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Umstrittene Zahlen der Toten in Irak

US-Zentralkommando veröffentlichte Statistik

In den fünf gewalttätigsten Jahren des Irakkriegs sind den Angaben der US-Armee zufolge rund 77 000 Iraker ums Leben gekommen.

Den im Internet veröffentlichten Zahlen zufolge starben zwischen Januar 2004 und August 2008 mehr als 63 100 irakische Zivilisten und über 13 700 irakische Sicherheitskräfte durch Kämpfe und Anschläge. Mehr als 121 500 Iraker wurden in dieser Zeit verletzt.

Das US-Zentralkommando Centcom, dem die Federführung bei den Einsätzen in Irak und Afghanistan obliegt, hatte die Zahlen bereits Ende Juli ohne weiteren Hinweis auf seiner Internetseite veröffentlicht. Erst jetzt wurden Medien auf die Statistik aufmerksam, nach der in dem Zeitraum auch knapp 3600 Soldaten der USA und ihrer Verbündeten getötet und mehr als 30 000 weitere verletzt wurden.

Es handelt sich um die bislang detailliertesten Angaben der US-Armee zur Zahl getöteter Iraker. Die Frage, wie viele Iraker seit dem Einmarsch der US-Truppen im März 2003 ums Leben kamen, ist umstritten, Schätzungen gehen zum Teil deutlich auseinander.

Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums sagte, er wisse nicht, ob auch Aufständische zu den getöteten Irakern gezählt worden seien. Die in der Statistik aufgeführten Iraker könnten sowohl von den US-Truppen und deren Verbündeten, als auch durch Anschläge oder Angriffe des Terrornetzwerks Al Qaida oder von Aufständischen getötet worden sein.

Die nun veröffentlichen Angaben der US-Armee setzen die Zahl der Opfer niedriger an als andere Statistiken. Ein im Oktober des vergangenen Jahres von der irakischen Regierung veröffentlichter Bericht nannte die Zahl von fast 86 000 Gewaltopfern und mehr als 147 000 Verletzten. Die unabhängige Organisation Iraq Body Count schätzt die Zahl der getöteten Zivilisten seit dem Beginn des Krieges 2003 auf 98 000 bis rund 107 000. Eine umstrittene Studie der britischen Fachzeitschrift »The Lancet« aus dem Jahr 2006 hatte die Zahl der getöteten Iraker sogar mit fast 655 000 angegeben.

Die nun vom US-Zentralkommando veröffentlichten Zahlen machen die Entwicklung der Gewalt in Irak in den Jahren 2004 bis 2008 deutlich. Wurden im Jahr 2004 noch rund 240 Tote monatlich gezählt, stieg die Zahl der Opfer mit der Zunahme der Gewalttaten auf mehr als 2100 Tote monatlich im Jahr 2006. Die US-Armee veröffentlichte die Zahlen als Reaktion auf eine Anfrage eines Universitätsarchivs im Rahmen des US-Informationsfreiheitsgesetzes. Ende August hatte die US-Armee ihren Kampfeinsatz in Irak offiziell beendet.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2010


Misstrauensbeweis

Von Roland Etzel **

Sie nennen sich Iraq Body Count und haben sich genau der grausig-traurigen Aufgabe verschrieben, die ihr Name nahelegt: Sie zählen Körper, tote Körper von seit Beginn der US-Invasion 2003 durch kriegerische Gewalt in Irak ums Leben gekommenen Zivilpersonen. Online-Spiel

Es gibt viele Gründe für engagierte Bürgerrechtler, so etwas zu beginnen. Der vielleicht wichtigste: Ihr Präsident, George Bush jun., hatte den Einmarsch von US-Truppen in das Zweistromland mit von A bis Z erlogenen Behauptungen gerechtfertigt. Warum also sollte die kritische Öffentlichkeit den vom Pentagon veröffentlichten Opferzahlen Glauben schenken? Und den vorläufig letzten Grund, hier Misstrauen walten zu lassen, lieferte die US Army am Freitag selbst. Sowohl irakische Politiker als auch Body Count halten die Pentagonzahlen über getötete Iraker für deutlich untertrieben.

Es spricht manches dafür, dass dieser Argwohn am Platze ist. Der Eindruck, dass die Army mit der Veröffentlichung allenfalls einer lästigen Gesetzespflicht nachgekommen ist, wird erhärtet durch die Tatsache, dass sie die Zahlen quasi heimlich ins Netz stellte, ohne Kommentar. Wer nach ihnen fragt, stößt auf geballte Ignoranz. Oder wie sonst soll man es bezeichnen, wenn ein Pentagonsprecher auf Nachfrage kundtut, er wisse nicht, ob auch Aufständische zu den getöteten Irakern gezählt worden seien. Mit der Wahl von Barack Obama, der sich einst gegen den Irak-Krieg erklärt hatte, war auch die Hoffnung verbunden, das Töten dort zu beenden. Im Pentagon ist dieser Gedanke nie angekommen. Dort ist man nicht einmal bereit, die Dimension des Grauens einzugestehen.

** Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2010 (Kommentar)

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