Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Russland heute" für Südamerika morgen

Präsident Putin will neben wirtschaftlicher Zusammenarbeit auch politischen Einfluss ausbauen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Als geopolitische Charmeoffensive werten Beobachter die Reise des russischen Staatschefs in den Süden des amerikanischen Kontinents.

Die erste Auslandsreise seit Beginn der Ukraine-Krise führte Russlands Präsidenten Wladimir Putin nach Osten: nach China, zu Russlands strategischem Partner. Die zweite, die Freitag begann und zu den ausgedehntesten zählt, die der Staatschef je unternahm, führt ihn nach Westen. Gesprächsbedarf sieht Putin dabei nicht mit den Amtskollegen aus Europa und den USA, sondern mit Staatschefs Lateinamerikas. In Kuba, in Argentinien und in Brasilien, wo am 15. und 16. Juli auch der Gipfel der Schwellenländer mit dem weltweit größten Wachstum stattfindet: der BRICS-Staaten. Das Kürzel setzt sich aus den Anfangsbuchstaben ihrer Namen zusammen: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika.

Es ist bereits Moskaus zweite Luftlandeoperation auf dem Subkontinent. Die erste absolvierte Dmitri Medwedjew während seines vierjährigen Gastspiels als Präsident im Kreml. Es galt wieder Boden zu gewinnen in Süd- und Mittelamerika, wo Moskau zu Sowjetzeiten viele Freunde hatte. Kapital, das Boris Jelzin angesichts überbordender Probleme des postkommunistischen Russlands in den Neunzigern verspielte. Zum Neustart ermutigte Kreml und Außenamt 2010 auch der Siegeszug der Linken zwischen Anden und Kordilleren. Hier stehen Politiker Washington eher kritisch, Moskau dagegen eher wohlwollend gegenüber. Auch bei der Krimkrise. Für Argentiniens Präsidentin Christina Fernandes de Kirchner Anlass, den USA »doppelte Standards« vorzuwerfen.

Mit Argentinien, wo er am Sonnabend einschwebt, will Putin daher auch ein Abkommen unterzeichnen, das die technischen Voraussetzungen für den Empfang von »Russia today« auf dem gesamten Subkontinent schaffen soll. Das Auslandsfernsehen »Russland heute« bietet seit ein paar Jahren ein Vollprogramm in Spanisch. Das könnte sich auszahlen. Denn neben der Vertiefung der Wirtschaftskooperation, bei der russische Unternehmen – vor allem aus dem Energiebereich – sich an der Erschließung und Ausbeute von Rohstofflagern beteiligen sollen, will Putin sich auch um den Ausbau der politischen Zusammenarbeit bemühen.

Kuba, dessen außenpolitische Positionen mit denen Russlands weitgehend übereinstimmen, erließ Russland unmittelbar vor dem Abflug 90 Prozent der Altschulden. Die Insel der Freiheit stand bei der Sowjetunion mit insgesamt 35,2 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Der Rest soll durch Erlöse von Gemeinschaftsunternehmen getilgt werden. Eine Beteiligung anderer Staaten der Region würde Moskau begrüßen. Auch darf Russland auf Kuba Bodenstationen für sein Navigationssystem GLONASS errichten. Das dürfte die Spannungen zu den USA weiter verschärfen. Dort glaubt man, die GLONASS-Satelliten dienten vor allem militärischen Zwecken. Kenner der Materie wollten nicht einmal ausschließen, dass Putin mit Raul Castro und Fidel auch über die Wiederinbetriebnahme der aufgegebenen sowjetischen Truppenbasis redet.

Präsident Putin werde beim BRICS-Gipfel die Lage in der Ukraine und in Syrien sowie das Nahost-Problem erörtern, hieß es. Gern würde er ja auch die BRICS-Staaten, auf die 90 Prozent der Weltbevölkerung entfallen, auf eine gemeinsame Außenpolitik festlegen. Doch seine Amtskollegen sind bisher nur zu wirtschaftlicher Integration bereit. Das Fernziel wäre, die USA als Weltmarktführer zu beerben. Derzeit liegt der Anteil des Kartells an der weltwirtschaftlichen Gesamtleistung bei gerade einmal 21,1 Prozent.

Umso ambitionierter sind die Pläne: Gründung einer Entwicklungsbank mit Stammkapital von 100 Milliarden US-Dollar und Sitz in Shanghai sowie Bildung eines Pools alternativer Währungsreserven. Die Abkommen sollen im Beisein der Staatschefs unterzeichnet werden. Das, so heißt es in einer Mitteilung des Kreml-Pressedienstes, sei der Beginn einer »realen makroökonomischen Zusammenarbeit der BRICS-Staaten«. Deren neue Institutionen würden das globale Finanzsystem stärken, was »angesichts der Sackgasse, in die sich der Internationale Währungsfonds mit seinen Reformen manövriert hat, von besonderer Bedeutung« sei.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Juli 2014


Putin auf Reisen

Russischer Präsident besucht alte und neue Freunde in Lateinamerika. Stationen in Kuba, Argentinien und Brasilien

Von André Scheer **


Der russische Präsident Wladimir Putin ist am Freitag in Havanna eingetroffen, der ersten Station einer Reise durch mehrere Staaten Lateinamerikas, die in dortigen Medien bereits als »historisch« gefeiert wird. Um 5.30 Uhr Ortszeit wurde der Gast aus Moskau vom kubanischen Vizepräsidenten Miguel Díaz-Canel auf dem Flughafen der kubanischen Hauptstadt willkommen geheißen. Auf dem Plan standen einer Meldung der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina zufolge Gespräche mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro sowie Kranzniederlegungen am Denkmal für Kubas Nationalhelden José Martí am Mausoleum der sowjetischen Internationalisten. In dieser Grabstätte wurden 67 Rotarmisten zur Ruhe gebettet, die während ihres Einsatzes auf Kuba ums Leben gekommen waren. In den vergangenen Tagen war in kubanischen Medien auch die Rede von einem Treffen Putins mit dem früheren kubanischen Staatschef Fidel Castro die Rede gewesen.

Am heutigen Sonnabend wird der russische Präsident in Argentinien erwartet, bevor er am Sonntag in Brasilien am Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen wird. Rußland richtet 2018 den nächsten World Cup aus. Höhepunkt und eigentlicher Anlaß der Tournee ist jedoch das Gipfeltreffen der BRICS-Gruppe (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika), das am Dienstag und Mittwoch in Brasília und Fortaleza stattfinden soll.

Am Vorabend seiner Reise hatte sich Putin in Moskau den Fragen von Journalisten der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass und der Prensa Latina gestellt. Dabei hatte er die »vielschichtigen Verbindungen« zwischen Rußland und Lateinamerika hervorgehoben. So fühle er sich dem Kontinent »geistig sehr nahe« und hob Werke wie die mexikanische Wandmalerei, den »Muralismo«, die Gedichte Pablo Nerudas – der am heutigen Sonnabend 110 Jahre alt geworden wäre –, die Werke des kolumbianischen Autors Gabriel García Márquez sowie die Architektur des Brasilianers Oscar Niemeyer hervor.

Vor allem aber hat Rußland materielle und strategische Interessen in Lateinamerika. Der Kontinent sei reich an Bodenschätzen, hob Putin hervor und nannte neben anderen Rohstoffen Erdöl und Bauxit. Man sei daran interessiert, Allianzen mit den Staaten der Region zu schaffen und in Wirtschaftsbereichen wie Erdöl und Erdgas, Wasserkraft und Atomenergie zusammenzuarbeiten. Zudem beteilige sich Rußland an der Ausbildung von Antidrogeneinheiten der Polizei in Nicaragua und Peru. Den Ländern des Kontinents bescheinigte er, ihnen sei es gelungen, ein »nachhaltiges Modell demokratischer Entwicklung und wirtschaftlichen Wachstums« zu schaffen. Zudem würdigte Putin die Unterstützung Lateinamerikas für internationale Initiativen Moskaus, zum Beispiel zur Datensicherheit, für das Verbot der Stationierung von Waffen im Weltall sowie gegen die Glorifizierung des Nazismus. »Sie haben keine Lust mehr, das Spiel vom Teile und Herrsche mitzumachen«, so Putin.

Mit Blick auf Kuba räumte der russische Staatschef ein, daß sein Land in den 90er Jahren nach der Zerschlagung der Sowjetunion Einfluß verloren habe und durch andere Länder in mehreren Wirtschaftsbereichen überholt wurde. So habe Kanada Rußland aus dem Bergbau verdrängt, während die Europäer den kubanischen Tourismus entwickelt hätten. »Aber wir sind bereit, vergebene Chancen zurückzugewinnen«, versprach Putin. Kuba seit heute einer der wichtigsten Partner Rußlands in der Region. Das belege auch die Tatsache, daß Moskau im vergangenen Jahr 90 Prozent der Verbindlichkeiten, die Havanna noch aus der Zeit der Sowjetunion hatte, gestrichen habe. Die übrigen zehn Prozent – immer noch 3,5 Milliarden US-Dollar – würden in Kuba selbst investiert.

Wichtigster Partner Rußlands in Lateinamerika ist nach Ansicht Putins jedoch inzwischen Argentinien. Trotzdem stehe ein Beitritt des Landes zu den BRICS derzeit nicht zur Debatte, enttäuschte Putin in dem Interview am Donnerstag Hoffnungen, die in den vergangenen Wochen von argentinischen Medien geschürt worden waren. Es sei aus praktischen Gründen momentan nicht angebracht, den Kreis der BRICS-Staaten zu vergrößern. Eine solche »graduelle Erweiterung« sei für die Zukunft jedoch wahrscheinlich, vertröstete er.

** Aus: junge Welt, Samstag, 12. Juli 2014


Zurück zur Lateinamerika-Seite

Zur Lateinamerika-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Kuba-Seite

Zur Kuba-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Russland-Seite

Zur Russland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage