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Do it again, Ireland

In einem zweiten Referendum soll die irische Bevölkerung am Freitag über den Lissabon-Vertrag entscheiden

Von Claudia Haydt *

Zeitungen und Straßen in Irland sind voll von Anzeigen und Plakaten, die für die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag werben. Finanziert wurden viele dieser Plakate durch die EU-Kommission in Brüssel, die 1,5 Millionen Euro für eine massive Medienkampagne zur Verfügung gestellt hat. Slogans wie »Yes to Jobs, yes to Europe« drohen beinahe unverhohlen mit wirtschaftlichen Konsequenzen für das ohnehin schwer von der Krise gebeutelte Land, sollte noch einmal das Nein zum Vertrag eine Mehrheit finden. Die irischen Mainstreammedien haben bereits vor dem letzten Referendum alles andere als fair berichtet. Daß Regeln der fairen demokratischen Berichterstattung jedoch noch wesentlich gründlicher verletzt werden können, zeigt sich zur Zeit. Über Auftritte von EU-Politikern aus Brüssel wird ausführlich berichtet – wenn sie für den Vertrag werben. Kritische Stimmen aus dem EU-Ausland, die in Irland in den letzten Tagen ebenfalls sehr häufig zu hören waren, werden nicht oder nur am Rande erwähnt.

Kampf mit Umfragen

Am Freitag, dem 2. Oktober, werden die Menschen in Irland noch einmal abstimmen. Irische Zeitung berichten von Meinungsumfragen, bei denen das Ja deutlich vorne liegt. Die Sunday Business Post sieht eine Mehrheit von 55 Prozent für den Vertrag und 27 Prozent dagegen. Die Irish Times ermittelt 48 Prozent dafür und 33 Prozent dagegen. Kaum berichtet wird jedoch über eine Umfrage der Sozialforscher von »Gael Poll«, die im gleichen Erhebungszeitraum etwa 1500 Menschen aus unterschiedlichen Regionen befragt haben. Allein diese Datengrundlage ist deutlich umfassender als die der anderen Erhebungen. Was »Gaell Poll« jedoch zu einer gewichtigen Quelle macht, ist die Tatsache, daß sie mit dem gleichen Untersuchungsdesign beim letzten Referendum mit ihren Prognosen sehr dicht am tatsächlichen Ergebnis lagen. Am 4. Juni 2008 veröffentlichten sie in der Irish Sun ein Umfrageergebnis mit 54 Prozent für das No-Lager und 46 Prozent für ein Ja. Bei der Abstimmung am 13. Juni 2008 lag das tatsächliche Ergebnis dann bei 53,4 Prozent »Nein« und 46,6 Prozent Zustimmung. Wenn nun das gleiche Institut auch für das jetzt anstehende Referendum eine ablehnende Mehrheit prognostizierte (59 Prozent), dann ist dies sehr ernst zu nehmen.

Der Verfassungsvertrag wurde 2005 durch das Nein der Bevölkerungsmehrheiten in Frankreich und den Niederlanden gestoppt. Damit der formal, aber nicht inhaltlich, überarbeitete Lissabon-Vertrag nicht ebenfalls am Willen der Bevölkerung scheitert, wurde, außer in Irland, in keinem einzigen Land ein Referendum durchgeführt. Präsident Horst Köhler hat durch seine Unterschrift unter den Vertrag am 25. September den Ratifizierungsprozeß für Deutschland abgeschlossen. Nun muß der Lissabon-Vertrag, neben Irland, nur noch in zwei weiteren Staaten ratifiziert werden. Was oberflächlich wie ein großer Erfolg aussieht, birgt jedoch immer noch jede Menge Risiken in sich. Besonders bei einem irischen Nein. Der polnische Staatspräsident will erst ratifizieren, nachdem Irland zugestimmt hat, und der tschechische Präsident Vaclav Klaus möchte mit seiner Unterschrift warten, bis der tschechische oberste Gerichtshof über eine zweite Klage von tschechischen Senatsabgeordneten, die am 29. September eingelegt wurde, entschieden hat. Dadurch könnte sich die tschechische Unterschrift bis ins Jahr 2010 verzögern; besonders bei einem irischen Nein ist nicht mit einer Unterschrift von Klaus zu rechen. Im Frühjahr nächsten Jahres wiederum finden in Großbritannien Wahlen statt. Die britischen Konservativen kündigen bereits jetzt an, daß sie ein Referendum durchführen und gegebenenfalls die britische Unterschrift zurückziehen würden, wenn der Lissabon-Vertrag im nächsten Jahr noch nicht abschließend ratifiziert ist.

Unverbindliche Zusagen

Das vorliegende Verfassungsprojekt steht und fällt also mit dem Referendum in Irland. Um den Wählern ein Ja schmackhafter zu machen, hat die irische Regierung im Juni dieses Jahres eine Reihe von »Garantien« mit der Europäischen Union ausgehandelt, die die Bedenken in der irischen Bevölkerung zerstreuen sollen. So soll Irland auch in einer verkleinerten Kommission einen Kommissar stellen dürfen, die irische Neutralität und Steuer- sowie Abtreibungsgesetzgebung sollen geachtet werden. Bei der Abtreibungsfrage geht es vor allem um die Befriedung der katholischen Kirche Irlands. Doch Analysen der Motivation des Nein-Lagers beim letzten Referendum kamen klar zum Ergebnis, daß das Nein vor allem bei jungen Menschen und bei Frauen favorisiert wurde. Beide Gruppen sprechen sich mehrheitlich für liberalere Abtreibungsgesetze aus. Wichtiger ist die Frage der Neutralität, da die NATO-Gegnerschaft in der Bevölkerung weit verbreitet ist und eine militarisierte Europäische ­Union wenige Freunde in Irland hat. Auch Fragen der Privatisierung, der Arbeiterrechte, der Gesundheitsversorgung und der Regulierung der Landwirtschaft spielen eine wichtige Rolle bei der Ablehnung. Nur einem Teil dieser Bedenken wurde in den verhandelten »Garantien« überhaupt Rechnung getragen. Doch auch sie sollen nicht Teil des Vertragstextes des Lissabon-Vertrags werden. Damit sind sie nicht verbindlich und haben den Charakter unverbindlicher Willenserklärungen.

Nach dem letzten Referendum haben irische Politiker versprochen, sie würden die Bevölkerung nicht ein zweites Mal über den gleichen Text abstimmen lassen. Doch genau das findet jetzt statt. Entsprechend wütend sind viele Menschen in Irland. Die Meinungsforscher von »Gael Poll« beschreiben dies so: »Nein-Wähler sind tendenziell wütend und bereit zu kämpfen, während Ja-Wähler eher von ökonomischen Ängsten motiviert sind.« Der Ausgang der Wahlen wird stark von der Wahlbeteiligung abhängen. Wie hoch diese sein wird, wagt niemand vorherzusagen. Michael Youlton, einer der führenden Köpfe der irischen progressiven Nein-Kampagne, geht von einem knappen Ergebnis aus, und befürchtet weiteren Sozialabbau für den Fall eines Ja zum Lissabon-Vertrag. Aber: »Ein Nein wird die Regierung stürzen. Wir werden Neuwahlen haben und die Chance auf ein neues Kapitel in der irischen und europäischen Politik.«

* Aus: junge Welt, 1. Oktober 2009


Die EU-Währungsunion kommt Irland teuer zu stehen

People’s Movement, eine Organisation der linken Gegner des Lissabon-Vertrages, veröffentlichte im Rahmen der Kampagne für ein Nein das Papier »Lissabon und die Wirtschaft«. Die "junge Welt" dokumentiert einen Auszug:

Für Irland und andere Länder der Peripherie war die Wirtschaftskrise besonders hart. 1979 brach Irland mit dem englischen Pfund. Bis 2001, als wir der Wirtschafts- und Währungsunion der EU beitraten, genoß die irische Währung Flexibilität innerhalb des Wechselkursmechanismus. Diese Flexibilität erlaubte uns, den Finanzkrisen von 1986 und 1993 wirkungsvoll durch Abwertung unserer Währung um zehn Prozent zu begegnen. Viele Ökonomen verbinden mit dieser Maßnahme den Anfangsschub für den »Keltischen Tiger«.

Mit der Übernahme des Euro übergaben wir die Kontrolle der Zinssätze an die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt in dem naiven Glauben, daß sie Sätze festlegen würde (oder könne), die für alle Ökonomien in der 16-Mitglieder-Eurozone passen würden. Bei einer Gesamtbevölkerung von 325 Millionen Menschen wird die Eurozone von den größten Ländern Kontinentaleuropas dominiert, Deutschland und Frankreich, die eine Bevölkerung von 82 Millionen Menschen bzw. 65 Millionen haben. Laut der Aufstellung des Internationalem Währungsfonds von 2008 liegen Deutschland und Frankreich nach Größe des jährlichen Bruttoinlandsprodukts an vierter und fünfter Stelle in der Welt. Zusammen betrug es in beiden Ländern umgerechnet 6,533 Billionen US-Dollar, das Irlands 270 Milliarden US-Dollar.

Nach der »Dot.com-Blase« von 1995 bis 2001 lernten wir die harte Politik der EZB kennen, mit der sie die Interessen der ökonomischen Schwergewichte durchsetzte. (…) Wenn der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt, sieht er enorme Befugnisse der EZB für ein Diktat in der Wirtschafts- und Finanzpolitik vor. (…) Zur Zementierung des ungleichen Gewichts kleinerer Staaten gegenüber Frankreich und Deutschland heißt es: »die Stimmen im Gouverneursrat werden entsprechend den Anteilen der nationalen Zentralbanken im Einlagenkapital der EZB gewichtet«.

Quelle: junge Welt, 1. Oktober 2009




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