Libanon - Hinterland des Krieges
Die anhaltenden Kämpfe in Syrien ziehen den Nachbarstaat in Mitleidenschaft
Von Karin Leukefeld, Beirut *
Der Syrien-Konflikt ist nach Einschätzung
des neuen Sonderbeauftragten
Lakhdar Brahimi seit einiger Zeit in
die Phase eines »Bürgerkriegs« eingetreten.
Es gehe für ihn nicht darum,
»einen Bürgerkrieg zu vermeiden«,
vielmehr sei es »erforderlich, den
Bürgerkrieg zu beenden«, sagte Brahimi
am Sonntag. Dieser Krieg greift
immer mehr auf Libanon über.
»Ich habe Urlaub gemacht, zwei
Wochen war ich in meinem Dorf
Ain Ebel. Keine Schießereien, keine
brennenden Reifen, einfach nur
Sonne und Stille.« Die Augen von
Hussam – er möchte seinen vollen
Namen nicht nennen – strahlen in
seinem braunen Gesicht, die Brille
hat er auf die Stirn geschoben. Sein
Dorf liege nicht weit von Bint Jbeil
und nur zwei Kilometer von der
Grenze zu Israel entfernt, erzählt
er. Wie viele Männer aus den libanesischen
Dörfern arbeitet auch
Hussam in Beirut. Sein Job in einem
Hotel wird nicht gut bezahlt,
dafür ist ihm der Arbeitsplatz sicher.
Die permanente libanesische
Wirtschaftskrise hat sich mit dem
Krieg in Syrien verschärft, viele
Libanesen wissen nicht, wie sie mit
den ständig steigenden Lebenshaltungskosten
fertig werden
sollen.
Während Hussam sich der
dörflichen Ruhe in Ain Ebel erfreute,
schlugen in Beirut und andernorts
in Libanon die Wogen
hoch. Mit Schießereien und
brennenden Autoreifen reagierten
aufgebrachte Libanesen auf Entführungen
ihrer Angehörigen in
Syrien. Hassan Nasrallah, der
Führer der Hisbollah, der maßgeblichen
schiitischen Partei in Libanon,
mahnte zur Ruhe. Weder
die Hisbollah noch der Staat seien
in der Lage gewesen, die aufgebrachten
Menschen zu beruhigen,
räumte Nasrallah ein.
Als Vergeltung für die Entführung
eines Clanmitglieds in Saida
Zeynab bei Damaskus durch die
Freie Syrische Armee Mitte des Monats
hatten Milizen des Mokdad-
Clans in Libanon in der vergangenen
Woche mehr als 20 Syrer festgesetzt.
Auch ein türkischer Lastwagenfahrer
wurde seiner Freiheit
beraubt, tags darauf traf es einen
weiteren Türken.
Der Zorn des Mokdad-Clans
war so groß, dass er auch noch
den Fernsehsender Al Yassariya
stürmte, ein Anfang 2011 ins Leben
gerufenes Projekt der arabischen
Linken, das derzeit von den
Kommunistischen Parteien Libanons
und Syriens im südlichen
Beirut betrieben wird. Drei Mitarbeiter
des Senders – zwei Syrer
und ein Palästinenser
–
wurden entführt und technische
Ausrüstungsgegenstände im Wert
von mehr als 150 000 US-Dollar
wurden zerstört oder gestohlen.
Sollte ihr Familienangehöriger in
Saida Zeynab nicht sofort freigelassen
werden, ergehe es den Geiseln
schlecht, ließ ein Abgesandter
des Clans noch am gleichen Tag
Reporter wissen. Ein Sprecher der
»Freien Syrischen Armee« erklärte,
ihr Gefangener sei Mitglied der
Hisbollah und habe der syrischen
Regierung geholfen. Die Hisbollah
dementierte, mit dem Mann
etwas zu tun zu haben,
die Libanesische KP verurteilte
den Angriff auf ihren
Sender und forderte die Freilassung
der Geiseln. Am nächsten Tag
gingen die Entführungen weiter.
Eine »Brigade Mukhtar al-Thaqfi«
entführte fünf Syrer in Beirut und
fünf weitere im Bekaatal.
Wenige Tage zuvor hatten libanesische
Familien ihrem Zorn
Luft gemacht und die Straße zum
internationalen Flughafen von
Beirut mit Barrikaden aus
brennenden Autoreifen blockiert.
Sie wollten damit
auf das Schicksal ihrer
Angehörigen aufmerksam
machen, die seit zwei Monaten von
bewaffneten Aufständischen in
Syrien nahe der Grenze zur Türkei
festgehalten werden.
Für die syrischen Rebellen ist
der Norden Libanons klassisches
»Hinterland«. Dort gibt es Unterkunft,
auch für ihre geflohenen
Familien, medizinische Behandlung,
Waffen, Ausrüstung und Salär,
um in den Kampf nach Syrien
zu ziehen. Die Grenze zu Libanon
sei »offen« für diese Kämpfer, sagt
ein Mann, der in Beirut Hilfsdienste
für ausländische Journalisten
leistet. Er habe gerade einen
Reporter an einen Führer im Norden
Libanons vermittelt. »Dann
wurde er auf verschlungenen Wegen
bis in die syrische Großstadt
Homs gebracht«, erzählt der
Mann, der seinen Namen nicht
nennen möchte. Der Reporter soll
für die illegale Passage 1500 Dollar
gezahlt haben.
Was dieser Krieg kostet? Keine
Seite gibt Zahlen bekannt. Frankreichs
Außenminister Laurent Fabius
erklärte gestern gegenüber
RTL in Paris. Der Krieg koste die
Regierung in Damaskus »ungefähr
eine Milliarde Euro pro Monat«.
Deshalb wolle Frankreich die syrische
Führung unter Präsident
Baschar al-Assad
»finanziell austrocknen«.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 21. August 2012
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