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Iran: Chronik wichtiger Ereignisse

Februar 2004

1. bis 8. Februar
  • Während einer Parlamentssitzung haben am 1. Feb. 109 iranische Abgeordnete (von insgesamt 290) ihr Mandat niedergelegt (die Zahl der Protestierer stieg am 1. Feb. noch auf 123). Wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP aus dem Teheraner Parlament berichtete, standen die Volksvertreter Schlange, um Parlamentspräsident Mehdi Karubi ihre Rücktrittsgesuche zu übergeben. Sie protestierten damit gegen den Ausschluss tausender überwiegend reformorientierter Kandidaten von der Parlamentswahl durch den ultrakonservativen Wächterrat. In der live im staatlichen Rundfunk übertragenen Parlamentssitzung teilte Karubi anschließend mit, er habe 109 Mandatsniederlegungen erhalten. Nach den massenhaften Mandatsniederlegungen hat der iranische Parlamentspräsident Mehdi Karubi den obersten geistlichen Führer in Iran, Ayatollah Ali Chamenei, um Hilfe gebeten. "Wir sind in einer Sackgasse", sagte Karubi. "Der Oberste Führer muss einschreiten, um das Problem zu regeln." Er habe jedoch "noch Hoffnung", dass es weiterhin einen Ausweg aus der politischen Krise gebe, betonte Karubi.
  • Nach der Mandatsniederlegung Dutzender iranischer Abgeordneter hat die Wahlkommision den Reformpolitikern mit juristischen Konsequenzen gedroht. Jeder Rücktritt werde als Behinderung des Wahlprozesses betrachtet und könne verfolgt werden, sagte der Chef der Wahlkommission in Teheran, Ahmed Asimisadeh, laut Presseberichten am 2. Feb. Solche "Machenschaften" würden als "mangelnde Loyalität gegenüber der Islamischen Republik" gewertet. Die Mandatsniederlegungen und die begleitenden Erklärungen zeigten zudem, dass die Kommission die Kandidaten zu Recht von der anstehenden Parlamentswahl ausgeschlossen habe.
  • Der "Vater der pakistanischen Atombombe", Abdul Qadeer Khan, hat nach Informationen aus Regierungskreisen gestanden, geheime Informationen an Iran, Libyen und Nordkorea weitergereicht zu haben. Khan sowie vier weitere Verantwortliche hätten zugegeben, ihr Wissen Gruppen zur Verfügung gestellt zu haben, die mit diesen Länder zusammenarbeiteten, sagte ein der Regierung nahe stehender Beamter am 2. Feb. in Islamabad. Die Informationen seien zwischen 1986 und 1993 weitergegeben worden. Der 66-jährige Nuklearwissenschaftler ist der Architekt des pakistanischen Atomprogramms und wird in seinem Land als eine Art Nationalheld verehrt. Die Geständnisse seien in einem elfseitigen Bericht zusammengefasst, der nun an Präsident Pervez Musharraf weitergeleitet werde, sagte der Beamte weiter. Es ist das erste Mal seit Beginn der Ermittlungen, dass Nordkorea als Empfänger von Atom-Know-how aus Pakistan genannt wurde.
  • Das iranische Innenministerium hat am 3. Feb. eine von Studenten geplante Demonstration gegen den konservativen Wächterrat verboten. Die Studenten wollten damit am 4. Feb. gegen den Ausschluss tausender Kandidaten von der Parlamentswahl protestieren. Sie drohten darüber hinaus mit einem Boykott der Vorlesungen, sollten freie Wahlen nicht gewährleistet werden.
  • Präsident Mohammad Chatami traf am 3. Feb. zu einem Krisengespräche mit dem obersten geistlichen Führer Irans, Ayatollah Ali Chamenei, zusammen. Wie ein ranghoher Beamter des Präsidialbüros erklärte, nahmen an dem Treffen auch der reformorientierte Parlamentspräsident Mahdi Karrubi und der konservative Justizchef Ayatollah Mahmud Haschemi Schahrudi teil. Über Einzelheiten wurde nichts bekannt.
    Der geistliche Führer Irans, Ayatollah Ali Chamenei, hat Forderungen von Reformkräften und Regierung nach einer Verschiebung der Parlamentswahl am 20. Februar zurückgewiesen. Das teilte der liberale iranische Abgeordnete Radschabali Masruei am Abend des 3. Feb. mit. Chamenei habe bei einem Krisentreffen mit Präsident Mohammad Chatami darauf bestanden, dass die Wahl unter allen Umständen wie vorgesehen stattfinden müsse. Chamenei stellte sich damit hinter den konservativen Wächterrat, der den Termin für die Wahl festgesetzt hat.
  • Im Konflikt um die Kandidatenzulassung für die iranische Parlamentswahl hat der geistliche Führer Ali Chamenei die zweite Überprüfung der Liste innerhalb von vier Wochen angeordnet. Das teilte ein Regierungssprecher am 4. Feb. in Teheran mit. Sein Zugeständnis nach einem Krisentreffen mit Präsident Mohammed Chatami wurde aber mit der Verbindung verknüpft, die Wahl müsse am 20. Februar wie geplant stattfinden.
  • In Iran ist erneut ein Versuch gescheitert, den Streit um die Zulassung reformorientierter Kandidaten für die Parlamentswahl am 20. Februar zu entschärfen. Nachdem der Wächterrat wieder gegen eine als Kompromissvorschlag von der Regierung vorgelegte Liste intervenierte, erklärte die größte Reformpartei ihren Boykott. "Der Kompromiss ist gescheitert", sagte der stellvertretende Parlamentspräsident Mohammed Resa Chatami am 5. Feb. Der Bruder von Präsident Mohammed Chatami ist selbst von den Disqualifikationen betroffen. "Der vorherige Trend hat sich fortgesetzt", sagte er weiter. "Die Wahl am 20. Februar wird nicht rechtmäßig und frei sein. Meine Partei wird nicht an dieser Wahl teilnehmen." Chatami ist Führer der Islamischen Beteiligungsfront, der größten Reformpartei Irans. Andere reformorientierte Abgeordnete beendeten nach 26 Tagen einen Sitzstreik und kündigten ebenfalls an, sie würden die Wahl boykottieren.
  • Der iranische Außenminister Kamal Charasi ist am 5. Feb. zu einem zweitägigen Besuch in Libanon eingetroffen, um das Schicksal von vier seit 1982 verschwundenen Iranern zu klären. Unmittelbar nach seiner Ankunft traf er mit dem libanesischen Staatschef Emile Lahoud zusammen. Die Diplomaten seien damals in einem Gebiet entführt worden, das von einer mit Israel verbündeten christlichen Miliz beherrscht wurde, sagte der iranische Außenamtschef. Es gebe eine Reihe von Informationen, die darauf hinwiesen, dass die Geiseln an Israel ausgeliefert worden seien. Der Minister wurde von Angehörigen der Verschwundenen begleitet.
  • Der konservative iranische Wächterrat hat nach Angaben aus dem Reformerlager weitere 200 Kandidaten zur Parlamentswahl am 20. Februar zugelassen. Unter den wieder Zugelassenen seien auch "mehrere wichtige Namen", sagte der Koordinator eines reformorientierten Bündnisses aus 18 Organisationen, Ali Mohammed Haseri, am 6. Feb. der Nachrichtenagentur Isna. Damit ließ der von konservativen Geistlichen dominierte Wächterrat insgesamt 251 Kandidaten wieder zu.
  • Der iranische Präsident Mohammad Chatami will trotz des Streits mit dem konservativen Wächterrat am geplanten Wahltermin festhalten. Die Abstimmung werde jedoch nicht fair verlaufen, sagte er am 7. Feb.
  • Der konservative Wächterrat in Iran lässt keinen einzigen der Kandidaten zur anstehenden Parlamentswahl zu, für die reformorientierte Politiker sich ausdrücklich eingesetzt hatten. Weder der Präsidentenbruder und Chef der größten iranischen Reformpartei, Mohammed Resa Chatami, noch der Leiter des parlamentarischen Außenausschusses, Mohsen Mirdamadi, standen auf einer Liste der zugelassenen Kandidaten, die die studentische Nachrichtenagentur Isna am 7. Feb. verbreitete.
  • Mehrere hundert iranische Studenten haben bei einer Demonstration in der Universität von Teheran zu einem Boykott der Parlamentswahl aufgerufen. Bei der Kundgebung am 8. Feb. forderten sie zudem den reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami zum Rücktritt auf, wie ein AFP-Reporter berichtete. Zuvor trafen sich die Studierenden mit reformorientierten Abgeordneten, die wegen ihrer Nichtzulassung zur Wahl ihr Mandat niedergelegt hatten. Mehrere Abgeordnete übten scharfe Kritik am ultrakonservativen Wächterrat. Die Konservativen würden nur von einem Fünftel der Bevölkerung unterstützt und wollten ihren Standpunkt mit aller Macht durchsetzen, sagten sie nach Angaben der studentischen Nachrichtenagentur Isna.
  • Der britische Thronfolger Prinz Charles ist am 8. Feb. überraschend in Iran eingetroffen. Er will sich ein Bild der Verwüstung im Erdbebengebiet um die Stadt Bam machen. Am 9. Feb. will er in Teheran Präsident Mohammed Chatami treffen und sich nach den Auswirkungen des verheerenden Erdbebens erkundigen. Charles wollte danach selbst nach Bam reisen, um sich vor Ort zu informieren. Er kam aus Basra im Süden des Iraks, wo er zuvor britische Truppen besucht hatte.
9. bis 15. Februar
  • Trotz des Ausschlusses von mehr als zweitausend reformorientierten Kandidaten wird sich die Partei des iranischen Präsidenten Mohammed Chatami an den Parlamentswahlen am 20. Februar beteiligen. Ein Mitglied von Chatamis "Vereinigung der kämpferischen Geistlichkeit", Rassul Montadschabnia, wies am 9. Feb. Berichte des iranischen Innenministeriums zurück, die gemäßigte Reformer-Partei werde nicht zu den Wahlen antreten: Keiner der Kandidaten wolle seine Kandidatur zurückziehen, betonte Montadschabnia laut der studentischen Nachrichtenagentur Isna.
  • Die USA wollen die Demokratisierung im Nahen Osten vorantreiben. Der Plan nach dem Vorbild früherer Vorstöße in Osteuropa soll beim G-8-Gipfel im Juni bekannt gegeben werden. Das schreibt die "Washington Post" am 9. Feb. unter Berufung auf Regierungsbeamte. Kern des Plan sei, arabische und südasiatische Regierungen dazu zu ermutigen, politische und wirtschaftliche Reformen durchzuführen. Als Anreize könnten westliche Nationen verstärkte Finanzhilfen anbieten, berichtet das Blatt.
  • Nach einem Treffen mit dem iranischen Präsidenten Mohammed Chatami ist der britische Thronfolger Prinz Charles am 9. Feb. in der Erdbebenstadt Bam eingetroffen. Er besichtigte mehrere Projekte zum Wiederaufbau und sprach mit Überlebenden. Bei dem verheerenden Erdbeben im Dezember waren mehr als 41.000 Menschen ums Leben gekommen. Charles' Besuch ist der erste eines Mitglieds der britischen Königsfamilie in Iran seit 33 Jahren. Der Kronprinz und Chatami kamen zu einer einstündigen Unterredung im Büro des Präsidenten in Teheran zusammen. Über den Inhalt der als privat bezeichneten Unterredung wurde zunächst nichts mitgeteilt.
  • Die Internationale Liga für Menschenrechte wandte sich am 10. Feb. an die UNO und die Besatzungsmächte im Irak mit der Forderung, eine Auslieferung der Volksmudjahedin in den Iran nicht zuzulassen. "Im Iran drohen den Betroffenen Folter und Hinrichtung. Eine solche von den Besatzungsmächten im Irak geduldete oder gar unterstützte Auslieferung an den Iran wäre eine menschenrechtliche Katastrophe und ein Verstoß gegen die internationalen humanitären Rechte der Betroffenen", heißt es in der Erklärung. (Siehe die Erklärung im Wortlaut.)
  • Revolutionsfeier:
    Inmitten einer schweren Regierungskrise haben am 11. Feb. hunderttausende Iraner den 25. Jahrestag der Islamischen Revolution gefeiert. Aus sieben Richtungen trafen die Menschen zu einer Massenkundgebung auf dem Asadi-Platz in der Hauptstadt Teheran ein. Präsident Mohammed Chatami griff in einer Rede vor der Menge die konservative Geistlichkeit an, die mit dem Ausschluss tausender meist reformorientierter Kandidaten vor der Parlamentswahl am 20. Februar die Krise ausgelöst hatte. Iran stehe vor drei Alternativen, sagte Chatami. Erstens könne es "den Westen imitieren ohne Rücksicht auf den Glauben, die Kultur und die Identität der Iraner". Mit deutlicher Anspielung auf seine konservativen Gegenspieler sagte Chatami weiter, der zweite Weg sei der des Extremismus. Diesen beschritten jene, die "Freiheit und Demokratie im Namen der Religion und der religiösen Werte ablehnen". Der Staatschef verglich dieses Staatsmodell mit dem der fundamentalislamischen Taliban in Afghanistan, das "gewalttätig und abscheulich" gewesen sei. Der richtige Weg für Iran sei jedoch der dritte - der der Reformen, sagte Chatami. In seiner Ansprache kündigte er an, weiter für politische Veränderungen in der Islamischen Republik eintreten zu wollen: "Ob ich Erfolg habe oder nicht, (...) ob die Hindernisse auf diesem Weg zunehmen, ich wiederhole: Ich kenne keinen anderen Weg als den der Reformen." Mit Blick auf die umstrittenen Wahlen fügte er hinzu, es würden "irreparable Schäden" verursacht, wenn das Votum "beschränkt" bliebe.
    Die Teilnehmer der Kundgebungen in Teheran wurden nach Angaben des iranischen Fernsehens mit rund 4.000 Bussen in die Hauptstadt gebracht. "Tod Amerika" und "Tod Israel" riefen viele von ihnen.
    Am 11. Februar begehen die Iraner offiziell den 25. Jahrestag der Islamischen Revolution. Anfang Februar 1979 war Ayatollah Khomeini aus dem französischen Exil nach Iran zurückgekehrt und hatte die Islamische Republik gegründet, welche die Herrschaft des von den USA unterstützten Schahs ablöste.
  • Acht Tage vor der umstrittenen Parlamentswahl in Iran haben am 12. Feb. mehr als 5.600 Kandidaten ihren Wahlkampf aufgenommen. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um konservative Hardliner, die nach ihrer Niederlage gegen die Reformer 2000 nun die Mehrheit im Parlament zurückgewinnen wollen. Mehr als 2.000 Kandidaten der Reformbewegung wurden von der Wahl am 20. Februar ausgeschlossen. Die Reformer riefen daraufhin zu einem Boykott auf. Umfragen zufolge ist nur mit einer Wahlbeteiligung von höchstens 30 Prozent zu rechnen. Der konservative Wächterrat hatte zunächst mehr als 3.600 Reformkandidaten disqualifiziert. Aus Protest dagegen legten etwa 130 liberale Abgeordnete ihre Ämter nieder. Der Wächterrat ließ daraufhin rund 1.100 zunächst ausgeschlossene Politiker wieder zur Wahl zu. Die Reformer kritisierten den Schritt als rein kosmetisch, da davon keine prominenten liberalen Bewerber und keine Parteiführer betroffen waren. Die größte Reformpartei des Landes, die Islamische Iranische Beteiligungsfront, sowie mehrere weitere Parteien boykottieren die Abstimmung.
  • Die USA haben Iran ein Ultimatum bis März gesetzt, um sein Atomwaffenprogramm einzustellen. Bis zur Konferenz der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die am 8. März beginnt, habe Iran Zeit, um seine im vergangenen Jahr gemachten Versprechen zu erfüllen, sagte Außenamtssprecher Richard Boucher am 13. Feb. in Washington. Wenn Iran sich nicht kooperativ zeige, könne die USA darauf dringen, dass die IAEA die Angelegenheit an den UN-Sicherheitsrat weiterleitet, wo dann Sanktionen beschlossen oder andere Schritte eingeleitet werden könnten.
  • Von den rund 5.600 zur Parlamentswahl am 20. Februar in Iran zugelassenen Bewerbern haben nach offiziellen Angaben 550 inzwischen ihre Kandidatur wieder zurückgezogen. Das berichteten die Teheraner Zeitungen am 14. Feb. unter Berufung auf das Innenministerium, das die Wahlen organisiert. Gründe für die Entscheidung der Kandidaten wurden nicht genannt.
  • Nach dem Ausschluss liberaler Kandidaten hat sich der größte iranische Studentenverband den Aufrufen zum Boykott der Parlamentswahl angeschlossen. Die Organisation namens Büro zur Förderung der Einheit verband dies am 15. Feb. mit Kritik an Präsident Mohammade Chatami, der an der Wahl festhalte, obwohl er sie für unfair erklärt habe. Chatami habe sich damit dem Druck der konservativ-islamischen Kräfte gebeugt, kritisierte der Studentenverband.
16. bis 22. Februar
  • Iran hat Forschungen zum Bau einer neuen Generation von Zentrifugen zur Anreicherung von Uran bestätigt. Der Sekretär des Ausschusses für internationale Beziehungen beim Nationalen Sicherheitsrat, Hossein Mussavian, sagte der Zeitung "Hamschahri" (Ausgabe vom 16. Feb.), dies sei der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) im Vorhinein gemeldet worden. Als "Lüge" bezeichnete Mussavian Meldungen, wonach Iran die neuen Zentrifugen bereits baue. Der IAEA-Gouverneursrat will am 8. März über die Lage in Iran beraten.
  • Vier Tage vor der Parlamentswahl in Iran hat der reformorientierte Staatspräsident Mohammed Chatami die Bevölkerung dazu aufgerufen, gegen eine konservative "Minderheit" zu stimmen. Selbst wenn die Wahlberechtigten nicht für ihre eigentlichen Kandidaten stimmen könnten, sei es ihnen doch möglich, diejenigen zu verhindern, deren Einzug ins Parlament sie nicht wünschten, hieß es in einer am 16. Feb. von der amtlichen Nachrichtenagentur Irna verbreiteten Erklärung Chatamis. Die Nichtbeteiligung an der Wahl bedeute, dass eine "Minderheit" über das Schicksal des Landes bestimmen werde, erklärte der Präsident unter Anspielung auf die islamischen Hardliner.
  • Kurz vor der Parlamentswahl in Iran haben sich reformorientierte Abgeordnete am 17. Feb. gegen das geistliche Oberhaupt der Islamischen Republik, Ayatollah Ali Chamenei, aufgelehnt. Etwa 70 der rund 130 Parlamentarier des Reformlagers, die aus Protest gegen den Ausschluss tausender Kandidaten von der Wahl durch den Wächterrat ihren Rücktritt eingereicht hatten, prangerten in einem im Parlament verlesenen Brief an Chamenei indirekt dessen Rolle an. Die Abgeordneten stellten darin unter anderem die Frage, was an den Gerüchten sei, dass der Wächterrat die Ausschlüsse mit Chameneis "Erlaubnis" bewerkstelligt habe.
  • Kurz vor der Parlamentswahl in Iran hat der stellvertretende Parlamentschef und Reformpolitiker Mohammed Resa Chatami ein Ende der islamischen Regierung gefordert. Chatami, Bruder von Staatschef Mohammed Chatami, antwortete mit "Ja" auf die Frage eines Reporters der spanischen Zeitung "El País" (Ausgabe vom 18. Feb.), ob in Iran nach einem Vierteljahrhundert die Zeit für eine laizistische Regierung ohne Beteiligung der religiösen Kräfte gekommen sei. Die Wahl sei nach dem Ausschluss von tausenden zumeist reformorientierten Kandidaten "illegal, ungerecht" und eine "Farce ohne Freiheit", sagte der Chef der Islamischen Beteiligungsfront. Er forderte seinen Bruder auf, sich hart mit dem neuen konservativen Parlament auseinanderzusetzen.
  • Zwei Tage vor der umstrittenen Parlamentswahl in Iran hat sich auch die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi für einen Boykott ausgesprochen. Da ihr die Kandidaten nicht gut genug bekannt seien, werde sie nicht zur Wahl gehen, sagte sie einer Teheraner Zeitung.
  • Bei der Explosion eines mit Schwefel beladenen Zuges in Iran sind am 18. Feb. mindestens 182 Menschen ums Leben gekommen. Mindestens 350 weitere Menschen wurden verletzt, wie Vize- Provinzgouverneur Mohammed Maghdori dem staatlichen iranischen Fernsehen sagte. Der mit Schwefel, Benzin, Düngemitteln und Baumwolle beladene Zug geriet nach Behördenangaben in der Nähe der Stadt Neischaburg im Nordosten des Landes in Brand und explodierte während der Löscharbeiten. Der abgestellte Güterzug mit rund 50 Waggons sei durch Erdstöße in Bewegung gesetzt worden, berichtet die Nachrichtenagentur IRNA unter Berufung auf offizielle Stellen vor Ort. In einem Bahnhof seien dann mehrere dieser Waggons entgleist.
    Bei der Zugexplosion sind nach neuen Angaben mindestens 320 Menschen getötet worden. Mindestens 460 Menschen wurden verletzt, wie der Vorsitzende der Hilfsorganisation Roter Halbmond in der betroffenen Provinz, Sejed Ali Hosseini, am 19. Feb. mitteilte.
  • Einen Tag vor der umstrittenen Parlamentswahl in Iran ist die konservative Justiz erneut gegen die Reformbewegung im Land vorgegangen. Die Staatsanwaltschaft in Teheran verbot am 19. Feb. das Erscheinen der beiden Zeitungen "Schargh" und "Jas-i No", wie die beiden Publikationen mitteilten.
  • Die Öffnungszeit der Wahllokale für die Parlamentswahl in Iran ist am 20. Feb. um eine Stunde verlängert worden. Grund sei die "hohe Wahlbeteiligung", meldete der staatliche Rundfunk unter Berufung auf das Innenministerium in Teheran. Die Verlängerung der Wahl in Iran war von Beobachtern erwartet worden. Nach dem Ausschluss der meisten reformorientierten Kandidaten durch den konservativen Wächterrat scheint der Ausgang des Urnengangs von vornherein festzustehen. Einzige offene Frage war daher die Höhe der Wahlbeteiligung. Zahlreiche Reformparteien und reformorientierte Intellektuelle hatten zum Boykott aufgerufen, weil ihr Lager ohnehin chancenlos sei.
  • Die Europäische Union hat sich besorgt über den Ablauf der Parlamentswahl in Iran geäußert. Die EU beobachte den Wahlgang genau und sei besonders wegen der Vorfälle im Vorfeld der Wahl beunruhigt, sagte eine Mitarbeiterin der EU-Kommission am 20. Feb. in Brüssel. Die "Qualität von Demokratie" beeinflusse die Beziehungen der EU zu all ihren Partnern. Die Vorgänge würden von der Union "sehr ernst" genommen. Dennoch werde die iranische Parlamentswahl ungeachtet ihres Ergebnisses nichts daran ändern, dass die EU die "Kommunikationskanäle" nach Teheran offen halten werde, sagte die Mitarbeiterin weiter.
  • Der iranische Innenministerium hat am Abend des 20. Feb. um 22.00 Uhr Ortszeit (19.30 Uhr MEZ) die Schließung der Wahllokale angeordnet. Nach einer offiziellen Erklärung ist die Parlamentswahl damit beendet, nachdem die Öffnungszeiten zuvor viermal verlängert worden waren. Die Verlängerungen waren mit dem großen Andrang an den Wahllokalen begründet worden.
  • Bei der Parlamentswahl in Iran haben in der Hauptstadt Teheran lediglich 28 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Das teilte nach einer Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA am 21. Feb. ein Vertreter des Innenministeriums mit. Bei der Wahl vor vier Jahren hatten im ganzen Land nach offiziellen Zahlen 67 Prozent der Stimmberechtigten gewählt.
  • Der geistliche iranische Führer Ayatollah Ali Chamenei hat das iranische Volk zum Sieger der Parlamentswahl erklärt. Die USA, Israel und "die Feinde Irans" seien hingegen Verlierer der Wahl, hieß es in einer am 21. Feb. im Fernsehen verlesenen Erklärung Chameneis. Bei seiner Stimmabgabe hatte der konservative Führer erklärt, die Wahlen seien wichtiger denn je, denn "unsere Feinde versuchen, die Volksbewegung gegen die Urnen aufzubringen".
  • Im Iran haben sich die Konservativen am 21. Feb. zum Gewinner der Parlamentswahlen erklärt. In Teheran liegen deren Kandidaten in Führung. Nach Auszählung von 160 der 207 Wahldistrikte holten sie sieben von 13 Sitzen. Die Reformer kommen zunächst auf sechs Mandate. Das Wahlverhalten in der Hauptstadt gilt als Indikator für die politische Stimmung im Lande. Laut staatlichem Fernsehen liegt die Wahlbeteiligung bei 60 Prozent - trotz Boykottaufrufen. Die Reformer schätzen die Beteiligung landesweit auf unter 50 Prozent.
  • Nur jeder zweite Wahlberechtigte hat bei der iranischen Parlamentswahl seine Stimme abgegeben. Wie das Innenministerium in Teheran am 22. Feb. auf seiner Internetseite mitteilte, lag die Beteiligung bei der Wahl am Freitag bei 50,57 Prozent und erreichte damit den niedrigsten Stand seit Gründung der Islamischen Republik vor 25 Jahren. Von den 46,351 Millionen Wahlberechtigten gingen demnach 23,438 Millionen wählen. Bei der ersten Parlamentswahl am 14. März 1980 erreichte die Wahlbeteiligung 52,14 Prozent. Im Jahr 2000 gingen 67 Prozent der Berechtigten wählen.
  • Nach der Parlamentswahl in Iran sind bei Auschreitungen im Südwesten des Landes vier Menschen ums Leben gekommen, berichteten die Agenturen am 22. Feb. Drei weitere Menschen wurden bei den Randalen im Wahlkreis Iseh verletzt, wie ein örtlicher Behördenmitarbeiter der studentischen Nachrichtenagentur Isna sagte. Zu den Gewalttätigkeiten sei es nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse gekommen. Enttäuschte Wähler hatten sich nach Agentur- und Ministeriumsangaben am 21. Feb. in mehreren Teilen Irans mit Sicherheitskräften Straßenschlachten geliefert. In der südwestlichen Provinz Chusistan steckten Demonstranten laut Isna Behördenfahrzeuge in Brand und versuchten, die Präfektur der Provinz zu stürmen. Auch im Wahlkreis Firusabad im Zentrum Irans kam es nach Angaben des Innenministeriums zu Unruhen.
23. bis 29. Februar
  • Am 23. Feb. wurde berichtet, dass bei den Ausschreitungen nach Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse am Wochenende (21./22. Feb.) insgesamt mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen seien. Demonstranten versuchten am Samstag, die Präfektur in der Provinz Chusistan zu stürmen, wie die Nachrichtenagentur Isna meldete.
  • Die EU-Außenminister haben den Ausschluss von Reformkandidaten bei den iranischen Parlamentswahlen als "Rückschlag" für den demokratischen Prozess des Landes verurteilt. Dadurch sei eine wirklich demokratische Wahl für das iranische Volk unmöglich gemacht worden, hieß es in einer am 23. Feb. in Brüssel beschlossenen Erklärung. Über Konsequenzen für die EU-Beziehungen zu Iran wurde nach Angaben von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) in der Ratstagung nicht gesprochen. Die Dinge seien aber "durch die Entwicklungen alles andere als einfacher geworden". Der Ausschluss von Kandidaten, "nur weil die Richtung nicht passt", sei "eine erhebliche Einschränkung des Prinzips freier und fairer Wahlen", sagte Fischer.
  • Abgeordnete im iranischen Parlament, die bei den Wahlen für die neue Legislatur ihr Mandat verloren, warfen den konservativen Politikern vor, in Iran ein islamisches System wie das der Taliban in Afghanistan errichten zu wollen. "Sie wollen keine Republik", sagte die Abgeordnete Fatemeh Haghighatjou am 23. Feb. Die Wahlen seien unfair gewesen und hätten nur das Ziel gehabt, ein unterwürfiges Parlament hervorzubringen. Der ebenfalls den Reformkräften angehörende Abgeordnete Mohammad Kianoush-Rad sagte, die historisch niedrige Wahlbeteiligung von nur gut 50 Prozent zeige die wachsende Kluft zwischen Volk und Regierung.
  • Die USA sehen die Reformbewegung in Iran trotz des deutlichen Wahlsiegs der Konservativen weiter auf dem Vormarsch. "Die Wahl wird Bemühungen, Iran zu reformieren, nicht stoppen", sagte US-Außenamtssprecher Richard Boucher am 23. Feb. in Washington. "Unsere Meinung ist, dass der Kampf für Reformen, der Kampf für Demokratie in Iran weitergehen wird, ungeachtet des Rückschlags durch die Wahlen." Washington glaube weiter daran, dass "das iranische Volk eine Regierung verdient, die seine Wünsche berücksichtigt", sagte Boucher. Diese Wünsche würden auch weiterhin "auf verschiedene Arten" ausgedrückt werden. Die Parlamentswahl vom Freitag kritisierte Boucher als "fehlerhaft". Sie habe nicht "internationalen Standards" entsprochen.
  • Das iranische Außenministerium hat die Kritik von USA und EU an der Parlamentswahl vom 20. Feb. als "unannehmbar" zurückgewiesen. Die entsprechenden Kommentare seien eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes, sagte Außenamtssprecher Hamid Resa Assefi am 24. Feb. nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Irna. Sie zeugten außerdem von Unkenntnis über die Wirklichkeit und die derzeitige Entwicklung in Iran. Der Sprecher verwies auf eine "massive" Wahlbeteiligung.
  • Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat Iran vorgeworfen, seine Zusagen zur umfassenden Offenlegung seines Atomprogramms nicht eingehalten zu haben. "Grund zur ernsthaften Besorgnis" liefere vor allem das Verschweigen Teherans, im Besitz von Plänen zum Bau von Zentrifugen für die Uran-Anreicherung zu sein, kritisierte die UN-Behörde in einem am 24. Feb. an die Vertreter ihres Führungsgremiums verteilten Bericht zur iranischen Atompolitik, der auch der Nachrichtenagentur AFP vorlag. Kontrolleure in Iran fanden Hinweise auf das radioaktive Element Polonium, dass zur Einleitung atomarer Kettenreaktionen eingesetzt werden kann. Iran habe die Verwendung von Polonium in seinen Berichten an die IAEA nicht deklariert, hieß es. Das Element kann auch zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Nach den Worten eines westlichen Diplomaten bedeutet der Bericht, dass "Iran beim Lügen erwischt wurde".
    Die iranische Regierung hat den Bericht über die Aufdeckung weiterer nicht deklarierter Atomversuche als Missverständnis zurückgewiesen. Die vermeintlich neuen Experimente seien längst bekannt gewesen, sagte Außenamtssprecher Hamid Resa Asefi am 25. Feb. in Teheran. Das Missverständnis werde sich in Kürze aufklären, und die Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) würden beweisen, dass das iranische Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken diene.
  • In Iran ist am 25. Feb. der Sieg der Konservativen bei der umstrittenen Parlamentswahl offiziell bestätigt worden. Das Innenministerium in Teheran veröffentlichte auf seiner Internetseite das Endergebnis, wonach die Konservativen in der Hauptstadt 27 von 30 Mandaten erlangten und damit im Parlament über die absolute Mehrheit verfügen. Die Parlamentswahl vom 20. Feb. wurde international kritisiert, weil Tausende reformorientierte Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden waren.
  • Die Europäische Union hat nach den Worten von Außenkommissar Chris Patten große Bedenken hinsichtlich der demokratischen Entwicklung in Iran. Vor allem bei den Menschenrechten seien kaum Fortschritte erzielt worden. Gleichwohl plane die EU zurzeit keine Sanktionen gegen Teheran, sagte Patten nach einer Begegnung mit der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi am 26. Feb. in Brüssel. Ebadi bat ausdrücklich darum, keine Strafmaßnahmen gegen Teheran zu verhängen. Die einzige Hoffnung der Reformer liege im Dialog mit dem Westen, sagte sie. Patten betonte allerdings, dass die 2002 begonnenen Gespräche über einen Ausbau der Handelsbeziehungen und anderer Kontakte unweigerlich mit den Menschenrechten, der Demokratie und politischen Aspekten wie der Frage nach dem iranischen Atomprogramm verknüpft seien.
  • Das iranische Parlament hat Ausgaben von umgerechnet 1,26 Millionen Euro zur Abwehr von "amerikanischer Einmischung" gebilligt. Das am 28. Feb. verabschiedete Budget markiert eine leichte Erhöhung der einschlägigen Finanzmittel gegenüber dem Vorjahr. Das Geld werde dazu benutzt, Versuche der USA zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten Irans sowie feindliche Verschwörungen zurückzuweisen, hieß es im staatlichen Rundfunk. Außerdem werde Iran die USA vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen "kultureller Invasion" verklagen, wozu ebenfalls Finanzmittel benötigt würden. Der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA zufolge reagiert Teheran damit auf die Entscheidung der USA, die Ausstrahlung von Rundfunk- und Fernsehsendungen nach Iran zu intensivieren. Im so genannten Iran Democracy Act plädiert die US-Regierung ferner für ein Referendum des iranischen Volkes über die politische Zukunft des Landes.


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