Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Unter einem Krieg wird die ganze Region leiden"

Syrer blicken sorgenvoll auf Entwicklung in Libanon

Von Karin Leukefeld, Aabudije *

Ein eskalierender Konflikt in Libanon könnte auch die politischen und sozialen Probleme in Syrien verschärfen.


»Wenn Hisbollah den Bürgerkrieg wollte, könnte sie Libanon in einer Woche erobern. Aber Hisbollah will keinen Krieg.« Die aktuellen Nachrichten aus Libanon lassen dem syrischen Universitätsangestellten Naoum Jamous keine Ruhe. Kein Wunder, Jamous Mutter ist Libanesin, sein Vater Syrer. Studiert hat er an der libanesischen Balamund-Universität bei Tripoli, durch die Vermittlung von Verwandten arbeitet er seit einem Jahr an der privaten Wadi-Universität unweit von Homs. Für Naoum Jamous sind die Ereignisse vor wenigen Tagen, als es bei Auseinandersetzungen an der Arabischen Universität in Westbeirut vier Tote gab, eine Provokation. Ausländische Provokateure wollten Libanon in einen Bürgerkrieg stürzen, sagt er, ohne konkret zu werden. »Gott helfe uns, dass das nicht passiert.«

Auch in der syrischen Hauptstadt Damaskus sind die Nerven gespannt, Funk und Fernsehen berichten über die Geschehnisse in Libanon, viele Menschen beziehen ihre Informationen bei »Al Manar«, dem Sender der Hisbollah. Ob im Taxi, in Kaffeehäusern oder an den Zeitungskiosken, die Entwicklung im Nachbarland beschäftigt die Menschen. Nicht alle sind mit der Politik der Hisbollah einverstanden, deren Popularität sichtlich abgenommen hat. »Im letzten Sommer gab es hier überall Fahnen der Hisbollah und Bilder von Nasrallah«, erklärt Samer K., ein junger Palästinenser aus dem Yarmuk-Lager in Damaskus. Damals sei die Unterstützung für die Organisation riesig gewesen, weil deren entschlossene Kämpfer der israelischen Armee standgehalten hatten. »Heute sieht man in der Hisbollah weniger die Kämpfer gegen Israel, sondern mehr eine schiitische Miliz«, fährt Samer fort. Die Hinrichtung Saddam Husseins am ersten Feiertag des islamischen Festes Eid al-Adha durch die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad sei für alle Muslime der arabischen Welt eine Provokation gewesen, besonders für die Sunniten. Selbst für die Syrer, die weder viel über religiöse Zugehörigkeiten sprechen noch jemals eine besondere Zuneigung zu Saddams Regime gehabt hätten, sei das zu viel gewesen. Daher sei die Begeisterung für die schiitische Hisbollah in Libanon spürbar zurückgegangen.

Ein Bürgerkrieg werde sich nicht nur für Libanon und Syrien sehr negativ auswirken, sagt Mafrouk Khoury, der in der Altstadt von Damaskus die letzte Handweberei für Brokat betreibt. »Die ganze Region wird darunter leiden, schon jetzt schnüren uns die Kriege in Palästina und Irak fast die Luft ab.« Für Herrn Khoury wirken sich die Kriege vor allem schlecht auf sein Geschäft aus. Touristengruppen, die zu seinen besten Kunden gehören, kommen nur noch selten in seine Werkstatt.

Doch die Kriege hinterlassen noch andere Spuren. »Aus allen diesen Ländern kommen die Flüchtlinge zu uns«, sagt Eyad Oson, der die letzten Jahre in Dubai gearbeitet hat, weil er in seiner Heimatstadt Damaskus keine Arbeit gefunden hatte. Nun drängen die irakischen Flüchtlinge auf den syrischen Arbeitsmarkt und sind bereit, für geringeren Lohn zu arbeiten, als es die Syrer bisher taten. 80 Prozent der Syrer hätten inzwischen Vorbehalte gegen die Iraker, sagt Oson. »Vor dem Krieg waren wir alle auf der Seite der Iraker, aber jetzt machen sie uns Probleme.« Sollte erneut ein Bürgerkrieg in Libanon ausbrechen, kämen wie im vergangenen Sommer zusätzlich Hunderttausende libanesische Flüchtlinge nach Syrien, befürchtet er.

Am syrisch-libanesischen Grenzübergang Aabudije, unweit der syrischen Hafenstadt Tartus, herrscht schon am frühen Morgen geschäftiges Treiben. Ein Lastwagen nach dem anderen passiert den Grenzposten, meist um Lebensmittel oder Baumaterial in Syrien zu laden und damit wieder nach Libanon zu fahren. Private Passagiere benutzen Taxis und kleine Busse. Das Grenzpersonal und auch viele Inhaber der kleinen Geschäfte und Cafés auf der syrischen Seite haben einen syrisch-libanesischen Hintergrund, für sie bedeutet der Grenzposten vor allem Geschäft. »Mögen Sie Bush?« frage ich einen jungen Mann, auf dessen Hemdtasche »US-Army« eingenäht ist. Ein breites Lachen geht über sein Gesicht: »Nein, nein«, meint er, für die Amerikaner habe er überhaupt nichts übrig, »mein Chef heißt Hassan Nasrallah.«

* Aus: Neues Deutschland, 1. Februar 2007


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage