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Nein zum Bundeswehreinsatz im Irak!

Dokumentiert: Christine Buchholz (DIE LINKE) im Bundestag

Christine Buchholz (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spiegel Online meldet gerade, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Verfassungsmäßigkeit dieses Einsatzes in Zweifel zieht. Die Linke teilt diese Einschätzung und fordert die Regierung auf, sich dazu zu positionieren.

(Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Haben Sie gerade nicht zugehört?)

Wir sind nicht der Meinung, dass die Schwelle für Auslandseinsätze der Bundeswehr weiter herabgesetzt werden soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber lassen Sie mich inhaltlich gegen dieses Mandat argumentieren. Im Jahr 2001 haben die USA und ihre Verbündeten ihren sogenannten Krieg gegen den Terror begonnen. Afghanistan und Irak wurden angegriffen und besetzt. Das hat den Terror offenkundig nicht gestoppt. Schaut man sich die Gräueltaten des IS und die Ausbreitung von terroristischen Organisationen in Ländern wie Jemen, Syrien, Irak an

(Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Afghanistan ist kein Ausbildungsplatz für Terroristen mehr!)

und schaut man sich die terroristischen Aktivitäten in Europa an, wie die schrecklichen Anschläge in Paris, dann muss man feststellen: Es gehört zur Ehrlichkeit, zu sagen: Es ist auch der von den USA und ihren Verbündeten geführte Krieg gegen den Terror, es sind die Drohnenangriffe auf Hochzeitsgesellschaften, es sind die nächtlichen Razzien in Dörfern, es ist Abu Ghureib, was Hass geschürt und einen fruchtbaren Boden für die Ausweitung des Dschihadismus geschaffen hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Ohne den Angriff auf den Irak im Jahre 2003, ohne die folgende Invasion des Landes durch die US-geführte Koalition der Willigen, die Hunderttausende Menschen das Leben kostete und die religiöse Spaltung vertiefte, würde es den sogenannten Islamischen Staat, diese unheilige Allianz aus Dschihadisten und Anhängern des früheren Diktators Saddam Hussein, gar nicht geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die vergangenen Bundesregierungen haben den sogenannten Krieg gegen den Terror mal direkt, mal indirekt unterstützt. Auch im Irak ist Deutschland schon längst Teil der Koalition der Willigen.

(Florian Hahn (CDU/CSU): Jetzt erzählen Sie mal, was Sie gegen ISIS machen wollen!)

Die Linke hält diese Ausrichtung im Grundsatz für falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei dem Bundeswehreinsatz, der heute erstmals im Plenum diskutiert wird, geht es nicht nur um die Ausbildung von Kämpfern in Irakisch-Kurdistan; vielmehr soll der geplante Einsatz auch das Regime in Bagdad unterstützen. Dieses Regime kann sich nur mithilfe von radikalschiitischen Milizen halten, die, so Amnesty International, völlig straflos Verbrechen an sunnitischen Gefangenen und Zivilisten begehen.

(Rainer Arnold (SPD): Und deshalb lassen wir die Menschen im Norden im Stich?)

Der Innenminister in Bagdad selbst ist Führer einer dieser Milizen.

(Michael Brand (CDU/CSU): Und deshalb schauen wir dem IS zu? - Henning Otte (CDU/CSU): Wie können Sie das verantworten?)

Dort, wo die schiitischen Milizen Orte erobern, gibt es sogenannte ethnische Säuberungen, zum Beispiel in Dschurf al-Sachar, wo im Oktober 80 000 Sunniten vor den Milizen flohen. Im Dezember haben Offiziere der irakischen Armee das sunnitisch besiedelte Ackerbaugebiet um Bagdad zur „Killing Zone“ erklärt, in der jeder Mensch getötet werde. Ich sage: Die Bundeswehr darf nicht zum Bündnispartner eines solchen Regimes werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn es bringt genau die Bedingungen hervor, die zur sektiererischen Spaltung des Landes und zum Aufstieg des sogenannten Islamischen Staates geführt haben.

(Florian Hahn (CDU/CSU): Ja, den gibt es ja schon! - Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Ihre Logik ist schwer nachvollziehbar! - Ingo Gädechens (CDU/CSU): Ihre Rede ist viel zu lang! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Nun regen Sie sich nicht auf. Sie haben ja genug Redezeit in diesem Saal.

Der Luftkrieg der Koalition der Willigen geht unterdessen weiter. Diese Bomben treffen immer wieder auch Zivilisten. Obgleich es darüber Belege gibt, wird hier im Bundestag nicht einmal die Frage nach zivilen Opfern gestellt. Ich sage Ihnen: Der Tod von Frauen, Kindern und Männern schafft neuen Hass und stärkt genau jene, die Sie zu bekämpfen vorgeben.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU)

Schauen wir uns das Mandat genau an: Die Bundeswehr soll also nicht nur die kurdischen Peschmerga, sondern auch irakische Streitkräfte ausbilden. Die Bundeswehr entsendet Offiziere auch in die Stäbe der irakischen Streitkräfte und in die Stäbe der Kriegskoalition in Kuwait. Die einzusetzenden Fähigkeiten reichen von Beratung, Ausbildung und Führung bis hin zur Lagebilderstellung durch das militärische Nachrichtenwesen. Schrittweise treibt die Bundesregierung Deutschland immer tiefer in einen Krieg hinein, dessen Ende unabsehbar ist, und das macht die Linke nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Elend der zum Teil schwer traumatisierten Flüchtlinge im Nordirak ist kaum zu ertragen. Wir sagen: Ja, es muss mehr humanitäre Hilfe im Norden geleistet werden, um die katastrophale Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Auch muss das absurde PKK-Verbot endlich aufgehoben werden, um den kurdischen Widerstand zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN - Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Womit kämpft die PKK?)

Doch all das wird zunichtegemacht, wenn die Bundesregierung gleichzeitig weiter Öl ins Feuer gießt und im Bündnis mit US-Luftwaffe und radikal-schiitischen Milizen sunnitische Bevölkerungsteile in die Hände des IS treibt. Verlassen Sie den Weg von Krieg und Waffenlieferungen! Stellen Sie den Frieden und den Kampf gegen Armut und Ausgrenzung im Irak ins Zentrum Ihrer Bemühungen! Ändern Sie Ihre Politik! Denn dann können Sie tatsächlich von sich behaupten, die Ursachen des internationalen Terrorismus zu bekämpfen; mit diesem Mandat allerdings nicht.

(Beifall bei der LINKEN - Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Dann müssten wir aber Leute wie Sie zur psychologischen Kriegsführung einsetzen!)

Quelle: In diesem Fall e-mail von Christine Buchholz mit der Rede; ansonsten Stenografischer Bericht des Bundestags.
Die Rede wurde im Bundestag am 15. Januar 2015 gehalten.



"Hier spielen sich Brandstifter als Feuerwehr auf"

Der Irak-Einsatz der Bundeswehr ist am heutigen Donnerstag Thema im Bundestag. Ein Gespräch mit Alexander Neu **

Dr. Alexander Soranto Neu, Abgeordneter der Partei Die Linke, ist Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

Der Bundestag debattiert am Donnerstag über die Entsendung der Bundeswehr in den Irak zwecks Ausbildungshilfe für die Kurden. Dass sie Hilfe im Kampf gegen die Terrorgruppen des Islamischen Staats (IS) brauchen, ist unbestritten – aber warum ist Ihre Fraktion dagegen, dass sich Deutschland daran beteiligt?

Deutschland beteiligt sich zunehmend an Konflikten unter der Überschrift »Konfliktmeidung« oder »Konfliktmanagement«. An diesen Kriegen sind aber die westlichen Staaten, insbesondere unsere Verbündeten, in erheblichem Maße mitschuldig. Hier spielen sich jetzt Leute als Feuerwehr auf, die den Brand selbst gelegt haben! Letztlich geht es um Einflusszonen, man braucht sich nur den Irak anzuschauen.

Was sagt denn die Verfassung dazu?

Da wird es schwierig. Die Bundeswehr darf laut Artikel 24 Grundgesetz nur im Rahmen eines »Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit« in einen Auslandseinsatz geschickt werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)hat zwar 1994 festgestellt, das treffe auch auf einen Einsatz im Rahmen der NATO zu. Diese Entscheidung halte ich für falsch. Das BVerfG hat seinerzeit der Bundesregierung ein Gefälligkeitsurteil geliefert. Die NATO ist aber kein »Sicherheitskollektiv«; sondern war ein Verteidigungskollektiv und ist seit den frühen 90er Jahren ein Interventionsbündnis und somit genau das konzeptionelle Gegenteil eines »Sicherheitskollektivs«. Die UNO hingegen ist ein solches, wenn auch unvollkommen. Im Fall der Irak-Aktion bezieht sich die Regierung aber weder auf NATO noch UN, sondern erwähnt lediglich den Artikel 24. Das ist verfassungsrechtlich nicht tragfähig – eine adhoc-Koalition ist kein »Sicherheitskollektiv«.

Wie geht Ihre Fraktion mit diesem mutmaßlichen Bruch des Grundgesetzes um?

Wir wollen aus politischen Gründen nicht dagegen klagen. Die SPD würde uns gerne vorschicken, denn sie will den Einsatz gerne auf verfassungsrechtlich sauberen Terrain. Wir werden doch nicht für die SPD die Kohlen aus dem Feuer holen. Sie hatte diesen Weg schon mal 1994 eingeschlagen. Es ging damals um Bundeswehreinsätze zur Seeraumüberwachung der jugoslawischen Adria – das war aber nicht der Hauptgrund für die SPD. Ihr ging es um die Feststellung, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr erlaubt sind. Das BVerfG würde, so meine Prophezeiung, genau so wieder entscheiden wie 1994, also das Grundgesetz im Sinne der Bundesregierung neu interpretieren. Davon abgesehen können wir auch nicht klagen, da für die Organklage die Mitbestimmungsrechte des Parlamentes beschnitten sein müssten. Dass ist aber nicht der Fall. Eine andere Möglichkeit wäre eine Normenkontrollklage beim BVerfG, dafür bekommen wir im Bundestag aber nicht die nötigen 25 Prozent der Stimmen zusammen.

Ihre Fraktion ist dagegen, Ihr Fraktionschef Gregor Gysi hat aber so etwas wie einen Kompromiss angeboten: Irakisch-kurdische Kämpfer, so meint er, könnten ja auch in Deutschland ausgebildet werden.

Wir sollten die Diskussion nicht auf die irakischen Kurden reduzieren. Auch die Kurden aus Syrien und der Türkei müssen unterstützt werden, dazu müsste die Regierung erst einmal das Verbot der PKK aufheben. Wenn man die alle militärische ausbildet, hätte das auch eine strategische Stoßkraft. Das heißt aber nicht, dass wir als Linke dem auch zustimmen sollten, auch wenn die Bundesregierung damit ihre eigene Glaubwürdigkeit steigert.

Sie sind also auch gegen die von Gysi vorgeschlagene Lösung?

Ja. Aber der Vorschlag von Gysi ist selbst nur eine Provokation in Richtung Bundesregierung, um deren widersprüchliche Position bloßzustellen.

Kurz zu den Mitbestimmungsrechten des Parlaments. Kann die Entscheidung, deutsches Militärpersonal in ein Krisengebiet zu schicken, einfach so durchgewinkt werden? Was sagt das Grundgesetz dazu?

Die Regierung hat nun mal im Bundestag eine Riesenmehrheit, mit der sie vieles machen kann. Unsere Fraktion ist leider zu klein, wir können ja nicht einmal eine Normenkontrollklage einreichen. Wir können leider nur im Parlament unsere Argumente vortragen und dagegen stimmen. Die Bundesregierung bewegt sich zwar in einem verfassungsrechtlichen Graubereich, wir haben dagegen aber keine juristische Handhabe.

Interview: Peter Wolter

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 15. Januar 2015


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