Ist ein US-Feldzug gegen den Irak noch vermeidbar?
Von Clemens Ronnefeldt, Versöhnungsbund-Referent
Der Direktor des deutschen Orient-Instituts in Hamburg, Prof. Udo Steinbach,
rechnet mit einem baldigen Militärschlag gegen Irak: "Die Attacke auf Bagdad sei nur noch eine Frage der Zeit. Er rechne mit einem Schlag im Mai, sagte der Orient Experte. ... Die Zahl der Opfer werde
auf beiden Seiten `sehr hoch´ sein" (Mainzer Rhein-Zeitung, 18.3.2002).
"Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) bereitet sich bereits auf einen
möglichen US-Angriff auf Irak vor. Die Organisation habe damit begonnen,
Hilfsgüter ins iranische Grenzgebiet zu Irak zu verlegen, sagte UNHCR-Sprecher
Philippe Lavanchy am Sonntag in Teheran. Dabei sollten Zelte, Decken und
Küchengeräte für bis zu 150 000 Flüchtlinge bereitgestellt werden"
(Tagesspiegel,18.3.2002).
Trotz öffentlicher Bekundungen gegen einen US-geführten Irak-Feldzug seitens
der Bundesregierung verbleiben ABC-Spürpanzer in Kuwait. Am 11.3.02 starteten
vier Seefernaufklärer der Bundesmarine ins kenianische Mombasa.
Diese "sollen nach Überzeugung des Militärfachmanns Frieder Bauer russische
Atom-U-Boote am Horn von Afrika aufspüren. ... ein Grund für den Einsatz
könnte sein, dass `ein Krieg gegen Irak´ bevorstehe, sagte Bauer" (Frankfurter
Rundschau, 14.3.02).
In den USA wächst der Widerstand gegen die Kriegspolitik der Regierung Bush,
am 20.4.02 wird es in Washington eine Großdemonstration geben. Auch in
Deutschland werden zum Deutschlandbesuch des US-Präsidenten am 21.5.02 in
Berlin und am 22.5. bundesweit Protestkundgebungen vorbereitet.
Wer sich über Hintergründe des drohenden Irak-Feldzuges informieren möchte
und sich für Handlungsmöglichkeiten für einen internationalen Ausweg aus der
Eskalation interessiert, findet in der Ausarbeitung von Clemens Ronnefeldt, die wir im Folgenden dokumentieren, ausreichend Material und Perspektiven.
Recherchen in Zeiten des Krieges werden immer schwieriger, besonders in
der Vorphase eines angekündigten Angriffes wie im Falle Irak: Welchen
Quellen ist zu trauen? Wer übertreibt, untertreibt, testet aus oder
manipuliert mit welchen Absichten? Ich habe im folgenden Beitrag versucht, ein breites Spektrum von
Pressemeldungen und Artikeln auszuwerten. Weil die Herkunft von Aussagen
sehr entscheidend ist, mache ich meine Informationsquellen ausgiebig
transparent.
Je mehr der 11.9.2001 aus der Erinnerung verblasst, desto schwerer wird
die Legitimation für einen Angriffskrieg samt Beseitigung Saddam
Husseins für die Regierung Bush. Dass die US-Streitkräfte zu einem
militärischen Sieg in der Lage sind, kann kaum bezweifelt werden. In den
US-Denkfabriken stellt sich als größeres Problem, was nach einem Sturz
des Regimes in Bagdad werden soll.
Die Entscheidung für oder gegen einen drohenden Irak-Krieg - der nicht
mit den permanenten selektiven Bombardierungen verglichen werden kann -
hat vielfältige Facetten, die im Folgenden näher beleuchtet werden.
Besonderes Gewicht möchte ich auf die Möglichkeiten zum Engagement für
eine Verhinderung des Krieges am Ende des Artikels legen.
1. Zur aktuellen Lage im Irak
Der deutsche Diplomat Hans-C. von Sponeck, 1998-2000 UN-Koordinator für
Irak, trat aus Protest über die humanitäre Situation im Zweistromland
von seinem Posten zurück. "Die Lebensumstände der irakischen Bevölkerung
sind erbärmlich. Die Gründe für Verelendung und hohe Kindersterblichkeit
liegen in der Sanktionspolitik", lautet sein Fazit, gleichzeitig Titel
der FR-Dokumentation am 7.2.02. Sponeck bestätigt, "dass 500 000 Kinder
in diesem Zeitabschnitt (Anm.: 1990-99, C.R.) wegen verschmutztem
Wasser, fehlender Medikamente und Unterernährung gestorben sind", die
Gesamtzahl der Opfer liegt bei über einer Million.
Während die Bevölkerung im Elend versinkt, kann sich eine kleine
Oberschicht, zu der auch der Clan um Saddam Hussein gehört, durch
Schmuggel und andere Geschäfte erheblichen Luxus leisten.
Der in Köln lebende irakische Schriftsteller Hussein Al-Mozany beschrieb
am 21.2.02 in der FAZ den "Tod des kulturellen Lebens im Irak". Seine
Aussagen sind schwer nachprüfbar:
"Allein in den letzten Wochen wurden dreizehn Offiziere hingerichtet,
unter ihnen befanden sich zwei Generäle, Hussein Ali Hamad und
Abdulkarim al-Hamadani. In der vergangenen Woche wurden mehrere Piloten
der irakischen Luftwaffe festgenommen und ein Major hingerichtet. ...Ein
bekannter Buchhändler, Hashim Udafa, starb unter der Folter, weil er
angeblich harte Devisen außer Landes geschafft hatte, doch der wahre
Grund lag vermutlich in seiner Sympathie für die Untergrundliteratur",
schreibt Al-Mozany.
In irakischen Oppositionskreisen wird die Menschenrechtslage im Irak
zuweilen noch drastischer dargestellt, als sie eh schon ist.
Anmerkungen zur irakischen Opposition
Der Präsident des "Irakischen Nationalkongresses" (INC), der im Londoner
Exil lebende Bankier Ahmed Chalabi, wird derzeit von der US-Regierung
für eine "Nach-Saddam-Hussein-Zeit" aufgebaut: Durch einen längeren
Aufenthalt in Washington ebenso wie beim Aspen Institut in Berlin.
Chalabi haftet allerdings der Makel verschwundener Gelder in Höhe von
ca. zwei Millionen US-Dollar an, die von der US-Regierung eigentlich zur
Stärkung der irakischen Opposition eingesetzt hätten werden sollen (vgl.
FR, 8.3.02).
"In schwierigen Zeiten suchen die irakischen Schiiten Hilfe im Iran",
titelte die FAZ am 23.2.02. Mehr als die Hälfte der rund 23 Millionen
Iraker sind Schiiten, Saddam Hussein aber Sunnit. Seit dem
niedergeschlagenen Aufstand 1991 flohen bis in die zweite Hälfte der
neunziger Jahre "mehr als eine Viertel Million Einwohner des Südiraks in
andere irakische Orte oder ins Nachbarland Iran", so die FAZ. Eine der
wichtigsten Oppositionsgruppen, der "Oberste muslimische Rat für die
Islamische Revolution im Irak" hat ihren Sitz in Teheran. "Die Vereinten
Nationen und internationale Menschenrechtsorganisationen (wiesen) bis
heute auf Hunderte von Hinrichtungen und anderen schweren
Menschenrechtsverletzungen im Irak hin, von denen besonders viele
Schiiten betroffen seien. ... Mehrere führende Repräsentanten des Klerus
wurden unter ungeklärten Umständen ermordet" (FAZ, 13.2.02).
Im Falle eines Krieges würde die schiitische Bevölkerung sich mit großer
Wahrscheinlichkeit gegen das Regime in Bagdad stellen. Hamid Majid Mousa, seit 1993 Sekretär der Irakischen Kommunistischen Partei, fordert den Sturz Saddam Husseins, allerdings nicht über eine
Militärintervention von außen: "Nein zum Krieg. Nein zur ausländischen
Einmischung. Ja zum Kampf des irakischen Volkes gegen dieses System und
für die Errichtung einer demokratischen Alternative", lautet seine
Parole (in: junge Welt, 9./10.3.02). "Wir werden in keinem Fall die
Rolle der `Nordallianz´ übernehmen. Auch die kurdischen Parteien nicht",
meint Mousa, der bei einem Angriff der USA, den er für wahrscheinlicher
hält "als alle anderen Optionen", mit einem Volksaufstand und einem
Auseinanderfallen der irakischen Armee rechnet.
"Amerika mobilisiert Kurden" titelte der Spiegel am 9.2.2002 (S.125) und
führte aus, dass bei einem Aufstand die dreieinhalb bis vier Millionen
irakischen Kurden in der nördlichen Schutzzone "die Hauptlast" zu tragen
hätten: "Um die strategisch wichtige Allianz mit den Kurden zu sichern,
versprachen US-Emissäre den prominenten Kurdenführern Massud Barsani und
Dschalal Talabani, eine `international garantierte, nationale
Heimstätte´ zu schaffen". Diese würde die türkische Regierung gerne
verhindern, ebenso die iranische.
Die von Barzani geführte Demokratische Partei Kurdistans/Irak ebenso wie
die Patriotische Union Kurdistans (PUK) unter ihrem Chef Talabani "haben
jetzt den Amerikanern bedeutet, sie seien nicht bereit, im Zusammenhang
mit dem Krieg gegen den internationalen Terrorismus sich an einer
amerikanisch geführten Militäraktion gegen den Irak zu beteiligen" (FAZ,
23.2.02).
Die PKK erklärte, "sie werde ihre Tätigkeit fortan ganz auf den Irak
konzentrieren. Der Irak werde das Zentrum neuer Konstellationen und
Strukturen im Nahen Osten sein" (FAZ, 23.2.02). Ob die kurdische Bevölkerung nach den Erfahrungen mit den USA sich noch einmal aufstacheln lässt, mit dem Risiko, wie 1991 ebenso wie die
Schiiten im Süden von der US-Regierung im Stich gelassen zu werden und
einen hohen Blutzoll zu zahlen, ist ungewiss. "Die Jahre nach 1991 zeigten, dass sich Saddam nicht in einen gefügigen Paladin verwandeln ließ. Washington aber wollte die Kontrolle über die
Ölquellen", schrieb Heiko Flottau in der Süddeutschen Zeitung (20.2.02).
Deshalb habe der Iraqi National Congress in London gemeinsam mit der CIA
und kurdischen Kräften in Erbil 1996 einen Putsch geplant, der ebenso
fehlschlug wie ein Umsturzversuch des "Iraqi National Accord".
Der im dänischen Exil lebende frühere Generalstabschef der irakischen
Armee, General Nisar al-Chasradschi und der in Jordanien lebende Najib
al-Salhi werden als mögliche Nachfolger Saddam Husseins in den Medien
genannt.
Chasradschi antwortete im Spiegel-Interview (47/2001, S.168) auf die
Frage: "Fordern Sie als Iraker etwa ernsthaft US-Bombenangriffe auf das
eigene Land?" mit: "Bei Gott, ich denke: ja. Die Zeit ist reif".
Die dänische Polizei hält Chasradschi derzeit faktisch unter Hausarrest,
weil die dänische Justiz ihn als Generalstabschef für den Giftgasangriff
auf die kurdische Stadt Halabdscha 1988 als Kriegsverbrecher
verantwortlich macht. Der General blieb bis 1996 Berater Saddam
Husseins, bis beide sich überwarfen.
Generell lässt sich feststellen, dass die irakischen Oppositionsgruppen
untereinander zerstritten sind und sich sehr schwer tun, ein gemeinsames
Vorgehen gegen Saddam Hussein zu koordinieren.
2. Irak und die Terrorismusfrage
"Es gibt bis heute keine ernst zu nehmenden Beweise über eine Förderung
des muslimischen Terrorismus durch Irak. Der Präsident des
Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, der israelische und selbst
der amerikanische Geheimdienst haben eingeräumt, dass es keine konkreten
Informationen gebe, die Saddam Hussein mit den Terroranschlägen vom 11.
September in Verbindung bringen. Und auch Nato-Generalsekretär George
Robertson erklärte dieser Tage lakonisch: `Die Amerikaner haben erklärt,
dass sie zurzeit keine Informationen haben, nach denen eine Verbindung
zwischen Al Qaeda und Irak besteht´", schrieb Jürgen Todenhöfer,
früherer entwicklungspolitischer, dann abrüstungspolitischer Sprecher
der CDU/CSU (FR, 28.2.02).
Am 6.2.2002 begann in der "New York Times" ein Leitartikel mit den
Worten: "Die CIA hat keinerlei Beweise dafür, dass Irak seit nunmehr
fast einem Jahrzehnt irgendwelche terroristischen Operationen gegen die
Vereinigten Staaten unternommen hat". Die CIA, so hieß es weiter, sei zu
der Überzeugung gelangt, "dass Präsident Saddam Hussein keine chemischen
oder biologischen Waffen weder an die Al-Quaida noch an sonstige
terroristische Gruppen gegeben hat".
Die New York Times berichtete unter Berufung auf die CIA weiter, dass
"der Plan zur Ermordung von Präsident Bush Senior anlässlich seines
Besuches 1993 in Kuwait die letzte terroristische Operation des Irak
gegen die USA" gewesen sei. Nach CIA-Angaben sei der angebliche Mordplan
aufgedeckt und der Anschlag rechtzeitig verhindert worden.
"Eine Verbindung zwischen den Terroristen des 11. September und dem
Bagdader Regime ließ sich bis auf einen vagen Kontakt des
Chefattentäters Mohammed Atta mit irakischen Geheimagenten in Prag
bislang nicht nachweisen", bilanzierte die Welt am 23.2.02. Die
Süddeutsche Zeitung weiß nur von "einem irakischen Agenten", den Atta in
Prag getroffen haben soll und nannte die Hinweise "widersprüchlich"
(20.2.02). Staatssekretär Ludger Volmer (B90/Grüne) warnte die USA vor einem
Militärschlag mit den Worten: "Es gibt keine Anzeichen und keine Beweise
dafür, dass der Irak in den Terrorismus, über den wir seit einigen
Monaten reden, involviert ist" (dpa, 4.2.02).
3. Irak und die Erdölfrage
Die irakischen Ölreserven wurden lange Zeit auf 112 Mrd. Barrel
geschätzt, was sich als äußert "konservativ" erwiesen hat. Aufgrund
neuerer geologischer Daten und Berichte kommt Brendan Qinn, irischer
Experte für Öl- und Gasvorkommen, zu einer Zahl von rund 330 Mrd.
Barrel. (www.mbendi.co.za/smi/pubs/iq_oilg/). Die Reserven
Saudi-Arabiens werden auf ca. 260 Mrd. Barrel veranschlagt.
Auf Nachfrage beim deutschen Orient-Institut bestätigte ein Mitarbeiter,
dass Irak tatsächlich über die größten Reserven weltweit verfügen
könnte. Allein aufgrund dieser Schätzungen stellt das irakische
Potenzial einen Faktor dar, den die US-Außenpolitik nicht
vernachlässigen möchte.
Im Rahmen des Öl-für-Lebensmittel-Programms wurde in Nordirak die
Pipeline von Kirkuk über Mosuo nach Ceyhan in der Türkei wieder
eröffnet. Die türkische Erdölgesellschaft TPAO hat bereits Planungen im
Gange, Ölfelder im Nordirak zu erschließen (Die Zeit, 14.2.02).
Vor allem russische, französische und chinesische Ölkonzerne haben schon
länger milliardenschwere Verträge über die Ausbeutung irakischer Öl- und
Gasfelder unterzeichnet. Insgesamt mehr als 60 ausländische
Ölunternehmen aus rund 30 Ländern der Erde zeigen ein großes
wirtschaftliches Interesse an einer Aufhebung des Embargos. Die
irakische Regierung möchte den Gewinn aus 25 neu zu erschließenden
Ölfeldern mit Unternehmen aus jenen Staaten teilen, die öffentlich für
die Aufhebung von Sanktionen eintreten. Auf der Länderliste der
Vertragspartner mit Irak fehlen bisher: die USA und Großbritannien (vgl.
"Milliardenaufträge aus Bagdad", FAZ, 13.1.98).
Wie die FAZ am 17.1.02 berichtete, "ist Russland jetzt der größte
Handelspartner des Irak und kontrolliert über seine Energieunternehmen
schon rund ein Drittel des lukrativen Ölexportmarktes dieses arabischen
Landes. Wie die Zeitung `Washington Post´ am Mittwoch unter Berufung auf
vertrauliche Zahlen der Vereinten Nationen (UN) berichtete, soll Moskau
allein in den vergangenen sechs Monaten Verträge mit Bagdad im Wert von
1,4 Milliarden Dollar geschlossen haben und damit sowohl Frankreich als
auch Ägypten übertroffen haben".
Solange das Embargo besteht, muss Bagdad wegen der Folgeschäden des
Kuwait-Überfalls 1990 erhebliche Reparationszahlungen leisten. "Irak
blutet in Milliardenhöhe. Fast 50 Milliarden Dollar hat die UNO bisher
von Iraks Öleinnahmen abgezweigt und als Entschädigung für die irakische
Besetzung Kuwaits ausbezahlt", schrieb Andreas Zumach in der taz,
17.12.01. Die Forderungen an Irak belaufen sich auf insgesamt 300
Milliarden US-Dollar.
Die US-Politik bezüglich Iraks ist auch verbunden mit der des
Nachbarlandes Iran, beides nicht zufällig nach Präsident Bush Länder der
"Achse des Bösen". Eine Annäherung beider Staaten soll aus US-Sicht
unter allen Umständen vermieden werden. Bei einer Auswechslung des
Regimes in Bagdad hin zu einer US-freundlicher gesonnenen Regierung
könnte die US-Administration ihre Öl-Politik gegenüber Iran mit dem dann
neu geschaffenen Stützpunkt Irak wesentlich einfacher durchsetzen.
Während in Irak der Ölreichtum selbst das Interesse Washingtons weckt,
liegt im Nachbarland Iran das US-Augenmerk stärker auf der Pipelinefrage
und den verlockenden Durchleitungsmöglichkeiten, die das Land bietet.
Im Rahmen der von der "Deutschen Gesellschaft für Internationale
Politik" herausgegebenen "Berliner Schriften zur Internationalen
Politik" haben Sherman W. Garnett, Alexander Rahr und Koji Watanabe eine
höchst aufschlussreiche Studie mit dem Titel: "Der Kaspische Raum vor
den Herausforderungen der Globalisierung. Die Verantwortung der
Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region", verfasst, die die
Energiepolitik auch der USA gegenüber der Gesamtregion Zentralasien und
angrenzender Gebiete beleuchtet. Einige Passagen lassen generelle
Rückschlüsse auch auf die derzeitige Öl-Politik der USA gegenüber Irak
und Iran zu und schaffen einen größeren Überblick:
"Eine Voraussetzung für Stabilität in der Region ist die Beendigung des
afghanischen Bürgerkrieges, der sich zerstörerisch auf Zentralasien
auswirkt. Die zentralasiatischen Regierungen sprechen vom `Islamischen
Terrorismus´, wie auch viele Offizielle in Moskau. Zumindest solange
Afghanistan eine eiternde Wunde bleibt, sprechen maßgebliche Quellen in
Zentralasien offen von der Unvermeidbarkeit eines künftigen Krieges
gegen islamische Kräfte. Zur Zeit der Fertigstellung dieses Kapitels im
August 2000 mehrten sich tödliche Zusammenstöße zwischen Aufständischen
und Regierungstruppen" (S. 96).
Sherman W. Garnett schreibt: "Wenn die Politik sich in vielen dieser
Länder nicht radikal verändert, wird der Energiereichtum die sozialen
Übel und die politische Instabilität nur verstärken. ... Führende
Vertreter von Energieunternehmen sind auch über politische Faktoren
sowohl in der Region als auch in Washington besorgt. Sie machen sich
Sorgen über das Fehlen erkennbarer Nachfolger für die heutigen alternden
Führer der Region, und sie ärgern sich über Bemühungen der
amerikanischen Regierung, bei der Festlegung von Pipeline-Strecken
geopolitische Gesichtspunkte über die kommerzielle Rentabilität zu
stellen. ... Diese Unternehmen sind es durchaus gewohnt, mit hohen
Risiken und politischen Instabilitäten umzugehen. Sie wollen aber keine
zusätzlichen Missionen und Verantwortlichkeiten auf sich nehmen, wie sie
sich aus der umfassenden amerikanischen Politik ergeben. Es gibt daher
ein Spannungsverhältnis zwischen führenden amerikanischen
Wirtschaftsakteuren in der Region und der amerikanischen
Regierungspolitik. Dieses Spannungsverhältnis war zeitweise abgeschwächt
oder verdeckt, bleibt aber bestehen, vor allem in bezug auf Pipelines.
Die meisten privaten Akteure heben die am wenigsten kostspieligen
Pipeline-Lösungen ohne Rücksicht auf Geopolitik hervor, einschließlich
Leitungen durch Russland. Sie weisen auf die kommerzielle Logik
eventueller Routen in den Iran hin. ... Eine Normalisierung der
Beziehungen zum Iran ist möglicherweise der langfristig wichtigste
Faktor in der Energietransport-Gleichung" (S. 56f).
4. Positionen der Nachbarn Iraks
Im Falle eines Krieges gegen den Irak könnte die Türkei zum
Aufmarschgebiet und "Flugzeugträger" werden. Würde bei einem Sturz Saddam Husseins der Irak zerfallen, könnte dies die kurdische Bevölkerung in Nordirak ermutigen, einen eigenen Staat zu
gründen. Dies wiederum würde die Regierung in Ankara vermutlich nicht zulassen
und gleichzeitig womöglich versucht sein, die Kontrolle über den
erdölreichen Norden Iraks zu erlangen. Der türkischen Ökonomie hat das Embargo gegen Irak bisher empfindlich geschadet. Bei einem neuen Krieg wäre die Türkei zusätzlich durch
massive Einbußen beim Tourismus betroffen. Der bekannte türkische
Kommentator Mehmet Ali Birand formulierte deshalb sogar ein öffentliches
Stoßgebet: "Wir flehen zu Allah, dass Amerika den Irak nicht angreift"
(Die Zeit, 14.2.02).
Während seines Deutschland-Besuches Ende Februar 2002 kritisierte der
iranische Außenminister Charrasi "einen möglichen militärischen Angriff
gegen Irak, von dem der amerikanische Präsident bisher niemals direkt
gesprochen hat, ihn aber als Option erscheinen lässt" (FAZ, 28.2.02).
Teheran habe "große Probleme" mit Bagdad, mit dem Irak habe man "bittere
Erfahrungen" gemacht, dennoch sei eine Lösung "nur unter dem Dach der UN
und nicht über militärische Gewalt herbeizuführen". Für den Fall, dass Iran angegriffen werden sollte, hatte Saddam Hussein dem Nachbarland seinen Schutz versprochen. Sollten US-Emissäre weiterhin
den Kurden im Norden Iraks Autonomieverprechungen machen, könnte dies
die iranische Regierung, die wegen der kurdischen Bevölkerung auf
eigenem Boden diese Autonomie fürchtet, stärker zu einer Zusammenarbeit
mit Bagdad bewegen.
Der stellvertretende irakische Präsident Ramadan, spricht von
"unbegrenzten Möglichkeiten", die die Beziehungen zu Syrien böten. Irak
liefert an Syrien "offenbar rund 200 000 Barrel Öl am Tag zu einem
Vorzugspreis" (FAZ, 19.2.02).
Die saudische Regierung lässt den wirtschaftlichen Beziehungen mit Irak
- dem Embargo und den USA zum Trotz - erhebliche Spielräume. Für das
Jahr 2001 wird das Handelsvolumen zwischen Irak und Saudi-Arabien auf
mehr als eine Milliarde US-Dollar geschätzt, so ein Mitarbeiter des
deutschen Orient-Institutes in Hamburg. "Der Irak ist ein arabisches
Land und hat das Recht, Versöhnung unter den Arabern zu verlangen"
(Süddeutsche Zeitung, 31.1.02), sagte Kronprinz Abdallah, der Regent
Saudi-Arabiens. Besonders "gelte dieses Recht im Hinblick auf sein Land
und auch auf Kuwait".
Der ägyptische Präsident Mubarak warnte die USA eindringlich davor, den
Irak anzugreifen. "Wir müssen da sehr, sehr vorsichtig sein", meinte
Mubarak in einem Interview der Washington Post, 5.3.02. Als im Februar
2001 Präsident Bush Irak bombardieren ließ, hielt sich gerade eine
hochrangige ägyptische Wirtschaftsdelegation in Bagdad auf - in
Washington interpretiert als Soldidaritätsgeste Ägyptens mit Irak.
Zu Beginn der Nahost-Reise von US-Vizepräsident Dick Cheney machten
arabische Verbündete der USA deutlich, "dass eine Ausweitung des so
genannten Anti-Terror-Feldzuges gegen Irak nach ihrer Einschätzung den
gesamten Nahen und Mittleren Osten destabilisieren würde. Mit einem
Krieg gegen Irak könnten die USA ihre Erfolge in Afghanistan gefährden,
warnte der jordanische König Abdullah" (FR, 14.3.02).
Nur noch drei Staaten der näheren Region empfinden die USA als
"Schutzmacht" und können von Washington als bedingungslose
Bündnispartner bezeichnet werden: Bahrein, Katar und die Vereinigten
Arabischen Emirate. Gleichwohl weist der Emir von Katar, Scheich Hamad
bin Chalifa, darauf hin: "Mein Land ist nicht die Zapfsäule Amerikas"(Le
Monde Diplomatique, Dez. 2001). "Zwar ist Saddam Hussein auch in der arabischen Welt nicht sonderlich
beliebt, aber im Irak lebt immer noch ein Brudervolk, was der Ägypter
Amr Mussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, mit seinem Besuch in
Bagdad unlängst klar machte. Ein Angriff der amerikanischen
`Kreuzritter´ würde eine große panarabische Solidarität auslösen, die
gemäßigte Regime ins Wanken, wenn nicht zum Sturz brächte", berichtete
die Welt am 23.2.02.
Die israelische Regierung sieht in der Möglichkeit einer Beseitigung
Saddam Husseins eine Chance, die irakische Bedrohung loszuwerden.
5. Zur Politik der US-Regierung
Die US-Regierung ist wie keine zuvor mit der Öl- und Energiewirtschaft
personell verflochten, was erhebliche Auswirkungen auf die Irak-Politik
der einzigen Supermacht hat. George W. Bush ist "selbst Mitglied des
texanischen Ölclans", Vizepräsident Dick Cheney war zuvor "Vorstandschef
von Halliburton, dem weltgrößten Materialzulieferer der Ölindustrie",
US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice "saß zehn Jahre lang im
Aufsichtsrat des Chevron-Konzerns, der 1995 sogar seinen größten Tanker
auf ihren Namen taufte. Nach heftiger Kritik gegen die enge Verbindung
von Bush´s Sicherheitsberaterin zu dem Ölmulti wurde die unter
bahamaischer Flagge fahrende `Condoleezza Rice´ mittlerweile in `Altair
Voyager´ umbenannt" (alle Zitate: Die Woche, 19.10.2001).
Wirtschaftsminister Donald Evans hat eine Karriere in der Erdöl-Branche
hinter sich, ebenso Energieminister Spencer Abraham. Kathleen Cooper,
Staatssekretärin für wirtschaftliche Angelegenheiten im
Handelsministerium, war zuvor Chefökonomin bei Exxon (vgl. Jean-Charles
Brisard und Guillame Dasquie, Die verbotene Wahrheit. Die Verstrickungen
der USA mit Osama bin Laden, Zürich, 2002, S. 60).
Rund 80 Prozent aller Spenden des US-Wahlkampfes 2000, insgesamt 33,3
Millionen US-Dollar, stammten aus der Öl- und Energiebranche.
Der Politikwissenschaftler Chalmers Johnson, während des Kalten Krieges
CIA-Berater und Strategieexperte, Autor des Buches "Ein Imperium
verfällt", schrieb im "Spiegel", warum Georg W. Bush am 16.2.01 Irak
bombardieren ließ: "Der neue Präsident ist in Wahrheit eine
Bauchrednerpuppe. Ihre Stimme gehört ehemaligen hohen Amtsinhabern aus
der Administration seines Vaters. Es hat sie ernannt, weil ihre
Erfahrung angeblich seinen eigenen Mangel ausgleicht und weil sein Vater
es so wollte. ... All dieses Leute (Anm.: Cheney, Powell, Rice; C.R.)
schäumen vor Zorn, dass Saddam Hussein den Blitzkrieg überlebte, den sie
1991 gegen ihn inszenierten. Sie fürchten außerdem, dass ihr
Hauptanspruch auf Geschichtsruhm, der Sieg im Krieg gegen den Irak, als
erfolgreiches Mittel der Gewalt zur Erreichung politischer Ziele einmal
der historischen und vergleichenden Analyse nicht standhalten wird. Zu
den Hauptabsichten der neuen Administration gehört es, dafür zu sorgen,
dass bei der Bewertung des Golfkrieges nicht die Revisionisten unter den
Historikern die Oberhand behalten. Das Golfkriegssyndrom, der Einsatz
von Uran-Munition, das Niedermetzeln irakischer Soldaten nach dem
Waffenstillstand durch General Barry McCaffreys 24. Infanteriedivision
und Saddam Husseins ungebrochene Macht in Bagdad lassen den Golfkrieg
ohnehin schon anders aussehen als die lehrbuchreife Übung, für die
General Powell ihn gerne hält. Georg W. Bush hat den Präsidentenposten
gewissermaßen von seinem Vater geerbt. ... Der Luftangriff auf Bagdad
war Georg W.s erstes Geschenk als Präsident an Daddy, eines von vielen,
die da wohl noch kommen werden" (Der Spiegel, 9/2001, S. 141).
Die Auswahl der Chefs der US-Teilstreitkräfte durch Präsident Bush
spricht Bände:
James Roche vom Rüstungsunternehmen Northrop Grumman wurde
Luftwaffenminister, Chef des Heeres Thomas White von Enron Energy, dem
größten Konkurs- und Wirtschaftsskandal-Unternehmen in der Geschichte
der USA, in den die Regierung Bush tief verstrickt ist, Marineminister
wurde der Vizepräsident des Rüstungsunternehmens General Dynamics (vgl.
FR, 26.4.01).
"Die laufenden Militärkosten der amerikanischen Regierung im arabischen
Raum liegen bei 100 Dollar pro von dort geliefertem Barrel (Anm.: 159
Liter, C.R.) Öl. Die Rohstoffsicherung kostet also das Mehrfache seines
wirtschaftlichen Wertes", rechnet Eurosolar in einer FR-Anzeige vom
9.3.2002 vor.
Die Regierung Bush versucht mit der größten Erhöhung des
Militärhaushaltes in den letzten 20 Jahren - und zwar um 48 Mrd. auf 379
Mrd. US-Dollar - massiv der Rezession im Lande zu begegnen. "Für 40 Mrd. US-Dollar könnten laut UNDP alle Menschen mit Wasser und Kläranlagen versorgt, eine Gesundheitsbetreuung für Schwangerschaften
und Geburten organisiert, die Grundversorgung in Nahrung und Gesundheit
gewährleistet und die Grundausbildung der Kinder gesichert werden",
heißt es in einem Aufruf der IPPNW, abgedruckt in der FR, 9.2.02.
Bereits am 12.10.01 berichtete die New York Times von Plänen des von
Richard Perle geleiteten American Defense Policy Board (ADPB), ein das
Pentagon in Sicherheitsfragen beratender "think-tank", "den südlichen
Irak und die Erdölfelder von Basra zu besetzen und mit den Petroerlösen
Aufstände im Süden und im kurdischen Norden zu finanzieren" (WoZ,
12.11.2001). In der gleichen WoZ-Ausgabe wurde das Wall Street Journal
zitiert: "Amerika und seine Alliierten werden sich dabei wiederfinden,
zumindest zeitweilig verstockte terroristische Staaten nicht nur mit
Truppen zu besetzen, sondern sie auch zu verwalten. Dazu gehören
eventuell nicht nur Afghanistan, sondern auch der Irak, Sudan, Libyen,
Iran und Syrien.
Am 10.10.01 fasste Martin Wolf in der Financial Times zusammen, was wohl
derzeit offizielle US-Politik gegenüber Irak ist: Er wählte als Titel:
"Es braucht einen neuen Imperialismus".
Das Washingtoner Center for Strategic Studies (CSIS) warnt in einer
Studie, "ein Luftkrieg (der USA gegen Irak) könnte nicht so präzise
geführt werden, dass `hohe Kollateralschäden und viele Ziviltote
vermieden´ werden könnten" (FR, 28.2.02). Um Protest und Widerstand an
der Heimatfront vorzubeugen, hat die US-Regierung neue Ideen im Kampf um
"Herzen und Hirne" entwickelt.
Damit die öffentliche Meinung in den USA neue Feldzüge mitträgt, hat das
US-Außenministerium die erfolgreichste Werbefrau (Uncle Ben´s Reis,
Hoover-Staubsauger) der USA, Charlotte Beers, für "Public Diplomacy"
eingestellt. Während ausgebildete, professionelle Journalisten teilweise mit
US-Waffengewalt an der Ausübung ihres Berufes in Afghanistan gehindert
werden, hat das Pentagon eine Hollywood-Produktionsfirma "mit
nachgewiesener patriotischer Legitimation Zugang zu solchen Einheiten in
Afghanistan, Somalia und auf den Philippinen" gewährt, "um eine 13 Teile
lange so genannte Reality Show mit dem Titel `Profile von der Front´ zu
drehen. `Wir werden natürlich eine pro-militärische Haltung haben´,
erläuterte einer der Produzenten" (FR, 28.2.02). Die TV-Anstalt ABC hat
die Serie bereits ungesehen gekauft und für die beste Sendezeit
vorgeplant. Ob sie noch vor einem Irak-Feldzug fertig wird, ist unklar.
6. Zur Politik der Europäer
Der neue irakische Außenminister Sabri sucht den Dialog mit der
Europäischen Gemeinschaft. Großbritannien, Dänemark und die Niederlande
allerdings verwehren sich dagegen.
Russlands Präsident Putin hat mehrfach die US-Führung vor einem
militärischen Vorgehen gegen Irak gewarnt. Bei einem Ende des Embargos
hofft Russland, einen Teil seiner Altschulden in Höhe von bis zu zehn
Milliarden Dollar von der irakischen Regierung eintreiben zu können.
Frankreich hat ähnliche Motive und hofft ebenfalls auf Rückzahlungen.
Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon sagte Anfang März 2002
den USA Unterstützung für einen Militärschlag zu, sollten "die
Bedingungen stimmen" (FR, 2.3.02). Hoon dachte bei den "Bedingungen" an
Fragen des internationalen Rechts sowie an die Rückkehr von
Waffeninspektoren.
Tony Blair droht eine "Kabinettsrebellion" (FR, 9.3.02), wenn er
weiterhin dem US-Kriegskurs folgt. Seine größten Widersacher sind
Ex-Außenminister Robin Cook, Entwicklungshilfeministerin Clare Short
sowie mehr als 60 Labour-Abgeordnete, die einen öffentlichen Appell an
Blair gerichtet haben, Angriffspläne nicht zu unterstützen.
Als erster kündigte der französische Außenminister Hubert Védrine der
US-Regierung die Gefolgschaft bei der Ausdehnung des Krieges auf Irak
auf: Sein Wort von der "Simplistischen" Art der US-amerikanischen
Terrorbekämpfung ermutigte Joschka Fischer ebenfalls zu Widerspruch:
"Bündnispartnerschaft unter freien Demokraten reduziert sich nicht auf
Gefolgschaft. Bündnispartner sind nicht Satelliten" (Zeit, 14.2.02). Am
8.2.02 berichtete die "junge Welt" über angebliche Pläne, die deutsche
Botschaft in Bagdad wieder zu eröffnen. Erfahren haben wollte die
Zeitung dies aus "führenden SPD-Kreisen".
Die Proteste aus Europa wegen der Ankündigung eines Krieges gegen Irak
lösten in den USA wiederum ein heftiges Echo aus. Die Gründe für den Protest aus europäischer und insbesondere deutscher Sicht sind weniger humanitärer als ökonomischer Natur:
"In der Berliner Koalition wird längst über die weitreichenden
finanziellen und wirtschaftlichen Folgen neuer US-Militärschläge
nachgedacht. (Gernot, Anm. C.R.) Erler sieht den Westen mit dem
Wiederaufbau Bosniens, Kosovos und Afghanistans an den Grenzen des
Möglichen angelangt. Ein weiteres internationales
`Versorgungsprotektorat´ in Irak, wo nicht einmal eine regierungsfähige
Opposition vorhanden sei, könne sich die westliche Welt `nicht leisten´.
Und ein Mitglied verweist auf die ökonomischen Folgen für Europa: Ein
US-Krieg in Irak mit den Folgewirkungen auf das Verhältnis zur
arabischen Welt werde mit Gewissheit massiv den Ölpreis steigen lassen
und zu einer tiefen Rezession führen, mehr noch in Europa als in den
USA. Ein Krieg sei, auch wirtschaftlich betrachtet, geradezu ein
`unfreundlicher Akt´ gegen Europa. Alle hochgeschraubten
Wachstumsprognosen von Rot-Grün, an denen die Wiederwahlchancen der
Regierung Schröder und das politische Programm für die nächste
Legislaturperiode hängen, wären dann Makulatur" (FR, 16.2.02).
"Wir verteidigen unsere Art zu leben, und das ist unser gutes Recht",
hatte der Bundeskanzler noch zum Krieg gegen Afghanistan gesagt (FR,
17.10.2001). Solange in der Charta der UN die Würde jedes Menschen auf
dieser Erde festgeschrieben ist und die derzeitige Art des westlichen
Lebens für einen Großteil der Menschheit mit Hunger, Verelendung und
Krieg verbunden ist, ist dem Kanzler mit größter Vehemenz zu
widersprechen, insbesondere auch bei allen Planspielen zur deutschen
Mitwirkung an einem Irak-Einsatz. Ende Februar 2002 kündigte Rudolf Scharping an, dass die 250 ABC-Kräfte der Bundeswehr "Mitte März" zum größten Teil aus Kuwait heimkehren
sollen, "das Gerät aber zunächst vor Ort bleiben" werde. "Es sei
sinnvoll, die Spürpanzer für den Fall eines `Terroranschlages´ bis auf
weiteres in Kuwait zu belassen, sagte Scharping nach einer Sitzung des
Verteidigungsausschusses" (Welt, 28.2.02). Die Grenzen dessen, was der
Verteidigungsminister dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit
zumuten zu können glaubt, scheinen nach oben hin offen zu sein.
"Befürchtungen, die Übung könne in Zusammenhang mit einem möglichen
US-Angiff auf den Irak stehen, wies Scharping zurück. Der deutschen
Regierung seien `keine derartigen Pläne´ bekannt. FDP-Chef Wolfgang
Gerhard äußerte gegenüber der WELT Zweifel an der Äußerung Scharpings:
`Es ist schwer vorstellbar, dass deutsche Soldaten in Kuwait an einem
Manöver teilnehmen und dies nicht mit dem wenige Kilometer entfernten
Irak zu tun hat´" (Welt, 28.2.02).
Weil sowohl der Kuwait- als auch der KSK-Einsatz in Afghanistan nicht
vom Bundestagsmandat gedeckt seien, kündigte die PDS eine
Verfassungsklage an.
Die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper forderte den Abzug der
Deutschen aus Kuwait. "Ein Bundeswehr-Experte sagte der WELT, bei der
ABC-Übung handele es sich `um alles andere als eine
Katastrophenschutzübung´"(Welt, 27.2.02). "Die FDP geht in diesem
Zusammenhang auf in Berlin kursierende Gerüchte ein und will wissen, ob
ein Verkauf der Panzer an Kuwait geplant ist", berichtete die Welt
weiter.
Die am 11.3.02 vom deutschen Stützpunkt Nordholz aus ins kenianische
Mombasa gestarteten vier Seefernaufklärer vom Typ "Breguet Atlantic"
"sollen nach Überzeugung des Militärfachmanns Frieder Bauer russische
Atom-U-Boote am Horn von Afrika aufspüren. ... Ein Grund für den Einsatz
könnte sein, dass `ein Krieg gegen Irak´ bevorstehe, sagte Bauer" (FR,
14.3.02). Die vier Maschinen der Bundeswehr "seien einem atomar
bewaffneten Flottenverband in Norfolk, US-Staat Virginia, unterstellt.
Der kommandierende Admiral unterstehe nur mit einem Teil des Verbandes
der Nato, erklärte Bauer weiter. Geschützt würden die `Breguets´ von
Awacs-Aufklärern, Satelliten und vom französischen Flugzeugträger
`Clemenceau´, der weiter südlich operiere. Zu sagen hätten die Deutschen
`nichts´" (FR, 14.3.02). Die offizielle Erklärung für den Einsatz des
Verteidigungsministeriums lautet, "Nachschub- und Fluchtwege
terroristischer Organisationen aufzuspüren".
Als am 16. Februar 2001 britische und amerikanische Kampfflugzeuge
Einrichtungen in der Nähe von Bagdad bombardierten, titelte der Spiegel
(9/2001): "Breitseite ins Bündnis". Auch wenn manche Nato-Politiker
vermutlich noch nicht realisieren wollen, dass die Allianz faktisch
bedeutungslos geworden ist: Spätestens bei der Durchführung des
Irak-Feldzuges wird deutlich werden: Das Bündnis ist de facto am Ende.
Am 14.2.02 bezog "Die Zeit" in bemerkenswerter Klarheit Stellung:
"Amerika im Blindflug. Ein Militärschlag gegen den Irak wäre der falsche
Krieg aus falschem Grund zur falschen Zeit".
In Analogie zum "Zeit"-Titel könnte der Besuch des Rechtspopulisten Jörg
Haider bei Saddam Hussein im Februar 2002 als Treffen des falschen
Politikers mit dem falschen Mann zum falschen Zeitpunkt bezeichnet
werden. FAZ-Redakteur Klaus-Dieter Frankenberger vermutet: "Am Ende wird es
wieder so sein, dass die amerikanische Regierung entscheidet und ihre
europäischen Verbündeten zähneknirschend hinterherziehen" (FAZ, 4.3.02).
7. Zur Frage der UN-Beobachter und der Rolle der UNO
Im Kontrast zu den Horrorbildern mancher westlicher Medien bezüglich des
irakischen ABC-Waffen-Arsenals standen offizielle Berichte der
UN-Spezialkommision Unscom zur Abrüstung des Irak aus der Vergangenheit.
Darin war nachzulesen, dass nach den mehrjährigen Sprengarbeiten "das
irakische Potenzial an Massenvernichtungswaffen zerstört und die
Möglichkeit der Verschleierung nur noch gering sei" (Le Monde
Diplomatique, Dez. 97). Weil dem US-Außenministerium diese Aussagen zu
weit gingen, wurde der Wortlaut dieser offiziellen UN-Berichte auf
Drängen der USA nachträglich verändert (ebd.).
Nachdem die mit der Unscom zusammenarbeitende Internationale
Atomenergieorganisation in Wien bereits 1997 offiziell verkündet hatte,
dass der Irak weder Atomwaffen besitzt noch über Möglichkeiten verfügt,
sie zu bauen, hätte zumindest dieser Bereich seinerzeit mittels eines
Berichtes abgeschlossen werden können. Weil wiederum die USA ihre
Zustimmung zum Abschlussbericht verweigerten, setzten Inspektoren bis zu
ihrem Einsatzende wegen des Viertagekrieges vom 16.-19.12.1998 ihre
offenbar abgeschlossene Arbeit fort - auf Kosten des Irak, der diese
Tätigkeit aus dem Erlös des Öl-für-Lebensmittel-Abkommens bezahlen
musste.
Ende Januar 2002 "fand im Rahmen des Vertrages über die Nichtverbreitung
von nuklearen Waffen eine Inspektion der Internationalen
Atomenergieagentur im irakischen Tuweitha statt. Bereits
sichergestelltes Nuklearmaterial wurde überprüft. Nichts Auffälliges",
so Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung, 20.2.02.
Statt für die UNO zu arbeiten, nutzten Unscom-Mitarbeiter die Mission
zur Spionage für die amerikanische Regierung und bereiteten durch ihre
Vermessungen vor Ort dank der gewonnenen Koordinaten spätere
Bombardierungen der angloamerikanischen Luftwaffen vor. "`Landvermessen´
im Irak ergibt auch Zielkoordinaten für Marschflugkörper", titelte die
FAZ damals (16.1.1998). Scott Ritter, US-amerikanischer
Unscom-Mitarbeiter, gab offen zu, sein gewonnenes Wissen dem
israelischen Geheimdienst weitergegeben zu haben (taz, 12.11.98).
Seit dem Abzug der Unscom dürfte die irakische Führung die Zeit für neue
Aufrüstungen genutzt haben. Dennoch ist die militärische Stärke
erheblich geringer als vor dem Golfkrieg 1991.
Von einstmals knapp 820 ballistischen Raketen ist höchstens noch ein
halbes Dutzend vorhanden. "Das geht aus Angaben der Stiftung
Wissenschaft und Politik hervor", schreibt die FR, 28.2.02, und ergänzt:
"Über die Vernichtung der letzten 500 von ursprünglich 100 000
Artilleriegeschossen, die mit Giftgasen gefüllt waren, hatte Unscom
keine letzte Klarheit". Das Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS)
schätzt den veralteten irakischen Kampfpanzerbestand auf 2200, etwa 316
alte Kampfflugzeuge, für die Luftabwehr höchstens 750 Boden-Luft-Raketen
sowie ca. 3000 Flakgeschütze. Nach Hans Leyendecker sei der Verbleib von 20 Tonnen "komplexer so
genannter Nährmedien, die zur Produktion von Biowaffen taugen",
ungeklärt, "200 Tonnen Ausgangsstoffe für die Produktion des
Nervenkampfstoffes VX werden in irakischen Arsenalen vermutet. Bis zu
vier Tonnen reines VX wurden nicht gefunden. Auffällig ist nach
Geheimdienstberichten, dass der Irak in den vergangenen Jahren heimlich
Ausgangsstoffe für Chemiewaffen gekauft hat. Vor allem indische Firmen
lieferten Chemikalien. Doch die Spionagesatelliten der Amerikaner
konnten keine neue Chemiewaffenfabrik ausfindig machen. Wo sind die
Vorprodukte?"(Süddeutsche Zeitung, 20.2.02), fragt Leyendecker weiter.
Sein Beitrag zeigt exemplarisch die Hilflosigkeit von Journalisten, die
sich mangels eigener Recherchemöglichkeiten schließlich auf
"Geheimdienstberichte" stützen - die nach meinen bisherigen Erfahrungen
alles andere als seriöse Quellen darstellen.
Intensiv mit dem irakischen Militärpotenzial hat sich Volker Perthes von
der regierungsnahen "Stiftung Wissenschaft und Politik" in Berlin
beschäftigt. Er analysiert: "Die Kommission (Anm.: Unscom, C.R.)
zerstörte oder akzeptierte irakische Dokumente über die Zerstörung von
nahezu 100.000 Stück chemischer Artilleriemunition, von über 400 Tonnen
einsatzbereiter chemischer Kampfstoffe und von einigen Tausend Tonnen
von Vorprodukten zur Herstellung solcher Kampfstoffe, die der Irak 1991,
am Ende des Kuwaitkriegs, noch besaß. Die Kommission vermutete
allerdings, dass der Irak noch ernst zu nehmende Restmengen an
chemischen und biologischen Waffen versteckt hielt. Zumindest bestanden
starke Zweifel an der ordnungsgemäßen Vernichtung von, unter anderem,
eineinhalb Tonnen VX-Gas, etwa 550 mit Senfgas gefüllten
Artilleriegeschossen, bis zu 500 Fliegerbomben und mehreren
Raketensprengköpfen mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen. Die
Kommission erhielt auch bis zum Abbruch ihrer Tätigkeit keine sie
überzeugenden Antworten auf Fragen nach dem Verbleib von Nährlösungen
zur Herstellung bakteriologischer Kampfstoffe. ... Der Irak dürfte heute
auch kaum in der Lage sein, vermutete Restbestände von Biokampfstoffen
gezielt gegen Staaten in der Region in Anwendung zu bringen. Der Besitz
von Kampfstoffen oder Bomben allein nützt wenig ohne eine einsatzfähige
Luftwaffe und ohne die Apparaturen, die notwendig wären, um solche
Kampfstoffe effektiv über Feindesland zu versprühen. Die regionale
Umgebung des Irak, Israel eingeschlossen, sieht deshalb wenig Anlass zu
unmittelbarer Beunruhigung. Es sei unwahrscheinlich, heißt es etwa in
der jüngsten Auflage der von israelischen Wissenschaftlern erstellten
Middle East Military Balance, dass der Irak unter gegebenen Bedingungen,
oder selbst bei zurückgestuften UN-Sanktionen, die Großproduktion von
Massenvernichtungswaffen wiederaufnehmen könne, die er vor dem letzten
Golfkrieg betrieben habe", so Perthes
(www.swp-berlin.org/produkte/brennpunkte/nahost4druck.htm).
Dieser Artikel widerlegt die unmittelbar von Irak ausgehende Gefahr, die
immer wieder von der US-Administration als offensichtlicher Vorwand für
einen Irak-Feldzug angeführt wird.
Am 7.3.02 traf sich UN-Generalsekretär Kofi Annan in New York mit dem
irakischen Außenminister Nadschi Sabri, um über die Frage der
Wiederzulassung von UN-Waffeninspekteuren zu beraten. Kurz vor dem
Treffen präsentierte der US-Botschafter bei den UN, John Negroponte,
Videoaufnahmen, die irakische Lastwagen mit aufgebauten Raketenwerfern,
allerdings ohne Raketen, zeigten. Im Sanktionskomitee der UN berichteten
US-Diplomaten, rund 1000 aus Deutschland und Russland stammende LKW
seien zu Geschosswerfern umgebaut worden. Der Zeitpunkt dieser
Anschuldigungen unmittelbar vor dem Gespräch zwischen Annan und Sabri
wurde von Diplomaten mehrerer Länder kritisiert (vgl. FR, 8.3.02).
Mitte April soll es zu einem Folgetreffen zwischen Annan und Sabri mit
den vorbereiteten Kernthemen Rückkehr der UN-Inspekteure und Embargo
kommen.
Anfang März ´02 kündigte Irak an, britische Inspektoren ins Land zu
lassen. Ein irakischer Regierungssprecher sagte, sein Land wolle "gleich
jetzt" ein britisches Team empfangen, "das die Behauptung beweisen
solle, Irak entwickele Massenvernichtungswaffen" (FR, 2.3.02).
In ungewöhnlich scharfer Form warnte Kofi Annan vor der Haustür Tony
Blairs den britischen Premier: "Ich wiederhole: Ich halte jeden Angriff
auf Irak zu diesem Zeitpunkt für sehr unklug" (FR, 28.2.02)
Im Dezember 1999 wurde mit der UN-Resolution 1284 beschlossen, Irak
könne mit der Aufhebung der Sanktionen rechnen, wenn das Land wieder
UN-Waffeninspektoren zulässt. Weil sich die Führung in Bagdad allerdings
nur Kontrollen im Rahmen eines großen Nahost-Friedensplanes unterwerfen
will, kam im UN-Sicherheitsrat die neue Idee "intelligenter Sanktionen"
auf. Irak konnte bisher Öl exportieren, musste dadurch mögliche Importe
aber genehmigen lassen. Das Prinzip sollte durch intelligente Sanktionen
umgekehrt werden: Irak sollte frei alle Güter einführen dürfen,
lediglich eine UN-Liste mit bestimmten Produkten hätten der Genehmigung
bedurft. Die Kontrolle über die Finanzströme behielt sich bei diesem
Modell die UN vor. Das Modell scheiterte im UN-Sicherheitsrat an
Russland und Frankreich, die beide die Beschränkungen ganz aufgehoben
sehen wollen. Die neue Produktauflistung könnte dennoch Ende Mai 2002 bei den
Beratungen der UN die bisherigen Sanktionen deutlich verändern (vgl.
FAZ, 19.2.02).
Dass US-Verteidigungsminister Rumsfeld wenig an einer diplomatischen
Lösung interessiert zu sein scheint, lässt seine Forderung vermuten:
"Die Iraker dürfen nicht kontrollieren, wann Inspektoren kommen, wohin
sie gehen und was sie dort tun" (FR, 27.2.02, "USA legen Messlatte für
Saddam Hussein noch höher"). Während die US-Regierung den Irak der Produktion biologischer Waffen
bezichtigt, arbeitet die einzige Supermacht selbst an deren Entwicklung
(s. z.B. den Kasten zu Milzbrandbriefen unter
www.embargos.de/irak/krieg/ultimate_ enemy_irak.html).
8. Ist die Entscheidung für einen Krieg bereits gefallen?
"Die endgültige Entscheidung für einen Krieg gegen den Irak ist Ende
Januar bei einem zentralen Treffen von Bushs Kriegskabinett gefallen,
das heißt unmittelbar vor der Rede des US-Präsidenten zur Lage der
Nation" (junge Welt, 20.2.02), behauptet Joachim Guillard, Autor und
Mitherausgeber des ausgezeichneten Buches "Irak - Ein belagertes Land".
"Konkrete militärische Maßnahmen der USA deuten daraufhin, dass die
Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Irak schon im Gange sind. So
wurde bereits Anfang Dezember das Hauptquartier der `Dritten Armee´ aus
den USA nach Kuwait verlegt und mit ihm auch das `Kommando Mitte´ der
US-Armee ARCENT (Army Forces Central Command). Dieses Kommando - seit
Oktober auch für Bodenoperationen in Afghanistan zuständig - hatte 1991
die Bodenoperationen gegen den Irak geleitet. Das Hauptquartier der
Luftwaffe (AFCENT) ist in Saudi Arabien, das der Navy (NAVCENT) ist nun
in Bahrein, wo im Laufe des Februars auch das der Marine (MARCENT)
erwartet wird.
Die Zahl der Kriegsschiffe und Flugzeugträger am persischen Golf war
schon zuvor wesentlich erhöht worden, die Zahl der F-15 und
F-16-Kampfflugzeuge wurde nahezu verdoppelt. Gemäß Newsweek sahen erste Planungen vor, je 50.000 Soldaten nördlich und südlich des Iraks aufzustellen, um den Irak aus beiden Richtungen
anzugreifen. Militärplaner zweifeln allerdings, ob diese Kräfte
ausreichen würden, um Bagdad einzunehmen. Sie gehen davon aus, dass der
Irak, indem er auch die Erkenntnisse des aktuellen Kriegs gegen
Afghanistan auswertete, sich auf einen US-Angriff gut vorbereitet hat -
u.a. durch Aufteilung seiner früher umfangreichen Divisionen in kleine
bewegliche Einheiten, die von der überlegenen US-Luftwaffe schwerer zu
bekämpfen seien.
Der aktuelle Oberkommandierende von USARCENT, General Paul Mikolashek,
gab noch wenige Tage vor dem 11. September an, dass sie für einen Sturz
des Regimes und die Besetzung des Landes Kräfte mindestens in der
Größenordnung der Streitmacht im `Desert Storm´ 1991 benötigen würden,
wo ca. 169.000 US-Kampftruppen aufgeboten worden waren. Ranghohe
Militärs seien allerdings sehr skeptisch, so Newsweek ob Bush bereit
sei, einen so gewaltigen Feldzug in die Wege zu leiten und ebenso
skeptisch auch Hoffnungen gegenüber einer möglichen Unterstützung durch
eine inner-irakische Opposition, die einen Angriff auch mit geringerem
Aufgebot möglich machen würde", schrieb Joachim Guilliard für "Analyse
und Kritik", 22.2.02.
Im Gegensatz zu Colin Powell, der noch Anfang Februar ´02 Befürchtungen
vor einem Alleingang der USA gegen Irak zu zerstreuen suchte, "steht
nach Darstellung des US-Sicherheitsexperten Richard Perle praktisch
fest, dass Präsident Georg W. Bush zum Krieg gegen den Irak entschlossen
ist - im Zweifelsfall gegen den Willen der Europäer. Bush habe vor einer
Woche in seiner Rede zur Lage der Nation "klar gemacht, dass wir
vorhaben, die Machtverhältnisse in Bagdad zu ändern", sagte Perle der
"Financial Times Deutschland" am Rande der Münchner Konferenz für
Sicherheitspolitik (dpa, 4.2.02).
Völlig anders schätzte der Sprecher des iranischen Außenministeriums,
Hamid Reza Assefi, die Lage ein. Assefi, der nicht an US-Militärschläge
gegen Irak und auch nicht gegen Iran glaubt, meinte: "Ein Angriff auf
den Irak ist unwahrscheinlich, und ich glaube nicht, dass die USA solch
einen nicht rückgängig zu machenden Fehler begehen werden" (dpa,
4.2.02).
Am Abend des 6.2.02 schwenkte Colin Powell, der einem Angriff auf Irak
kritisch gegenüber stand, auf die Linie der Kriegsbefürworter (Bush,
Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz, Rice) ein und sprach in einer Rede vor dem
Auswärtigen Ausschuss des US-Kongresses davon, dass Washington den
Regimewechsel in Irak "womöglich allein" vollziehen muss. Damit war
zumindest öffentlich eine Vorentscheidung gefallen.
Dies sah auch die irakische Führung so. Der irakische Vizepremier Tarik
Asis "zeigt sich überzeugt, dass in Washington die Entscheidung, den
Irak anzugreifen, längst gefallen sei und die Inspektoren nur
Stützpunkte der Armee `ausspionieren´ sollen" (Welt, 19.2.02).
Die Zeitung USA Today berichtete, dass seit der zweiten Februarwoche
2002 der Plan von Präsident Bush zum Sturz Saddam Husseins bereits
umgesetzt werde. Kurdische Kräfte in Nordirak und schiitische Moslems im
Süden des Landes sollen bewaffnet und ausgebildet werden, gleichzeitig
Mitglieder der irakischen Streitkräfte zum Überlaufen bewegt werden. Im
März 2002 wollen sich "nach Angaben aus Kreisen der irakischen
Opposition und der USA" rund 200 frühere irakische Offiziere treffen,
"um den Sturz von Saddam Hussein zu beraten" (FR,1.3.02).
Tony Blair dagegen, der während des Commenwealth-Gipfeltreffens in
Australien Saddam Hussein vorwarf, Massenvernichtungsmittel einsetzen zu
wollen, behauptet: "Eine Entscheidung über das Vorgehen gegen den Irak
ist noch nicht gefallen" (FAZ, 4.3.02).
Während das Pentagon eher auf den Irakischen Nationalkongress (INC)
setzt und einen großen Feldzug, möglicherweise unter dem Vorwand einer
INC-initiierten "Revolution" plant, hofft die Fraktion um Colin Powell,
einen Wechsel durch einen erfolgreichen Militärputsch durchzuführen, der
die irakische Integrität und militärische Stärke nicht gefährdet; Ziel
wäre ein pro-US-Regime, so die These von Joachim Guilliard (in: junge
Welt, 20.2.02).
Am 10.3.02 brach Vizepräsident Dick Cheney, ähnlich wie vor dem 2.
Golfkrieg 1991 in seiner damaligen Eigenschaft als Verteidigungsminister
unter Bush sen., zu einer Reise nach Saudi-Arabien, in die Türkei, nach
Jordanien, Kuwait und anderen Staaten auf. Die Reiseroute zeigt, worum
es geht: "Washingtons Pläne zum Sturz Saddam Husseins" (FR, 9.3.02). Die
Tatsache, dass der Falke Cheney und nicht der vergleichsweise "moderate"
Colin Powell diese Tour angetreten hat, lässt eher auf eine militärische
denn auf eine diplomatische Entscheidung schließen. Die britische Zeitung "The Observer" berichtete, "die USA hätten Blair um 25 000 britische Soldaten für einen Angriff auf Irak gebeten, mit dem
Saddam Hussein gestürzt werden solle" (zit. nach FR, 11.3.02). Ein
Regierungssprecher bestritt den Bericht. US-Präsident Bush und Tony Blair "wollen nach Informationen der britischen Zeitung `The Observer´ im April letzte Details einer
Militäraktion gegen den Irak besprechen" (Welt, 26.2.02).
Im Mai ´02 wird der UN-Sicherheitsrat zur Frage der Fortsetzung oder
Aufhebung der Sanktionen beraten. Vorher wird die US-Regierung mit hoher
Wahrscheinlichkeit noch nicht mit dem Krieg beginnen, zumal Washington
Post und International Herald Tribune von einem langen
Vorbereitungszeitraum ausgehen - der durch die unerwartete Verlängerung
der Bindung militärischer Kräfte in Afghanistan vermutlich noch weiter
verzögern wird. "Die Meinung zu vertreten, dass die USA den Irak nicht angreifen, weil
die internationalen Risiken zu groß sind, wird immer riskanter.
Washington ist entschlossen, der Abwendung aller Gefahren von den
Vereinigten Staaten fundamentale Priorität zuzumessen. Dies ergibt sich
aus dem Rohentwurf einer neuen außenpolitischen Konzeption, die am
Potomac (Anm.: Fluss, an dem das Pentagon liegt, C.R.) zirkuliert und
wohl in absehbarer Zeit das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird. Die
Bush-Doktrin bildet einen historischen Einschnitt. ... Ein Angriff auf
den Irak mit dem diesmal unbedingten Ziel der Beseitigung Saddam
Husseins erscheint nach der Doktrin sehr plausibel, angesichts
unberechenbarer Folgen jedoch immer noch als `last resort´. Amerika ist
Weltmacht, nicht Allmacht", schreibt Herbert Kremp in der Welt, 27.2.02.
9. Chancen für eine zivilere Politik
Möglichkeiten des Engagements in Deutschland
So lange die erste Bombe noch nicht über dem Irak ausgeklinkt worden
ist, können
An die Botschaft der USA,
Herrn Botschafter Daniel R. Coats
Neustädter Kirchstr. 4-5, 10117 Berlin
Fax: 030-238 - 6290
Briefe geschickt werden, die noch sehr viel mehr Sinn machen als jedes
Protestschreiben, wenn der neue Krieg erst einmal begonnen hat.
Die e-mail-Adresse von Präsident G.W. Bush lautet:
president@whitehouse.gov
Am 20. April ´02 werden in den USA tausende Menschen auf die Straßen
gehen, um gegen die Kriegspolitik der USA zu demonstrieren. Ähnliches
könnte in Deutschland an diesem Tag geschehen.
Am 22./23. Mai ´02 kommt Präsident Bush zu einem Staatsbesuch nach
Berlin. Dies wird eine Gelegenheit für Demokratinnen und Demokraten, dem
US-Präsidenten mitzuteilen, was sie von seiner derzeitigen Politik
halten. An die Adresse der Bundesregierung ist die Forderung zu stellen,
unverzüglich alle in Kuwait stationierten deutschen Soldaten samt
Panzern und sonstigem Gerät zurückzubeordern, ebenso die deutschen
Seefernaufklärer am Horn von Afrika.
Als in Nikaragua nach der sandinistischen Revolution eine direkte
Militärintervention der US-Regierung drohte, unterzeichneten
zehntausende Menschen in den USA eine Selbstverpflichtung, bei einem
Angriff am Tag "X" Demonstrationen und Maßnahmen zivilen Ungehorsams
durchzuführen. Durch diese Ankündigung trieben sie den innenpolitischen
Preis im Falle einer Intervention sehr hoch. Angesichts dessen, was bei
einem Krieg gegen den Irak auf dem Spiel steht, wäre diese Aktion ein
Modell für Friedensbewegte weltweit.
Die vorhandenen politischen Spielräume für Aktionen und Demonstrationen
gegen einen Irak-Feldzug werden vermutlich kleiner werden. Professor Dieter S. Lutz, Leiter des Hamburger Forschungsinstitutes für Friedenspolitik, stellt die Frage "Ist die Demokratie am Ende?"
(FR-Dokumentation, 14.1.2002), ehemalige DDR-Bürgerrechtler/innen sehen
derzeit "Wohlbekannte Übel der Diktatur" (Erklärung in der FR am
13.12.01), der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch
bescheinigt dem neuen Anti-Terrorgesetzentwurf "totalitären Geist",
überschrieben war sein Beitrag mit "Abschied vom Grundgesetz"
(Süddeutsche Zeitung, 2.11.2001).
Auf internationaler Ebene droht der so genannte Anti-Terror-Krieg in
einen offenen Nord-Süd-Krieg zu eskalieren. Wer in der Demokratie schläft, läuft Gefahr, in einer Diktatur aufzuwachen. Dass dieser Satz für die USA wie auch für die
Bundesrepublik Deutschland so schnell aktuell werden würde, haben
vermutlich nur wenige Menschen in beiden Ländern für möglich gehalten.
Internationale Ansatzpunkte für eine Verhinderung des Krieges gegen den
Irak Ein Ausstieg aus der gegenwärtigen Eskalation der Gewalt ist bei
politischem Willen nach wie vor möglich. Es gibt allerdings einen "point
of no return", von dem unklar sein dürfte, ob er bereits überschritten
ist oder noch vor uns liegt.
Dass die Reduktion der westlichen Politik auf nur zwei Faktoren, nämlich
sicherer Ölfluss zu annehmbaren Preisen und Sicherheit Israels,
gescheitert ist, dürfte inzwischen kaum noch zu leugnen sein.
Russland hat im Jahre 2001 einen UN-Resolutionsentwurf für eine
friedenspolitische Alternative zu einem Krieg vorgelegt: Der Irak
genehmigt die Rückkehr von UN-Waffeninspektoren. Im Gegenzug geben die
USA ihre Zustimmung zur Aufhebung der Wirtschaftssanktionen innerhalb
von 60 Tagen.
Während des arabischen Gipfeltreffens im März 2001 übernahm der
jordanische König Abdullah eine Vermittlerrolle zwischen Kuwait und
Irak. Den Kuwait-Besuch hat Abdullah bereits absolviert, eine Reise nach
Bagdad steht noch aus. Es wäre König Abdullah zu wünschen, dass er sich
sehr bald dazu entscheidet. Auch der Generalsekretär der arabischen Liga, Dr. Amr Mussa, und
UN-Generalsekretär Kofi Annan kommen für Vermittlungsmissionen in
Betracht. Kofi Annan war es im Februar 1998 schon einmal gelungen, einen
Militärschlag gegen Irak kurz vorher noch abzuwenden. Eine Mission 2002
wird weitaus schwieriger werden. Ein Ende der Verfolgung der schiitischen Bevölkerung im Süden könnte zur innerirakischen Entspannung beitragen. Die Forderungen der beiden
kurdischen Führer im Nord-Irak, Barzani und Talabani, lauten: Garantien
für eine lokale kurdische Autonomie, Gerechtigkeit bei der Verteilung
staatlicher Einkünfte, Ende der Arabisierung von Kirkuk und weiterer
Gebiete in der Nähe der Kontrolllinie, Schaffung eines förderalen
Staates.
Für die gesamte Region Naher Osten und Zentralasien könnte sich die
europäische Politik nach Vorbild der KSZE/OSZE für einen regionalen
Friedens- und Sicherheitspakt stark machen, der auf eine
ABC-Waffen-Abrüstung und ABC-waffenfreie Zone drängt und für Kurdistan
ebenso wie für Kaschmir diplomatische Lösungen vorantreibt.
Zur besseren Verständigung zwischen westlicher und arabischer Welt
möchte ich die Etablierung einer europäisch-arabischen Universität in
der arabischen Welt und einer arabisch-europäischen Hochschule in der
westlichen Welt ins Gespräch bringen. Viele Vorurteile auf beiden Seiten
könnten mit solch einer Hochschule abgebaut werden.
Die US-Außenpolitik hat es entscheidend mit in der Hand, ob der
Palästina-Israel-Konflikt vollends in einen größeren Krieg eskaliert
oder die Verhandlungen auf der Grundlage des sog. Mitchell-Planes vom
April 2001 noch einmal aufgenommen werden. Selbst nach den verheerenden palästinensischen Selbstmordattentaten und den Liquidierungen und Bombardierungen der israelischen Armee ist eine
Zweistaatenlösung denkbar. Hierzu müsste sich die europäische Politik
weitaus stärker engagieren, als sie dies bisher tut.
Westlicherseits wäre die Reduzierung der Abhängigkeit aus der Region
durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien ein entscheidender
Deeskalationsfaktor. Bei einem mittelfristigen Abzug der US-Präsenz aus der Region, einer
Einstellung der Waffenlieferungen und einer Schuldenstreichung für die
verarmten Länder der arabischen Liga könnte auch dem Terrorismus im Zuge
aller genannten Maßnahmen der Nährboden entzogen werden. Gerechtigkeit
und Frieden bekämen eine Chance, die islamische Welt würde endlich
einmal gleichberechtigt und mit Respekt behandelt werden.
Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des
internationalen Versöhnungsbundes
Literaturhinweise:-
Rüdiger Göbel, Joachim Guillard, Michael Schiffmann (Hg.), Der Irak.
Ein belagertes Land, Köln 2001, 243 S., mit Beiträgen u.a. von: Jutta
Burghard, Noam Chomsky, Ramsey Clark, Robert Fisk, Ulrich Gottstein,
Denis Halliday, Norman Paech, Scott Ritter, Hans-Christof von Sponeck.
- Clemens Ronnefeldt, Die neue Nato, Irak und Jugoslawien, mit einem
Vorwort von Prof. Dieter S. Lutz, hg. vom deutschen Zweig des intern.
Versöhnungsbundes, Minden, 2. Auflage 2002, 195 S., bestellbar nur über
die Geschäftsstelle des Versöhnungsbundes, Schwarzer Weg 8, 32423
Minden, Tel.: 0571-850875, Fax: 0571-8292387,
geschaeftsstelle@versoehnungsbund.de, Preis: 8.- Euro + 1,50 Euro
Versand.
(Stand des Artikels: 14.3.2002)
Zurück zur Irak-Seite
Zur Seite "Bush-Besuch
Zurück zur Homepage