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Freundesgeste des Zedernstaates

Palästinenser erhalten in Libanon erstmals Berufsfreiheit

Von Karin Leukefeld *

Die fast 400 000 palästinensischen Flüchtlinge in Libanon können auf eine Besserung ihrer Lage hoffen. Das libanesische Parlament beschloss auf Initiative des Drusen-Führers Walid Dschumblatt ein Gesetz, das den Palästinensern erstmals seit 60 Jahren weitreichende Arbeitsrechte gewährt. Medien in Beirut sprachen am Mittwoch von einem Durchbruch.

Nach mehrfacher Vertagung und kontroversen Debatten hat das libanesische Parlament eine neue Gesetzesgrundlage für die palästinensischen Flüchtlinge geschaffen. Danach wird ihnen jetzt das Recht auf freie Berufswahl eingeräumt, was es für die rund 400 000 Palästinenser in Libanon bisher nicht gab. Als Bau- oder Erntearbeiter waren sie in Libanon geduldet, nun dürfen sie wie andere Ausländer in Libanon auch fast alle Berufe ausüben.

Verwehrt bleibt ihnen weiterhin das Praktizieren als Arzt oder Rechtsanwalt, auch zu Armee und Polizei haben sie keinen Zugang. Dafür hätten die Palästinenser nun auch Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherungssysteme, sagte ein Sprecher der Regierung.

Das Verhältnis der Libanesen zu den Palästinensern, die nach mehreren Kriegen, erstmals 1947/48, aus ihrer palästinensischen Heimat in den Zedernstaat kamen, ist bis heute angespannt. Viele machten die Palästinenser für den Ausbruch des Bürgerkriegs (1975- 1990) verantwortlich, auch hätte Israel Libanon nicht angegriffen oder besetzt, wenn nicht die Palästinensische Befreiungsorganisation und ihr Chef Yasser Arafat damals in Beirut ihr Hauptquartier gehabt hätten, so eine gängige Meinung.

Den Gesetzesentwurf hatte die Fraktion der Progressiven Sozialistischen Partei von Drusen-Führer Walid Dschumblatt eingebracht. Er sah ursprünglich auch das Recht auf Grundeigentum vor, das allerdings vor allem beim christlichen Parlamentsblock keine Zustimmung fand. Die christlichen Parteien erklären, bei Erwerb von Land durch Palästinenser könnten sich diese auf Dauer in Libanon niederlassen und schließlich auch das Recht auf Staatsangehörigkeit beanspruchen. Damit würde sich das Verhältnis weiter zu Ungunsten der maronitischen Christen ändern.

Die per Verfassung festgeschriebene 50:50-Balance im Parlament zwischen Christen und Muslimen entspricht aber schon lange nicht mehr der demographischen Realität in Libanon. Studien gehen davon aus, dass etwa Zwei Drittel der Libanesen Muslime sind und ein Drittel Christen.

Die letzte Volkszählung 1932 ergab noch einen Christenanteil von 52 Prozent. Die Christen stören sich auch daran, dass die zwölf Lager für palästinensische Flüchtlinge im Land palästinensisch selbstverwaltet sind und fordern stattdessen mehr staatliche Kontrolle. Es ist bisher üblich, dass die Armee den Zugang zu den Lagern kontrollier, sie aber nicht betritt.

Der palästinensische Vertreter in Libanon, Abdallah Abdallah, bezeichnete die Entscheidung des Parlaments als »Schritt nach vorne«, allerdings würden die Palästinenser weiter um ihre Rechte auf Eigentum kämpfen. Die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas in Gaza hingegen kritisierte die Entscheidung als »weniger als das Minimum«, was den Palästinensern zusteht. Das neue Gesetz erhalte die »Diskriminierung« aufrecht.

Zwar werde Arbeit erlaubt, aber gleichzeitig würden »die Rechte der Arbeiter auf eine Karriere« ignoriert. Man werde weiter für die volle Gleichberechtigung der Palästinenser in Libanon eintreten, hieß es in einer Stellungnahme. Das sei »sowohl im Interesse der Libanesen als auch der Palästinenser«.

* Aus: Neues Deutschland, 19. August 2010

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