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Israelische Friedensbewegung in schwieriger Lage

"Frieden jetzt!" - Aber wie?

Der nachfolgende Beitrag ist der Frankfurter Rundschau entnommen. Es sind Eindrücke, die hier wiedergegeben sind, Einzelstimmen von Friedensaktivisten, die sicher nicht repräsentativ sind für die gesamte Friedensbewegung. Um die ist es aber angesichts der zunehmenden Gewalt im Nahen Osten und der Gewaltbereitschaft des israelischen Militärs nach Außen (gegenüber den Palästinensern in den Autonomiegebieten) und nach Innen (gegenüber israelischen Arabern) stiller geworden. Dass es sie dennoch gibt und sich zu Wort meldet, dass sie vor allem Vorschläge hat, wie die Region zu einem dauerhaften Frieden kommen kann, haben wir an anderer Stelle schon dokumentiert (vgl das Interview mit Amira Gelblumund den Kommentar von Adam Keller). Die Korrespondentin hat die Kompliziertheit der Situation für die Friedensbewegung sehr gut eingefangen.

"Für mich ist Israel ein ganz trauriges Land"

Die israelische Friedensbewegung ist wie gelähmt und ohne Perspektive, aber aufgeben will sie trotzdem nicht
Von Inge Günther (Jerusalem)


Vor fünf Jahren haben sie um den einen getrauert, der wie kein anderer ihre Hoffnungen verkörperte. Die tödlichen Schüsse vom 4. November 1995 auf Yitzhak Rabin richteten sich auch gegen das israelische Friedenslager. Der Schmerz um ihr Idol saß so tief wie die Melancholie, die sich noch lange nach dem Alptraum des Attentats hielt. So rückten sie zusammen, die linken, die friedenssehnsüchtigen, die gutwilligen Israelis. Sie gingen auf die Straße, beweinten im Schein der angezündeten Kerzen den Verlust, aber sagten auch: Jetzt erst recht.

Das war damals. Heute herrscht die Angst, der Friedensprozess könnte in Gänze scheitern. Das Ritual zum Gedenken an Rabin ist zwar geblieben. Die brennenden Lichter, die wehmütigen Lieder, die politischen Reden. Über 100 000 Israelis sind auch diesmal, am fünften Jahrestag des Attentats, nach Tel Aviv gekommen, um beim Blick zurück neuen Mut für eine bessere, friedliche Zukunft zu schöpfen. "Noch haben wir die Hoffnung nicht verloren", steht auf einem ihrer Plakate, auf einem anderen: "Für Oslo gibt es keinen Ersatz." Elder Statesman Schimon Peres sagt, "wer Rabin folgt, muss wissen, dass der Weg nicht mit Rosen gestreut ist", und wird mit Ovationen für sein unerschütterliches Eintreten für Verhandlungskompromisse belohnt.

Und doch plagen die Friedensaktivisten innere Zweifel über die Richtung, von der sie jahrelang überzeugt waren. Dass die Rechten seit Wochen im Aufwind sind, weil die schon immer gewusst haben wollen, "mit der Arafat-Clique sei kein Frieden zu machen", verstärkt nur ihre Depression. Kaum einer unter den erklärten Peaceniks, der auf die Nachfrage, wie es denn gehe, nicht mit der Antwort "schrecklich" herausplatzt.

Er verspüre "angesichts der verheerenden Lage eine innere Leere wie nach dem Tod eines Freunds", bekennt Ari Rath. "Für mich ist Israel ein ganz trauriges Land geworden, weil mir meine israelische Gesellschaft, friedensliebend wie ich sie mir wünsche, abhanden kommt." Der 75-Jährige, der nach dem Anschluss Österreichs an das Nazi-Deutschland im Rahmen der Jugend-Aliya in das Mandatsgebiet Palästina flüchtete, hat zeit seines Lebens auf die Möglichkeit der Koexistenz gebaut. Er gehört nicht nur dem Beirat der Vierteljahresschrift Palestine-Israel Journal an, er gehört auch zu den wenigen Israelis, die auf persönliche Freundschaften zu Palästinensern Wert legen. Dass an einer Zwei-Staaten-Lösung kein Weg vorbeiführt, glaubt Ari Rath immer noch. "Aber es wird ein anderer Frieden sein, als ich ihn mir vorgestellt habe, eher einer mit Stacheldraht und Grenzverhau. Das Vertrauen ist weg."

Enttäuschung auf ganzer Linie herrscht auch bei Irene Steinfeldt, die sich in der Bewegung Schalom Achschaf ("Frieden Jetzt") von Beginn an engagiert hat. Desillusioniert ist sie über die zweideutigen Signale von PLO-Chef Yassir Arafat, seinen Zickzackkurs zwischen Gewalt- und Verhandlungsoptionen. Und fast ebenso über den israelischen Ministerpräsidenten. Ehud Barak, der in seinem gewagten Friedenskonzept keinen Platz für einen respektvollen Umgang ließ, weder mit Koalitionspartnern noch mit Palästinensern, habe sich als "solche Enttäuschung entpuppt, das tut richtig weh". Vor allem, da man doch im Spätsommer dachte, "die Lösung des Konflikts ist gleich hinter der nächsten Ecke zu finden". Nun, wo jeder Tag neue Gewalt bringe, allen Mühen um Deeskalation zum Trotz, "ist sie nicht mal am Horizont zu erkennen".

Nicht viel besser geht es Naomi Chazan, der Meretz-Abgeordneten, deren britischer Background eigentlich Garant ist, dass nicht Gefühle die Politik ersetzen. "All die Verrücktheit führt nirgendwohin", sagt sie und greift in ihrem Knesset-Büro nach einer Beruhigungszigarette. Aber selbst die kühle Weitdenkerin kommt an dem Eingeständnis nicht vorbei, dass sie eine solch "widerliche Lage" wie die derzeitige "noch nicht erlebt" hat. In den sieben Jahren der ersten Intifada war das israelische Friedenslager wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Eine einsame, oft angefeindete Minderheit, die aber immer präsent und aktiv war. Die folgenden sieben Jahren des Osloer Friedensprozesses schienen die Richtigkeit ihrer Überzeugungen zu beweisen. Sicher, es gab Rückschläge, aber keine Alternative zu ihren Ideen. "Rabin hat uns damals mit der Anerkennung der PLO sogar von links überholt", sagt Irene Steinfeldt, "plötzlich saßen wir im Establishment." Jetzt fühlen sich viele, als ob ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Dennoch, aufgeben will keiner von ihnen.

"Nach dem ersten Schock", findet die Knesset-Abgeordnete Chazan, "müssen wir wieder unseren Kopf gebrauchen." Zu gefährlich sei das Gerede darüber, den Palästinensern eine nicht dagewesene Lektion zu erteilen - eine These, die nach den Lynchmorden von Ramallah und dem jüngsten Bombenattentat in Jerusalem selbst in den Reihen der Arbeitspartei inzwischen eine gewisse Popularität genießt. "Sollen wir etwa noch mehr Palästinenser töten? Das wäre unverantwortlich und führt nirgendwohin, es sei denn in den Krieg."

Also zurück an den Verhandlungstisch, so schnell als möglich. Auch wenn seit der Intifada 2000 der Bruch im Verhältnis zu den Palästinensern nicht zu übersehen ist, dürfe das Ziel nicht aus den Augen verloren werden, stimmt die Peace-Now-Aktivistin Steinfeldt zu. "Wir sagen, man muss sofort verhandeln und nicht: erst müssen die Schießereien aufhören." Ansonsten bestimmt die Analyse dessen, was schief gelaufen ist bei der hektischen Kompromisssuche rund um Camp David, die pausenlosen Debatten: abends beim Rotwein wie tagsüber bei der Arbeit. Ohne ein ausreichendes Vorverständnis zwischen Israelis und Palästinensern über die Konturen eines Friedensvertrages einen Marathon-Gipfel erzwungen zu haben, das hält Chazan inzwischen für einen der Gründe seines Scheiterns. Nie zuvor hatten sich schließlich die offiziell beauftragten Unterhändler an das heiße Eisen Jerusalem herangewagt. Ein anderer Schwachpunkt: "Baraks Ansatz, ,friss, was ich dir biete oder vergiss es'. Das hat Arafat nur in die Ecke getrieben." Nicht, dass Chazan den Palästinenser-Führer in Schutz nehmen will. "Beide Seiten haben Fehler begangen." Aber man sollte bitte schön zunächst nach den eigenen Irrtümern forschen, statt allein den anderen Vorwürfe zu machen. Ohnehin ist die linke Abgeordnete überzeugt, dass ein wirklicher Neubeginn von Verhandlungen nur auf Basis des in Camp David Erreichten möglich ist oder mit noch mehr Zugeständnissen. So schwer das für die meisten Israelis zu schlucken sein werde.

Eine Crux. Einerseits kristallisiert sich heraus, wie sehr die Friedensbewegung Recht hatte, als sie vor dem Siedlungsausbau in Gaza und Westbank warnte. Die sich allmählich zu einem Guerillakrieg auswachsenden nächtlichen Attacken palästinensischer Freischärler auf jüdische Enklaven verdeutlichen in krasser Weise, wie verzwickt die Lage ist, auch für das israelische Militär. Vor "Oslo" lebten 100 000 Siedler im Westjordanland, heute sind es doppelt so viele. Barak, der Friedensprotagonist, hat zu ihrem Wachstum so viel beigetragen wie kaum einer vor ihm. Dass sein Bauminister Yitzhak Levy von den Nationalreligiösen "rechts und links Genehmigungen unterschreiben durfte", bringt Irene Steinfeldt nach wie vor auf.

Andererseits sieht sie in der aufgeheizten Stimmung weniger Chancen als je, das Problem an der Wurzel zu packen. Vielleicht mutet deshalb der Versuch von Schalom Achschaf eher halbherzig an, wenigstens 25 Siedlungssprengsel auszuweisen, deren Herausnahme eine immerhin nennenswerte Rückgabe von palästinensischem Land ermöglichen könnte.

Ein politischer Dialog zwischen friedenswilligen Israelis und Palästinensern findet so gut wie nicht statt. Ab und an wird telefoniert. Doch eine gemeinsame Sprache zu finden fällt wahnsinnig schwer. Wie soll dies auch gehen, sagt Steinfeldt. "Wir regen uns auf, dass Fatah-Kämpfer hinter einer Vorhut Steine werfender Kids auf unsere Soldaten schießen. Die Palästinenser dagegen sind außer sich, weil unsere Armee so viele von ihnen getötet hat, darunter auch Kinder." Und, offen gestanden, könnte sie selbst in einem solchen Gespräch mit ihrer Meinung über die palästinensische Führung nicht hinterm Berg halten. "Wenn die einen Staat haben will, muss sie Verantwortung übernehmen." Das Friedenslager befindet sich in seiner ärgsten Krise. Sie geht noch tiefer als jene nach der Bombenserie im Jahr 1996. Ein Rechtsruck droht, aber realistische Alternativen dazu sind nicht in Sicht. Was die tief verletzten menschlichen Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern betrifft, fühlt sich Ari Rath gar an dunkle Staatsgründerzeiten erinnert. "So unmittelbar verkriegt waren wir seit 1948 nicht." Wo er früher Freunde besuchte, kann er sich heute nicht hinwagen. Dort ist Feindesland. Und sicher weiß er nur eines. "Es wird lange dauern, bis die gegenseitig zugefügten Wunden wieder heilen werden."
Aus: Frankfurter Rundschau, 06. Oktober 2000

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