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Libanon zu nah am zerrissenen Nachbarn

Ali Gharib (KP Libanons) zu den Auswirkungen des Bürgerkrieges in Syrien auf sein Land *


Der Bürgerkrieg in Syrien bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das westliche Nachbarland Libanon. Darüber sprach mit Ali Gharib, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Libanons, für "neues deutschland" (nd) in Berlin Roland Etzel.


Das ZDF meldete dieser Tage, iranische Waffen für Syrien würden jetzt auch in Passagierflugzeugen nach Libanon transportiert. Der Sender teilte aber wenigstens mit, dass es sich um eine von westlichen Geheimdiensten gestreute »Information« handele, die mit entsprechender Vorsicht zu bewerten sei. Wie spürt man in Libanon den Krieg in Syrien?

Wir sind nicht nur der westliche Nachbar Syriens, sondern auch am engsten historisch mit ihm verbunden. Egal, welche Regierung Syrien hatte – für uns war und ist es das einzige Transitland in andere arabische Staaten; wobei während der Zeit der israelischen Besetzung von Teilen Libanons die Verbindungen besonders eng waren. Mit dem Abkommen von Taif von 1989 am Ende des libanesischen Bürgerkrieges wurde von der Arabischen Liga sogar die Vorherrschaft Syriens in Libanon vertraglich bestätigt. Und ob Regierung oder Opposition, alle in Libanon hatten zur Kenntnis zu nehmen, dass Damaskus in beinahe jeder Frage das letzte Wort bei uns hatte.

Damit ist es aber schon seit einigen Jahren vorbei.

Nach dem Mord an Expremier Rafiq Hariri am 8. Februar 2005, dessen bis heute Syrien bezichtigt wird, musste Damaskus seine Truppen abziehen und verlor sehr viel an direktem Einfluss auf die libanesische Politik. Die Haltung zu Syrien spaltet seitdem das Land. Die eine Hälfte der politischen Gruppierungen greift Syrien wegen des angeblich von ihm verübten Mordes an, die andere bedankte sich zum Beispiel bei Damaskus am 8. März 2005, als die syrischen Truppen abzogen, mit einer großen Demonstration. Sechs Tage später, am 14. März, marschierten in Beirut die Anhänger Hariris und alle anderen antisyrischen Kräfte auf. Seither stehen in Libanon die Bewegungen des 8. März und des 14. März in fast jeder wichtigen politischen Frage gegeneinander.

Die heutige Regierung von Nadschib Mikati, die von den Kräften des 8. März getragen wird, unterstützt das bestehende syrische Regime, die Kräfte des 14. März sind dagegen.

Es heißt, die Zahl syrischer Flüchtlinge in Libanon nimmt zu.

Familien, Zivilisten können jederzeit nach Libanon einreisen, Bewaffnete nicht. Es gibt deshalb keine Flüchtlingslager mit entsprechenden Strukturen. Derzeit sind Zehntausende Syrer da, größtenteils Regimegegner. Sie erhalten Unterstützung vom »14. März«, der Opposition. Die Regierung Mikati betrachtet die Flüchtlinge dagegen als Reservoir, aus dem Anti-Assad-Kämpfer rekrutiert werden sollen. Sie wirft dem »14. März« auch aktiven Waffenschmuggel vor. Das zeigt, welch starken Einfluss das Geschehen in Syrien auf Libanon hat.

Welche Freiheiten haben syrische Regimegegner in Libanon?

Sie können sich frei bewegen, sich journalistisch und politisch betätigen, was sie auch tun. Die bewaffnete Opposition Syriens muss sich in Libanon zwar in acht nehmen. Ich gehe aber davon aus, dass sie trotzdem aktiv am Waffenschmuggel beteiligt ist.

Halten Sie eine weitgehend friedliche Lösung des Syrien-Konflikts noch für möglich? Denken Sie, dass dies die Friedensmission des UN-Vermittlers Kofi Annan leisten kann?

Die Annan-Mission kann zur Beilegung des Konfliktes beitragen. Vielleicht ist das der Grund, warum derzeit immer wieder Anschläge in unmittelbarer Nähe von UN-Beobachtern stattfinden. Man möchte sie wieder hinausdrängen. Negativ zu bewerten ist auch, dass die syrische Regierung noch keine grundlegenden Reformen umgesetzt hat. Es blieb bisher bei Ankündigungen. Eines aber sollten alle beteiligten Seiten nicht aus dem Blick verlieren: Die Regierung wird die Opposition nicht besiegen können. Aber die Gegner des Regimes sind ihrerseits ebenfalls nicht stark genug, die Assad-Herrschaft entscheidend zu schwächen.

Was folgt daraus?

Eine Art politisch-militärische Warteschleife. China und Russland ist es gelungen, eine direkte Intervention aus dem Ausland in Syrien zu verhindern. Die Folge der Pattsituation könnte ein jahrelanger Bürgerkrieg sein.

* Aus: neues deutschland, Montag 4. Juni 2012


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