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Iran: Flurschaden nach Botschaftssturm

London schließt diplomatische Vertretungen / Sicherheitsrat verurteilt Angriff *

Als Reaktion auf die Stürmung der britischen Botschaft in Teheran hat Großbritannien die Schließung der iranischen Botschaft in London und die Ausweisung ihres diplomatischen Personals angeordnet.

Die iranischen Diplomaten müssten Großbritannien innerhalb von 48 Stunden verlassen, sagte Außenminister William Hague am Mittwoch vor dem Parlament. Aus Protest gegen den Angriff rief Deutschland seinen Botschafter aus Teheran zurück.

»Die Vorstellung, dass die iranische Regierung unsere Botschaft nicht hätte schützen können oder dass dieser Angriff ohne eine gewisse Zustimmung des Regimes hätte stattfinden können, ist absurd«, sagte Hague vor den Abgeordneten. Zugleich betonte er, dass die Schließung der Botschaften nicht den Abbruch, sondern lediglich die Herabstufung der diplomatischen Beziehungen auf ihre niedrigste Stufe bedeute. Wie Hague bekannt gab, wurde die Botschaft in Teheran vorläufig geschlossen und das gesamte Personal abgezogen.

Trotz starker Polizeipräsenz war es am Dienstag (29. Nov.) Teilnehmern einer Demonstration gegen die britische Sanktionspolitik zweimal gelungen, auf das Botschaftsgelände vorzudringen. Sie verwüsteten Büros und ersetzten die britische durch die iranische Flagge. Demonstranten besetzten zudem vorübergehend einen weiteren diplomatischen Komplex im Norden der Stadt. Dort befindet sich unter anderem die deutsche Schule. Wie das Auswärtige Amt mitteilte, wurde die Schule nicht beschädigt, blieb aber vorerst geschlossen.

Der britische Premierminister David Cameron machte die iranische Regierung für den Vorfall verantwortlich und drohte dem Land mit »ernsten Konsequenzen«. US-Präsident Barack Obama bezeichnete den Angriff als »inakzeptabel«. Teheran sei verpflichtet, die diplomatischen Vertretungen zu schützen. Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte die Attacken »auf das Schärfste«. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nannte die Angriffe »skandalös«.

Die Bundesregierung sprach von einer »groben Verletzung des Völkerrechts«. Iran habe »die völkerrechtliche Pflicht, für den Schutz ausländischer Einrichtungen zu sorgen«, erklärte das Auswärtige Amt. Die Ereignisse stellten »leider nicht zum ersten Mal die Bereitschaft der iranischen Führung in Zweifel, internationales Recht zu achten«. Am Mittwoch (30. Nov.) rief sie den deutschen Botschafter »zu Konsultationen« nach Berlin zurück. Zuvor hatte Norwegen die vorübergehende Schließung seiner Botschaft in Teheran angekündigt, das Personal jedoch nicht zurückgerufen. Der französische Außenminister Alain Juppé forderte im Magazin »L'Express« eine »gemeinsame Position« des Westens, um den Druck auf Iran zu »maximieren«.

Großbritannien, die USA und Kanada hatten vor gut einer Woche als Reaktion auf einen Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde zum iranischen Atomprogramm umfangreiche Sanktionen gegen Teheran verhängt. Teheran schränkte daraufhin seine diplomatischen Beziehungen zu London ein. Die Beziehungen zu Kanada waren bereits zuvor beschränkt. Mit den USA unterhält Iran seit mehr als 30 Jahren keinen diplomatischen Kontakt.

Das iranische Außenministerium »bedauerte« den Angriff und kündigte rechtliche Schritte gegen die Angreifer an. Die Polizei erklärte, mehrere Angreifer seien identifiziert oder festgenommen worden. Der iranische Parlamentspräsident Ali Laridschani äußerte dagegen Verständnis für die »Wut der Studenten«, die auf die jahrzehntelange »dominante Politik« Großbritanniens zurückgehe. Zugleich rief er zur Einhaltung des Gesetzes ein. Die britische Regierung solle die Aktion der Studenten nicht missbrauchen, um politisch daraus Kapital zu schlagen, forderte er. Das iranische Außenministerium distanzierte sich von dem Zwischenfall. Es verurteilte die Erstürmung und bezeichnete sie als eine spontane Aktion demonstrierender Studenten, die nicht von der Regierung genehmigt worden sei.

Vizepolizeichef Ahmed-Resa Radan versicherte unterdessen, dass Maßnahmen getroffen worden seien, um alle an dem Angriff beteiligten Demonstranten festzunehmen.

* Aus: neues deutschland, 1. Dezember 2011


Nach dem Sturm

Iranische Regierung verurteilt Angriff auf britische Botschaft in Teheran. London zieht Diplomaten ab

Von Knut Mellenthin **


Die britische Regierung hat am Mittwoch damit begonnen, einen Teil ihres diplomatischen Personals aus der iranischen Hauptstadt Teheran abzuziehen. Am Vortag hatten rund tausend Menschen vor dem Botschaftsgebäude und einer britischen Residenz in einem anderen Stadtteil demonstriert. Einigen war es dabei gelungen, in die Vertretung einzudringen, Akten zu zerstören und die britische Fahne durch eine iranische zu ersetzen, bevor sie der Aufforderung der Polizei folgten, das Gebäude zu verlassen.

Die Demonstration fand am Jahrestag der Ermordung eines iranischen Atomwissenschaftlers statt. Zugleich galt sie auch der Unterstützung für eine Resolution des Parlaments, die am Sonntag verabschiedet worden war. Die Abgeordneten hatten darin die Ausweisung des britischen Botschafters und die Herabstufung der Beziehungen zwischen beiden Staaten auf die Ebene von Geschäftsträgern gefordert. Der Wächterrat, der alle Gesetze prüfen muß, hatte ungewöhnlich schnell reagiert und schon am Montag seine Zustimmung erteilt. Mit der Demonstration sollte auch ein klares Signal an das Außenministerium gesetzt werden, den Parlamentsbeschluß unverzüglich umzusetzen.

Vorausgegangen war am Dienstag vergangener Woche (22. Nov.) die Entscheidung der Londoner Regierung, alle Transaktionen und Geschäftsbeziehungen zwischen britischen und iranischen Geldinstituten zu verbieten. Darauf Bezug nehmend, hatte Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Forderung der Abgeordneten mit dem Satz begrüßt: »Sie wollen keine Transaktionen mehr mit uns machen – na gut, wir wollen auch keine Transaktionen mehr.«

Der britische Premier David Cameron verurteilte den Angriff auf die Botschaft als »empörend und nicht zu rechtfertigen«. Gleichzeitig drohte er »ernste Konsequenzen« an, ohne diese jedoch zu konkretisieren. Allerdings hat London die Skala möglicher Straf­aktionen diesseits der militärischen Schwelle schon nahezu vollständig ausgereizt. Weithin wird damit gerechnet, daß Großbritannien seine europäischen Partner veranlassen wird, ihre eigenen diplomatischen Beziehungen zum Iran gleichfalls weit herunterzufahren. Bereits am Mittwoch kündigte Norwegen die Schließung seiner Teheraner Botschaft »aus Sicherheitsgründen« an. Die Diplomaten sollen von einem anderen Gebäude aus weiterarbeiten.

Die deutsche Bundesregierung sprach von einer »groben Verletzung des Völkerrechts«. Frankreichs Außenminister Alain Juppé verlangte eine »gemeinsame Position« des Westens, um den Druck auf den Iran zu »maximieren«. Präsident Nicolas Sarkozy bezeichnete die Aktionen der Teheraner Demonstranten als »skandalös«. Der UN-Sicherheitsrat, der sich bislang weder mit Israels Kriegsdrohungen gegen den Iran noch mit dem jüngsten US-Luftangriff auf pakistanische Grenzposten befaßt hat, bewies diesmal schnelle Handlungsfähigkeit: Noch am Dienstag abend verurteilte er in scharfen Worten den Sturm auf die Botschaft.

Das iranische Außenministerium reagierte mit einer Entschuldigung für das »nicht hinnehmbare Benehmen einiger weniger Demonstranten«. Die zuständigen Dienststellen seien aufgefordert worden, »die Vorfälle sofort zu untersuchen und die erforderlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang zu ergreifen«. Mit keinem Wort wurde in der Stellungnahme eine Verbindung zum politischen Anlaß der Proteste und zum britischen Verhalten gegenüber dem Iran hergestellt.

Im Gegensatz dazu äußerte Parlamentspräsident Ali Laridschani, daß er aufgrund der »arroganten und dominanten« Politik Großbritanniens Verständnis für die Wut der Demonstranten habe. Schon in der Parlamentsdebatte am Sonntag (27. Nov.) hatten einige Abgeordnete für einen Sturm auf die britische Botschaft plädiert.

** Aus: junge Welt, 1. Dezember 2011


Belgrad und Teheran Von Roland Etzel ***

Die Aufregung in London wie überhaupt im Westen um die zeitweilige Botschaftsbesetzung in Teheran ist groß, künstlich groß. Es war gewiss keine, wie von Iran behauptet, spontane Aktion von Studenten. Und ein grober Rechtsverstoß war es auch. Aber, das übliche Feldgeschrei einmal überhört, außer ein bisschen Hausrat ist doch nichts und niemand zu Schaden gekommen. Es gibt über das Erwähnte hinaus also keinen Grund, Gleichsetzungen mit der Besetzung der US-Botschaft 1979/80 in Teheran für angebracht zu halten.

Wer dies heute in Berlin, London oder Washington dennoch tut und nach UNO oder Strafgerichtshöfen ruft, sollte zumindest die Frage beantworten, warum er das bei gravierenderen Fällen der Verletzung des Status einer diplomatischen Vertretung früher unterlassen hat: zum Beispiel als NATO-Bomber am 7. Mai 1999 die chinesische Botschaft in Belgrad in Trümmer legten, wobei vier Personen starben. Gestern verurteilte die deutsche Außenamts-Staatssekretärin Haber die Ereignisse in Teheran »auf das schärfste«. Vor elf Jahren gab es von deutscher Seite nicht den Funken eines Protestes, nicht einmal nachdem der Londoner »Observer« den Vorsatz der Bombardierung nachgewiesen hatte.

*** Aus: neues deutschland, 1. Dezember 2011 (Kommentar)


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