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Inszenierte "Enthüllungen"

Libanesischer Geheimdienst wirft Damaskus Staatsterrorismus vor

Von Jürgen Cain Külbel *

Libanons prominentester Häftling, Exinformationsminister Michel Samaha, war optimistisch, als er am Donnerstag vergangener Woche dem Militärrichter Riad Abu Ghida vorgeführt wurde. Ihm wird zur Last gelegt, mit dem syrischen Sicherheitschef, General Ali Mamlouk, und einem syrischen General mit dem Decknamen »Adnane« einen Terrorplan zur Anheizung sektiererischer Konflikte zwischen Christen und Sunniten im Nordlibanon sowie Bombenattentate auf sunnitische Persönlichkeiten, die Syriens Opposition unterstützen, ausgeheckt zu haben.

Im Zedernstaat hatte die Nachricht für heftige Verwirrung gesorgt, pflegt doch Samaha exzellente Beziehungen zu den Regierungen Frankreichs, Kanadas, der USA und glättete dort in so manch heikler Angelegenheit auf geheime diplomatische Weise; sein Engagement für den französischen Geheimdienst brachte ihm den Titel »Légion d’Honneur«, ranghöchster Verdienstorden Frankreichs, ein.

Der Beiruter Anwalt Malek Sayyed, der Samaha verteidigt, bestreitet die Vorwürfe der Anklage energisch: Sein Klient sei »in eine Falle des Nachrichtendienstes der Polizei, der von Wissam Al-Hassan geleitet wird, gelockt worden«. Ein vorliegendes Geständnis habe man dem 64jährigen durch stundenlange Verweigerung von Wasser und dringend benötigten Herzmedikamenten abgerungen. Sayyed monierte eine Verletzung des Artikels 77 des libanesischen Strafprozeßrechtes, gemäß dem »der Untersuchungsrichter das Prinzip des freien Willens des Beklagten während des Verhörs sicherzustellen hat, und die Aussage des Beklagten kein Ergebnis psychologischen Druckes oder Zwanges« sein dürfe.

Samaha, zudem ein enger Freund von Präsident Baschar Al-Assad, war am 9. August von einem 40köpfigen Kommando des Nachrichtendienstes der libanesischen Polizei, eine Art Geheimdienst, öffentlichkeitswirksam in seiner Residenz verhaftet worden. Von der Polizeiführung lancierte Informationen wurden in der libanesischen Presse in Windeseile zu einer Geschichte aufgebauscht: Samaha habe zwanzig Sprengsätze aus Syrien herausgeschmuggelt, die bereits auf mehrere Orte in Libanon verteilt seien; 170000 US-Dollar hätten die Syrer zur Organisierung des blutigen Schützenfestes beigesteuert. Ein Video, so wurde kolportiert, zeige Samaha beim Transport von Sprengstoff aus einem Auto in einer Tiefgarage. Letztlich, so sickerte durch, habe er alles gestanden, weil ein in seine Umgebung eingeschleuster Agent namens Milad Kfouri die Sache hochgehen ließ. Angeblich hatte Samaha diesen Agenten gebeten, Menschen zu finden, die bereit wären, Terrorakte zu begehen. Kfouri nahm das mit einer in seinen Kugelschreiber montierten Kamera auf. »Das ist es, was Baschar will«, soll Samaha darauf zu hören sein.

Wie die Beiruter Tageszeitung Ad-Diyar enthüllte, pflegt Kfouri seit Jahren »enge Beziehungen zum israelischen Mossad«, er habe »Israel mehrfach unter Benutzung eines ausländischen Reisepasses von Zypern aus besucht«. Durch Vermittlung seines privaten »Freundes Wissam Al-Hassan, dem Chef der Nachrichtenabteilung« der Polizei (sic!), habe Kfouri fünf Millionen Dollar für die Informationen erhalten: »Das Geld wurde via eine europäische Bank von einem Konto zum anderen transferiert, um später auf das von Kfouris Ehefrau übertragen zu werden«. Tage vor der Verhaftung Samahas hatte Al-Hassan in Zusammenarbeit mit einem »ausländischen Sicherheitsdienst« dafür gesorgt, daß sein »Kronzeuge« Kfouri samt Familie ins sichere Europa verbracht wurde. Mittlerweile soll er eine pompöse Villa in Kanada bezogen haben.

Wissam Al-Hassan, Ex-Bodyguard des 2005 bei einem Bombenattentat getöteten Milliardärs und libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri sowie einer der Exponenten der antisyrischen und prowestlichen Fraktion des Libanon, hat ein Händchen für Beweismittelfälschungen. Schob er doch im Sommer 2005 den Ermittlern, die den Mord an Hariri im Auftrag des UN-Sicherheitsrates untersuchten, einen mit saudischen Petro-Dollars gekauften Kronzeugen unter, dessen »Aussagen« Damaskus belasteten und vier libanesische Generäle vier Jahre lang unschuldig hinter Gitter brachten.

Der Libanon ist bisher eines der wenigen arabischen Länder, die in der Syrien-Krise Neutralität bewahren. Die »Enthüllungen« von Wissam Al-Hassan sollen das Land ins Lager der Gegner von Baschar Al-Assad führen. Der Reporter Robert Fisk faßte die Samaha-Affäre am 13. August im Londoner Independent trocken zusammen: »Am Ende dreht sich alles um den Iran, der Zielscheibe des Mißtrauens und des Hasses von Katar und Saudi-Arabien und Amerika und Israel. Brich Iran – via Syrien.«

* Aus: junge Welt, Montag, 20. August 2012


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