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"Wer bestimmen kann, wie die Pipeline-Karte aussieht, ...

... wird die Zukunft eines riesigen Teils der Welt bestimmen."

"Wer bestimmen kann, wie die Pipeline-Karte aussieht, wird die Zukunft eines riesigen Teils der Welt bestimmen."
(Frederick Starr, Leiter des Kaukasus-Instituts an der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität in Baltimore)

Im Schweizerischen "Tages-Anzeiger" erschien am 19. April 2002 ein Hintergrundbericht über den Wettlauf zwischen Russland und den USA um das Öl am Kaspischen Meer. Der Autor, Hans Brandt, rekapituliert eine ganze Reihe von bekannten und weniger bekannten Indizien für die These, dass es den beteiligten Mächten im Kaukasus und in Zentralasien nur um das eine geht: um die Kontrolle über die Erdöl- und Erdgas-Ressourcen der Region.

Auch der Präsident der afghanischen Interimsregierung, Hamid Karzai, ist tief in dieses Spiel um die Quellen des Reichtums verwickelt. Bei seinem ersten Staatsbesuch in Pakistan ging es um nichts anderes: Mit dem pakistanischen Militärmachthaber und Präsident General Pervez Musharraf kam er überein, eine 1.200 Kilometer lange Gasleitung zu bauen, ein Vorhaben, das Karzai schon seit langem am Herzen lag. Schließlich war er jahrelang Berater der US-amerikanischen Erdölfirma Unocal (Union Oil of California), die diese Leitung bauen wollte. Es sollte ein Milliardenprojekt werden. Ein zweiter Mann, der eine bedeutende politische Rolle im Afghanistan-Prozess spielt, ist Zalmay Khalilzad. Er ist heute der Sonderbotschafter des US-Präsidenten Bush für Afghanistan. Auch er stand schon auf der Gehaltsliste von Unocal. In seinem früheren Leben war der aus Afghanistan stammende Paschtune stellvertretender Verteidigungsminister (unter George Bush Sen.). Später leitete er ein Forschungsprojekt über die globale Strategie der amerikanischen Luftwaffe bei der regierungsnahen Rand Corporation. Zwei weitere prominente amerikanische (Ex-)Politiker bzw. politische Berater, standen in enger Verbindung zu Unocal: Henry Kissinger, Ex-Aussenminister der USA, und John Maresca, früher einmal Botschafter der USA in Zentralasien; er wechselte sogar in die Konzernleitung des Ölgiganten.

Dennoch lief nicht alles nach den Plänen von Unocal. 1998 machten zwei Attentate auf US-Botschaften in Afrika machten den Plan einer zentralasiatischen Pipeline (der "Central Asia Gas Pipeline") zunächst zunichte. Die Attentate wurden Ossama bin Laden und seinem Terrornetzwerk Al Qaida zugeschrieben, sein Hauptquartier wurde in Afghanistan vermutet. Die Verbindung zwischen Al Qaida und dem Taliban-Regime in Kabul war so eng, dass an ein Weiterverfolgen der Pipeline-Pläne nicht zu denken war.

Heute stellt sich die Lage natürlich wieder anders dar. Die Taliban sind geschlagen, wieviel von Al Qaida in Afghanistan noch übrig ist, darüber kann man zwar spekulieren, doch dürfte die Organisation kein ernsthaftes Hindernis für eine Neuauflage der alten Pläne darstellen. Hans Brandt: ".. kaum ist deren Herrschaft beendet, werden in Zentralasien die verschiedensten Pipeline-Projekte von Anfang der Neunzigerjahre wieder aus der Schublade geholt." Ein Projekt bezieht sich auf den Transport von Erdgas aus Turkmenistan über Afghanistan an die pakistanische Küste. Karzai und sein pakistanischer Amtskollege waren sich einig, dass eine solche Pipeline von Vorteil für alle drei Länder wäre. Die Gasvorkommen in Turkmenistan gehören immerhin zu den größten der Welt. Der russische Markt - hierhin fließt das Erdgas fast ausschließlich - ist zu klein. Lukrativere Geschäfte werden erwartet, wenn die kostbare Energie auf die Märkte im Westen und im Fernen Osten gebracht würden. Dafür aber fehlen die Transportwege. Eine Pipeline durch Afghanistan würde dem Land kräftige Transportgebühren einbringen, Pakistan bekäme die Energie frei Haus und Indien, eine mutmaßliche Wachstumsregion, könnte an das Netz angeschlossen werden.

Nach Berechnungen des US-Energieministeriums liegen in den fünf Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres, Iran, Aserbeidschan, Russland, Kasachstan und Turkmenistan, förderbare Erdölreserven von über 3,5 Milliarden Tonnen. Das ist bereits mehr, als die Lagerstätten in der gesamten Nordsee hergeben (etwa 2,3 Mrd. Tonnen). Die USA rechnen damit, dass in der Region mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit weitere 31,5 Milliarden Tonnen entdeckt werden. Anteilsmäßig noch bedeutsamer sind - verglichen mit den Weltvorkommen - die Gasreserven der Region, insbesondere die in in Turkmenistan und Kasachstan.

Gewiss: Diese Vorkommen sind nicht annähernd so groß wie der Ölreichtum der arabischen Golfstaaten. Trotzdem haben sie eine erhebliche geostrategische Bedeutung. Brandt zitiert in seinem Artikel den damaligen stellvertretenden US-Energieminister Robert Gee bei einer Anhörung des Kongresses 1998: "Exporte aus der kaspischen Region würden das Energieangebot weltweit diversifizieren und damit eine zu grosse Abhängigkeit vom Persischen Golf vermeiden". Die Staaten Zentralasiens sollten nicht unter den "ungerechtfertigten Einfluss regionaler Mächte" geraten, sagte Gee und meinte damit natürlich Russland und den Iran. Der alte Rivale Russland hatte bisher strategische Vorteile, weil das Land über ein großes Leitungsnetz verfügt. Und der Iran eignet sich für die Pipeline gut, weil es der kürzeste (und damit billigste) Weg zum Meer wäre. Aus US-amerikanischer Sicht verbietet sich eine solche Trasse, da der Iran zu den "Schurkenstaaten", neuerdings zur "Achse des Bösen" gehört.

Der Iran muss also verhindert und das faktische Monopol Russlands gebrochen werden. Seit Jahren, stellt Brandt fest, "propagiert Washington eine Ölpipeline von der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan". Eine solche Pipeline sei nicht "antirussisch", sondern "antimonopolistisch", wird Steven Mann, US-Sonderbotschafter für die kaspische Region, zitiert.

Nun klingt das alles sehr nach einer allein aus der Ökonomie abgeleiteten Theorie. Hans Brandt geht denn auch auf die Frage ein, ob, wie "linke Kritiker" der Bush-Regierung meinen, in der Neuauflage der amerikanischen Pipeline-Projekte in Zentralasien und im Kaukasus das "eigentliche Ziel des 'Kampfes gegen den Terrorismus'" läge. Immerhin könnten die Kritiker auf eine große Anzahl von führenden Mitgliedern der internationalen Energiebranche in der Regierung Bush hinweisen. Dazu gehören Bush selbst und Vizepräsident Dick Cheney, die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und führende Leute im Militärapparat. Brandt argumemntiert vorsichtiger, kommt im Endeffekt aber zu einem ähnlichen Ergebnis: "Sicher haben die USA keinen Krieg angezettelt, um den Weg für Energieleitungen freizubomben. Aber sie haben die Gelegenheit, die der Krieg in Afghanistan bietet, genutzt, um ihre Position im Kaukasus und in Zentralasien auszubauen. Während Nato-Mitglied Türkei schon lange der wichtigste Stützpunkt in der Region ist, sind die USA jetzt auch militärisch präsent: in Georgien, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan, ebenso in Afghanistan und Pakistan."

Fraglich ist allerding, ob die neue US-Präsenz den Amerikanern tatsächlich helfen wird, ihre Pipeline-Träume zu verwirklichen. Denn Russland ist auch nicht untätig. Im Oktober 2001 wurde eine neue Erdölleitung von Kasachstan zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossisk eröffnet. Auch Russlands so genanntes "Bluestream-Projekt", das Erdgas über eine 1.700 Kilometer lange Leitung durch das Schwarze Meer in die Türkei liefern wird, wird wohl noch in diesem Jahr fertiggestellt werden. Doch die USA wollen ihrerseits powern. Sonderbotschafter Steven Mann betonte vor wenigen Wochen, dass der Bau der Erdölleitung von Baku nach Ceyhan im Sommer beginnen und bis 2005 beendet sein werde. - Der geostrategische Wettlauf um Zentralasien ist in vollem Gange.

Pst. Quelle: Hans Brandt, Brisante Pipelines am Kaspischen Meer. In: "Der Tages-Anzeiger" vom 19.04.2002


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