Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kriegsdrohungen gegen Iran und Syrien

Die Aufgaben von Friedensforschung und Friedensbewegung


Von Lühr Henken und Peter Strutynski *

Die israelische Regierung droht mit einem Angriff auf iranische Atomanlagen. Sie befürchtet augenscheinlich, dass das schiitische Regime in Teheran heimlich den Plan verfolgt, eine Atomwaffe herzustellen, mit der sie ihre angeblichen Drohungen wahrmachen will, Israel auszulöschen.

Auf die Vorstellung, der Iran hätte eine Atomwaffe und entsprechende Trägermittel, kommen wir gleich zurück. Werfen wir zunächst aber noch einen kurzen Blick auf die Lage der atomaren Entwicklung im Iran. Die US-Geheimdienste bestätigen, dass der Iran keinen Entscheid für den Bau einer Bombe getroffen hat. Das Vorhaben sei seit 2003 eingestellt, sagen sie. Allerdings betonen westliche Geheimdienste auch, dass der Iran an den Komponenten und der Infrastruktur einer Bombe arbeite und die Urananreicherung vorantreibe. Das Programm zum Bau eines Atomsprengkopfs habe er aber nicht wiederaufgenommen. Wesentliche Komponenten sind unter Kontrolle der Atomenergiebehörde IAEO. Ob das wirklich alle sind, darüber gibt es Zweifel. Allerdings werden immer wieder Befürchtungen laut, dass die IAEO-Kontrollen vom Iran suspendiert werden könnten. Nur würde dies als Indiz dafür gewertet werden, dass nun der Bombenbau beginne. Falls der iranische Revolutionsführer Khamenei den Entschluss zum Bau einer Bombe fällen sollte, geht man im Westen davon aus, dass es noch etwa neun bis 12 Monate Arbeit bedürfte, bis eine Atombombe hergestellt sei. Damit wäre sie jedoch noch nicht transportierbar. Der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, Meir Dagan, geht davon aus, „dass Iran eine Atombombe frühestens Mitte des Jahrzehnts entwickelt haben werde und das auch nur, wenn nichts und niemand in die Quere komme. Bis Iran einen nuklearen Sprengkopf entwickelt habe, würden noch einmal drei Jahre vergehen. Das wäre 2018.“ (Der Spiegel 7.11.11)

Will der Iran die Bombe?

Zum Gedanken zurück, der Iran hätte eine Atombombe und entsprechende Trägermittel. Würde er diese gegen Israel oder auch gegen irgendein anderes Land in einem Erstschlag einsetzen? Falls ja, was hätte das zur Folge? Für das angegriffene Land: die Zerstörung. Und für den Iran? Der Selbstmord, denn das würde zu atomaren Gegenangriffen des Westens führen und den Iran auslöschen. Würde der Iran Israel atomar angreifen? Die Antwort ist Nein!

Weshalb regt sich dann die israelische Regierung so auf? Ihre Antwort: Sie befürchtet eine Kettenreaktion. Und zwar dergestalt, dass auch Saudi-Arabien, der erbitterte sunnitische Rivale des Iran, seine Drohung wahr macht, sich im Falle einer iranischen Atombombe, ebenfalls atomar zu bewaffnen. Gleiches wird mit einer gewissen Plausibilität Ägypten und der Türkei unterstellt.

Die Folge wäre, Israel würde sich von islamischen Atommächten eingekreist und seiner Alleinstellung als Atommacht im Nahen und Mittleren Ostens beraubt sehen. Die Folge wäre: Die islamischen Atomwaffen würden die völkerrechtswidrige israelische Besatzungspolitik gegenüber Palästina und Syrien erheblich erschweren. Israel würde sich durch einen vermeintlich erfolgreichen Krieg gegen den Iran seine Träume von einem Großisrael bewahren.

Außer Israel behaupten die USA und die EU, dass Iran sich um eine Atombombe bemühe. Nicht erst seit heute, sondern seit etwa 10 Jahren werden kampagnenartig Wellen der Hysterie über uns ergossen. Eine Atombombe in den Händen der Mullahs stelle eine Bedrohung nicht nur Israels und des Nahen Ostens dar, sondern durch den Ausbau iranischer Raketensysteme seien die USA und Europa mittel- bis langfristig selbst in Gefahr. Mittels eines Raketenabwehrsystems und massiven Handels- und Finanzembargos soll der Iran daran gehindert werden. US-Präsident Obama droht dem Iran spätestens für den Tag Krieg an, an dem er über Atomwaffen verfügt. Er sei kein Containment-Politiker und er bezeichnet das ausdrücklich nicht als Bluff. Es besteht also eine sehr ernste Kriegsgefahr.

Der Iran sieht sich bereits militärisch eingekreist. Denn US-Truppen befinden sich in allen arabischen Golfstaaten, in Bahrain ist das Hauptquartier der 5. US-Flotte und in Katar das US-Luftwaffenkommando für die Zentralregion. Der Iran grenzt an das NATO-Land Türkei und sieht sich NATO-Truppen in Afghanistan gegenüber. Die arabischen Golfstaaten haben in den USA Waffen für 120 Milliarden Dollar bestellt. Flugabwehrbatterien sind dort in Stellung gebracht. Deutsche Kampfpanzer sollen etwaige schiitische Aufstände in Saudi-Arabien niederschlagen – nachdem der Iran angegriffen wurde. Übrigens, der Iran gibt jährlich etwa 10 Milliarden Dollar für das Militär aus. Die Frage stellt sich: Wer bedroht eigentlich wen?

Neben der militärischen Einkreisung und Bedrohung sieht sich die iranische Regierung massiven Sanktionen ausgesetzt; sie kann das aus ihrer Perspektive nur als den Versuch des Westens bewerten einen Regimewechsel herbeizuführen.

Ein Regime Change in einem Land, dass über die drittgrößten nachgewiesenen Erdöl- und die zweit größten Erdgasreserven der Welt verfügt. Einem Land, das sich anschickt, eine Gaspipeline-Achse über Pakistan nach China, dem epochalen Herausforderer des Westens, zu etablieren, und der eigentlich auch als Lieferant für die Gaspipeline Nabucco gebraucht wird, um dieses 15 Milliarden Euro teure Projekt zur Gasversorgung der EU zu retten. Jedoch will sich die EU vom derzeitigen Regime nicht abhängig machen.

Die schmerzhaftesten Sanktionen stehen dem Iran jedoch noch bevor. Ab Juli wird der Import iranischen Erdöls in die EU komplett boykottiert. Das macht etwa ein Fünftel der iranischen Ölausfuhr aus. Bedeutender noch wird die Einstellung des internationalen Zahlungsverkehrs über die Genossenschaft Swift durch die EU sein. Die Möglichkeiten der Auslandsüberweisungen werden dadurch dramatisch eingeschränkt. Auch eine Bank in Dubai, über die 60 Prozent der Erdöleinnahmen an den Iran weitergeleitet wurden, hat auf Grund des Drucks aus den USA und der EU diese Tätigkeit seit Dezember eingestellt. Diese Maßnahmen haben noch zu keiner substantiellen Wirkung in Teheran geführt. Augenscheinlich setzen die EU und die USA zunächst auf diese Sanktionen. Entweder, um das Regime zur atomaren Kooperation zu bewegen oder das Land ökonomisch so sehr zu schwächen, dass seine Gegenwehr auf einen Angriff minimiert und unter Kontrolle gehalten werden kann.

Syrien am Rande des Bürgerkriegs

Syrien wird von einem despotischen Regime beherrscht, das sich mit Folter und Repression seit 50 Jahren an der Macht hält. Es ist im Gegensatz zu denen der Golfstaaten ein säkulares Regime, das insbesondere die sunnitischen Muslimbrüder und Salafisten unnachgiebig bekämpft und folglich sich einer saudischen Gegnerschaft bis Feindschaft gegenüber sieht. Syrien stand im iranisch-irakischen Krieg 1980 bis 1988 nicht auf Seiten der arabischen Länder, sondern auf Seiten des Iran. Aus dieser Zeit rührt die Nähe zum Iran und das Bündnis mit Teheran. Saudi-Arabien bekämpft das syrische Regime, um damit auch die Achse Teheran – Damaskus – Libanon (sprich Hizbullah) zu schwächen. Saudi-Arabien wird dabei insbesondere von Katar und den Emiraten unterstützt. Katar unterstützt die Muslimbrüder insbesondere durch seinen Sender Al Dschasira, die Emirate liegen im Streit mit dem Iran über drei Inseln in der Straße von Hormus.

Seit März 2011 sieht sich das Assad-Regime als Folge des „arabischen Frühlings“ einem zunächst ausschließlich friedlichen Aufstand gegenüber, der demokratische Reformen verlangt. Belegt ist, dass sunnitische fundamentalistische Kräfte aus der Golfregion bereits zu Beginn des Aufstands zur Radikalisierung beigetragen haben. Die Brutalität des syrischen Regimes jedoch hat zur Militarisierung des Aufstands geführt. Der haushoch überlegene Repressionsapparat hat die Auseinandersetzung zunehmend auf das militärische Schlachtfeld gelockt, um seine Überlegenheit auszuspielen. Die Opferzahlen reichen bis zu 9.000 getöteten Bürgerinnen und Bürger und 2.000 Mitglieder der Sicherheitsorgane. 20.000 Menschen gelten als vermisst. Die Zahl der Flüchtlinge wird auf 200.000 geschätzt, davon 30.000 im Ausland.

Die Opposition setzt sich vielschichtig zusammen und zeichnet sich vor allem durch Uneinigkeit aus. Die am häufigsten zitierte oppositionelle Vereinigung ist der „Syrische Nationalrat“, eine von den Muslimbrüdern beherrschte Exil-Organisation, die den Dialog mit Assad ablehnt, eine Militärintervention fordert und einen Militärrat gebildet hat, der zugegebene ausländische Waffenlieferungen koordinieren soll. Die Waffenlieferungen sind meist saudischen, katarischen und libyschen Ursprungs und werden über die Türkei, den Libanon, Jordanien und den Irak nach Syrien gebracht. Der militärische Widerstand, den es im Militärrat zu koordinieren gilt, nennt sich „Freie Syrische Armee“ und setzt sich vor allem aus Deserteuren zusammen. Ihr „Kommandant“ wirkt von der Türkei aus. Schätzungen über den Umfang dieser Milizen reichen von 2.000 bis 40.000. Einer kompetenten Autorin in der Neuen Zürcher Zeitung „erscheint eine Zahl im kleineren vierstelligen Bereich als realistisch.“ (NZZ 14.03.12) Sie gibt an, dass es eine solche Armee eigentlich gar nicht gäbe. „Was es gibt“, schreibt sie, „sind Dutzende kleinere Einheiten. […] keine Einheit nimmt von einer übergeordneten Stelle Befehle entgegen, ja die Einheiten koordinieren ihre Aktionen nicht einmal untereinander.“ Demnach würden allenfalls 3.000 Bewaffnete einer syrischen Armee von etwa 200.000 Heeressoldaten gegenüber stehen, die über annähernd 5.000 Kampf- und 5.000 Schützenpanzer verfügen. Die Armee ist auf dem Vormarsch und hat die Kontrolle in Homs und Idlib wieder an sich gerissen.

Die USA haben es nicht so eilig

Weitere wichtige Oppositionsgruppen im Land sind etwa 300 lokale Koordinierungskomitees, die die Demonstrationen im Land organisieren und bisher den friedlichen Widerstand propagieren. Eine bundesweite Kampagne hierzulande „Adopt the Revolution“ aus Kreisen der Friedensbewegung unterstützt diese Komitees mit Geldspenden. Das ist jedoch umstritten. Ein Grund ist: Es kann von hier nicht kontrolliert werden, was mit dem Geld geschieht. Und am 17. März 2012 war in der FAZ zu lesen: „In Syrien haben Oppositionelle im ganzen Land für eine ausländische Intervention demonstriert. Die lokalen Koordinierungskomitees stellten die Proteste am Freitag unter dieses Motto.“ Eine Bestätigung für diese Meldung haben wir allerdings bisher nicht finden können.

USA und EU setzen wie im Fall Iran auf die Isolation des Assad-Regimes und fordern den Rücktritt des Präsidenten. Das ist auch in der UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit bestätigt worden. Im Sicherheitsrat scheitert dieses Vorgehen an den Vetos von Russland und China. Entsprechend gibt es keine UN-Sanktionen gegen Syrien. Die USA und die EU haben seit November ein Ölembargo verhängt. US-Präsident Obama erklärt seit langem, dass er fest an der Seite der Protestbewegung stehe.

Einen tieferen Einblick in die Einschätzung der Lage durch die USA gab kürzlich eine Anhörung im Streitkräfteausschuss des US-Senats am 9. März. Die NZZ gibt Verteidigungsminister Panetta wieder:
„Da sich der Sicherheitsrat nicht auf eine Linie einigen und kein Mandat für einen Militäreinsatz erteilen könne und da die Nato ein Eingreifen bereits ausgeschlossen habe, würde nur eine unilaterale Intervention übrig bleiben, erklärte er. Damit sei die grundlegende Frage, ob die USA wirklich noch einmal in diesem Teil der Welt auf eigene Faust agieren und in einem muslimischen Land Krieg führen wollten, beantwortet. Panetta räumte ein, dass er dem Pentagon den Auftrag gegeben habe, eine grobe Eventualplanung durchzuführen, auf deren Grundlage Präsident Obama allenfalls weitere Beschlüsse fassen und nächste Planungsschritte anordnen könne. Doch sowohl er selber als auch der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, Dempsey, liessen keinen Zweifel daran, dass eine Militärintervention eine bedeutend grössere und längere Operation wäre als jene, die zum Sturz Ghaddafis in Libyen führte. Dempsey unterstrich auch, dass ein Militäreinsatz in Syrien zwingend bedeute, dass die Vereinigten Staaten ihre militärische Präsenz anderswo abbauen müssten. Nur schon ein Luftkrieg, um die syrische Fliegerabwehr auszuschalten, wäre zeitraubend, kompliziert und riskant, sagte Dempsey, weil Syrien über russisches Material verfüge, das fünfmal fortgeschrittener sei als jenes, mit dem man es in Libyen zu tun gehabt habe. Die syrische Fliegerabwehr sei zudem im Westen des Landes konzentriert, wo sich auch die grossen Bevölkerungszentren befänden. Viele zivile Opfer und ungewollte Schäden wären deshalb unausweichlich. Panetta hob seinerseits die politischen Risiken hervor. Man habe bereits über 100 Oppositionsgruppen identifiziert, aber keine ernsthaften Anstrengungen wahrgenommen, sie unter einer einheitlichen Führung zu vereinen. Bevor die USA ihre Söhne und Töchter in Uniform unter hohen Risiken in den Einsatz schickten, sei sehr detailliert abzuklären, ‚wie der Auftrag genau lautet, ob und zu welchen Kosten wir ihn erfüllen können und ob er die Lage verbessert oder verschlechtert‘, unterstrich Panetta. […] Auch wenn er militärische Schritte nicht ausschließen wollte, machte Panetta klar, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch die Lieferung von Waffen nicht gutheisst, weil man einfach zu wenig darüber wisse, wer von den Waffen profitieren würde. Deshalb stünden für die USA, wenn schon, eher Lieferungen von sogenannten nichttödlichem Material wie etwa Funkgeräten im Vordergrund.“ (NZZ 10.3.12)

Daraus lässt sich schließen, dass die USA es mit einer Intervention in Syrien nicht eilig haben, aber auch nicht ausschließen. Das muss die bewaffnete und unbewaffnete Opposition im Land als Ermutigung werten, ihren Kampf fortzusetzen. Das bedeutet, dass der Bürgerkrieg fortgesetzt wird, weil beide Seiten noch mit einem Sieg rechnen.

Das sieht das International Institute for Strategic Studies (IISS) auch so. Spiegel Online berichtet von der Jahrespressekonferenz des konservativen und NATO-nahen Instituts in London am 7. März. „Britische Militärexperten erwarten kein schnelles Ende des Bürgerkrieges in Syrien. Das Regime von Baschar al-Assad sitzt nach Einschätzung des IISS nach Monaten heftiger Kämpfe noch relativ fest im Sattel. ‚Wir sehen einen blutigen Abnutzungskrieg‘, sagte IISS-Analyst Toby Dodge. ‚Die Rebellen sind lästig, aber keine direkte Bedrohung des Regimes‘. Die Aufständischen könnten zwar einzelne Stadtviertel wie zuletzt Homs einnehmen und einige Zeit halten. Früher oder später würde sie jedoch von Assads Truppen wieder vertrieben. […] Das syrische Militär sei insgesamt loyal zum Regime. Zwar seien einige hundert Deserteure (sic!) zu den Rebellen übergelaufen, doch handele es sich vor allem um niedrigere Dienstgrade. Eine entscheidende Änderung der Lage kann laut IISS nur von außen herbeigeführt werden. Ein internationales Eingreifen in Syrien sei jedoch wenig wahrscheinlich, sagte Dodge. ‚Die diplomatische Lage wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern.‘ Dem Westen fehle es am politischen Willen zum militärischen Eingreifen. Überlegungen, humanitäre Zonen oder Korridore in Syrien einzurichten, halten die IISS-Experten daher für unrealistisch.“ (SPIEGEL online 7.3.12)

Unsere These ist: Der Westen setzt auf die Wirkung von Sanktionen, um die recht stabile Loyalität breiter Mittelschichten gegenüber dem Regime zu erschüttern. Zeitgleich wird der Waffen- und Ausrüstungsfluss ins Land fortgesetzt und der militärische Widerstandskampf weiterhin durch Geheimdienstaktivitäten verstärkt. Nachdem man bereits die Hamas aus der prosyrischen und proiranischen Front herausgebrochen hat, wird der Versuch unternommen, auch den Hizbullah entscheidend zu schwächen, indem die USA versuchen, libanesische Finanzinstitute, durch die sich die Hizbullah finanziert, trocken zulegen. (FAZ 13.3.12) Der Bürgerkrieg in Syrien wird von außen angeheizt werden, sobald der Westen die Spannungen gegenüber dem Iran eskaliert. Sein Kalkül: Ein sich im Bürgerkrieg befindliches Syrien kann für den Iran und den Hizbullah keine Unterstützung sein.

Und schließlich: Im Iran erwartet der Direktor des IISS, John Chipman, „keine baldige Intervention des Westens. Ein Angriff Israels oder der USA auf iranische Nuklearanlagen sei in diesem Jahr unwahrscheinlich, sagte Chipman. Beide Staaten wüssten, dass Israel allenfalls imstande sei, einzelne Angriffe zu fliegen, aber keine nachhaltige Bombenkampagne ohne US-Unterstützung durchführen könne. Einen israelischen Präventivschlag gegen den Iran, über den zuletzt viel spekuliert wurde, schloss Chipman daher aus. Die Regierung von Benjamin Natanjahu verlasse sich auf ihre westlichen Partner, falls nötig, zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam zuzuschlagen. (SPIEGEL online 7.3.12)

Wenn es anders kommen sollte

Es kann natürlich auch anders kommen. Unsere Einschätzung, dass in diesem Jahr eine Intervention in Iran nicht erfolgen werde, könnte dann durchkreuzt werden, wenn sich die Hardliner in der israelischen Regierung (und dort gibt es ja fast nur Hardliner) durchsetzen und mit Luftangriffen auf iranische Nuklearanlagen einen militärischen Alleingang starten. Die Aussicht auf einen Sieg Obamas bei den US-Präsidentschaftswahlen im November – und zur Zeit spricht vieles dafür – ist für Netanjahu keine angenehme Vorstellung. Ein derart gestärkter US-Präsident könnte im israelisch-palästinensischen Konflikt etwas weniger nachgiebig sein als in der Vergangenheit und den Israelis nicht mehr alles durchgehen lassen (Siedlungsbau, Jerusalem). Also schiene ein Angriff noch vor der Wahl eine sichere Garantie dafür zu sein, dass Obama nolens volens mitziehen würde, weil die USA ihren wichtigsten Partner im Nahen Osten ja nicht im Stich lassen dürfte.

Auch auf dem syrischen Konfliktfeld könnte sich die Lage weiter zuspitzen und den Westen, insbesondere die USA zu einem Eingreifen veranlassen. Bereits jetzt haben die Medien und die Politik einen derartigen Druck gegenüber Damaskus aufgebaut, dass ein Zurückdrehen der Eskalationsspirale nur noch schwer möglich erscheint. Wer auch immer in Syrien Bomben zündet und Zivilisten tötet: Alles wird direkt oder indirekt dem „blutrünstigen“, „despotischen“ und „mörderischen“ Assad-Regime angelastet. Die PR-Agenturen im Dienst westlicher oder saudi-arabischer Regierungen werden die entsprechenden herzzerreißenden Bilder und Nachrichten liefern. Wie heißt es doch so treffend im Konzept „Responsibility to Protect“ („Schutzverantwortung“), der neuen Bibel der Interventionsbefürworter: Bevor in einen Staat interveniert wird, muss ein „richtiger Grund“ vorliegen. Ein solcher Grund liegt beispielsweise in einer Situation vor, durch die das „Gewissen“ der Menschheit berührt werde („conscience-shocking situation“). Der oben geschilderte enge Zusammenhang zwischen den Ereignissen um Iran und denen in Syrien macht es dann auch wahrscheinlich, dass der Kriegsfunke von Syrien auch nach Iran überspringt und wir es mit einem unvorstellbaren Flächenbrand in der ganzen Region zu tun haben werden.

Mit anderen Worten: Was die rational denkenden Militärs und Geheimdienstler der USA heute dazu veranlasst, eher zur Vorsicht und Zurückhaltung zu mahnen, könnte im Gefolge eines israelischen Alleingangs gegen Iran oder bei einer wie auch immer herbei geführten weiteren Eskalation in Syrien zu einem Kriegsfall der USA und der NATO werden. Was die Sache für Berlin so pikant macht, ist die Tatsache, dass die deutsche Marine immer noch vor der libanesischen Küste stationiert ist, um den Waffenschmuggel an die Hizbullah zu verhindern. Wie schnell also kann auch Deutschland in den nahöstlichen Flächenbrand involviert werden!

Wenn Iran und Syrien so miteinander verbunden sind, wie wir behauptet haben, dann erübrigt sich auch die Frage, ob eine Intervention gegen Syrien vielleicht doch weniger riskant sei als ein Angriff auf Iran. Dennoch möchten wir an der Steller darauf hinweisen, dass gezielte Luftangriffe auf iranische Nuklearanlagen – selbst wenn sie singulär bleiben und von Teheran nicht mit einem Verteidigungskrieg beantwortet würden – weitreichende zerstörerische Folgen für Mensch und Umwelt in den betroffenen Regionen haben würden. Im Jahr 1981 hatte die israelische Luftwaffe ein im Bau befindliches irakisches AKW bombardiert und zerstört – ohne größere Folgen für die Umwelt. Denn dieses AKW befand sich noch in einem Zustand, wo es noch nicht mit Brennelementen beladen war, also keine Strahlung austreten konnte. Im Gegensatz dazu ist die Mehrzahl der iranischen Atomanlagen bereits hochgradig radioaktiv belastet. Selbst in einem Versuchsreaktor entsteht laut BUND pro Megawatt elektrischer Leistung jährlich die kurz- und langlebige Radioaktivität einer Hiroshima Bombe (Axel Meyer in: www.mitwelt.org). Zusätzlich zu den verheerenden Folgen jedes Krieges, wäre eine Bombardierung der iranischen Atomanlagen also auch ein radioaktives Fiasko, mit Folgen weit über den Iran hinaus. Auch aus diesem Grund darf ein Krieg gegen Iran nicht sein.

Welche Alternativen haben wir?

Die Friedensbewegung ist zwar nicht unbedingt zuständig für die Formulierung von Alternativen zum Krieg: Die Vermeidung des Kriegs ist schon die erste und beste Alternative! Dennoch ist es sinnvoll, im Kampf gegen den drohenden Krieg plausible und praktisch durchsetzbare Alternativen zur Diskussion zu stellen. Dafür stehen der Friedensbewegung zahlreiche Expertisen und gut durchdachte Politikkonzepte wissenschaftlicher Institute zur Verfügung.

Iran

Ließe sich die deutsche, europäische und US-amerikanische Außenpolitik von Vernunft leiten, müsste sie in Bezug auf den Iran folgende Grundaxiome anerkennen:
  1. Würde der Iran im Besitz von Atomwaffen sein, würde er sie niemals als erstes einsetzen. Diese Furcht Israels ist mehr eine Behauptung denn eine wirkliche Bedrohung. Denn im Gegenzug würde der Iran in ein atomares Trümmerfeld verwandelt. Die mehr als 200 Atomsprengköpfe Israels könnten ganze Arbeit leisten. Die Erkenntnis aus dem atomaren Patt der 80er Jahre bleibt auch heute gültig: Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter.
  2. Würde der Iran Atomwaffen besitzen, könnte er sie also allenfalls zur Abschreckung verwenden, d.h. sie eben nicht verwenden, sondern nur mit dem Vernichtungspotential drohen. Da dem Iran bisher von Seiten der USA jegliche Sicherheitsgarantien verweigert werden, hätte das Streben nach Atomwaffen eine zwar grausige, aber doch nachvollziehbare Rationalität. (Wie pfleglich ist die „Weltgemeinschaft“ doch mit Nordkorea umgegangen, seitdem bekannt war, dass es tatsächlich über Nuklearwaffen verfügt. Und erinnert sei auch daran, dass 2003 die Bush-Administration Irak nur angreifen konnte, weil sie – entgegen ihrer verlogenen Propaganda – wusste, dass Irak keine Massenvernichtungswaffen hatte.)
  3. Äußerungen der geistlichen und politischen Führung Irans sollten solange ernst genommen werden, als sie nicht der Lüge überführt werden. Zum Standardrepertoire der Reden Ahmadinedschads gehören zwei Feststellungen: Einmal wird der Besitz von Atomwaffen aus religiösen Gründen abgelehnt. Sie seien aus islamischer Sicht „inhuman“. Zum anderen werden Atomwaffen als wertlos betrachtet: „Wir glauben nicht daran“, sagte Ahmadinedschad in einem Interview 2008, „dass Nuklearwaffen von Nutzen sind, sie sind überflüssig. Wer Nuklearwaffen besitzt, verschafft sich damit keine politischen Vorteile.“ Und noch vor kurzem ergänzte er: „Es hat keinen Sinn, zwei Bomben zu bauen, wenn der Feind über 2.000 nukleare Bomben verfügt.” (Badische Zeitung, 10.11.2011, zit. nach BICC) Zuletzt äußerte sich Ahmadinedschad in einem Exklusivinterview mit dem ZDF dahingehend, dass er Atomwaffen „unmoralisch“ fände (ZDF, 19.03.2012)
  4. Die Politik des Westens sollte sich von der stillschweigenden atomaren Komplizenschaft mit Israel verabschieden und die Geltung des Nichtverbreitungsregimes ausnahmslos einfordern. Wer einem Staat im Nahen Osten den vermeintlichen Griff nach Atomwaffen unter Androhung eines Krieges verweigert, über einem anderen Staat aber, der schon seit langem im Besitz von Atomwaffen und den dafür benötigten Trägersystemen ist, die schützende Hand hält, kann keine Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen. Noch dazu, wenn dieser Nuklearstaat – ungestraft – Angriffsdrohungen gegen den anderen ausstößt. Doppelte Standards vertragen sich nun einmal nicht mit dem Völkerrecht.
Vor allem aber sollte der Westen aufhören, die Drohkulisse gegenüber dem Iran weiter auszubauen. Kriegerische Rhetorik und eine Politik angezogener Daumenschrauben (z.B. in Form wirtschaftlicher Sanktionen) erreichen in ihrer Logik immer einen Punkt, von dem aus es kein Zurück mehr gibt. Im jüngsten Iran-Dossier des BICC (Bonner Institut für Konversionsforschung) wird sehr eindringlich darauf hingewiesen, dass militärische Drohungen gegen den Iran „sicherlich das falscheste“ Mittel seien, um zum Erfolg zu kommen. Der ehemalige Generaldirektor der IAEO Hans Blix, bringt das folgendermaßen auf den Punkt: „Ich glaube, man kann niemanden durch Androhung von Gewalt von einem Atomprogramm abbringen – das führt wohl eher dazu, dass sich derjenige noch mehr damit beeilt, um sich verteidigen zu können“ (zit. n. BICC). Auch würden die anhaltenden Drohungen dazu führen, das innenpolitische Klima im Iran zugunsten einer noch breiteren Befürwortung von Kernwaffen in den Eliten des Landes zu verschieben. Schließlich brächte auch ein massiver israelisch-US-amerikanischer Angriffskrieg gegen Iran nicht das gewünschte Ergebnis. Zwar könnte das iranische Atomprogramm um Jahre zurückgeworfen, aber nicht auf Dauer verhindert werden. Im Gegenteil, so urteilt das BICC, wäre dies die „Garantie“ dafür, dass der Iran danach „mit hoher Geschwindigkeit nach der Atombombe streben würde“. Und es gäbe kaum innenpolitischen Widerstand dagegen.

Ähnlich eindeutig werden Sanktionen abgelehnt. Schon die bisherigen Sanktionen des UN-Sicherheitsrats (zuletzt Res. 1929 [2012]) und die verschärften Wirtschaftssanktionen der USA und der Europäischen Union haben nicht erreichen können, dass der Iran die Forderungen des Westens erfüllt und seine Urananreicherung eingestellt hat. Das Mitte des Jahres 2012 in Kraft tretende totale Öl- und Gasembargo wird der Iran mit einer Umlenkung seiner Kohlenwasserstoffexporte (z.B. nach China) zu einem Teil kompensieren können. Was an negativen Folgen trotzdem eintreten wird, trifft eher die sozialen Belange der Bevölkerung als die Situation der politischen und geistlichen Eliten. Die Sanktionen schlage in eine Art „wirtschaftliche Kriegführung“ um (Sick). Mohssen Massarrat und Bahman Nirumand haben das vor kurzem auf den Punkt gebracht: „Je härter die Sanktionen gegen den Iran werden, desto länger wird die Lebensdauer des antidemokratischen Systems dort.“ (Massarrat/Nirumand 2011) Gegenmaßnahmen des Iran würden ebenfalls nicht lange auf sich warten lassen und würden vor allem eine erhebliche Steigerung der Weltölpreise nach sich ziehen und damit die Urheber der Sanktionen selbst treffen (vgl. hierzu Sick).

Eine Strategie, die nicht zum Ziel führt, muss aufgegeben werden. Friedensforschungsinstitute plädieren daher für eine „Umkehr zu Dialog und Entspannung“ (BICC), die nur zu erreichen ist, wenn man die bestehenden Realitäten anerkennt (IFSH). Dazu gehört, dass der Westen die Urananreicherung im Iran akzeptieren müsse. Urananreicherung für zivile Zwecke müssen dem Iran genauso zugestanden werden, wie jedem anderen Land der Welt. Das BICC schlägt sogar vor, dass der Westen dem Iran 20-prozentiges Uran liefern solle – so wie es 2011 von Ahmadinedschad gefordert worden war. Allerdings müsse sich Teheran verpflichten, zusätzliche internationale Kontrollen der iranischen Atomanlagen zuzulassen. Zur „Umkehr“ gehört auch, dass der Westen die Sicherheitsinteressen des Iran genauso ernst nimmt wie diejenigen anderer Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Auf dieser Basis könnte mittelfristig ein politischer Prozess eingeleitet werden, der ein „ähnliches Ausmaß wie bei der Entspannungspolitik des Westens gegenüber der Sowjetunion Ende der 1960er Jahre oder wie bei der neuen Politik der USA gegenüber China Anfang der 1970er Jahre“ annehmen könnte (BICC).

In Bezug auf Deutschlands Rolle in der Iranpolitik des Westens fordern die Friedensforschungsinstitute übereinstimmend, dass sich Berlin weiterer Sanktionen enthalten sollte, „da sie bestenfalls nutzlos, schlimmstenfalls eskalationsfördernd“ seien (BICC), bzw. dass die bereits verhängten Sanktionen „schrittweise“ aufgegeben werden (IFSH). Außerdem sollte Deutschland „unmissverständlich“ deutlich machen, dass es jegliche militärische „Lösung“ ablehnt.

Syrien

Wir haben weiter oben bereits gezeigt, dass der Irankonflikt sehr eng mit den Konfliktlinien in Syrien verbunden ist. Diese Verknüpfung, so zeigt Phillis Bennis in ihrer Analyse, macht aus dem syrischen Fall einen „regionalen und globalen Konflikt“:

„Syrien ist der bedeutendste Partner des Irans im Nahen Osten, und deshalb haben sich wichtige Länder, die Israels anti-Iran Mobilisierung unterstützen, sich gegen Syrien gewandt mit dem Bestreben, den Iran zu schwächen durch die Unterminierung Syriens, seines engsten Verbündeten. (…) Es ist eindeutig, dass Saudi-Arabien mit dem Iran in Syrien um Einfluss in der Region kämpft. Die Arabische Liga, deren Entscheidungsprozesse von den Saudis und den mit ihnen verbündeten Golf Staaten ( wie Katar und die VAE ) dominiert werden, benutzen die syrische Krise, um gegen den wachsenden Einfluss Irans in den arabischen Ländern vom Irak bis zum Libanon vorzugehen. Und natürlich haben sich die USA, Frankreich und andere westliche Staaten auf die sehr reale Menschenrechtskrise in Syrien gestürzt, mit dem Versuch einer weiteren Schwächung des Regimes dort, weit weniger aus Sorge um die Menschenrechte des syrischen Volks als aus Interesse an der Unterminierung des wichtigsten Verbündeten des Iran.“ (Bennis)

Was im Falle Irans nicht funktioniert, wird auch in Syrien nicht funktionieren: Sanktionen gegen die politische Führung in Damaskus stellen keinen sinnvollen Beitrag zur Lösung des inneren Gewaltkonflikts dar. Insofern sind die von der EU bereits verhängten Sanktionen, die im April 2012 noch verschärft werden (Einfrieren von syrischem Vermögen im Ausland, Einreiseverbote gegen weitere syrische Politiker), ein Irrweg. Schon jetzt sind die Folgen der bisherigen Sanktionsmaßnahmen (v.a. Ölembargo) des Westens spürbar: In steigenden Preisen, wachsender Armutsbevölkerung und Kaufzurückhaltung der Mittelschichten (vgl. die Reportage von Karin Leukefeld in weltnetz.tv, 19.03.2012). Die einzigen Sanktionen, die wirklich Sinn machen, wären ein umfassendes Waffenembargo. Doch auch dafür scheint es, nachdem Russland Waffen an die syrische Regierung und Saudi-Arabien an die Opposition liefert, zu spät zu sein.

Da wir es in Syrien mit einer bürgerkriegsähnlichen Situation zu tun haben, die von verschiedenen auswärtigen Interessenten geschürt wird (vor allem Saudi-Arabien und Katar auf arabischer Seite, USA, Frankreich, Großbritannien und – mit Einschränkung – die Türkei auf der Seite des Westens), besteht die wichtigste und dringendste Forderung darin, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bekommen. Eine von Kofi Annan und Vertretern der Arabischen Liga besetzte Beobachtermission wird nicht nur von den UN-Vetomächten Russland und China gutgeheißen, sondern hat auch Chancen, von Damaskus anerkannt zu werden. Gebrochen werden muss die intransigente Haltung der bewaffneten Opposition in Syrien, die bisher jedes Angebot zu Verhandlungen brüsk abgelehnt hat. Sie weiß, dass dies auch in Libyen vor einem Jahr funktioniert hat, als die Rebellen sich auf keinen Waffenstillstand und erst recht auf keine Gespräche mit Gaddafi eingelassen hatten. Der „Erfolg“, ein militärischer Sieg der NATO-Verbündeten nach neun Monaten Luftkrieg, hat diese Strategie bestätigt. So fraglich es ist, ob der Westen entsprechenden Druck auf die syrische Opposition in Gestalt der „Freien Syrischen Armee“ ausüben wird, so richtig ist dennoch diese Forderung. Sie nicht zu erheben und den Bürgerkriegsparteien in Syrien freie Hand in ihrem gegenseitigen Gemetzel zu lassen, verwandelt das Land über kurz oder lang in ein Schlachtfeld, auf dessen Altar vor allem Zivilpersonen geopfert werden.

Die zentralen Forderungen der Friedenswissenschaft an die Adresse Syriens, der Arabischen Liga, der USA und anderer westlicher Staaten, der EU, der Vereinten Nation und der Bundesregierung lauten daher:
  • Absage an alle Gedankenspiele über eine militärische Intervention (diese Position wird auch von Friedensforschern vertreten, die im Fall Libyen noch anders votierten, vgl. z.B. Meyer);
  • Ausstieg aus dem Sanktionsmechanismus der EU und Zurücknahme bisher erfolgter Sanktionen [1]; stattdessen Umsetzung eines allgemeinen Waffenembargos;
  • Sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens; dies schließt Schützenpanzer in die Vereinigten Emirate genauso ein wie Kampfpanzer nach Saudi-Arabien oder U-Boote nach Israel;
  • Bereitstellung humanitärer (z.B. medizinischer) Hilfe für Syrien, allerdings ohne jeglichen „militärischen Begleitschutz“;
  • Erlass eines sofortigen Abschiebestopps für Flüchtlinge aus Syrien; ihnen kommt der Status von Kriegsflüchtlingen zu und fallen somit unter die Genfer Flüchtlingskonvention; darüber hinaus sollte syrischen Flüchtlingen ein Aufenthalt in den Staaten der Europäischen Union angeboten werden.
Schlussbemerkungen

An die Adresse der Friedensbewegung, also auch an den Bundesausschuss Friedensratschlag [2], sind in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Aufforderungen ergangen, über die grundsätzliche Ablehnung einer Militärintervention hinaus auch die Solidarität mit der Opposition insbesondere in Syrien zu bekunden. Tue man dies nicht, stelle man sich indirekt schützend vor die Regierung in Damaskus (oder im Fall des Iran: vor Ahmadinedschad und das Mullah-Regime). Einige Friedensgruppen befürworten sogar eine Initiative, die unter dem Namen „Adopt the Revolution“ Geldsammlungen für oppositionelle Gruppierungen sammelt, dabei darauf vertrauend, dass dieses Geld nicht zweckentfremdet wird, indem es z.B. dem Ankauf von Waffen dient. Unsere Skepsis gegenüber solcherart Solidarität konnte bisher nicht zerstreut werden, zumal die Zielsetzungen und Aktivitäten der zu unterstützenden Oppositionsgruppen weitgehend im Dunkeln bleiben.

Friedensbewegung (gleiches gilt von der Friedenswissenschaft) sollte in solchen und ähnlich gelagerten Konflikten von folgenden Grundüberlegungen ausgehen:
  1. Wir dürfen uns nicht gemein machen mit den Herrschenden, weder mit „Despoten“ à la Assad oder Ahmadinedschad noch mit „Demokraten“ à la Netanjahu oder Erdogan. Unsere grundsätzliche Distanz und Kritik von Regierungen – übrigens auch im eigenen Land – gilt auch dann, wenn deren Länder von Aggressoren angegriffen werden. Die Antikriegs-Bewegung gegen den drohenden Irak-Krieg 2003 wurde doch auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass wir mit der Politik Saddam Husseins nicht einverstanden waren. Oder musste man etwas für die Taliban übrig haben, um gegen den Aggressionskrieg gegen Afghanistan zu sein?
  2. Kritik an autoritären Regimen, wovon es mehr in der Welt gibt als uns lieb sein kann, bedeutet auf der anderen Seite nicht, dass wir uns aktiv in die innenpolitischen Auseinandersetzungen fremder Staaten einmischen – zumindest nicht durch einseitige Parteinahmen für bestimmte politische Gruppierungen. Dies unterscheidet die Friedensbewegung grundsätzlich von politischen Parteien, deren Solidarität mit Partnerorganisationen in anderen Ländern einen durchaus verbindlichen Charakter annehmen kann.
  3. Wir sind fest davon überzeugt, dass die beste Art der Solidarität mit unterdrückten und von Bürgerkriegen betroffenen Menschen darin besteht, deren Gesellschaften vor ausländischen Militärinterventionen zu bewahren. Zivilgesellschaftliche Strukturen entfalten sich am ehesten unter Friedensbedingungen.
Anmerkungen

[1] Uns bleibt rätselhaft, warum die Zurückweisung von Sanktionen nicht in den Forderungskatalog des Syrien-Dossiers der „Kooperation für den Frieden“ eingegangen ist (siehe Schweitzer u.a.).

[2] Siehe dessen viel beachtete Erklärung „Hände weg von Iran und Syrien“, die auf einer Aktionsberatung der Friedensbewegung Ende Januar 2012 verabschiedet wurde; Bundesausschuss Friedensratschlag: Hände weg von Iran und Syrien

Literatur:
  • Phyllis Bennis: Iran wieder einmal im Fadenkreuz. In: Website der AG Friedensforschung, 17.03.2012; www.ag-friedensforschung.de
  • BICC: Atomkonflikt Iran: Diplomatische Lösung noch immer möglich?! Von Jerry Sommer. In: BICC Focus, Dezember 2011; http://www.bicc.de/uploads/pdf/publications/focus/10-Iran/BICC_FOCUS_10_2011_final.pdf; gekürzte Fassung: www.ag-friedensforschung.de
  • Bundesausschuss Friedensratschlag: Hände weg von Iran und Syrien, Januar 2012; http://www.ag-friedensforschung.de/bewegung/baf/Iran-Syrien-Aufruf.pdf
  • IFSH: Sieben Schritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Atomkonflikts mit dem Iran. Stellungnahme aus dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), von Michael Brzoska, Oliver Meier und Götz Neuneck, 5. März 2012; http://www.ifsh.de/tl_files/IFSH/pdf/stellungnahmen/Stellungnahme_Iran_05.03.2012.pdf; Gekürzte Fassung: www.ag-friedensforschung.de
  • Mohssen Massarrat, Bahman Nirumand: Nicht die Spur von Nachdenklichkeit. Offener Brief an die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, 12. November 2011; www.ag-friedensforschung.de
  • Berthold Meyer: Krieg und Menschenwohl. Sechs Gründe, die gegen ein Eingreifen in Syrien sprechen. In: taz, 24.02.2012; www.ag-friedensforschung.de
  • Christine Schweitzer, Clemens Ronnefeldt, Karl Grobe-Hagel, Andreas Buro: Syrien zwischen gewaltfreiem Aufstand und Bürgerkrieg. Dossier V, hg. von der Kooperation für den Frieden, Bonn o.J. (2012)
  • Gary Sick: Iran am langen Hebel. In: Le Monde Diplomatique (Deutsche Ausgabe), März 2012
* Lühr Henken (Berlin) und Peter Strutynski (Kassel) sind Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Dem vorliegenden Text lagen Impulsreferate der Autoren auf der Aktionsberatung der Friedensbewegung in Kassel, 18. März 2012, zu Grunde.

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