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"Über den Tisch gezogen"

Sicherheitsfirmen rekrutieren Latino-Söldner für Irak-Einsatz

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Hohe Einkommen stellen private Sicherheitsfirmen lateinamerikanischen Söldnern für den Einsatz in Irak in Aussicht. Ausgezahlt werden am Ende nur Niedrigstlöhne. Eine UNO-Mission untersucht nun die unseriösen Machenschaften der Unternehmen, die offenbar in einem juristischen Vakuum operieren.

John Jairo Bermúdez (Name geändert) ist fest entschlossen. »Sobald ich hier rauskomme, bewerbe ich mich als Wachmann in Irak«, sagt der 27-jährige Kolumbianer. Noch lässt sich der drahtige Soldat im Rehabilitationszentrum der Armee in Bogotá wegen einer Knieverletzung behandeln. »Das ist ganz einfach«, sagt Bermúdez, der sechs Jahre lang gegen die Guerilla gekämpft hat, »ich trete aus dem Heer aus, lasse mich untersuchen und unterschreibe einen Einjahresvertrag.« Den Kontakt zu den Mittelsmännern in Kolumbiens Hauptstadt hat er von einem früheren Vorgesetzten. 7000 Dollar im Monat hat man Bermúdez in Aussicht gestellt, als Berufssoldat verdient er nicht einmal 300.

Ähnlich wie er dachten die kampferprobten 35 Männer, die im Juni von Bogotá über Frankfurt (Main) und Amman nach Irak flogen. Das Wochenmagazin »Semana« ermittelte, wie sie systematisch über den Tisch gezogen wurden. »Wir sollen zurück, aber man lässt uns nicht«, zitiert »Semana« den früheren Hauptmann Esteban Osorio. Im vergangenen September nahm er Kontakt zu ID Systems auf, einer Vertretung der USA-Militärfirma Blackwater. Wie die Zeitschrift »The Nation« vor kurzem enthüllte, hat allein Blackwater seit Juni 2004 von der Regierung Bush 320 Millionen Dollar erhalten, um in Irak und 26 weiteren Ländern für »diplomatische Sicherheit« zu sorgen. In Bogotá stellte Gonzalo Guevara, Hauptmann der Reserve, seinen Landsleuten für »Sicherheitsdienste in Militäranlagen« 4000 Dollar monatlich in Aussicht, weniger als erwartet, aber »immer noch gutes Geld«, erinnert sich Osorio. Das zweiwöchige Training fand in einer Kaserne der kolumbianischen Armee statt.

Nach monatelanger Wartezeit wurden die 35 Männer Anfang Juni zur Firma zitiert. Dort unterschrieben sie in aller Eile einen Vertrag, denn vier Stunden später mussten sie abflugbereit sein. Erst auf der Reise entdeckten sie, dass sie sich für einen Tagessold von 34 Dollar für den Einsatz in Irak verpflichtet hatten – mit dem USA-Außenministerium als »Endbegünstigtem«, wie es im Vertrag hieß.

In Bagdad sind sie seither zur Bewachung einer Militärbasis eingesetzt. Ihre Proteste blieben bislang erfolglos, noch warten sie auf den Rückflug. ID Systems drohte mit Repressalien gegen ihre Verwandten und prahlte mit guten Beziehungen zur kolumbianischen Regierung. Diese wiederum stellt der Firma, die das Placet der USA-Regierung hat, die Kaserne zur Verfügung – »im Austausch gegen Renovierungsarbeiten«, so Ex-Hauptmann Guevara. »Ein privater kommerzieller Streit zwischen den kolumbianischen Angestellten und einer ausländischen Firma«, lautet der lakonische Kommentar des USA-Außenministeriums.

Derzeit untersucht eine UNO-Mission das Geschäft mit den Latino-Söldnern. »Mit Sorge haben wir das steigende Interesse festgestellt, lateinamerikanische Bürger für Irak zu rekrutieren – als Wachmänner und Militärs, die direkt an Kämpfen teilnehmen«, sagte Sprecherin Amada Benavides. »Sie werden zu Niedrigstlöhnen verschleppt und leben unter unmenschlichen Bedingungen. Die Subunternehmen agieren in einem juristischen Vakuum«. Anders als zuvor in Honduras, von wo aus letztes Jahr 218 Honduraner, 105 Chilenen und 18 Nicaraguaner nach Irak geflogen wurden, hat die Mission in Ecuador jedoch keine Beweise für solche Rekrutierungen gefunden.

Die nächste Station der UNO-Funktionäre ist Peru, auf grünes Licht aus Chile und Kolumbien warten sie noch. Aus all diesen Ländern wurden jeweils mehrere hundert Söldner für Irak verpflichtet – erfahrene Kämpfer, die viel billiger sind als ihre Kollegen aus den USA, Südafrika oder Europa. Auch die Ölfirma Halliburton ließ offenbar Ex-Soldaten aus Lateinamerika anheuern.

»Viele Peruaner setzen lieber ihr Leben in Bagdad aufs Spiel, als ohne Perspektive zu Hause zu bleiben«, sagt der Psychoanalytiker Jorge Bruce. »So haben sie wenigstens die Möglichkeit, ihren Familien etwas Geld zu schicken, schlimmstenfalls bleibt ihnen die Lebensversicherung.« Bis zu 20 000 Söldner sollen noch im Jahr 2004 in Irak gewesen sein, erklärt der Militärexperte Mustafa Alani. Derzeit sei ihre Zahl wieder rückläufig, auf 5000 bis 7000 schätzt sie Alani. »Die Iraker sehen die Söldner als Teil der Besatzungsmacht«, mutmaßt er. Über die Verluste gibt es keine verlässlichen Zahlen. Einer Teilstatistik des USA-Arbeitsministeriums zufolge kamen bis Oktober 2005 mindestens 428 Söldner um, über 4000 wurden verletzt.

* Aus: Neues Deutschland, 13. September 2006


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