Frauen für den Frieden
Nobelpreiskomitee zeichnet zwei Liberianerinnen und eine Jemenitin aus
Von Martin Ling *
Den diesjährigen Friedensnobelpreis teilen sich die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf, die aus demselben Land stammende Friedensaktivistin Leymah Gbowee und die jemenitische Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman.
Für die Präsidentschaftswahl hätte sie den Rückenwind durch den Friedensnobelpreis nicht gebraucht: Ellen Johnson-Sirleaf, amtierende Präsidentin Liberias, geht als haushohe Favoritin in den Urnengang am kommenden Dienstag. Johnson-Sirleaf ist die bei weitem bekannteste der drei Frauen, denen das norwegische Nobel-Komitee am Freitag in Oslo den diesjährigen Friedensnobelpreis zusprach. Neben Johnson-Sirleaf wurden auch die liberianische Menschenrechtlerin Leymah Gbowee und die Jemenitin Tawakkul Karman für ihren gewaltlosen Einsatz für Frauenrechte und ihr Eintreten für den Frieden geehrt.
»Wir können weder Demokratie noch dauerhaften Frieden in der Welt erreichen, wenn Frauen nicht die gleichen Möglichkeiten wie Männer bekommen, Einfluss auf Entwicklungen auf allen Ebenen der Gesellschaft zu nehmen«, erklärte das Nobel-Komitee in seiner Begründung. Gewürdigt würden die drei Frauen daher für ihren »gewaltfreien Kampf für die Sicherheit von Frauen und für das Recht der Frauen auf eine vollständige Beteiligung an der Schaffung von Frieden«.
Die resolute und populäre Johnson-Sirleaf wird in Liberia auch »Ma Ellen« oder »Iron Lady« genannt. Sie bezeichnete den ihr zuerkannten Friedensnobelpreis als »riesige Überraschung«. In einem Interview mit dem norwegischen Rundfunksender NRK sagte die 72-Jährige am Freitag: »Ach! Ich bin so überwältigt und aufgeregt, dass mir die Worte fehlen.«
Sie wisse wenig über die Arbeit ihrer Mitpreisträgerin Tawakkul Karman aus Jemen. Über Leymah Gbowee sagte die Präsidentin: »Viel von der Ehre dieses Preises gehört ihr und den anderen liberianischen Frauen, die die Diktatur herausgefordert haben.«
Tawakkul Karman äußerte gegenüber dem Nachrichtensender Al-Arabija: »Diese Ehrung wird den Kampf für Gerechtigkeit und Reformen vorantreiben.« Der jemenitische Menschenrechtsanwalt Chalid al-Ansi, ein früherer Weggefährte der Journalistin, sagte der Nachrichtenagentur dpa: »Wir freuen uns sehr - Gott sei Dank.«
* Aus: neues deutschland, 8. Oktober 2011
Ohne Frauen gibt es keinen Frieden
Der diesjährige Friedensnobelpreis geht an Frauenrechtlerinnen in Liberia und Jemen
Von André Anwar, Stockholm **
Der diesjährige Friedensnobelpreis
belohnt den lebenslangen Kampf
zweier Frauenrechtlerinnen aus Liberia
und einer Frauenrechtlerin aus Jemen.
Sie setzen sich für eine friedliche
Entwicklung ihrer Länder ein.
Der Friedensnobelpreis würdigt in
diesem Jahr die Rolle von Frauen
bei der Lösung von Konflikten. Die
Überraschung war groß, als der
Vorsitzende der fünfköpfigen Jury
am Freitag in Oslo die diesjährigen
Preisträgerinnen bekanntmachte.
Laut Thorbörn Jagland teilt sich
die 72-jährige Ellen Johnson-Sirleaf,
Präsidentin Liberias, mit ihrer
Landsfrau, der 39-jährigen
Bürgerrechtlerin Leymah Roberta
Gbowee, und der erst 31-jährigen
arabischen Frauenrechtlerin Tawakkul
Karman aus Jemen die
Auszeichnung. Sie würden für ihren
»gewaltfreien Kampf für die
Sicherheit von Frauen und für das
Recht der Frauen auf eine vollständige
Beteiligung an der Schaffung
von Frieden« gewürdigt, sagte
Jagland.
Liberias Präsidentin habe es
»unter sehr, sehr schweren Bedingungen
geschafft, die demokratische
Entwicklung in Liberia
am Leben zu erhalten«, so die
Würdigung. Johnson-Sirleaf und
Gbowee haben 2003 maßgeblich
an der Beendigung des über ein
Jahrzehnt währenden Bürgerkrieges
mitgewirkt. »Beide Preisträgerinnen
haben insbesondere
gegen die Unterdrückung und systematische
Vergewaltigung von
Frauen und Kindern in Kriegen
wie dem in Liberia gekämpft«,
sagte Jagland.
Die Harvard-Ökonomin Johnson-
Sirleaf hatte lange für die
Weltbank gearbeitet. 2005 wurde
sie zum ersten weiblichen Staatsoberhaupt
Liberias gewählt, die
erste Präsidentin eines afrikanischen
Landes. Sie gilt als »Eiserne
Lady Liberias«. Erst letztes Jahr
wählte das renommierte US-Magazin
»Newsweek« Johnson-Sirleaf
zu einer der zehn besten
Staatschefs der Welt. Die vierfache
Mutter und achtfache Großmutter
gilt als willensstark, unbeugsam
und integer. Johnson-Sirleaf engagierte
sich insbesondere um die
Reintegration der unzähligen seelisch
gebrochenen und oft drogenabhängigen
ehemaligen Kindersoldaten.
Mitpreisträgerin Gbowee ging
als Sozialarbeiterin in die Dörfer,
um die tiefen Wunden traumatisierter
Kinder und Jugendlicher,
Mädchen und Frauen, von Opfern
wie von Mördern zu lindern. 2002
gründete sie die erfolgreiche
Frauenbewegung »Women of Liberia
Mass Action for Peace«. Seit
vier Jahren leitet sie das »Frauen-
Netzwerk Afrika für Frieden und
Sicherheit« und hilft damit auch
anderen afrikanischen Nationen
mit ihren Erfahrungen.
Tawakkul Karman ist Vorsitzende
des Verbandes »Journalistinnen
ohne Ketten«. In dem von
Armut und vom großen Einfluss
radikalislamistischer Kräfte geplagten
Jemen gehört sie zu den
treibenden demokratischen Kräften,
die hinter den friedlichen Protesten
gegen Diktator Ali Abdullah
Saleh stehen. »Sie ist schon aufgestanden
und hat Mut gezeigt, als
der Arabische Frühling noch in
weiter Ferne lag«, sagte Jagland.
Im arabischen Fernsehsender
Al Dschasira sagte Karman am
Freitag: »Ich widme diesen Preis
der revolutionären Jugend in Jemen,
die sich auf ihre bessere Zukunft
freut, und dem jemenitischen
Volk. Wir werden für unsere
friedliche Revolution und unsere
Bürgerrechte kämpfen, und auch
anderen Ländern dabei helfen. Der
Preis stärkt uns dabei«. Zu den regelmäßigen
Freitagsdemonstrationen
in Jemen wurden gestern
wieder Hunderttausende erwartet.
Jagland sagte, dass für die Wahl
der Lauraten die Leistung der
Preisträger in ihrer eigenen Umgebung
entscheidend sei. Mit den
Preisträgerinnen 2011 sind nun
seit 1901 insgesamt 15 Frauen
ausgezeichnet worden.
** Aus: neues deutschland, 8. Oktober 2011
Im Jemen nicht gern gesehen: Ein Nachtrag:
Angriff auf Marsch für Tawakkul Karman
Jemenitische Regierungsanhänger haben einen Freudenumzug von Frauen anlässlich des Friedensnobelpreises für die Journalistin Tawakkul Karman angegriffen.
Die Frauen seien in Jemens zweitgrößter Stadt Taes am Sonntagabend (9. Okt.) von »Regime-Schlägern« mit Flaschen und Steinen beworfen worden, sagte eine der Organisatorinnen der Nachrichtenagentur AFP am Montag. Nach Angaben von Rettungskräften wurden 40 Frauen verletzt. Tawakkul Karman, die sich an den Protesten gegen Jemens Präsident Ali Abdallah Saleh beteiligt, war am Freitag als erster Frau aus der arabischen Welt der Friedensnobelpreis zugesprochen worden.
In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa hielten unterdessen am Montag zahlreiche Journalisten einen Sitzstreik ab, um für die Freilassung eines Kollegen zu demonstrieren. Sie baten auch Karman um Hilfe, die Freilassung von Mohamed Soudam zu erreichen, der für die Nachrichtenagentur Reuters arbeitet, aber auch als Dolmetscher des umstrittenen Präsidenten Saleh. Soudam war am Freitag auf dem Weg vom Flughafen zu seiner Wohnung an einer Straßensperre von Anhängern der Protestbewegung gegen Saleh festgenommen worden.
Saleh hatte am Wochenende seinen Rücktritt »innerhalb der kommenden Tage« angekündigt. In einer Rede vor Parlamentsabgeordneten der Regierungspartei GPC beschimpfte der 69-Jährige die Opposition als »Terroristen« und »Kriminelle«.
(neues deutschland, 11. Oktober 2011)
Ehrenwerte Entscheidung
Von Martin Ling ***
Das Nobel-Komitee befindet sich auf dem Weg der Besserung: Nachdem der Friedensnobelpreis in den vergangenen Jahren unter anderem an den Präsidenten der größten Militärmacht, Barack Obama, und den selbst ernannten Klimaschützer Al Gore verliehen wurde, besann sich die Jury 2011 wieder ein wenig auf ihre Wurzeln: Einsatz für Abrüstung und Frieden. Mangels einer über alle Zweifel erhabenen Kandidatin entschied sich das Komitee für drei Frauen, wovon nur Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf über einen größeren Bekanntheitsgrad verfügt – und eine nicht ganz perfekte Vergangenheit: In den 80er Jahren arbeitete sie in ihrem Heimatland für den Diktator Samuel Doe und schwieg, als dieser sechs ihrer Kabinettskollegen hinrichten ließ. In der Gegenwart macht sie indes einen guten Job als Präsidentin.
Grundsätzlich ist die Entscheidung, Frauen auszuzeichnen, ein überfälliges Zeichen. Eine zentrale Voraussetzung für Frieden ist Fntwicklung und dort stehen Frauen häufig in der ersten Reihe, wenn es um die Praxis geht. In Subsahara-Afrika zum Beispiel leisten Frauen rund 70 Prozent der Arbeit in der Landwirtschaft und 75 Prozent der unbezahlten Arbeit – sie sind schlicht die Säulen der Gesellschaft. Eine Tatsache, die in der Entwicklungspolitik mehr und mehr Raum gewinnt, wo Frauenförderung groß geschrieben wird. Doch der Nachholbedarf ist erheblich. Der Friedensnobelpreis kann da vielleicht ein wenig helfen.
*** Aus: neues deutschland, 8. Oktober 2011 (Kommentar)
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