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Hungrig wäre ich gerne satt

Scheitert Kenia im Anti-Korruptionskampf?

Als am vergangenen Freitag in der kritischen Wochenzeitung "Freitag" der nachfoklgende Artikel erschien, konnte noch niemand ahnen, dass am selben Tag der Kenianerin Wangari Maathai der Friedensnobelpreis zugesprochen werden sollte. Wangari bekleidet in der kenianischen Regierung den Posten einer stellvertretenden Umweltministerin.
Wir dokumentieren im Folgenden den Beitrag von Anja Bengelstorff, dessen skeptisch-kritischer Tenor bezüglich der wirklichen Verhältnisse in Kenia von den euphorischen Berichten über die afrikanische Lichtgestalt Wangari Maathai übertönt wurden.


Hungrig wäre ich gerne satt

Von Anja Bengelstorff*

Die Kontrollfrage auf Seite sechs des Fragebogens überführte ihn der Lüge: Der Beamte sagte die Unwahrheit darüber, wie in seiner Kleinstadt die Verteilung von Geschäftslizenzen gehandhabt wird. Boniface Mailu hatte aufgepasst. "Wir mussten mit dem Interview von vorn anfangen. Mein Vorgesetzter war nicht begeistert, dass meine Befragungen immer so lange dauern. Aber ich will, dass die Korruption in Kenia ein Ende hat, deshalb muss ich diese Arbeit mit aller Sorgfalt erledigen", sagt der 28-Jährige.

Über Jahrzehnte hinweg galt Kenia als einer der korruptesten Staaten der Welt (s. Übersicht) - der frühere Präsident Daniel arap Moi brachte das Land während seiner 24-jährigen Amtszeit durch Miss- und Vetternwirtschaft an den Rand des Ruins. Daher hatte der Schwur, die Plage der Korruption vollends auszurotten, dem heutigen Präsidenten Mwai Kibaki und seiner Regenbogenkoalition im Dezember 2002 zu einem so klaren Wahlsieg verholfen. Knapp zwei Jahre später ist die Euphorie dieses Aufbruchs verflogen. Die Seilschaften von einst haben sich behauptet, auch wenn Teilerfolge nicht zu übersehen sind: Seit die Kibaki-Regierung im Amt ist, sind beispielsweise die ersten acht Schuljahre kostenlos, auch lässt der Staat die urbane Infrastruktur nicht weiter verkommen - aber hat sich sonst viel geändert? "Es ist doch wie unter Präsident Moi", winken viele enttäuscht ab.

Das Außenministerium schäumte und griff auf das Totschlagargument vom Kolonialismus zurück

Kaum hatte er sein Master-Zeugnis in der Tasche, wurde aus Boniface Mailu ein Anti-Korruptionskrieger. Zumindest für einige Wochen: Eines der vielen von der Regierung etablierten, aber leider oft zahnlosen Anti-Korruptionsgremien hatte den frisch Examinierten als Assistenten geworben. Er sollte Interviews mit Beamten, Angestellten halbstaatlicher Firmen und deren Vorgesetzten führen, um herauszufinden, welche Formen der Korruption in welchem Ausmaß noch immer grassieren.

Dann kam im Mai "Anglo Leasing" ans Licht, eine Finanzaffäre mit Millionenverlusten für den Staat, vor allem aber mit einem dauerhaften Schaden für das Ansehen und die Autorität des Kabinetts: Die Regierung hatte für mehrere Millionen Dollar ein fälschungssicheres Passsystem bei einer dubiosen Firma in Großbritannien bestellt und nie erhalten. Auch ein forensisches Labor für die kenianische Polizei wurde bezahlt, ohne jemals gebaut zu werden. Kein Kabinettsmitglied wollte die Verantwortung übernehmen. Daraufhin legten die Vereinten Nationen, die bis dahin die Untersuchungen zur Korruption finanziert hatten, dieses Vorhaben zunächst auf Eis.

Ähnlich reagierten westliche Geberländer. Nachdem im Januar Bundeskanzler Schröder bei einer Visite in Nairobi noch die Verdopplung der Entwicklungshilfe auf 50 Millionen Euro bis 2006 zugesagt hatte, wurde Anfang Juli die Auszahlung deutscher Hilfsgelder auf unbestimmte Zeit verschoben. "Von Entwicklungspartnern kann nicht erwartet werden, dass sie die Steuergelder ihrer Bürger in den Dienst Kenias stellen, wenn dessen eigenes Finanzministerium für private Zwecke angezapft wird", hieß es in einer Erklärung, die im Schulterschluss mit der Schweiz, Großbritannien und den USA entstand. Der britische Hochkommissar Edward Clay wurde vor eigenen Geschäftsleuten noch deutlicher: "Sie (die Mitglieder der kenianischen Regierung - die Red.) können kaum von uns erwarten, dass wir zusehen, wenn sie sich vor lauter Gefräßigkeit über unseren Schuhen erbrechen." Der Diplomat, der in Kenia schon häufig durch drakonische Formulierungen auffiel, setzte unverblümt nach, indem er sich zu der Mutmaßung verstieg: die Namen der Politiker, die nach dem Urteil der Kenianer nicht in Korruptionsaffären verwickelt seien, dürften wahrscheinlich auf eine Postkarte, wenn nicht gar eine Briefmarke passen. Das Außenministerium schäumte und griff auf das Totschlagargument vom Kolonialismus zurück. Die Hölle sind immer die anderen - in Afrika ist das eine klassische Abwehrhaltung. Auch wenn Edward Clays Äußerungen beleidigend waren, was im Kern an seinen Vorwürfen berechtigt sein könnte, wird kaum hinterfragt, zumindest nicht öffentlich.

Als in diesem Sommer kein Zweifel mehr bestand, dass die für Ende Juni zugesagte neue Verfassung nicht zum Termin vorliegen, sondern auf unbestimmte Zeit verschoben würde, gingen Tausende in Nairobi auf die Straße. Tränengas und Wasserwerfer lösten die verbotene Demonstration, an der viele Parlamentarier teilnahmen, gewaltsam auf. Die Polizeifahrzeuge mit den Wassertanks hatte pikanterweise noch Daniel arap Moi aus Südafrika importiert.

Doch Tränengas war nicht die einzige Reaktion des jetzigen Präsidenten auf die herauf beschworene Legitimationskrise. Mwai Kibaki wirbelte kurzerhand, ohne parlamentarisches Plazet, das Kabinett durcheinander und ernannte Vertreter der Opposition zu Ministern. Keine jungen, fachlich versierten Politiker mit visionären Ideen, sondern betagte politische Weggefährten und damit die Galionsfiguren einer Generation, die auch im modernen Kenia unbeirrt die Auffassung vertritt, Frauen hätten kein Recht auf eigenen Besitz. Die "Regierung der nationalen Einheit", wie Kibaki sein Konstrukt nennt, hat den wichtigsten Koalitionär und einstigen Königsmacher, die Liberal Democratic Party (LDP), zunächst einmal in die Bedeutungslosigkeit abgedrängt. Ihren Ministern wurden die Befugnisse beschnitten, ein seit langem schwelender Machtkampf in der Regierung war auf dem Siedepunkt.

Auch in den Medien Kenias finden sich genügen Hinweise darauf, dass die Regierung Kibaki den versprochenen Wandel längst aufgegeben hat. Sofern man sie finden will: Ein vernichtendes Porträt über Außenminister Ali Mwakwere etwa oder bittere Kommentare über einen Staatschef, der versprochene neue Arbeitsplätze schuldig bleibt. Natürlich können diese und andere Artikel auch als Ausdruck einer lange entbehrten Meinungsfreiheit gelesen werden, denn eines ist nicht zu bestreiten: Die Zeiten, in denen Kritik an einer reichlich selbstgefälligen Elite, wenn überhaupt, dann nur hinter vorgehaltener Hand möglich war, sind endgültig vorbei.

Deutschland will seine Hilfe überdenken, sollte sich die Lage nicht ändern

Eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat jüngst Kenia besucht und sich ausdrücklich befriedigt über die bisherigen Wirtschaftsreformen der Regierung gezeigt. Als Ergebnis erwartet das Land im Dezember einen Kredit von 35 Millionen Dollar. Ein enormer Erfolg für Kibaki, auch wenn gleichzeitig Länder wie Deutschland ihre Kritik erneuert haben, der Korruption werde viel zu verzagt und inkonsequent entgegen getreten. Daher sei die Entwicklungshilfe zu überdenken, sollte sich die Lage nicht ändern.

Dass sie sich verbessert, daran will Boniface Mailu beteiligt sein. Seit Anfang September hat die Kenya Anti-Corruption Commission einen neuen Vorsitzenden, einen ehemaligen Richter mit guter Reputation, und Boniface damit einen neuen Chef. Er reist wieder durch das Land, um seine Interviews zu führen. "Bevor ich mit dieser Arbeit anfing, dachte ich wie viele. In Kenia wird und kann sich nichts ändern. Aber das trifft nicht zu - meine Interviews beweisen es."

* Die Autorin arbeitet in Nairobi als Korrespondentin mehrer Zeitungen.

Aus: Freitag 42, 8. Oktober 2004

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