Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Söldner anwerben

Im Libanon verschärft sich im Schatten der syrischen Ereignisse der Konflikt zwischen verfeindeten Gruppen

Von Karin Leukefeld *

Der syrische Konflikt verlagert sich immer mehr in den Nachbarstaat Libanon. In der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli kam es am Mittwoch und Donnerstag erneut zu heftigen Kämpfen zwischen Bewohnern von zwei Stadtvierteln. Es gab viele Verletzte, ein 13jähriger Junge starb. Seit Beginn der Kämpfe wurden zwölf Menschen getötet und mindestens 80 verletzt. Hintergrund sind politische Differenzen über die Ereignisse im benachbarten Syrien. Die Religionszugehörigkeit der Kontrahenten wird zur gegenseitigen Mobilisierung benutzt.

Auslöser der Unruhen war die Verhaftung des Islamisten Shadi Al-Mawlawi durch libanesische Sicherheitskräfte vor einer Woche. Ihm und fünf anderen Personen wird vorgeworfen, Mitglieder einer »terroristischen Gruppe« zu sein. Islamisten und syrische Flüchtlinge protestieren seit vergangenem Samstag am Al-Nour-Platz in Tripoli und fordern die Freiheit von Al-Mawlawi.

Die beiden wichtigsten Akteure der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Tripoli sind salafistische Gruppen auf der einen Seite, deren »Basis« im Stadtteil Bab Al-Tebbaneh liegt. Auf der anderen Seite steht die Syrische Sozialistische Nationalistische Partei (SSNP), die im Stadtteil Jabal Mohsen viele Anhänger unter dort lebenden Alawiten hat. Die Salafisten gehören der sunnitischen Gruppe der Muslime an, sie unterstützen den bewaffneten Kampf in Syrien. Die Alawiten auf seiten der SSNP gelten als schiitische Muslime. Weil die Familie Al-Assad zu den Alawiten gehört, bekämpfen Salafisten die Alawiten.

Die libanesische Armee bezog am Mittwoch zwischen den verfeindeten Gruppen in Tripoli Stellung, griff aber nicht ein. Libanesische Medien berichteten, daß beide Seiten mit Granatwerfern und Maschinengewehren aufeinander gefeuert hätten. Der libanesische Innenminister Marwan Charbel verhandelt seit Tagen in Tripoli mit einflußreichen islamischen Predigern. Sein Ziel sei »Sicherheit«, sagte er Journalisten, nicht »irgendein Kompromiß«.

Mustafa Alloush von der libanesischen Zukunftsbewegung warf Syrien am Mittwoch vor, den eigenen Konflikt in den Libanon zu tragen, um den Zedernstaat mit in die Krise zu ziehen. Der Nachbarstaat versuche, »Tripoli zu einer Terrorzone« zu machen, sagte Alloush. Reporter berichten hingegen, daß unter der arbeitslosen Jugend im Nordlibanon ausländische »Sicherheitsfirmen« und Salafisten Söldner anwerben würden, um nach Syrien in den Kampf zu ziehen.

Die Zahl der Salafisten im Nordlibanon ist seit Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien ständig gewachsen, viele von ihnen ignorieren den libanesischen Staat und auch die von Saudi-Arabien unterstützte Zukunftsbewegung von Saad Hariri, die im Nordlibanon bisher immer eine starke Basis hatte. Hariri sei nicht länger in der Lage, »das Volk der Sunna zu führen«, heißt es in salafistischen Kreisen. Hariris Glaube sei »zu schwach«.

Unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe und Solidarität für die »syrische Opposition« mobilisieren die Salafisten im Nordlibanon gegen eine, wie sie es nennen, »schiitische Invasion«. Um dem Einfluß der Hisbollah und damit auch Syriens und des Iran im Libanon entgegenzutreten, brauche es einen »bewaffneten Ausgleich«, um »politische Tatsachen zu schaffen«, berichtet Ibrahim Al-Amin von der libanesischen Onlinezeitung Al-Akhbar aus Tripoli. Ein »Sunnitisches Emirat« im Nordlibanon bis zur Grenze nach Syrien sei geplant, die Christen sollten eine »Pufferzone« zum »Land der Hisbollah« im Südlibanon bilden. Das »Emirat« werde »Basis für Kämpfer, Waffen und andere Bedürfnisse« des Aufstandes in Syrien. All das sei der Nordlibanon jetzt schon, nur »etwas diskreter«, schreibt Al-Amin. Er zitiert einen namentlich nicht genannten »Theoretiker für ein Emirat« mit den Worten: »Das Volk der Sunna« sollte, »genau wie die Hisbollah«, einen neuen Status quo im Libanon schaffen. »Sie sollten die jungen Männer ausbilden und bewaffnen« und »zivile und andere Talente mobilisieren«. Der »Sieg der syrischen Revolution« bedeute »die Rettung der Sunniten in Syrien, Libanon und in ganz Al-Sham« (dem historischen Syrien). Der Boden für das Projekt sei »fruchtbar«, es fehle nur »ein bißchen Organisation«.

In der traditionell von Schiiten bewohnten nördlichen Bekaa-Ebene geht die Hisbollah unbestätigten Berichten zufolge gegen salafistische Kampfgruppen der »Freien Syrischen Armee« vor, um diese vom Eindringen nach Syrien abzuhalten. Der Schutz um die schiitischen Dörfer in der Re­gion wurde ebenfalls verstärkt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Mai 2012


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage