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Kein Bündnis der Parias

Analyse. Angeblich soll es ein riesiges Rohstoffgeschäft zwischen Rußland und Iran geben. Doch einer Zusammenarbeit stehen Konkurrenz und Mißtrauen entgegen Von Knut Mellenthin *

Von Knut Mellenthin *

Rußland will dem Iran beim Umgehen der US-Sanktionen helfen, indem es ihm fünf Jahre lang 500000 Barrel Rohöl pro Tag (bpd) abnimmt und als eigenes weiterverkauft. Von Moskau sollen die Lieferungen, die einen Wert von ungefähr 18 bis 20 Milliarden Dollar pro Jahr haben, mit Waren, Dienstleistungen und Investitionen bezahlt werden. Dazu sollen unter anderem Atomkraftwerke, Schienen und anderes Material für den Eisenbahnbau, Hilfe bei der Elektrifizierung des iranischen Bahnnetzes, schwere Lkw, Raffinerien und Gerät für die Gas- und Erdölförderung gehören.

Die außerordentliche Dimension des Geschäfts wird bereits deutlich, wenn man dagegenhält, daß sich heute das Volumen des Handels zwischen dem Iran und Rußland nur auf fünf Milliarden Dollar jährlich beläuft und damit ungefähr den gleichen Umfang hat wie der Warenaustausch zwischen Iran und Afghanistan. Außerdem entsprächen 500000 bpd rund 40 Prozent des gegenwärtigen iranischen Erdölexports. Es ist ungefähr die Menge, die China im Durchschnitt dieses Jahres dem Iran abgekauft hat, vielleicht etwas weniger.

Ein fraglicher Öldeal

Die Sache hat allerdings einen Haken: Es handelt sich lediglich um Gerüchte, die zwar schon seit Januar in der Welt, aber von keiner Seite auch nur teilweise bestätigt sind. Andererseits haben weder der Iran noch Rußland die Spekulationen wirklich eindeutig dementiert oder gar Klarstellungen veröffentlicht. Beiden scheint die sensationelle Geschichte nicht unwillkommen, um die US-Regierung zu irritieren. Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Deals und damit zusammenhängende Aspekte der russisch-iranischen Beziehungen sollen hier betrachtet werden.

Es fällt auf, daß die Verbreiter des Gemunkels zwar vieles zu wissen vorgeben, aber über einen zentralen Punkt der Angelegenheit schweigen: Wie soll das angeblich geplante Riesengeschäft eigentlich abgewickelt werden? Vorstellbar wäre zum Beispiel, daß das Öl in Wirklichkeit nur in der Buchführung den Besitzer wechselt, ohne daß sich an den Transportwegen etwas ändert und ohne daß auch nur ein Barrel dieser iranischen Ressource russisches Territorium erreicht. Das Erdöl könnte weiterhin vom Terminal auf der Insel Kharg am Persischen Golf auf Tankern der Islamischen Republik in die Zielländer China, Indien, Japan und Südkorea transportiert werden, und es müßte auf den Schiffen noch nicht mal eine russische Flagge wehen. Allerdings wird dieser Trick das US-Finanzministerium nicht so stark beeindrucken, daß es darauf verzichten würde, die Empfänger mit Sanktionen unter Druck zu setzen.

Plausibel wäre die Vorstellung, daß Iran zumindest einen Teil des Öls wirklich nach Rußland liefert, das ihn ortsnah verbrauchen oder in seine Netze einspeisen könnte. Das Äquivalent aus ostsibirischen und fernöstlichen Quellen könnte Moskau dann über schon vorhandene oder künftig auszubauende Pipelines nach China schicken. Das würde den bisherigen Transportweg vom Iran nach China deutlich abkürzen und eine hübsche Ersparnis schaffen, die allen Teilnehmern dieses Dreiecksgeschäfts zugute kommen könnte.

Aber das ist beim Stand der Dinge nur ein Gedankenspiel. Außerdem gäbe es zunächst technische Hindernisse zu überwinden, was erhebliche Anfangsinvestitionen erfordern würde. Rußland und der Iran haben keine gemeinsame Landgrenze. Läßt man die äußerst unwahrscheinliche Möglichkeit außer acht, das direkt an Iran grenzende Turkmenistan in den Deal einzubeziehen, bliebe nur der Seeweg über das Kaspische Meer, den größten Binnensee der Welt.

Da gäbe es aber gleich mehrere Probleme. Erstens liegen die gegenwärtigen Fördergebiete des Iran hauptsächlich im Süden des Landes, am Persischen Golf. Das Öl müßte also von dort durch eine noch zu schaffende Pipeline ans Kaspische Meer transportiert werden. Ein entsprechender Terminal müßte erst noch gebaut werden. In Frage käme der bereits existierende Hafen von Anzali, der in einer wirtschaftlichen Sonderzone liegt. Zweitens: Rußland hat Erdöl im Überfluß. Sein Verteilungssystem ist ausschließlich auf Export, nicht auf Import eingestellt. Es müßten also Anlagen gebaut werden, die geeignet wären, größere Mengen des iranischem Energieträgers aufzunehmen und weiterzuleiten.

Das Sanktionsregime

Wenn russische Firmen Teheran tatsächlich helfen würden, die indirekten Sanktionen der USA in einem so großen Umfang, wie angeblich geplant, zu unterlaufen, würden sie selbst zum Objekt US-amerikanischer Strafmaßnahmen. Das würde sogar unabhängig von der Verletzung der Bestimmungen gelten, mit denen Washington den iranischen Erdölexport permanent nach unten zu regulieren versucht.

Diese komplizierten Maßnahmen sind durch eine Ergänzung zum Staatshaushalt begründet, die der US-Kongreß im Dezember 2011 gegen den offen und scharf erklärten Willen des Weißen Hauses und des State Department verabschiedet hatte. Präsident Barack Obama unterzeichnete erst mehrere Monate später, im Frühjahr 2012, nachdem klar war, daß die EU mit Wirkung ab 1. Juli des Jahres ein totales Embargo gegen iranisches Öl und Gas verhängen würde. Diese US-amerikanischen Bestimmungen drohen grundsätzlich allen Unternehmen und Ländern mit Strafen, insbesondere mit Ausschluß vom Finanzmarkt der USA, die weiterhin iranisches Erdöl importieren. Von der Vollstreckung dieser Maßnahmen kann jedoch abgesehen werden, so lange die betroffenen Länder ihre Importmengen regelmäßig senken. Die US-Regierung muß alle sechs Monate gegenüber dem Kongreß erklären, ob das der Fall ist. Gleichzeitig wird den Einfuhrländern eine Art Lizenz für das nächste halbe Jahr erteilt. Seitdem diese Beschlüsse Gesetzeskraft erlangten, wurde nicht eine einzige Lizenzverlängerung verweigert, und es wurden keine Strafen in diesem Zusammenhang verhängt.

Es handelt sich, nebenbei gesagt, um eines jener Sanktionsgesetze, die sogar dann fortbestehen würden, wenn Iran und seine sechs internationalen Verhandlungspartner sich wider Erwarten auf ein Gesamtabkommen zur Beilegung des Konflikts um sein Atomprogramm einigen könnten. Denn der Kongreß hat seine Ergänzung nicht nur mit Irans angeblichem Streben nach Atomwaffen begründet, sondern auch mit der unterstellten »Unterstützung des internationalen Terrorismus« und dem Vorwurf der »Geldwäsche«. Einer Aufhebung des Gesetzes müßten Abgeordnetenhaus und Senat zustimmen. Mehrheiten beider Häuser haben aber schon angekündigt, daß sie das nicht tun würden, bevor alle gegen Iran erhobenen Vorwürfe ausgeräumt sind, was praktisch auf die Forderung nach einem »Regimewechsel« in Teheran hinausläuft. Daher könnte Teheran selbst bei günstigstem Verhandlungsverlauf nur ein vages Versprechen der US-Regierung bekommen, von diesem Gesetz so wenig Gebrauch wie möglich zu machen.

Ähnliches gilt auch für einen großen Teil der übrigen US-amerikanischen Sanktionen gegen den Iran und dessen Handelspartner. Über diese Tatsache sprechen die »Optimismus«-Darsteller der seit August 2013 amtierenden iranischen Regierung höchstens in unverständlichen Andeutungen. Ihrer Bevölkerung verkünden sie lieber, daß die Gegenseite »kapituliert« habe, daß das Sanktionssystem sich schon »im Zusammenbruch« befinde und daß es in Kürze völlig verschwunden sein werde. Wie sie aus dieser Illusionsmacherei wieder herauskommen wollen, falls die Wiener Verhandlungen der Sechsergruppe nicht zum Erfolg führen, ist vorerst nicht erkennbar. Teherans erste Reaktionen auf die am vorigen Freitag von der US-Regierung bekanntgegebene Erweiterung der schwarzen Liste bestrafter iranischer und ausländischer Personen und Unternehmen waren heftig und zeugten von Enttäuschung, blieben aber ohne praktische Konsequenzen. Präsident Hassan Rohani wiederholte am Sonnabend auf einer Pressekonferenz sogar seine Standardbehauptung, selbst im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen könne »das strike Sanktionsregime, das vor einem Jahr gegen Teheran in Kraft war, nicht wiederbelebt werden«.

Zurück zu den Folgen der seit 2012 bestehenden indirekten Sanktionen der USA gegen die Käufer iranischen Öls und des totalen Öl- und Gasembargos der EU. Iran hatte 2011 zwischen 2,4 und 2,5 Millionen bpd Erdöl exportiert. Davon waren im Schnitt etwa 600000 bpd in die Länder der Europäischen Union gegangen. Im Jahr 2013 verkaufte Iran nur noch 1,0 bis 1,1 Millionen bpd ins Ausland. Durch die 2012 verhängten westlichen Sanktionen sank die iranische Ausfuhr also um ungefähr 1,4 Millionen bpd. Davon dürften überschlägig 800000 bpd den von der US-Regierung erzwungenen Reduzierungen der asiatischen Großkunden zuzurechnen sein.

Rivalen statt Partner

Rußland ist mit etwa fünf Millionen bpd der zweitgrößte Erdölexporteur hinter Saudi-Arabien. Es kann den russischen Unternehmern dieser Branche nicht unwillkommen gewesen sein, daß durch die westlichen Sanktionen 1,4 Millionen bpd iranisches Öl vom Weltmarkt genommen wurden. Die Mutmaßung, Rußland könne bereit sein, einem wichtigen Konkurrenten beim Unterlaufen der Sanktionen zu helfen und dabei selbst Strafmaßnahmen in Kauf zu nehmen, wirkt vor diesem Hintergrund unrealistisch. Schließlich sind die Marktanteile umkämpft, denn es wird gegenwärtig weltweit betrachtet mehr Öl gefördert als verbraucht. Eine neue Rezession, die eher wahrscheinlich als ausgeschlossen ist, würde die Schere zuungunsten der Erdölländer weiter aufgehen lassen.

Über diesen Aspekt wird in der auf »Optimismus« gleichgeschalteten iranischen Politik normalerweise nicht gesprochen. Um so mehr mußte es auffallen, daß sich im April der für das Ressort Internationaler Handel zuständige stellvertretende Ölminister, Ali Madschedi, ohne diplomatische Schnörkel dazu äußerte: Ein Handelsabkommen über Öl oder Gas zwischen dem Iran und Rußland zu schließen werde schwer werden, da die beiden Staaten Rivalen auf den Märkten für diese Rohstoffe seien. Das gelte auch für einen Barterdeal – ein Geschäft, bei dem bargeldlos Waren gegeneinander verrechnet werden. Dies sei viel schwieriger als mit einem Ölimporteur wie China. Madschedi sagte das auf einer Pressekonferenz am Rande eines Kongresses in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Nachricht wurde von Reuters verbreitet und nur von wenigen iranischen Medien unter Berufung auf diese Agentur wiedergegeben.

Tatsächlich wird der Konkurrenzkampf bereits offen ausgetragen und von iranischer Seite aggressiv, aufdringlich und politisch denkbar unklug geführt. Angesichts der sich verschärfenden westlichen Konfrontations- und Sanktionspolitik gegen Rußland preisen iranische Spitzenmanager den europäischen Ländern ihre Konzerne als die beste, garantiert zuverlässige Alternative sowohl für die Gas- als auch für die Ölversorgung an. Das geht so weit, daß den Europäern detaillierte Angebote unterbreitet werden, den im Grunde schon gescheiterten Plan der »Nabucco«-Pipeline doch noch zu retten, durch den Rußlands eigenes South-Stream-Projekt vereitelt werden sollte. Als einer der Werber trat Anfang August der eben schon zitierte Madschedi auf, der sogar Irans »Potential« zum Export von Flüssiggas per Schiff hervorhob, obwohl sein Land über diese Technik noch nicht einmal ansatzweise verfügt.

Es ist nicht anzunehmen, daß die in den iranischen Medien in letzter Zeit ständig breitgetretenen Offerten an den Westen der Vertrauensbildung für eine engere Kooperation mit Rußland oder gar für ein so sensibles Geschäft wie den angeblich geplanten Öldeal dienen könnten. Sie lassen es auch wenig glaubwürdig erscheinen, daß der russische Konzern Gasprom sich wirklich mit der Lieferung von Ausrüstungen und Technologie sowie mit Investitionen an der Modernisierung der iranischen Gasförderung beteiligen könnte. Entsprechende Rahmenvereinbarungen, über die man sich im Grundsatz bereits einig sei, hatte der stellvertretende Ölminister Hamid Reza Araqi, der zugleich Chef der staatlichen Gasgesellschaft NIGC ist, Anfang Juli angekündigt.

Im Iran häufig auftretende Selbsttäuschungen und Selbstüberschätzungen kommen erschwerend hinzu: Die EU hat ein Öl- und Gasembargo gegen Teheran verhängt, und es sieht gegenwärtig nicht danach aus, als wollten die europäischen Regierungen dieses fallenlassen, um Rußland zu ärgern. Bestenfalls könnte ein Erfolg der Genfer Verhandlungen über das iranische Atomprogramm zu einer schrittweisen Änderung der Lage führen, aber der ist gegenwärtig eher unwahrscheinlich. Teheran hat daher realistisch betrachtet keine Gründe, dieses Thema jetzt öffentlich so hochzuspielen.

Berechtigte Skepsis

Außerdem ist Iran zwar einer der führenden Erdgasförderer der Welt, aber das meiste wird im eigenen Land zur Energiegewinnung verbraucht. Noch importiert Iran sogar etwas mehr Gas als es ausführt, was allerdings nur einer unzulänglichen Infrastruktur geschuldet ist. Sein einziger Großkunde ist die Türkei. Der strategische Plan einer Pipeline nach Pakistan und von dort aus weiter nach Indien und vielleicht sogar nach China ist an den Quertreibereien der USA gescheitert und kaum noch wiederzubeleben. Die aktuelle Ankündigung des iranischen Ölministers Bidschan Namdar Zanganeh, bis zum März 2017 Katar bei der Förderung im weltgrößten Gasfeld unter dem Persischen Golf zu überholen, an dem beide Staaten Anteile haben, ist Zukunftsmusik. Es gibt dafür keine Anhaltspunkte. Erforderlich wären große, langfristig orientierte ausländische Investitionen, die aber vermutlich ausbleiben werden, solange das indirekte US-Sanktionssystem potentielle Partner abschreckt.

Neben konkurrierenden Wirtschaftsinteressen steht einer qualitativ neuen Stufe der russisch-iranischen Kooperation das gegenseitige Mißtrauen im Wege. Auch wenn das gegenwärtig kein öffentlich erörtertes Thema ist, hat man im Iran selbstverständlich nicht vergessen, daß Rußland an vier Sanktionsresolutionen des UN-Sicherheitsrats (UNSC) beteiligt war, deren politischer Effekt hauptsächlich darin bestand, Iran international auf die Anklagebank zu setzen und ein freundliches Umfeld für die indirekten Sanktionen der USA und ihrer Verbündeten zu schaffen.

Unter Berufung auf die UNSC-Resolution 1929 vom 9. Juni 2010 weigert sich Moskau bis heute, den im Jahr 2007 mit Teheran geschlossenen Vertrag über die Lieferung von fünf Luftabwehrsystemen des Typs S-300 zu erfüllen. Diese Begründung ist an sich schon blanker Hohn, weil niemand Rußland gezwungen hat, der Entschließung, die unter anderem ein Waffenembargo gegen Iran vorsieht, zuzustimmen. Die S-300 war nicht das einzige, wenn auch mit rund 800 Millionen Dollar das größte bereits vereinbarte Projekt, das dieser Entscheidung Moskaus zum Opfer fiel. Im Iran vergißt man auch nicht, daß die definitive Aufkündigung des S-300-Vertrags durch den damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew im September 2010 nur der Schlußpunkt einer Reihe von ebenso zynischen wie durchschaubaren Manövern war, mit denen die russische Seite die drei Jahre zuvor beschlossene Lieferung immer wieder hinausgezögert hatte.

Auch die ständig auftauchenden Meldungen, daß der Iran sich von Rußland mehrere Atomkraftwerke bauen lassen wolle, sollte man nicht vorbehaltlos glauben. Zwar hat der Leiter der Atomenergiekommission des Iran, der frühere Außenminister Ali Akbar Salehi, am vergangenen Freitag öffentlich verkündet, daß ein Vertrag über zwei neue AKW »unterschriftsreif« sei und noch vor dem Rußlandbesuch von Präsident Rohani Ende September unterzeichnet werde. Aber die Geschichte des einzigen iranischen Kernkraftwerks bei Buschehr, das von russischen Unternehmen gebaut wurde, ist völlig ungeeignet, den Iranern Vertrauen in eine solche Partnerschaft einzuflößen. Als der Vertrag 1995 geschlossen wurde, war als Zeitpunkt der Fertigstellung das Jahr 2000 vereinbart. Bis der Reaktor nach zahlreichen Terminverschiebungen wirklich übergeben wurde, war es 2011 geworden. Sachliche Gründe dafür sind nicht erkennbar, wohl aber politische: Die USA hatten Moskau zunächst öffentlich stark unter Druck gesetzt, von dem Vertrag zurückzutreten, aber ihren Widerstand plötzlich aufgegeben. Schon damals war weithin vermutet worden, daß Rußland im Gegenzug versprochen habe, die Fertigstellung des AKW möglichst lange zu sabotieren.

Auf der anderen Seite ist allerdings auch schwer vorstellbar, daß Rußland wirklich bereit ist, im Iran neue Atomkraftwerke zu bauen. Technisch könnten diese nämlich der Gewinnung von waffenfähigem Plutonium aus den verbrauchten Brennelementen dienen. Um das im Fall des AKW Buschehr zu verhindern, hatte sich Moskau bereit erklärt, den Reaktor auf Lebenszeit mit Brennelementen zu versorgen, während Iran sich im Gegenzug verpflichten mußte, alle ausgebrannten Elemente nach Rußland zurückzuliefern.

Dieses Abkommen, das auch eine wichtige Rückversicherung Moskaus gegenüber dem Westen ist, wird aber seit Juli von der iranischen Seite in Frage gestellt. Salehi und andere haben öffentlich angekündigt, daß sie den Vertrag, der formal nur bis 2021 läuft, danach nicht mehr verlängern wollen. Ab diesem Zeitpunkt wolle Iran den Reaktor bei Buschehr mit selbsthergestelltem Brennstoff versorgen. Das wirft nicht nur eine Reihe von rechtlichen und technischen Problemen auf, sondern gefährdet auch die Vereinbarung über die Entsorgung der verbrauchten Brennelemente. Die iranische Seite hat bisher nirgendwo klargestellt, ob sie diese Praxis auch über 2021 hinaus beibehalten will. Solange Teheran diese Frage nicht eindeutig und vertraglich »wasserdicht« beantwortet, ist nicht damit zu rechnen, daß Rußland im Iran neue AKW – und damit auch potentielle Plutoniumfabriken – baut.

Allgemein gilt: Zwischen Iran und Rußland ist nichts sicher, bevor nicht präzise Verträge – und nicht etwa nur unverbindliche »Memoranden«, von denen es mittlerweile etliche gibt – unterschrieben sind. Und manches ist, wie die Baugeschichte von Buschehr oder die Kündigung des S-300-Vertrags zeigt, nicht einmal danach vor Demontagen gefeit. Was politisch naheliegend, einfach und alternativlos erscheint, nämlich eine engere Kooperation zwischen zwei Staaten, die sich ähnlichen Herausforderungen gegenübersehen, ist trotzdem in der Praxis schwer zu machen. In Moskau weiß man wahrscheinlich, daß sich der Iran, falls die Sanktionen und die damit einhergehende Feindseligkeit fortfielen, zumindest geschäftlich ganz schnell dem Westen zuwenden würde. Gegenseitiges Mißtrauen, überwiegend sachlich begründet, ist vermutlich der Hauptfaktor, der ein engeres Zusammenwirken der von der westlichen Politik betroffenen Staaten behindert.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 4. September 2014


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