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Ende der Eiszeit?

Syrien und Irak nehmen nach 25-jähriger Unterbrechung wieder diplomatische Beziehungen auf

Syrien und der Irak unterzeichneten am 21. November 2006 ein Abkommen über die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, die vor 25 Jahren abgebrochen worden waren. Das Dokument wurde während des offiziellen Besuches des syrischen Außenministers Walid Al Muallem in Bagdad unterzeichnet, wo er sich mit hochrangigen irakischen Politikern traf. Der syrische Außenminister überreichte ein an den irakischen Präsidenten Dshalal Talabani gerichtetes Schreiben vom syrischen Präsidenten Baschar Asad.
"Wir haben vor kurzem ein Abkommen abgeschlossen, laut dem die vor 25 Jahren abgebrochenen diplomatischen Beziehungen völlig wiederaufgenommen werden", teilte der irakische Außenminister Hoshyar Zibari auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Bagdad mit.
Zu diesem bedeutsamen Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Syrie und Irak dokumentieren wir zwei Artikel aus der Tagespresse.



Irak und Syrien gehen aufeinander zu

Wiederaufnahme der bilateralen Beziehungen in Bagdad vereinbart

Von Karin Leukefeld *

Viele Jahre waren die Beziehungen zwischen Irak und Syrien unterbrochen. Doch nun wurde ein Neubeginn in Bagdad vereinbart.

»Wenn Syrien seine Differenzen mit den USA austragen will, soll es das im eigenen Land tun und nicht auf Kosten Iraks.« Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki nahm kein Blatt vor den Mund, als er mit dem syrischen Außenminister Walid Moallem in Bagdad vor die Presse trat. Dieser hatte sich zuvor mit seinem irakischen Amtskollegen Hoschjar Sebari geeinigt, die bilateralen Beziehungen wieder aufzunehmen. 26 Jahre herrschte Funkstille zwischen Damaskus und Bagdad. Syrien hatte der irakischen Führung vorgeworfen, die in Syrien verbotene Muslimbruderschaft zu unterstützen und Irak warf Syrien Verrat vor, als das Land sich im Iran-Irak-Krieg (1980-88) auf die Seite Teherans stellte. Nach US-Angaben sollen seit 2003 jeden Monat zwischen 70 und 100 ausländische Kämpfer aus Syrien illegal die Grenze zu Irak überqueren.

Moallem wies die Anschuldigung zurück. Wie die Mehrheit der arabischen Welt sieht Damaskus die größte Gefahr in der anhaltenden Präsenz ausländischer Truppen in Irak, allen voran der US-Truppen. Die suchen ihrerseits einen Ausweg aus dem »irakischen Morast«. Wallid Moallem wies die Vermutung zurück, er sei gekommen, um den USA »einen Gefallen zu tun«. Es gebe keine Gespräche mit den USA. Gleichwohl traf sich die Gruppe um den ehemaligen US-Außenminister James Baker mehrfach mit dem syrischen Botschafter in Washington. Thema: die Lage in Irak und wie die US-Armee dort wieder heraus kommt.

Iraks Präsident Dschelal Talabani hat derweil eine Einladung seines iranischen Amtskollegen Mahmud Achmadinedschad angenommen. Für Gerüchte, dass auch der syrische Präsident Assad nach Teheran kommen werde, gibt es bisher keine Bestätigung.

Am Alltag in Irak ändert sich kaum etwas. Im November wurden bisher 1000 Menschen getötet. In Haditha wurde dieser Tage der Ermordung eines 74-Jährigen gedacht, der am 19. November 2005 von US-Marines willkürlich getötet worden war. Die Soldaten wurden zwar verurteilt, doch für die Familie und den Dhari-Clan, dem der Mann angehörte, ist der Vorfall auch ein Jahr später nicht vergessen. Die US-Amerikaner hätten mit ihren Versprechen von Frieden und Demokratie schon lange verspielt, sagt Stammesführer Khamis al-Dhari.

Sein Cousin, Harith al-Dhari, Leiter der Vereinigung der sunnitischen Gelehrten, wird inzwischen von der irakischen Regierung per Haftbefehl gesucht. »Vor wenigen Monaten sprach die Regierung Maliki noch von einem Versöhnungsplan«, sagt Khamis al-Dhari. »Angesichts dieses Haftbefehls kann niemand von Versöhnung sprechen.« Jeden Morgen würden neue Leichen auf Bagdads Straßen gefunden, berichtet Dhari. Um herauszufinden, wer für diese Morde verantwortlich sei, müsse man nur eins und eins zusammenzählen. Die Regierung Maliki habe aber nicht die Macht, um die getarnt mit Polizei- oder Armeeuniformen agierenden Männer der Sadr- und Badr-Milizen zu entwaffnen. 44 Abgeordnete der Irakischen Nationalen Vereinigung, eines Zusammenschlusses von drei sunnitischen Parteien im Parlament, drohten bei einem Krisengespräch mit Maliki an, aus der politischen Arbeit auszusteigen und zu den Waffen zu greifen, sollte die Regierung nicht endlich das Treiben der Milizen stoppen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. November 2006


"Schurkenstaat" bändelt mit Bagdad an

Syrien und Irak nehmen überrraschend diplomatische Beziehungen auf. Washington zeigt sich skeptisch

Von Gloria Fernandez **


Der Druck auf US-Präsident George W. Bush wächst. Nach den schweren Wahlrückschlägen im eigenen Land und den desaströsen Lagen in den überfallenen Ländern Irak und Afghanistan nähert sich nun ausgerechnet das bislang als »Schurkenstaat« gebrandmarkte Syrien verstärkt dem Nachbarland Irak an. Beide Staaten nahmen am Dienstag ihre vor 24 Jahren abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder auf. Sie hätten »eine neue Ära« ausgerufen, sagte der irakische Regierungssprecher Ali Al Dabbagh. Die Vereinbarung erfolgte beim Besuch des syrischen Außenministers Walid Moallem, der am Sonntag nach Bagdad gereist war. Es war der erste hochrangige Kontakt zwischen den beiden Regierungen seit dem Sturz von Präsident Saddam Hussein durch die US-Invasoren vor dreieinhalb Jahren.

Syrien werde am »Aufbau von Sicherheit und Stabilität« im Irak mitarbeiten, sagte Al Dabbagh. Der irakische Außenminister Hoschjar Sebari erklärte, in Kürze sollten Botschafter ernannt werden. In einer der ersten Reaktionen aus Washington betonte ein Sprecher des Weißen Hauses am Dienstag, Syrien müsse nun zeigen, »daß es entschlossen ist, bei der Bildung eines Irak zu helfen, der sich selbst regieren und verteidigen kann«. Bislang hatte die Bush-Regierung eine Zusammenarbeit mit Syrien abgelehnt. Im vergangenen Jahr zog Washington seinen Botschafter nach dem Mord am früheren syrischen Premier Rafik Ha­riri aus Damaskus ab. Noch vor einer Woche sagte Außenministerin Condoleezza Rice, sie sehe keine Anzeichen dafür, daß Syrien eine »Kraft der Stabilisierung« sein könne.

Ebenfalls am Dienstag forderte UN-Generalsekretär Kofi Annan die USA auf, zu prüfen, wann der beste Zeitpunkt für einen militärischen Abzug aus dem besetzten Irak ist. Annan zog gegen Ende seiner Amtszeit, die am 31. Dezember ausläuft, bezüglich des Irak eine kritische Bilanz: Das Unvermögen des UN-Sicherheitsrats, die Invasion der US-geführten Truppen zu verhindern, sei der Vorgang, den er mit Blick auf seine zehnjährige Amtszeit am meisten bedauere. »Ich glaube fest daran, daß der Krieg hätte verhindert werden können«, sagte er vor Journalisten.

** Aus: junge Welt, 22. November 2006


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