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Rücktritt gegen Straffreiheit?

Jemen: Nach Salehs Gang ins Exil - Spekulationen über Amtsverzicht

Von Karin Leukefeld *

Mit einem Feuerwerk wurde in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa der Abgang von Präsident Ali Abdullah Saleh gefeiert, nachdem dieser am Freitag mit Angehörigen seiner Familie in die saudische Hauptstadt Riad ausgeflogen worden war. Saleh hatte einen Angriff überlebt, bei dem elf Armeeangehörige und Leibwächter getötet worden waren. Zur Zeit des Angriffs hielt Saleh sich zum Mittagsgebet in einer Moschee auf dem Gelände des Präsidentenpalastes auf. Bewaffnete Männer beschossen die Moschee mit Mörsergranaten und Schnellfeuerwehren, unklar ist allerdings, von wem der Angriff ausging. Jemenitische Regierungsstellen machten Scheich Sadik Al-Ahmar für den Angriff verantwortlich. Dessen Milizen hatten in den vergangenen Tagen Regierungsgebäude angegriffen und besetzt, um Saleh aus dem Amt zu drängen. Andere Medien berichten, daß möglicherweise Armeeangehörige, die zu den Oppositionskräften übergelaufen waren, den Angriff auf den Präsidenten verübt haben könnten.

Präsident Saleh war bei dem Angriff verletzt worden, habe aber unmittelbar nach seiner Ankunft in Riad erklärt, er werde nach seiner Genesung in etwa zwei Wochen in den Jemen zurückkehren und sein Amt fortsetzen. Wahrscheinlicher dürfte sein, daß das saudische Königshaus Saleh davon überzeugt, ein Angebot zu unterschreiben, das ihm von Vertretern des Golfkooperationsrates, der US-Administration und europäischen Staaten vorgelegt worden war. Es sichert Saleh Straffreiheit zu, sofern er freiwillig die Macht an eine Übergangsregierung unter Einbeziehung der Opposition abgebe. Zweimal hatte Saleh sich geweigert, die Vereinbarung zu unterschreiben.

Ahmed Saleh, der älteste Sohn des jemenitischen Präsidenten und Kommandeur der Republikanischen Garde, ist im Jemen geblieben. Oppositionskräfte befürchten, daß er sich auf die Machtübernahme vorbereiten könnte.

Zunächst einmal übernahm in Übereinstimmung mit der Verfassung Vizepräsident Abd-Rabbo Mansour Hadi die politischen Amtsgeschäfte, dazu gehört auch der Oberbefehl über Polizei und Streitkräfte. Die jemenitische Nachrichtenagentur SABA berichtete von einem Treffen Hadis' mit dem US-Botschafter im Jemen, Gerald Michael Feierstein, um über die Zusammenarbeit mit der Opposition zu sprechen. Telefonisch beriet Hadi sich (laut AP) auch mit John Brennan, dem Nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama. Brennan hatte am Tag des Attentats auf Saleh einen dreitägigen Besuch in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten beendet. Mit Scheich Al-Ahmar handelte Hadi einen Waffenstillstand aus. Al-Ahmar hat demnach seine Milizen zurückgezogen, im Gegenzug hat auch die Armee ihre Stellungen verlassen. Die Verfassung sieht eine 60tägige Amtszeit für Hadi vor. In dieser Zeit müssen Präsidentschaftswahlen durchgeführt werden. Hadi, der eine militärische Karriere in Ägypten und Großbritannien hinter sich hat, gilt als Vertrauter Salehs. 1994 war er maßgeblich an der Niederschlagung des Aufstandes im Südjemen beteiligt.

Agenturmeldungen zufolge soll am Montag (6. Juni) eine Vereinigung namens »Revolutionäre Jugend« die Bildung eines Übergangsrates gefordert haben. Alle politischen Kräfte sollten sich zusammenschließen, hieß es in der Erklärung, die von der Nachrichtenagentur AFP verbreitet wurde. Eine »Regierung von Technokraten« solle die Amtsgeschäfte führen, die Bevölkerung wurde aufgefordert, ihre Proteste fortzusetzen, »bis alle Forderungen erreicht sind.« Die parlamentarische Opposition erklärte derweil, man werde »mit aller Kraft« die Rückkehr Salehs in den Jemen verhindern.

* Aus: junge Welt, 7. Juni 2011


Übergangsrat in Jemen verlangt

Erklärung der "Revolutionären Jugend" **

Nach der Ausreise von Präsident Ali Abdallah Saleh haben in Jemen junge Oppositionelle die Bildung eines Übergangsrates für die Einleitung eines politischen Wandels gefordert.

In einer Erklärung, die der Nachrichtenagentur AFP am Montag (6. Juni) vorlag, rief die »Revolutionäre Jugend« dazu auf, das Gremium solle eine neue Verfassung ausarbeiten und eine »Regierung aus Fachleuten« einsetzen. Die junge Protestbewegung, die seit dem 21. Februar mit einem Lager auf einem Platz in Sanaa aushält und den Rücktritt Salehs fordert, begrüßte in ihrer Erklärung dessen Ausreise. »Die Revolution hat ihr oberstes Ziel erreicht: Saleh ins Abseits zu stellen«, hieß es darin. Sie forderte, alle politischen Kräfte in einem Übergangsrat zu bündeln, und kündigte an, ihren Sitzstreik aufrecht zu erhalten, bis ihre Ziele erreicht seien. Saleh war am Freitag bei einem Granatenangriff auf seinen Palast verletzt worden und zur medizinischen Behandlung nach Saudi-Arabien gereist. Er werde nach zweiwöchiger Genesung in seine Heimat zurückkehren, sagte ein saudi-arabischer Regierungsvertreter. Salehs Gegner hatten am Sonntag in Sanaa die Ausreise des Präsidenten frenetisch gefeiert.

»Wir appellieren an die Jemeniten, in einem Geist der nationalen Einheit und des Dialogs (...) rasch den Weg der Versöhnung zu finden, damit das jemenitische Volk seine Regierung demokratisch wählen kann«, erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien, David Cameron, Nicolas Sarkozy, Silvio Berlusconi und José Luis Zapatero, am Sonntag (5. Juni).

** Aus: Neues Deutschland, 7. Juni 2011

Hier geht es zu den Forderungen der "revolutionären Jugend" Jemens: "Friedliche Entfernung des gegenwärtigen Regimes".

Taes in Rebellenhand

Die im Süden des Jemen gelegene Stadt Taes wird offenbar von Oppositionellen kontrolliert. Die zweitgrößte Stadt des Landes sei »in den Händen der Rebellen«, sagte Scheich Hammud Saeed el Michlafi. Bewaffnete Stammesvertreter seien in der Stadt positioniert, um die »friedlichen regierungskritischen Demonstranten zu beschützen«, sagte er. Diese seien vor einer Woche Opfer eines »Völkermords« geworden. Nach Angaben der UNO waren in der vergangenen Woche mehr als 50 Menschen in Taes durch jemenitische Sicherheitskräfte getötet worden.
(AFP/jW, 08.06.2011)




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