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"Kalifat" blickt auch nach Libanon

Islamistische Kampfverbände suchen sich neue Versorgungsrouten

Von Karin Leukefeld *

Der Krieg der Islamisten in Nahost zieht weitere Kreise. Bei Kämpfen zwischen der libanesischen Armee und dschihadistischen Rebellen an der Grenze zu Syrien sind bisher 14 Soldaten gestorben.

Bei einem Angriff der Nusra-Front und anderer Kampfverbände auf die libanesische Grenzstadt Arsal sind seit dem Wochenende mindestens 14 Soldaten und sechs Zivilisten getötet worden. Die Kämpfe dauerten auch am Montag an. Der libanesische Armeechef General Jean Kahwagi sprach in einer Pressekonferenz am Sonntag von einer »gewaltigen Bedrohung durch die Takfiri-Bewegung«, die ganz Libanon betreffe. Ähnlich ausgerichtete Gruppen könnten die Kämpfe in Arsal zum Anlass nehmen, ebenfalls Angriffe auf die libanesische Armee zu beginnen.

Die Takfiri-Bewegung zeichnet sich durch ein rückwärtsgewandtes, dogmatisches Islamverständnis aus. Andersgläubige, auch Muslime, werden als »Ungläubige« verfolgt und können getötet werden. Zu der Bewegung der Takfiri gehören sowohl die Nusra-Front als auch der »Islamische Staat««(IS).

IS und Nusra-Front liefern sich in der Region einen blutigen Konkurrenzkampf um die Errichtung eines »Islamischen Staates«, der Kalifat oder Emirat genannt wird. Beide Gruppen haben jeweils Tausende Männer unter Waffen, darunter viele Ausländer. Finanziert und ausgerüstet wurden sie anfangs von »Geschäftsleuten« aus Katar, Kuwait und Saudi-Arabien. Logistische Hilfe lieferte die Türkei mit dem Ziel, dass die Gruppen gegen die syrische Armee kämpfen sollten. Ob es diese Unterstützung noch gibt, ist schwer nachprüfbar.

Hintergrund des Angriffs auf die libanesische Armee in Arsal dürfte sein, dass die Nusra-Front abgeschnittene Versorgungsrouten über den Ort wieder öffnen will. Arsal liegt unweit der Grenze zu Syrien in den Qalamun-Bergen in der Bekaa-Ebene. Seit 2011 ist der Ort zu einem wichtigen Umschlagslatz für Waffen und Kämpfer geworden. Von hier führen Schmuggelwege nach Syrien. In dessen Westteil ist die Gruppe zum stärksten Kampfverband aufgestiegen. Das stellte sie kürzlich unter Beweis, als sie die Stadt Haram an der Grenze zur Türkei einnehmen konnte, eine weitere wichtige Versorgungsroute für bewaffnete Gruppen in Syrien.

Am 11. Juli zirkulierte im Internet (Youtube) eine Audiobotschaft, die dem Chef der Nusra-Front, Abu Mohammad al-Jolani, zugeordnet wurde. Darin kündigte der Mann die Gründung eines »Emirats in der Levante« an, Hauptstadt sollte die Stadt Azaz nördlich von Aleppo werden. Unmittelbar darauf kam es zu neuen Verteilungskämpfen zwischen der Nusra-Front und anderen bewaffneten Gruppen. In dem Zusammenhang steht offenbar auch der Mord an dem Vertreter der Nusra-Front in der Provinz Idlib am Samstag. Jakub al-Omar starb durch die Explosion einer Autobombe in seinem Wagen. Schon im April war sein Vorgänger, Mohammed al-Ansari, bei einem Anschlag getötet worden. Damals hatte IS die Verantwortung übernommen.

IS ist derzeit führend in der Konkurrenz um das »Kalifat« in Irak und Syrien. Das zeigte sie, als sie nach der Übernahme von Mossul in Nordirak am 10. Juni einen »Islamischen Staat« ausgerufen hatte. Man plünderte reichhaltige Waffendepots der irakischen Streitkräfte. Mit der Einnahme der syrischen Ölfelder in Deir Ezzor kann die Gruppe sich von ihren bisherigen Geldgebern weitgehend unabhängig machen. Bisher wurde das gestohlene syrische Öl über den Grenzübergang Tal Abyad in die Türkei geschafft und über Mittelsmänner verkauft. Ein weiterer Weg soll über Irak und dessen kurdische Autonomiegebiete in die Türkei eröffnet werden. Einen Teil des Öls überlässt IS örtlichen Stämmen in Deir Ezzor, um sich so ihrer Gefolgschaft zu versichern. 50 000 Barrel Öl erbringen eine Million Dollar. Etwa 380 000 Barrel kann Syrien pro Tag fördern. Der UNO-Sicherheitsrat hat mittlerweile auf Drängen Russlands den Handel mit dem gestohlenen syrischen Öl verboten. Doch ob dieser Beschluss umgesetzt wird, steht auf einem andere Blatt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 5. August 2014


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