Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hamas und Hisbollah im Clinch

Uneinigkeit über Syrien-Krieg auch unter den Palästinensern

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Ein Gericht im ägyptischen Islamiya hat am Sonntag die ägyptische Muslimbruderschaft beschuldigt, zusammen mit der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah am 29. Januar 2011 hochrangigen Gefangenen die Flucht aus dem Gefängnis Wadi Al-Natroun nördlich von Kairo ermöglicht zu haben. Unter den Befreiten seien der heutige Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi sowie weitere Mitglieder der Muslimbruderschaft gewesen, erklärte der Vorsitzende Richter Khaled Maghoub. Hamas-Angehörige seien ebenso befreit worden wie etwa zwei Dutzend Hisbollah-Mitglieder, darunter Youssef Ahmed Mansour (alias Sami Shihab), der zu einer 15jährigen Haftstrafe verurteilt worden war, weil er angeblich den Waffenschmuggel aus Ägypten in den Gazastreifen organisiert haben soll. Offiziellen Angaben zufolge sollen aus Wadi Al-Natroun 11171 Gefangene freigekommen sein. Im gleichen Zeitraum seien zwei weitere Gefängnisse angegriffen worden.

Das geschah nach Angaben von 26 Zeugen der Polizei-, Geheimdienst- und Sicherheitskräfte in den Wirren der politischen Umbrüche in Ägypten, die Mitte Februar 2011 schließlich zum Rücktritt des langjährigen Diktators Hosni Mubarak geführt hatten. Die Hisbollah hatte damals die Befreiung von Sami Shihab bestätigt, sich über weitere freigekommene Hisbollah-Aktivisten aber ausgeschwiegen. Mohammed Mursi, der erst zwei Tage vorher festgenommen worden war, hatte sich telefonisch beim Live-Sender von Al-Dschasira, Mubashara, gemeldet und angegeben, von der lokalen Bevölkerung befreit worden zu sein. Die Hamas erklärte, sie habe mit der Aktion nichts zu tun gehabt. Hisbollah reagierte nicht auf die Erklärungen des ägyptischen Gerichts.

Die Bündnisgenossen von einst sind heute tief zerstritten. Mursi, der Präsident Ägyptens, hatte die Hisbollah kürzlich massiv für deren Kampfeinsatz in der syrischen Staat Kusair gegen die bewaffneten Gotteskrieger kritisiert. Seine mehrheitlich von der Muslimbruderschaft gestellte Regierung wird ebenso wie die Aufständischen in Syrien von Katar und von Saudi-Arabien finanziert.

Auch Teile der Hamas, palästinensischer Ableger der Muslimbruderschaft, wandten sich öffentlich gegen die Hisbollah. Sie solle sich auf den Kampf gegen Israel konzentrieren, anstatt die »konfessionelle Polarisierung« in der Region zu verschärfen, hieß es in einer schriftlichen Erklärung. Die Hisbollah, die früher Kämpfer der Hamas ausgebildet hatte, äußerte sich dazu nicht. Anhänger der Hamas kämpfen inzwischen an der Seite der Aufständischen in Syrien.

Der Sprecher des palästinensischen Parlaments, der Hamas-Politiker Aziz Dweik, hatte am Wochenende die Unterstützung des palästinensischen Parlaments für die Opposition in Syrien gegen Präsident Baschar Al-Assad erklärt. Das sei wichtiger als der Kampf gegen die israelische Besatzung, sagte Dweik der algerischen Zeitung Echorouk. Fatah-Sprecher Ahmad Assaf kritisierte die Stellungnahme als »sehr gefährlich und schädlich für die übergeordneten palästinensischen Interessen«.

Die Uneinigkeit der Palästinenser nutzt den Aufständischen in Syrien. Mitte 2012 tauchte in Yarmouk, dem größten palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien, heute ein Stadtteil von Damaskus, eine oppositionelle Gruppe Jund Al-Sham auf, der vor allem palästinensische Kämpfer angehörten. Bisher sind offiziellen palästinensischen Angaben zufolge mehr als 1377 Palästinenser in dem Krieg in Syrien getötet worden.

Jund Al-Sham spielte am Wochenende auch im Libanon eine Rolle, als sie zur Unterstützung des salafistischen Predigers Ahmad Al-Assir in Sidon in den Kampf gegen die Armee eingriff. Ahmad Moussalli, Professor für Politik und Islamwissenschaften an der Amerikanischen Universität in Beirut (AUB), verwies darauf, daß Salafisten und Islamisten den Krieg aus Syrien offenbar in die Nähe der palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon tragen wollten, um von dort Zulauf zu erhalten. In Tripoli, das in unmittelbarer Nähe zu den zwei Lagern Beddawi und Nahr Al-Bared liegt, kämpfen die Gotteskrieger um Einfluß. Nachdem die libanesische Armee am Montag abend den Kampf gegen die Anhänger des Salafistenpredigers Al-Assir mit der Einnahme der Moschee beendet hatte, kündigten islamistische Kämpfer in Tarik Al-Jedideh in Beirut, unweit der Lager von Sabra und Schatila, neue Auseinandersetzungen an.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. Juni 2013


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Gaza-Seite

Zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage