Wenig für die Armen
Weltwirtschaftsmacht: Indiens neue Regierung stemmt sich im Verband der BRICS-Staaten gegen die Dominanz des Westens. Innenpolitisch setzt sie auf Förderung des Mittelstands
Von Thomas Berger *
Beim Gipfel der BRICS-Staaten gab der indische Premier Narendra Modi am Dienstag und Mittwoch dieser Woche im brasilianischen Fortaleza seinen Einstand auf internationalem Parkett. Zusammen mit den Staatschefs Brasiliens, Rußlands, Chinas und der Republik Südafrika stellte er für sein Land die Weichen zur Gründung einer eigenen Entwicklungsbank und eines gemeinsamen Währungstopfes. Dies sind Kampfansagen der Staatengruppe an die Macht des Dollars, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds – und damit an die von den USA geführten traditionellen Industrieländer.
Für eine Kampfansage in der heimischen Wirtschaftspolitik war Finanzminister Arun Jaitley (Bharatiya Janata Party; BJP) zuständig. Und die ging zuallererst an die Ärmsten des Landes, denn vom Etatkuchen bekommen sie am wenigsten. Mitte vergangener Woche hatte der Minister bei Vorstellung des Haushalts für 2014/2015 das Ziel ausgegeben, Indiens Wirtschaftswachstum wieder auf 5,4 bis 5,9 Prozent anzukurbeln (jW berichtete). Zwei Jahre lang verharrte der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes unter der wichtigen Fünf-Prozent-Marke. Nach Ansicht vieler Experten ist das zu wenig, um den Wohlstand im 1,3-Milliarden-Einwohner-Staat spürbar zu verbessern, Jobs für die Millionen neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Menschen zu schaffen und Indiens ehrgeizige Ziele beim Ausbau von Wirtschaft und Infrastruktur zu realisieren.
Modi, Jaitley und mit ihnen der Rest der neuen politischen Führung setzen verstärkt auf Deregulierung, Öffnung des Marktes für ausländisches Kapital und Stärkung der Mittelschicht. Für zig Millionen Unterprivilegierte und Arme in der stark polarisierten indischen Gesellschaft bleibt außer ein paar unverbindlichen Absichtserklärungen wenig. Beispiel Steuerreform: Der Finanzminister kündigte die Anhebung von Freigrenzen bei der Besteuerung an. Das steuerfreie Minimum beim Jahreseinkommen steigt demnach um 50000 auf 250000 Rupien (gut 3000 Euro), bei Bürgern über 60 Jahren sogar auf 300000 Rupien. Entsprechend werden auch die Kappungsgrenzen für die einzelnen Stufen angehoben, was im Durchschnitt 5000 Rupien (gut 60 Euro) mehr in den Taschen der Steuerpflichtigen läßt. Die Maßnahme erscheint sinnvoll, da die zahlreichen Klein- und Kleinstunternehmer immer noch als das Rückgrat der indischen Wirtschaft gelten. Für viele Millionen Menschen, die schon bisher wegen ihres geringen Verdienstes nicht steuerpflichtig waren, bringt dies gar nichts. Es ist ein Geschenk an jene Klientel, die bei der jüngsten Wahl im Frühjahr besonders für die BJP gestimmt hatte.
In die gleiche Richtung zielt das Vorhaben, verstärkte Rentenversicherungsprogramme für diese Gruppe aufzulegen.
Beispiel Marktöffnung: Angekündigte geringere Hürden für das Agieren von Fremdkapital und erweiterte Niederlassungsfreiheiten internationaler Unternehmen auf dem Subkontinent zeigen bereits erste konkreten Resultate. So sollen ausländische Versicherer künftig in Indien ihre Geschäfte machen können. Auch im immer noch sehr kleinteilig strukturierten Einzelhandel wird es für die global agierenden Konzerne leichter, in Indien Fuß zu fassen oder ihre ersten Engagements auszuweiten.
Schwerpunkt bleibt für das Modi-Kabinett die Modernisierung der Infrastruktur (siehe jW vom Dienstag) einschließlich des ambitionierten Vorhabens, den Ganges zu reinigen. Letzteres hatte bereits die Vorgängerregierung unter Führung der Kongreßpartei (INC) eingeleitet.
Der Strom ist Lebensader für fast eine halbe Milliarde Menschen im Norden des Landes. 20,37 Milliarden Rupien (250 Millionen Euro) sollen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings wollen Jaitley und seine Kabinettskollegen auch das ökologisch höchst fragwürdige Projekt zur Verbindung der größten Ströme mit einem Kanalsystem zur besseren Wasserverteilung wieder aufgreifen. Eine Milliarde Rupien sind für konkrete Planungsleistungen vorgesehen.
Um die Energieversorgung, eines der größten Hemmnisse bei Indiens Wirtschafts- und genereller Entwicklung, zu erweitern, ist unter anderem die Schaffung von Mega-Solarparks in fünf Bundesstaaten vorgesehen. Mit zahlreichen Flughafenneubauten will die Regierung wiederum den schnelleren Transport von Menschen und Gütern sicherstellen. Auch die Verteidigungsausgaben sollen im kommenden Finanzjahr steigen – und das gleich um zwölf Prozent auf 2290 Milliarden Rupien (28 Milliarden Euro).
Für den wichtigen landwirtschaftlichen Sektor ist die Schaffung zusätzlicher Lagerungsmöglichkeiten vorgesehen. Noch immer verdirbt ein Großteil der Ernte, weil es beispielsweise für Obst und Gemüse keine Kühlanlagen gibt und Transportwege oft zu lang sind. Auch sollen Bauern an günstige Kredite mit nur sieben Prozent Verzinsung gelangen können, verspricht der Minister. Fünf Milliarden Rupien wandern demnach in einen Fonds zur Preisstabilität, denn die Kostensteigerung für zahlreiche Waren des täglichen Bedarfs war in den letzten Jahren eines der größten Probleme Indiens, das immer wieder auch für große Proteste sorgte.
Die neoliberale Ausrichtung macht Indien indes abhängiger von den internationalen Finanzmärkten. Bereits im Vorjahr, als zahlreiche »Investoren« abrupt ihre Dollar zurück in die USA holten, weil eine Zinserhöhung der dortigen Zentralbank gemutmaßt wurde, hatte Indiens Rupie blitzartig an Außenwert verloren. Dies verteuerte lebensnotwendige Importe erheblich. Neu Delhi verbot sogar vorübergehend den Import von Gold, um weitere Währungsabflüsse zu verhindern. Dabei spielt das Edelmetall als Schmuckrohstoff auf dem Subkontinent eine weitaus wichtigere Rolle als sonst irgendwo auf der Welt.
* Aus: junge Welt, Freitag 18. Juli 2014
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