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Millionen Menschen ohne Zugang zu sozialen Systemen

Der Zustandsbericht zu Zentralamerika kommt zu einer ernüchternden Bestandsaufnahme in fast allen Ländern der Region

Von Markus Plate, San José *

Vierzig von hundert Menschen in Zentralamerika leben nicht nur in Armut und gehen allenfalls informellen oder entrechteten Beschäftigungen nach, sondern sind von allen sozialen Sicherungssystemen ausgeschlossen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Erhebung »Estado de Centroamerica«.

Der Zustand Zentralamerikas lässt zu wünschen übrig: Das belegt der dieser Tage vorgelegte Bericht »Estado de Centroamerica« nachdrücklich. Darin werden soziale, wirtschaftliche, politische und Umweltindikatoren erfasst, um daraus Schlüsse über die menschliche Entwicklung zu ziehen. Der Bericht basiert auf Daten der nationalen Statistikämter und wird unter anderem vom Zentralamerikanischen Integrationssystem SICA (Sistema de Integración Centroamericana) finanziert.

Zwischen den Jahren 2000 und 2011, so der Bericht, ist die Bevölkerung Zentralamerikas von knapp 36 Millionen auf knapp 44 Millionen Menschen angewachsen. Im selben Zeitraum ist die Zahl jener, die in Armut und extremer Armut leben, um drei Millionen angewachsen. Mit 62 Prozent der Bevölkerung ist Honduras nach wie vor das Land mit der größten Armut, dies allerdings bei einer geringfügigen Reduzierung.

In Nicaragua und El Salvador schwankt dieser Wert seit dem Jahr 2000 zwischen 40 und 50 Prozent, in Guatemala zwischen 50 und 60 Prozent. In Panama lebt mittlerweile nur noch ein Viertel der Bevölkerung in Armut, vor zehn Jahren war noch jede(r) Dritte arm. In Belize ist die Ungleichheit dagegen in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen, das Land steht nun auf einer Stufe mit El Salvador und Nicaragua. Costa Rica gelang bis 2007 eine deutliche Armutsreduzierung, seither ist der Wert aber wieder auf das Niveau von 2000 zurückgefallen.

Nur jede fünfte Mensch in Zentralamerika hat das Glück, Mitglied in einem vollwertigen sozialen Sicherungssystem zu sein. Alle anderen müssen im Krankheitsfall, nach einem Unfall, bei Arbeitsunfähigkeit oder im Alter sehen, wie sie über die Runden kommen. Allgemein investieren die Staaten Zentralamerikas äußerst wenig in ihre Gesundheitssysteme.

Nicaragua gibt 3,7 Prozent seiner öffentlichen Ausgaben für Gesundheit aus. Bei Honduras, El Salvador und Panama sind es zwischen zwei und drei Prozent und in Guatemala sogar nur ein mickriges Prozentchen. Allein Costa Rica erreicht dem Papier nach mit knapp neun Prozent leidlich zufriedenstellende Werte.

Im Bildungswesen zeigt sich das gleiche Bild: Costa Rica investiert sieben Prozent seines öffentlichen Budgets, was kaum ausreicht, aber immer noch mehr ist als in Honduras (6 Prozent), Nicaragua (5,2 Prozent), Panama (3,8 Prozent) und El Salvador (3,4 Prozent). Auch hier ist Guatemala Schlusslicht, mit gerade mal 1,6 Prozent.

Ein weiterer Indikator dafür, wie wichtig Bildung für die Überwindung von Armut und Ausgrenzung ist, ist der Prozentsatz junger Menschen, die über die Grundschule hinaus im Schulsystem bleiben: Costa Rica und Panama nähern sich hier den 70 Prozent, El Salvador gelang in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg auf mittlerweile gut 60 Prozent Nach deutlichen Verbesserung stagniert Nicaragua seit 2007 knapp unter der 50 Prozent Marke.

Honduras meldet für 2009 und 2011 zwei sprunghafte Verbesserungen, der Index liegt nun etwa auf dem Niveau Nicaraguas. Die prozentualen Verbesserungen im Bildungsbereich werden jedoch durch das Bevölkerungswachstum weitgehend aufgezehrt, die absolute Anzahl von Jugendlichen, die nicht über die Grundschule hinauskommen, liegt annähernd auf dem Niveau des Jahres 2000.

Laut Evelyn Villareal, Koordinatorin der Studie, sind die Bildungsausgaben nach wie vor viel zu gering, um damit die soziale Ausgrenzung irgendwann überwinden zu können. Ein niedriger Bildungsstandard erhöhe, so Villareal, das Risiko von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, auch wenn viele Jugendliche gerade deswegen nicht mehr zur Schule gehen, weil sie einer Arbeit nachgehen (müssen).

Die soziale Situation ist direkt für das Klima von Gewalt und Kriminalität verantwortlich, legt der Report nahe. Für Evelyn Villareal sind Armut und Unterbeschäftigung der ideale Nährboden für die Gewalt, die Zentralamerika auf traurige, weltweite Spitzenplätze katapultiert hat. Die Zahl von Morden pro 100 000 Einwohnern, die in EU-Staaten um eins liegt, betrug 2011 in den drei gewalttätigsten Ländern Zentralamerikas fast 100: Honduras 86,5, El Salvador 68,5, Guatemala 38. Das spricht für sich.

* Aus: neues deutschland, Montag, 19. August 2013


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