"Bürger" oder nur Flüchtlinge?
Libanon diskutiert über den künftigen Status der Palästinenser
Von Karin Leukefeld *
Seit mehr als 50 Jahren gibt es palästinensische Flüchtlinge in Libanon.
Am Sonntag (27. Juni) demonstrierten
gemeinsam mit Vertretern libanesischer Parteien 5000 von ihnen für mehr
Rechte in ihrem Gastland.
Die nächste Aktion dieser Art soll am Montag (28. Juni) stattfinden.
Die Kundgebung sollte ursprünglich vor dem Parlament enden, was die
Armee aber untersagte. Also
ging man zum UNO-Gebäude. Hauptforderungen der Demonstranten waren das
Recht auf Arbeit,
Bewegungs- und Bildungsfreiheit, sowie das Recht, Eigentum zu besitzen.
Das Recht auf
Einbürgerung wurde ausdrücklich nicht gefordert.
Eine Gesetz dazu, das am Montag (28. Juni) im Parlament zur Sprache
kommen soll, sorgt schon seit einiger
Zeit für Debatten. Die Streitlinien verlaufen dabei nicht zwischen den
politischen Lagern, sondern
zwischen Christen und Muslimen. Der eingebrachte Gesetzesentwurf sieht
vor, die »humanitären
Rechte« der palästinensischen Flüchtlinge zu stärken.
In einer Erklärung des regierenden Blocks 14. März, der das Vorhaben
unterstützt, heißt es, es gehe
ausschließlich darum, die Lebensbedingungen der palästinensischen
Flüchtlinge zu verbessern. Wie
andere Ausländer im Land sollten sie außerhalb der Lager wohnen und
Eigentum erwerben können,
investieren, an libanesischen Hochschulen studieren und Zugang zum
kostenlosen
Gesundheitswesen Libanons bekommen. Nicht vorgesehen sei hingegen eine
Einbürgerung und
damit das aktive und passive Wahlrecht.
Das aber fürchten die Vertreter christlicher Parteien. Den
palästinensischen Flüchtlingen ihre zivilen
Rechte zu gewähren sei nur eine Vorstufe zu ihrer Einbürgerung, so
Phalangistenführer Amin
Gemayel, damit unterlaufe man das Recht auf Rückkehr der Palästinenser
in ihre von Israel
besetzte Heimat. Das UN-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge
und die arabischen Staaten
sollten eine »grundlegende Lösung für die palästinensischen
Flüchtlingslager in Libanon finden«.
Die tatsächlichen Vorbehalte der christlichen Parteien liegen allerdings
nicht in ihrer Sorge um das
Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge, analysiert Mohammad
Ballout, Pariser
Korrespondent der Zeitung »As Safir« im Gespräch mit der Autorin. »Das
Recht auf Rückkehr ist
eine Frage des Friedens zwischen Israel und seinen Nachbarn, mit den
zivilen Rechten hat das
nichts zu tun.« Wie viele Linke und Intellektuelle bescheinigt Ballout
der libanesischen Gesellschaft
»Rassismus und Scheinheiligkeit«. Zwar gebe es bei den Christen viele
schlechte Erinnerungen an
palästinensische Milizen während des Bürgerkriegs in den 70er und 80er
Jahren, doch wer heute
mehr Rechte für die palästinensischen Flüchtlinge ablehne, wolle
vermutlich unwillkommene
Konkurrenz verhindern. Bei rechtlicher Gleichstellung hätten
Palästinenser natürlich mehr
wirtschaftlichen Einfluss. Die Christen sehen zudem die religiöse
Ausbalanciertheit des
libanesischen Staatssystems gefährdet. Sollten die Palästinenser, die
mehrheitlich muslimischen
Glaubens sind, mehr Rechte bekommen, würde dies das politische Gewicht
der Christen de facto
mindern.
Fakten hat aber inzwischen das Leben selbst geschaffen. Fast jede
libanesische Familie, so Ballout,
sei heute bereits durch Heirat mit Palästinensern verbunden. Wegen deren
Rechtlosigkeit bringe das
aber viele Probleme mit sich. »Die Situation der Palästinenser in den
Lagern ist kaum besser als die
in Gaza. Dort sind sie unter israelischer Belagerung, hier unter
libanesischer Blockade. Bevor wir
Schiffe nach Gaza schicken, müssen wir die Belagerung der Palästinenser
in unserem Land
aufheben«, so Ballouts Fazit.
* Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2010
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