Friedlicher Protest in Raketenreichweite
Nicht nur Linke demonstrieren in Israel in diesen Tagen gegen den Krieg im Gaza-Streifen
Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv *
Rund 7000 Menschen haben am Samstag in Tel Aviv gegen den Gaza-Krieg protestiert. Bis zur letzten Minute war nicht sicher, ob die Polizei die Demonstration erlauben würde.
Für einen Moment herrscht Ruhe. In Israel gehen keine Raketen mehr nieder. Und im Gazastreifen bergen die Menschen – wieder einmal – ihre Toten und Verletzten, decken sich mit Nahrungsmitteln und Gas zum Kochen ein.
Es sind kurze Momente: »Ich denke, wir wissen das alle hier«, sagt Michal, 22, Jura-Studentin. Sie stamme aus dem Süden: »Ich bin damit groß geworden, dass immer irgendwas los ist«, sagt sie: »Mal sind es Raketen, mal Selbstmordanschläge. Und immer haben alle gesagt: ›Das Militär, das Militär wird’s schon richten. Wir müssen nur hart genug zuschlagen, dann werden die Palästinenser uns schon verstehen.‹ Doch das passiert nicht und wir müssen verstehen lernen, dass Waffen nicht jedes Problem lösen.«
Die Umstehenden nicken; einige schauen auf ihr Handy. Die Nachrichten-Apps, melden, dass nun doch wieder Raketen abgeschossen worden sind. 7000 Menschen haben sich nach Angaben der Polizei an diesem Samstagabend auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv versammelt, um gegen den Gaza-Krieg zu protestieren. Es ist eine Zahl, die zunächst einmal nach nicht besonders viel klingt. Doch tatsächlich ist sie beeindruckend.
Denn noch eine Stunde vor dem geplanten Beginn der Demonstration war unklar, ob die Polizei den Protest erlauben würde. Um 20 Uhr Ortszeit hatte eine humanitäre Waffenruhe im Gaza-Streifen zu Ende gehen sollen. Und die Sicherheitskräfte hatten die Veranstalter gemahnt, große Menschenansammlungen unter freiem Himmel stellten eine zu große Gefahr dar. Denn selbst wenn das Abwehrsystem »Iron Dome« (Eiserne Kuppel) die allermeisten Raketen, die die Hamas auf größere Städte abfeuert, abfangen und in der Luft zerstören. Immer wieder kommen dennoch Raketen durch. Und der Abschuss der Geschosse erzeugt Trümmer, die ebenfalls Menschen gefährlich werden können.
So hatten die Organisatoren den Protest zuerst abgesagt und dann in letzter Minute doch wieder anberaumt, nachdem Israels Regierung eine einseitige Verlängerung der Waffenruhe bekannt gegeben hatte. Mehrere Tausend hatten zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits wieder kehrt gemacht.
Die Ablehnung des Gaza-Krieges ist längst keine Domäne der Linken mehr: Zur Demonstration unter dem Motto »Raus mit Euch! Beendet den Krieg« aufgerufen hatten neben Chadasch, einer gemischt arabisch-jüdischen sozialistischen Partei, auch der politische »Elternkreis – Familienforum«, eine Gruppierung, in der sich israelische und palästinensische Angehörige von Opfern des Konflikts zusammengeschlossen haben, sowie »Kämpfer für den Frieden«, eine Organisation aus ehemaligen israelischen Soldaten und einstigen Angehörigen palästinensischer Kampfgruppen.
Zwar steht Umfragen zufolge ein Großteil der Israelis hinter dem Militäreinsatz im Gaza-Streifen, doch die Zahl sinkt beständig, je länger der Krieg andauert. Und parallel dazu glaubt nur knapp ein Viertel daran, dass eine dauerhafte Verbesserung der Sicherheitslage die Folge sein wird. Im Hintergrund ist bereits deutlich zu beobachten, dass die klassischen Lager aus »Falken« und »Tauben« wieder deutlicher erkennbar werden. In jenen Umfragen, die die langfristige Stimmung abbilden, haben die Arbeiterpartei und die linksliberale Meretz Zulauf, die beide für diplomatische Lösungen eintreten. Den zentristischen Parteienneugründungen, allen voran jener des ehemaligen Moderators Jair Lapid, laufen hingegen die Wähler weg. Zu unklar sei ihr Profil im Angesicht der Gewalt, sagen die Meinungsforscher.
Die Polarisierung ist aber auch am Samstagabend deutlich sichtbar: Während die Menschen auf dem Rabin-Platz Kerzen für die Opfer anzünden, Plakate in die Höhe halten, ertönen von der angrenzenden Hauptstraße – jenem Ort, an dem 1995 Regierungschef Jiitzhak Rabin nach einer Friedensdemonstration von einem Ultrarechten ermordet worden war –, »Verräter«-Rufe und Pfiffe: Wenige hundert Gegendemonstranten aus dem Umfeld ultra-rechter Gruppierungen haben sich hier versammelt und werden von ebenso vielen Polizisten davon abgehalten, auf die Friedensdemonstranten loszugehen.
* Aus: neues deutschland. Montag, 28. Juli 2014
Europaweit Proteste gegen Krieg
Tausende verurteilen Israels Bombardements im Gazastreifen **
Drei Wochen nach Beginn der Angriffe auf den Gazastreifen haben am Wochenende in Europa erneut Tausende gegen Israels Vorgehen demonstriert. Die größten Proteste gab es in Paris, London und Tel Aviv. In Deutschland fanden am Samstag unter anderem in München, Frankfurt am Main, Berlin, Gießen, Hamburg und Kiel Demonstrationen statt, auf denen sich mehrere tausend Menschen für eine dauerhafte Waffenruhe und Frieden in Nahost einsetzten. Antisemitische Parolen wie einige Tage zuvor oder andere Zwischenfälle wurden nicht bekannt.
In Frankfurt rief die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen die israelische Regierung und die radikal-islamische Hamas gleichermaßen auf, »die Gewalt unverzüglich zu beenden«. In München erteilten Redner antisemitischen Äußerungen ausdrücklich eine Absage. In Berlin beteten Vertreter verschiedener Religionen am Sonntag gemeinsam für Frieden im Nahen Osten. Unterdessen werden die judenfeindlichen Äußerungen bei Protesten gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen von den muslimischen Verbänden in Deutschland unterschiedlich bewertet. Während der Koordinierungsrat der Muslime lediglich »Überreaktionen, die nicht akzeptabel sind«, sieht, hatte der Zentralrat der Muslime zuvor von Antisemitismus gesprochen und sich scharf distanziert.
In London demonstrierten am Samstag ebenfalls Tausende gegen Israels Militärschläge. Sie sammelten sich vor der palästinensischen Botschaft und zogen mit Transparenten zum Parlament, auf denen Parolen wie »Israel ist ein Terrorstaat« und »Freiheit für Palästina« zu lesen waren. Berichte über antisemitische Vorfälle gab es nicht.
In Frankreichs Hauptstadt kamen trotz eines Demonstrationsverbots am Samstag mehrere hundert Menschen zusammen, um gegen die Gewalt in Gaza zu protestieren. Die Teilnehmer schwenkten palästinensische Flaggen und riefen »Israel raus aus Palästina« oder »Israel Mörder«. Am Rande der Kundgebung kam es zu Ausschreitungen, Polizisten setzten Tränengas ein. Rund 40 Teilnehmer sollen in Gewahrsam genommen worden sein.
In Tel Aviv forderten am Samstag abend rund 7000 Menschen ein sofortiges Ende des Krieges gegen die palästinensische Zivilbevölkerung. Sie prangerten insbesondere Wirtschaftsminister Naftali Bennett von der rechtsgerichteten Partei »Das jüdische Haus« als »Kriegstreiber« an.
** Aus: junge Welt. Montag, 28. Juli 2014
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