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Merkel mit Emir

Katars Staatsoberhaupt trifft sich mit Bundesregierung. Monarchie strebt Machtwechsel in Syrien an

Von Karin Leukefeld *

Der Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, Emir von Katar, hatte bei seinem Staatsbesuch in Berlin am Mittwoch ein volles Programm. So traf er sich insbesondere mit Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck. Die Regierung interessiert bei dem Treffen mit dem Emir insbesondere der staatliche Katar Investment Fonds, der über ein Vermögen von 170 Milliarden US-Dollar verfügt. In Deutschland ist der Golfstaat mit 17 Prozent an Volkswagen, mit knapp sechs Prozent an der Deutschen Bank sowie mit rund elf Prozent an Hochtief beteiligt.

Politiker aller Parteien und Medien begleiteten den Besuch des Staatsoberhauptes, das erst im Juni 2013 von seinem Vater das Amt übernommen hatte, mit beißender Kritik. Tatsächlich unterscheidet sich das Emirat beim Umgang mit asiatischen Gastarbeitern auf Großbaustellen oder bei der Finanzierung von Kampfverbänden in Syrien und Irak nur unwesentlich von anderen Bündnispartnern der Bundesregierung im Mittleren Osten.

Alle Staaten des Golfkooperationsrates, der sechs Länder der Arabischen Halbinsel umfaßt, sowie der NATO-Partner Türkei sind seit Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings 2011 massiv an der Eskalation in der Region beteiligt. Ihr Handeln entspringt nationalen Machtinteressen, doch ihre westlichen Bündnispartner in den USA und Europa – auch in Berlin – haben sie dazu ermuntert und ihnen reichlich Waffen geliefert. In der Türkei überwachen Patriot-Abwehrraketensysteme aus Deutschland ein Gebiet, das dem »Islamischen Staat« (IS), der »Freien Syrischen Armee«, der »Islamischen Front«, der »Al-Nusra-Front« und anderen Brigaden als Aufmarschgebiet und Hinterland dient.

Katar gehörte 2011 zu den führenden Kräften, die die Demonstrationen in Tunesien und Ägypten, in Libyen und Syrien nutzten, um der Muslimbruderschaft zum Sieg zu verhelfen. Beim Angriff auf Libyen half Katar mit Kampfjets und Waffenlieferungen an »Aufständische« in der Hafenstadt Bengasi. Der katarische Nachrichtensender Al-Dschasira fungierte quasi als Presseamt bewaffneter Gruppen, viele Journalisten verließen den Sender aus Protest.

Das Engagement entsprach dem eigenen Interesse, da der Emir von Katar der Muslimbruderschaft zumindest nahesteht. Gleichzeitig wurden die Golfmonarchie und die Türkei vom Westen ermuntert, in den Wirren der Umbrüche eine führende Rolle zu übernehmen. Rasch erklärten Washington und Brüssel die Muslimbruderschaft in Ägypten zum neuen Bündnispartner, sofern – wie die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte – sie die Menschenrechte, »auch die der Frauen«, einhielten, und »die Sicherheit Israels gewährleisten« würde. Doha pumpte Geld nach Tunesien und Ägypten, um die Muslimbruderschaft zu stützen.

Als der Vater des heutigen Emirs von Katar, Scheich Hamad Bin Khalife Al Thani, im Januar 2012 im Interview mit dem US-Sender CBS für den Einmarsch arabischer Truppen in Syrien plädierte, um »dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten«, lieferten Transportmaschinen der katarischen Luftwaffe bereits tonnenweise Waffen an die Kampfverbände in Syrien. Eine Langzeitrecherche der New York Times, die im März 2013 veröffentlicht wurde, zeigte Katar an der Spitze der Waffenlieferanten, gefolgt von Saudi-Arabien, Jordanien und Kroatien, das kurze Zeit später im Juli als Mitgliedsstaat in die EU aufgenommen wurde.

Nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi in Ägypten, der im Wesentlichen von Saudi-Arabien betrieben wurde, mußte Katar zurückrudern. Der Emir wurde ausgetauscht, Scheich Tamim reiste nach Riad und unterwarf sich. Erst vor wenigen Tagen gab Katar ein weiteres Mal nach und forderte führende Mitglieder der Muslimbruderschaft zur Ausreise auf, die dort Exil gefunden hatten. Die Türkei hat ihnen bereits Aufnahme zugesagt.

Die Bereitschaft, sich an der von den USA geschmiedeten Allianz gegen die IS-Miliz zu beteiligen, ist für Katar und andere Staaten des Golfkooperationsrates die vorerst letzte Unterwerfung unter die US-Interessen in der Region. Arabische Staaten sollen nun im Kampf gegen IS Truppen und Luftwaffe einsetzen. Für Katar und die anderen Verbündeten Deutschlands in der Re­gion – und für Berlin – könnte sich so ihr ursprüngliches Ziel doch noch erfüllen: »Regime Change« in Syrien.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 18. September 2014


Regime Change

In Syrien geht es der US-Regierung weniger um den Kampf gegen die Islamisten als um den Sturz der Regierung Assad

Von Knut Mellenthin **


Noch hat Barack Obama keine Luftangriffe gegen Ziele in Syrien angeordnet. Das ist normalerweise auch gar nicht Sache des US-Präsidenten, sondern der zuständigen regionalen Militärführung. In diesem Fall des Kommandos Mitte, abgekürzt Centcom. Der Präsident, der zugleich laut Verfassung Oberkommandierender der Streitkräfte ist, erteilt in der Regel nur eine allgemeine Freigabe, eine »Autorisierung«, solcher Angriffe in einem bestimmten Gebiet und zu bestimmten Zwecken. Im Falle Syriens hat Obama noch nicht einmal das getan. Er hat lediglich am Mittwoch vor einer Woche in einer Fernsehansprache gesagt, daß er »nicht zögern« werde, Einheiten, Militärgerät und Stützpunkte des sogenannten Islamischen Staates (IS) auch auf syrischem Boden angreifen zu lassen.

Die angedrohten Luftschläge könnten von einem Tag auf den anderen ohne Vorwarnung beginnen. Vermutlich würden sie zunächst aber nur dem Versuch dienen, gezielt einige mehr oder weniger bedeutende Angehörige der IS-Führungsebene zu töten. Eine größere Luftoffensive gegen syrische Gebiete, die derzeit vom IS kontrolliert werden, würde erst Sinn machen, wenn die US-Regierung sich auf einheimische Kräfte stützen könnte, die diese Angriffe für Geländegewinne nutzen. Damit sieht es aber im Moment ganz schlecht aus. Die von den USA als »gemäßigte Rebellen« gepflegten und versorgten Organisationen sind in zahlreiche Splittergruppen zerfallen. Viele von diesen kollaborieren mit dem IS oder haben Nichtangriffsabkommen mit den Islamisten geschlossen. Insgesamt sind die »gemäßigten Rebellen« gegenwärtig als militärische Kraft irrelevant.

Das hindert die US-Regierung aber nicht, vorbeugend schon jetzt den syrischen Streitkräften mit Militärschlägen zu drohen, falls sie ihr Luftabwehrsystem gegen die künftig geplanten Angriffe aktivieren sollten. Syrien verfügt über relativ gute und moderne russische Boden-Luft-Raketen. Diese sind hauptsächlich in und um Damaskus konzentriert und befinden sich nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu den vom IS und ähnlichen Kräften beherrschten Gebieten. Trotzdem könnte die US-Regierung dazu tendieren, zu Beginn einer längeren Luftoffensive als erstes die syrische Luftabwehr und Luftwaffe so vollständig wie möglich zu zerstören. Nach US-amerikanischer Definition läge eine »Gefährdung« nicht erst dann vor, wenn wirklich Raketen abgeschossen würden, sondern schon in dem Moment, in dem die Syrer ihr Radarsystem aktivieren würden, um in ihren Luftraum eindringende Flugzeuge zu erfassen. Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, sprach in diesem Zusammenhang am Montag von genauen Einsatzregeln – »rules of engagement« – die mit jeder militärischen Anweisung des Präsidenten verbunden seien. Über deren Inhalt im konkreten Fall wollte Earnest nichts sagen, außer daß sie natürlich Vorschriften zur »Selbstverteidigung« enthalten würden.

Die New York Times berichtete am Sonntag, daß Obama bei internen Gesprächen im Beraterkreis auch über die Möglichkeit diskutiert habe, daß die syrische Luftabwehr gegen einfliegende US-Angreifer aktiv werden könnte. Wenn das geschehen sollte, habe Obama gesagt, würde er der Air Force befehlen, die Luftverteidigung der Syrer zu vernichten. Dieses Szenario könne zum Sturz von Präsident Baschar Al-Assad führen, zitierte die New York Times Obama. Ohnehin ist ein »Regimewechsel« in Damaskus wohl das Hauptziel, das die US-Regierung mit der angekündigten Ausweitung ihrer neuen Militärintervention auf Syrien verfolgt. Aus innenpolitischen Gründen dürfte sich Obama nicht einmal den Anschein erlauben, daß Assad aus den geplanten Luftangriffen gegen den IS Vorteile ziehen könnte. Daher würden wahrscheinlich alle Gebiete, aus denen sich der IS zurückziehen sollte, sofort zu »Schutzzonen« erklärt, in die die syrischen Streitkräfte nicht vorrücken dürfen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 18. September 2014


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