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Irak zeigt anklagend auf Syrien

Hilflose Geste Bagdads nach immer neuen Terroranschlägen

Von Karin Leukefeld *

Ein Selbstmordattentäter hat am Montag (7. Sept.) in der westirakischen Provinz Anbar neun Menschen mit in den Tod gerissen. Die irakische Regierung beschuldigt Syrien, den Terror zu fördern.

Mit der Verlegung polizeilicher Sondereinheiten an die irakisch-syrische Grenze hat der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki am Wochenende sein Misstrauen gegenüber dem Nachbarn Syrien bekräftigt. Tariq Yousuf, Polizeichef der Anbar-Provinz, die im Westen an Syrien grenzt, sprach von »Notstandstruppen«, die an der Grenze »Lücken auffüllen« sollen. »Aus Syrien droht Gefahr«, zitierte er die Anordnung der Regierung. Seine Einheiten hätten in den vergangenen zwei Monaten »zwei Eindringlinge gefasst«.

90 Prozent der ausländischen Kämpfer in Irak kämen aus Syrien, so Maliki, der das Land indirekt für die Anschläge vom 19. August verantwortlich macht, bei denen mindestens 95 Menschen getötet und mehr als 1000 verletzt wurden. Angeblich hätten Funktionäre der irakischen Baath-Partei den Auftrag zu den Anschlägen erteilt. Dies hatte ein ehemaliger Polizeichef in einem Videogeständnis erklärt. Die Baath-Partei, die in Irak seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 verboten ist, habe mit Al-Qaida die Anschläge von Syrien aus geplant, behauptet Maliki, der zur Aufklärung ein UN-Sondertribunal fordert.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad bezeichnete die Vorwürfe als »unmoralisch« und forderte Irak auf, Beweise vorzulegen. Die von Bagdad veröffentlichten Satellitenaufnahmen bezeichnete das syrische Außenministerium als alt und nicht aussagekräftig.

Die Stationierung zusätzlicher Polizeikräfte entlang der Grenze lasse die Spannungen eskalieren, erklärte Fares Braizat von der Katar-Universität in einem Interview mit dem Nachrichtensender »Al Dschasira«. Syrien fühle sich »provoziert«, zumal das Land viele irakische Flüchtlinge aufgenommen habe. Möglicherweise versuche Maliki vor Wahlen, neue Verbündete im Westen und in der Region zu finden, die Syrien politisch isolieren wollten. »Syrien hat in der Region und im Westen nur wenige Freunde«, weiß Braizat.

Der Ruf nach einem UN-Tribunal erinnere an das Sondertribunal wegen des Mordes an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri 2005, für den Syrien ebenfalls verantwortlich gemacht wurde. Weil »das Hariri-Tribunal nicht vorankommt«, vermutet Braizat, könnte Syrien in eine neue Konfrontation gezwungen werden. Man müsse sich fragen, warum die Vorwürfe Syrien per Medien gemacht wurden und nicht, wie üblich, auf dem diplomatischen Weg.

In Bagdad gehen die Meinungen über die Hintergründe der Anschläge weit auseinander. Vizepräsident Adil Abdulmehdi vom Hohen Islamischen Rat in Irak erklärte, dass seiner Meinung nach nicht die Baath-Partei dahinter stecke. Man müsse weiter untersuchen und solle die diplomatischen Beziehungen mit Syrien wieder aufnehmen. Kurz nach den Anschlägen waren auch Iran und Saudi-Arabien beschuldigt worden, damit zu tun zu haben. 23 nationale und internationale Geheimdienste agieren in Irak.

In der englischen Ausgabe der irakischen Tageszeitung »Az-Zaman« wurde die Ansicht geäußert, die irakische Regierung werde von schlechten US-Beratern gegen Syrien gehetzt. Darauf deute die Forderung Malikis an den Sicherheitsrat hin, ein Sondertribunal zur Untersuchung der Anschläge einzurichten. Spannungen seien für den neuen Kurs der Obama-Regierung im Nahen Osten kontraproduktiv, angesichts der militärischen Niederlagen in Afghanistan und Irak bräuchten die USA »Ruhe und Stabilität«. Gegen die regionalen Spieler, darunter auch Syrien, zu agieren, käme einem »Selbstmord für die US-Regierung« gleich.

Irakische Anti-Terror-Einheiten hatten eigenen Angaben zufolge unmittelbar vor den Anschlägen 18 Netzwerke von »Aufständischen« gesprengt und angebliche Kämpfer der Qaida-Gruppe »Islamischer Staat Irak« und der verbotenen Baath-Partei gefangengesetzt. »Wir haben 66 Terroristen festgenommen, Araber verschiedener Nationalitäten«, erklärte ein aus Sicherheitsgründen maskierter Offizier der Einheit auf einer Pressekonferenz in Bagdad. Die Festnahmen seien unter anderem in Bagdad, Diyala und Mossul erfolgt. Die Terrorakte habe man dennoch nicht verhindern können.

* Aus: Neues Deutschland, 8. September 2009


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