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Liberia stimmt ab

Friedensnobelpreisträgerin will erneut Präsidentin werden

Von Jan Köstner *

In Liberia findet am heutigen Dienstag (11. Okt.) die erste Runde der Präsidentschaftswahlen und die Abstimmung über einen Teil der Sitze in Senat und Repräsentantenhaus statt. Die aussichtsreichsten Kandidaten im Kampf um das Amt, das in Anlehnung an das US-System dem Staatsoberhaupt große exekutive Befugnisse gibt, sind die am Freitag mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete amtierende Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf von der Unity Party (UP), der vom Congress for Democratic Change (CDC) nominierte Neffe des früheren Präsidenten Winston Tubman und der gegenwärtige Senator Charles Brumskine von der Liberty Party.

Das 1822 als Rücksiedlungskolonie für schwarze Sklaven aus den USA gegründete Liberia wurde bis zum Staatsstreich Samuel Does 1980 durch die americo-liberianische Elite dominiert. Sirleaf, Finanzministerin in der Regierung des gestürzten Präsidenten Tolbert, gehörte zu den wenigen Führungspersönlichkeiten des Regimes, die nach dem Umsturz Repressalien entgingen, und wurde zur Chefin der liberianischen Entwicklungsbank ernannt. Nach Differenzen mit Doe ging sie ins Exil und arbeitete für verschiedene internationale Organisationen, darunter die Weltbank.

1989 unterstützte sie die ursprünglich in Liberia weithin populäre Rebellion Charles Taylors gegen Doe. In den nach dem Friedensabkommen von Cotonou stattfindenden Präsidentschaftswahlen 1997 kandidierte sie dann gegen ihn und erreichte zehn Prozent der Stimmen gegenüber den 75 Prozent für Taylor. Während des Zweiten Liberianischen Bürgerkriegs erneut im Exil, kehrte sie nach Abschluß des umfassenden Friedensabkommens von 2003 nach Liberia zurück und leitete die Kommission zur Regierungsreform.

Als Präsidentschaftskandidatin der UP lag sie 2005 im ersten Wahlgang hinter dem Kandidaten der CDC, Exfußballprofi George Weah, konnte jedoch mit der Unterstützung anderer Parteien und zivilgesellschaftlicher Organisationen den zweiten Wahlgang mit einer Mehrheit von fast 60 Prozent für sich entscheiden. Als Präsidentin verfolgte Sirleaf eine Politik der engen Anbindung an die USA. So begrüßte sie die Bildung des Regionalkommandos der US-Streitkräfte Africom als »Chance für Afrika« und bot, als sich kein anderer afrikanischer Staat bereit- fand, Liberia als Aufnahmeland an.

Gegenüber internationalen Finanz­institutionen erstritt sie weitreichende Schuldenstreichungen für das wirtschaftlich zerrüttete Land. In Liberia ist Sirleaf jedoch nicht unumstritten. Der Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Aufarbeitung der Verbrechen während der Bürgerkriege setzte sie wegen ihrer Unterstützung des mittlerweile in Den Haag vor Gericht stehenden Charles Taylor auf eine Liste von 50 Personen, denen die Ausübung politischer Ämter untersagt werden sollte. Dies wurde jedoch durch das Oberste Gericht für verfassungswidrig erklärt.

Sirleafs UP kontrolliert in beiden Parlamentskammern etwa 30 Prozent der Sitze. Die darin zum Ausdruck kommende politische Zustimmung wird aller Voraussicht nach für die Teilnahme am zweiten Wahlgang ausreichen. Ob Sirleaf diesen für sich entscheiden kann, wird sich am 8. November zeigen. Der ihr am vergangenen Freitag verliehene Friedensnobelpreis könnte sich dabei als entscheidende Wahlkampfhilfe erweisen.

* Aus: junge Welt, 11. Oktober 2011


Ein Nobelpreis, der hinderlich sein kann

In Liberia strebt Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf ihre zweite Amtszeit an **

Der Wirtschafts-Nobelpreis ist weiter eine klare Domäne für Männer aus den USA. Das schwedische Nobelkomitee vergibt die Auszeichnung 2011 an die Forscher Christopher A. Sims und Thomas Sargent.

Auch eine gerade frisch gekürte Friedensnobelpreisträgerin wie die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf kann es sich nicht leisten, ihre politischen Gegner zu Hause mit Samthandschuhen anzufassen. Die 72-jährige steckte mit ihrer Partei der Einheit bis gestern in einem verbissen geführten Wahlkampf. Fast 1,7 Millionen LiberianerInnen sind aufgerufen, eine politische Richtungsentscheidung fällen, die die nächsten sechs Jahre in dem vor allem an Diamanten und Eisenerz reichen Land entscheidend bestimmen wird.

Das Rennen gilt als offen, und da kann sich der Nobelpreis noch als Bärendienst für die Präsidentin erweisen: Viele Menschen in Liberia haben keineswegs vergessen, dass Johnson-Sirleaf 2005 im ersten Wahlgang nur an zweiter Stelle hinter dem einstigen Fußball-Star George Weah gelegen hatte, um die Stichwahl dann doch noch zu gewinnen. So mancher hatte damals gemunkelt, dass die EU und die USA an einem Sieg Johnson-Sirleafs sehr interessiert gewesen seien. Diese Menschen werden nun unterstellen, dass der im Westen beklatschte Nobelpreis die Präsidentin bei ihrem Kampf um eine zweite Amtszeit über die Ziellinie tragen helfen soll.

Auch Weah, inzwischen 44 Jahre alt, kandidiert wieder für ein Spitzenamt. Diesmal tritt er als Vizepräsident zusammen mit dem Juristen und ehemaligen UN-Diplomaten Winston Tubman an. Der Kongress für den Demokratischen Wandel ist die aussichtsreichste Oppositionspartei. Sie wird auch vom liberianischen Ex-Präsidenten Charles Taylor unterstützt, der derzeit wegen des Vorwurfs von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag steht.

Diese Wahlen sind die zweiten, nachdem der über zehn Jahre dauernde und äußerst grausam geführte Bürgerkrieg Liberias 2003 endete. 2005 hatten die Vereinten Nationen die Abstimmung organisiert – vom Transport der Materialien über die Berechnung des Ergebnisses bis hin zur Ausbildung der Wahlleiter. Die UN-Mission in Liberia (UNMIL) ist auch diesmal unterstützend tätig. Allerdings beschränkt sie sich darauf, die Sicherheit zu gewährleisten.

Seit Ende des Bürgerkrieges garantieren vor allem die UN den Frieden in Liberia. Am 16. September verlängerte der Sicherheitsrat das UNMIL-Mandat für die derzeit etwa 8000 Frauen und Männer zählende Truppe um ein weiteres Jahr. Sorgen machen zudem die aus Cote d'Ivoire (Elfenbeinküste) hereingeströmten Flüchtlinge, die große Zahl der liberianischen Ex-Kombattanten sowie die vielen arbeitslosen jungen Männer, die sich von einem Warlord für billiges Geld anwerben lassen würden. Immer wieder werden Waffenlager gefunden.

Als Johnson-Sirleafs vielleicht größter Erfolg gilt der Wiederaufbau der Infrastruktur. Die Präsidentin hat es verstanden, den traditionellen Partnern in Amerika und Europa durch Vergabe von Aufträgen auch an chinesische Unternehmen unbequeme Konkurrenz zu schaffen. Derzeit werden eine Brücke über die Lagune von Monrovia und die neue Universität von den Chinesen gebaut.

Diese Erfolge kontrastieren scharf zu der Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsgruppen, die von den Fortschritten in keiner Weise profitieren. Nahrungsmittel sind auch in Liberia teurer geworden. Ein wirtschaftlicher Strukturwandel ist nicht in Sicht. Das Land wird auf absehbare Zeit vom Bergbau abhängig bleiben.

* Aus: neues deutschland, 11. Oktober 2011


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