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Wieder Eklat bei Genfer Gesprächen?

Russische Zeitung "Kommersant" kommentiert den Kaukasus-Konflikt *

Die zweite Runde der Genfer Gespräche über Abchasien und Südossetien berechtigt auf den ersten Blick nicht einmal zu einem vorsichtigen Optimismus, schreibt die russische Zeitung "Kommersant" am Dienstag (18. November).

Dazu sind die grundlegenden Differenzen zwischen Russland und Georgien viel zu offensichtlich, so Sergej Markedonow, Leiter der Abteilung Probleme der zwischennationalen Beziehungen am Institut für politische und militärische Analyse (Moskau).

In seinem Beitrag schreibt Markedonow: Selbst im Falle künftiger radikaler Veränderungen an Georgiens Spitze werden sich die heutigen Trends nicht sehr stark verändern. Wer Michail Saakaschwili auch immer ablösen würde, wird er "den Weg der Versöhnung" mit Moskau nicht gehen. Illusorisch sind auch die Hoffnungen, der Kreml werde die Anerkennung der zwei ehemaligen georgischen Autonomien annullieren.

In diesem Zusammenhang stellt sich die logische Frage: Sind die Genfer Verhandlungen überhaupt noch zweckmäßig? Es gilt, zu verstehen, welche Probleme in ihrer dritten, vierten oder wenigstens 25. Runde gelöst werden können. Sieht man von Emotionen ab, so wird klar: Neben dem Rechtsstatus der "rebellischen" Republiken erfordert zum Beispiel die Gewaltfrage in beiden "heißen Stellen" eine unaufschiebbare Lösung.

Die Rede ist von den Terror-, Diversions- und Partisanenaktivitäten im abchasischen Gali-Rayon und im südossetischen Leninogorsk-Rayon. Schon demnächst könnte, ohne die Festlegung des Status von Abchasien und Südossetien, etwas in Bewegung dazu geraten, was Anfang November in Moskau in einer Deklaration über Berg-Karabach festgehalten wurde. Die Rede ist vom Prinzip der Lösung jedes Konflikts mit ausschließlich politischen Mitteln und ohne Gewalt.

Diesen Grundsatz versuchte Moskau binnen vier Jahren erfolglos bei Tiflis zu erreichen. Die Genfer Gespräche geben die Chance, einen entsprechenden Beschluss mit Hilfe der westlichen Vermittler "durchzudrücken".

Eine zweite Frage wäre die Erörterung der internationalen Präsenz in den Konflikt- und in deren Pufferzonen. Nach dem Fünftagekrieg im Kaukasus ist die Internationalisierung beider Konflikte Wirklichkeit geworden. In diesem Zusammenhang ist es für Moskau wichtig, ein für Russland vorteilhaftes Format einer solchen Präsenz zu sichern. Ohne diese Präsenz ist sowieso nicht auszukommen, zudem liegt das nicht in Russlands Interesse. Durchaus real dagegen erscheint es, im Zuge der Verhandlungen eine optimale Kombination von russischen Interessen mit internationaler Präsenz zu erreichen.

Somit können die möglichen Pluspunkte für Moskau bei den Verhandlungen in Genf vor allem mit der Aktivierung eines pragmatischen Dialogs nicht so sehr mit Georgien wie vielmehr mit der Europäischen Union verbunden sein.

Schon allein die Teilnahme von Vertretern Abchasiens und Südossetiens an den Verhandlungen, und seien es nur Experten, zeugt von einer teilweisen Legitimierung beider Republiken: wenn nicht als einzelner Staaten, so doch als politischer Einheiten, ohne die die Konflikte nicht zu lösen sind. Aber die Erörterung des Status des Kosovo begann ja ähnlich: Pristina entstand nicht über Nacht.

Alles in allem bekommt Moskau die Chance, in Genf mit Europa zahlreiche Fragen der Sicherheit im Kaukasus sozusagen unter vier Augen zu besprechen, ohne sich von Streitereien mit Georgien ablenken zu müssen. Zudem hat Moskau heute mit Tiflis faktisch nichts zu besprechen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. November 2008

Georgische Ignoranz

Von Detlef D. Pries **

Zwei Tage sind diesmal für die »Verhandlungen über Sicherheit und Stabilität im Südkaukasus« vorgesehen, die am heutigen Dienstag in Genf beginnen sollen. Die erste Runde am 15. Oktober war am Streit darum gescheitert, wer Abchasen und Südosseten bei den Gesprächen vertreten darf. Georgien lehnte es ab, sich mit den Abtrünnigen an einen Tisch zu setzen. Tbilissi akzeptierte einzig Russland als Konferenzteilnehmer, denn die Russen hätten georgisches Territorium »okkupiert«, auf das Michail Saakaschwili »niemals« verzichten will. Moskau aber hat Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannt und besteht auf deren gleichberechtigter Teilnahme an den Diskussionen. Ein Zurück werde es nicht geben, denn »mit so etwas spielt man nicht«, bekräftigte Dmitri Medwedjew jüngst.

Eine Einigung über den völkerrechtlichen Status Abchasiens und Südossetiens ist nicht absehbar. Zwei Tage werden für die Lösung dieser Streitfrage ganz gewiss nicht reichen. Wer um Sicherheit und Stabilität besorgt ist, um die Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen, um den Wiederaufbau, der muss diesen Streit folglich hintanstellen und mit denen diskutieren, die darauf Einfluss haben. Allerdings hat die georgische Führung seit jeher alle Verantwortung an den Konflikten Russland zugeschrieben und die Bestrebungen von Abchasen und Osseten ignoriert. Es war diese Ignoranz,die sie letztlich in den Krieg geführt hat.

** Aus: Neues Deutschland, 18. November 2008 (Kommentar)




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