsatz gegenüber dem Parlament. Sie hätte jedoch den Bundestag informieren und dessen Zustimmung einholen müssen. Das verlangt das Parlamentsbeteiligungsgesetz, wenn deutsche Soldaten – wie hier – nicht in »ständigen«, sondern in »eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben« der NATO eingesetzt werden. Die Regierungskoalition hat noch nicht einmal im gesetzlich möglichen »vereinfachten Zustimmungsverfahren« versucht, die Abgeordneten einzubeziehen.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) widerspricht. »Die Auffassung von Herrn Ströbele ist rechtsirrig«, sagte er am Donnerstag beim Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Einsatzführungskommandos in Geltow bei Potsdam. »Andernfalls können wir aus der NATO austreten.« Mitarbeit in Stäben und Bereitstellung von Infrastruktur für den Einsatz seien »selbstverständlich« und bedürften keines Bundestagsmandats. Das sei, so der Minister, durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesichert. Ströbele hält sich dennoch eine Klage in Karlsruhe offen. Und die LINKE verlangte eine Gesetzesnovellierung. Klargestellt werden müsse, dass jegliche Beteiligung deutscher Soldaten an Auslandseinsätzen – direkt oder indirekt, mit Waffe oder ohne – vom Parlament entschieden werden muss, so Jan van Aken.

Vor einigen Wochen hatte de Maizière bereits die deutsche Bereitschaft zur Lieferung von Munition und Ersatzteilen an die NATO-Partner zugesagt, die Bomben auf Libyen werfen.

* Aus: Neues Deutschland, 20. August 2011


Mal wieder mitgemordet

Von René Heilig **

Man mag der Bundesregierung ja glauben, dass sie den Waffengang gegen Gaddafis Libyen nicht begrüßt hat. Nicht nur, weil der Revolutionsführer – wie andere Tyrannen jenseits des Mittelmeeres auch – für die deutsche Politik ein Garant wider Al Qaida und andere Gefahren war. Zudem hat Schwarz-Gelb genügend Probleme mit dem Krieg in Afghanistan. Die Deutschen sind in der Mehrzahl gegen den Bundeswehreinsatz am Hindukusch, aus dem man nur schwer wieder herauskommt.

Das alles machte die Stimmenthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat zum Libyen-Abenteuer plausibel. Egal, was die Kriegstreiber in Paris und London und die im eigenen Parlament davon hielten – Merkel und Westerwelle erfuhren viel Zustimmung zu ihrer Kriegsabstinenz. Die sich nun als Lüge entpuppt. Heimlich ist man doch dabei. Nicht nur, dass man parat steht, um Nachschub für die Bombenwerfer zu liefern. Jetzt kam heraus, dass deutsche Soldaten extra in NATO-Stäbe geschickt wurden, um sich an der Zielauswahl zu beteiligen.

Das hat Methode. Als die USA zum Krieg gegen Irak trommelten, weigerten sich Schröder und Fischer ebenfalls zu marschieren. Angeblich. Doch in Bagdad besorgten BND-Agenten heimlich die Zielansprache, hierzulande sicherte man den US-Nachschub. Und wie war das mit Kundus? Ein Bundeswehr-Oberst wies ein Ziel zu, US-Piloten luden Bomben ab, 140 Menschen starben. Wie viele sind es bereits in Libyen?

** Aus: Neues Deutschland, 20. August 2011


BRD führt heimlich Krieg

Von Jörn Boewe ***

Deutschland ist, anders als es die Bundesregierung bislang dargestellt hat, doch direkt militärisch an den NATO-Angriffen auf Libyen beteiligt. Die Bundesrepublik besetze »derzeit elf Dienstposten mit Soldatinnen und Soldaten aus dem Bereich der Luftwaffe«, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne). »Sie nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben, u.a. auch – ohne derzeit allerdings Führungs- oder Entscheidungsfunktionen zu besetzen – Tätigkeiten im Bereich der sogenannten Zielauswahl, wahr.«

»Mit diesem Einsatz nimmt die Bundeswehr am Libyen-Krieg aktiv teil«, erklärte Ströbele am Freitag. »Das widerspricht der offiziellen Haltung sowie allen Verlautbarungen der Bundesregierung und ist mit ihrem Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat nicht zu vereinbaren.« Der Einsatz sei »verfassungsrechtlich sehr bedenklich«, betonte Ströbele, »denn die Bundesregierung verschwieg ihn gegenüber dem Bundestag«. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz verlange die Information und Zustimmung des Bundestags, »wenn deutsche Soldaten– wie hier – nicht in ›ständigen‹, sondern in ›eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben‹ der NATO eingesetzt werden«.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigte das Vorgehen. Die Mitarbeit in NATO-Stäben oder die Bereitstellung von Infrastruktur sei »selbstverständlich« und bedürfe nicht der Zustimmung des Parlaments. Das Verfahren sei »auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesichert«.

Ströbele kündigte an, eine Verfassungsbeschwerde zu prüfen. Unterstützt wurde seine Auffassung vom Bundesrichter a. D. und Bundestagsabgeordneten Wolfgang Neskovic (Die Linke). De Maizière versuche, »durch das Zünden juristischer Nebelkerzen die Öffentlichkeit und das Parlament zu täuschen«. Das Bundesverfassungsgericht habe im Gegenteil festgestellt, »daß alle militärischen Einsätze der Bundeswehr regelmäßig einen vorherigen Beschluß des Bundestages erfordern«. Neskovic verwies in diesem Zusammenhang auf das »AWACS-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts vom 7.Mai 2008 (2BvE 1/03). Die Richter hatten damals geurteilt, daß der Einsatz deutscher Luftwaffensoldaten in AWACS-Flugzeugen der NATO zur Luftraumüberwachung im Rahmen des Irak-Krieges im Frühjahr 2003 der Zustimmung des Bundestages bedurft hätte.

Die BRD hatte sich am 17. März 2011 bei der Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat über die Einrichtung einer Flugverbotszone enthalten. Offenbar vor dem Hintergrund des 2008er Urteils wurden deutsche AWACS-Besatzungen abgezogen.

Unterstützung bekam Ströbele auch von der Ärzteorganisation IPPNW. »Damit macht sich Deutschland zur Kriegspartei«, erklärte deren Vorsitzender Matthias Jochheim.

Erst am Dienstag vergangener Woche (9. Aug.) waren bei einem NATO-Luftangriff auf das Dorf Madschar 150 Kilometer östlich von Tripolis nach libyschen Angaben 85 Zivilisten getötet worden, darunter 33 Kinder (siehe jW vom Donnerstag, Seite 3). Die NATO wies die Darstellung zurück: Es sei ein legitimes militärisches Ziel angegriffen worden, um die Zivilbevölkerung vor Regierungsangriffen zu schützen. Ein Reuters-Reporter, der ein örtliches Krankenhaus besuchte, berichtete von »20 Leichensäcken allein in einem Raum«. In einem habe sich »die Leiche eines etwa zweijährigen Kindes« befunden.

*** Aus: junge Welt, 20. August 2011

Schlagkraft

Hintergrund: Waffenarsenal der Militärallianz

Von Franklin Lamb ****


Zum Arsenal der NATO, das in Libyen seit dem 29. März 2011 zum Einsatz kommt, um »Zivilisten zu schützen«, gehören unter anderem folgende Waffenmuster der USA:

B-2 Tarnkappen-Bomber des 509. Bomber Wing des Luftwaffenstützpunkts Whiteman; F-15Es-Jagdflugzeuge, gegenwärtig stationiert bei der 492. Fighter Squadron und der 494. Fighter Sqadron in RAF Lakenheath, Großbritannien; F-16CJ-Flugzeuge zum Niederhalten feindlicher Luftabwehr, stationiert bei der 480. Fighter Squadron des Luftwaffenstützpunkts Spangdahlem in Deutschland; EC-130-Commando Solo-Flugzeuge zur psychologischen Kriegführung des 193. Special Operations Wing in Pennsylvania Air National Guard, Middle­town, PA; KC-135s-Luftbetankungsflugzeuge des 100. Air Refueling Wing, gegenwärtig stationiert in Mildenhall, Britain, und bei der 92. Air Refueling Wing, Fairchild AFB, WA; C-130J-»Super«-Herkules-Transportflugzeuge, seit kurzem stationiert bei der 37. Airlift Squadron auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland; A-10-Erdkampfflugzeuge und AC-130-»Gunships« zur Luft­nahunterstützung.

Die NATO-Angriffe auf Libyen begannen mit der Bombardierung von angenommenen libyschen Luftverteidigungseinrichtungen unter Einsatz von 110 Tomahawk-Raketen und taktischen Tomahawk-Cruise Missiles der USA.

Zu den Schiffen der US-Marine, die von der NATO benutzt wurden, »um libysche Zivilisten zu schützen«, gehören: Raketenzerstörer der Arleigh Burke-Klasse USS Stout (DDG 55) und USS Barry (DDG 52); die U-Boote USS Providence (SSN 719), USS Scranton (SSN 756) und USS Florida (SSGN 728); die amphibischen Schiffe der Marines USS Kearsarge (LHD 3) und USS Ponce (LPD 15); das Kommandoschiff USS Mount Whitney (LCC/JCC 20); die Versorgungsschiffe Lewis and Clark, Robert E. Peary and Kanawha; AV-8B Harrier Kampfflugzeuge; CH-53 Super Stallion Hubschrauber und MV-22 Osprey Kipprotorflugzeuge mit vertikaler Start- und Landefähigkeit an Bord der Kearsarge and Ponce; KC-130J-Tankflugzeuge, die vom Luftwaffenstützpunkt Sigonella in Italien starten; EA-18G Growler-Störkampfflugzeuge der Electronic Attack Squadron (VAQ-132), die in Whidbey in Island County/Washington stationiert sind und von Aviano in Italien starten – die Flugzeuge wurden auf Antrag der NATO aus dem Irak abgezogen, »um zu helfen, libysche Zivilisten zu schützen«; P-3 Orion-Seepatrouillenflugzeuge und EP-3 Aries-elektronische Angriffsflugzeuge.

Durch die NATO-Angriffe auf das nordafrikanische Land wurden ungefährt 7800 libysche Zivilisten, verstümmelt und getötet.

**** Aus: junge Welt, 20. August 2011




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