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Was macht die israelische Friedensbewegung?

Ein Interview mit Amira Gelblum von der israelischen Frauenorganisation »Women in black« (Frauen in Schwarz)

F: Am Sonnabend fand in der israelischen Hauptstadt Tel Aviv eine Demonstration gegen einen drohenden Krieg statt. Was waren die Forderungen der Teilnehmer?

Die beiden Hauptforderungen waren eine sofortige Einstellung der militärischen Maßnahmen und die Gleichbehandlung aller Bürger in Israel. Aber die Demonstranten beteiligten sich aus vielen unterschiedlichen Beweggründen an den Protesten. Es war keine Mobilisierung einer gewissen Partei oder Gruppe. Wenn es aber eine gemeinsame Forderung der Demonstranten gab, dann war es ein sofortiger Stopp der militärischen Besetzung palästinensischer Gebiete. Die Hauptforderung ist schlicht Frieden, und das unterscheidet sich ganz erheblich von dem, was Israel den Palästinensern derzeit anbietet.

F: Wie viele Menschen haben an den Protesten am Sonnabend teilgenommen?

In Tel Aviv nahmen ungefähr 500 Menschen an den Protesten teil. Es gab aber noch eine zweite Demonstration in der Hafenstadt Haifa, die wohl größer war. Die Friedensbewegung ist aber weitreichender, als diese Zahlen vermuten lassen.

F: Warum kamen dann also nur 500 Friedensaktivisten in Tel Aviv?

Weil der israelische Ministerpräsident Ehud Barak die Mehrheit der Israelis offenbar davon überzeugt hat, den Palästinensern ein faires Angebot gemacht zu haben. Daher genießt er unter den Israelis große Unterstützung für seine Politik.

F: Welche Teile der Gesellschaft beteiligen sich an den Friedensdemonstrationen in Israel?

Es sind vor allem Teile der alten Linken. Menschen, die schon vor dem Abkommen von Oslo vor sieben Jahren in der Friedensbewegung aktiv waren. Diejenigen, die nach dem Osloer Abkommen aktiv geworden sind, unterscheiden sich grundsätzlich von dieser Bewegung.

F: Welche inhaltlichen Differenzen bestehen denn zwischen den beiden Bewegungen?

Das ist recht kompliziert. Die »alten« Aktivisten, also diejenigen, die schon vor 1993 aktiv waren, haben an erster Stelle einen sofortigen Rückzug der Siedler in der Westbank gefordert. Diese Politik ist in der Zwischenzeit aber noch härter durchgesetzt worden, was auch eine Folge des Osloer Abkommens ist. Die sogenannte Linke in Israel ignoriert vehement die Tatsache, daß auch und besonders unter Ehud Barak die Siedlungspolitik in der Westbank ausgedehnt wurde. Mehr noch als unter seinem rechten Vorgänger Benjamin Netanjahu.

F: Wie war denn die Stimmung unter den Demonstranten?

Schlecht. Die Stimmung ist sehr depressiv. Natürlich fühlen sich die Menschen der Eskalation von Gewalt ohnmächtig gegenüber. Die Hoffnung auf eine »gute« Lösung ist nicht sehr groß. Die Gewalt eskaliert auf beiden Seiten. Das größte Problem ist, daß niemand eine politische Lösung anbietet. Die Haltung der anderen Seite gegenüber wird zunehmend unnachgiebig. Wir erleben eine enorme Zunahme von Rassismus, der in den letzten sieben Jahren mit vorsichtigen Annäherungen an Boden verloren hatte. Wir fühlen uns um zwanzig Jahre zurückgeworfen. Und das ist natürlich sehr deprimierend. Nach ersten Fortschritten haben wir in den vergangenen Tagen ein riesigen Rückschritt gemacht, dessen Konsequenzen für die Region noch unabsehbar sind.

F: Am heutigen Montag beginnt in Ägypten ein israelisch- palästinensischer Gipfel unter der Kontrolle der Vereinigten Staaten. Was erhoffen Sie sich von diesem Treffen?

Eine Frage, die sich in diesen Tagen viele Menschen stellen. Ich erwarte von diesem Treffen aber nicht viel. Das höchste, was erreicht werden kann, ist ein Aussetzen der Gewalt - ein Ziel, das objektiv zu befürworten ist. Politisch aber wird es kaum einen Fortschritt gegen. Eine ernsthafte Diskussion über Lösungsmodelle wird ja noch nicht einmal ansatzweise in Betracht gezogen. Dieser neuerliche Nahostgipfel ist inhaltlich sehr, sehr begrenzt, es gibt nicht viel Spielraum für effektive Verhandlungen.

F: Welche Schritte müßte die israelische Regierung in der derzeitigen Situation also unternehmen, um die Gewalt zu stoppen und eine Befriedung der Region wieder in greifbare Nähe zu rücken? Welche Alternativen bietet die Friedensbewegung an?

Nun, wir werden leider nicht gefragt. Ein erster Ansatz wäre aber die Gleichbehandlung aller israelischen Bürger. Die Ungleichbehandlung zeigt sich schon im Umgang mit Demonstranten. Während es auf palästinensischer Seite rund 100 Tote gab, die von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurden, geht gegen uns niemand vor. Es gibt keine Übergriffe auf israelische Demonstrationen. Das ist ein sehr deutliches Indiz, daß die Palästinenser nicht, wie es gerne behauptet wird, als gleichwertige Bürger anerkannt sind. Diese Forderung ist sehr klar und sehr einfach.

In bezug auf die palästinensischen Autoritäten sind alternative Politikansätze sehr viel komplizierter, wie auch die gesamtpolitische Situation komplizierter ist. Den Palästinensern sollten Lebensumstände geschaffen werden, in denen sie auch leben können und nicht in einem permanenten Ausnahmezustand verbleiben.

Interview: Harald Neuber

Aus: junge welt, 16. Oktober 2000

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