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Gefangen in der Armutsfalle

Für den Großteil der Kinder Lesothos geht es um das nackte Überleben

Von Kristin Palitza, Maseru *

Jedes zweite Kind in Lesotho lebt in tiefer Armut. Jedes vierte ist verwaist. Nachlassende Konjunktur und eine anhaltende Aids-Pandemie haben das kleine Königreich im südlichen Afrika zerstört. Es gibt wenig Hoffnung, dass sich Lesotho aus seiner trostlosen Armutsfalle befreien kann.

Wenn die Sonne aufgeht steht die 17 Jahre alte Moliehi auf, fegt den Lehmboden ihrer Hütte, holt Wasser und bereitet das Frühstück vor. Dann weckt sie die Kinder, schickt sie in die Schule. Seit ihre Mutter vor drei Jahren starb, ist Moliehi für ihre beiden Brüder Ithabeleng (15) und Lefa (9) verantwortlich.

Die Geschwister hausen in einer winzigen Wellblechhütte. Geschirr, ein paar verbeulte Töpfe und ein Wasserkessel stehen auf einem holprigen Tisch. An der Wand stapeln sich mit alten Kleidern gefüllte Koffer und Kisten. Nachts müssen die drei auf einer durchgelegenen Matratze Platz finden. »Ich vermisse meine Mutter. Ihre Rolle zu übernehmen, ist eine Belastung. Meine Geschwister erwarten, dass ich sie versorge. Aber wie?«, fragt Moliehi, während ihre Brüder verloren neben ihr sitzen. »Ich bettle bei Nachbarn um eine Tasse Maismehl oder etwas Öl.«

Doch die Einwohner Mohasoas, dem kleinen Dorf eine halbe Autostunde außerhalb Lesothos Hauptstadt Maseru, in dem Moliehi lebt, sind genauso arm. »Neun von zehn Haushalten hier sind von Armut betroffen. Kaum jemand hat Arbeit«, sagt Dorfoberhaupt Mali-pontso Makosoa. »Seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise hat sich unser Leiden auf alarmierende Weise verschlimmert.«

Die Situation der Kinder Lesothos ist erschreckend. Gut 500 000 der 825 000 Jungen und Mädchen leben laut UNICEF, dem Kinderhilfswerk der UNO, unter der Armutsgrenze von 1,25 Dollar pro Tag. Fast 40 Prozent leiden an chronischer Mangelernährung. Die Kindersterblichkeitsrate ist seit zehn Jahren stetig gewachsen.

»Den Menschen geht es nur noch um die wichtigsten Bedürfnisse wie Essen, Unterkunft und Kleidung. Doch sogar das können sie nicht mehr sicherstellen. Einige bekommen nur noch jeden zweiten Tag etwas in den Magen«, erklärt Lineo Lephoto, eine der Kinderbeauftragten des Sozialministeriums. »Es geht ums schiere Überleben.«

Lesotho ist eines der schlimmsten Länder, um ein Kind zu sein, seit die Ausläufer der Weltwirtschaftskrise zu sinkenden Diamantenpreisen, hohen Verlusten bei Textilexporten und einem 60-prozentigen Rückgang bei Einnahmen durch die Zollunion des südlichen Afrikas führten. Auch auf Subsistenzlandwirtschaft können sich die Basotho, die rund 98 Prozent der Einwohner in Lesotho stellen, nicht länger verlassen. Fluten und Dürren haben die Ernten stark reduziert, die Ernährungslage von mehr als einem Viertel der 1,8 Millionen Einwohner des Landes ist gefährdet.

Es kommt noch schlimmer: Lesotho hat eine der höchsten HIV-Infektionsraten der Welt. Jeder vierte Basotho lebt mit dem Virus, ein Viertel aller Kinder ist so zu Waisen geworden. »Die Situation ist drastisch. Momentan steigt das Armutsniveau, statt zu sinken«, erklärt UNICEF-Landesbeauftragter Ahmed Magan. »Wenn wir es nicht schaffen, Armut in den nächsten fünf Jahren zu reduzieren, gibt es einen starken Rückgang in der Überlebensfähigkeit und Entwicklung von Kindern.«

Um dies zu verhindern, verteilt UNICEF, mit finanzieller Hilfe der EU und in Zusammenarbeit mit Lesothos Sozialministerium, seit 2008 Barzuwendungen von monatlich zehn Euro an Familien mit Waisen und gefährdeten Kindern. Bislang werden 28 000 Kinder in 10 200 Haushalten unterstützt.

»Lesotho ist eines der unterentwickeltsten Länder der Welt, mit wenig Kapazität, seine Kinder zu unterstützen«, erklärt EU-Attaché Mariam Homayoun, warum die EU zwischen 2008 und 2014 für Lesothos Kinder 22 Million Euro ausgeben will. Bis Ende 2014 sollen 75 000 Jungen und Mädchen die Zuwendungen erhalten - ein Fünftel aller bedürftigen Kinder. Anschließend soll die Regierung die Finanzierung des Programms übernehmen.

Ob das mittellose Land ein solches Programm anhaltend finanzieren kann, wird von vielen jedoch bezweifelt. »Aufgrund der vielen Einnahmeausfälle müssen wir sehen, ob die Regierung das Programm wirklich übernehmen kann«, sagt UNICEF-Sozialpolitikleiter Mohammad Farooq. Ohne Hilfe internationaler Geber gehe es sicherlich nicht.

* Aus: neues deutschland, 4. November 2011


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