Indien und der indisch-pakistanische Konflikt: Ereignisse ab November 2002
Zusammengestellt aus Agenturmeldungen
1. - 15. November 2002
Kurz vor seiner Vereidigung ist der künftige Regierungschef von Kaschmir, Mufti Mohammed Sayeed, nur knapp einem Attentat entgangen. Auf sein Haus in einem Vorort von Srinagar wurden am 2. November zwei Granaten abgefeuert. Die Polizei geht davon aus, dass die Tat von islamischen Extremisten begangen wurde. Wenig später wurde Sayeed wie vorgesehen feierlich in sein Amt eingeführt. Mit dem Regierungschef wurden acht Minister seines Kabinetts vereidigt: Zwei gehören Sayeeds Volkspartei an, drei der Kongress-Partei und einer der radikalen Hindu-Partei BJP; zwei sind unabhängig.
Nur wenige Stunden nach der Vereidigung des neuen Regierungschefs haben vermutlich kaschmirische Separatisten einen Politiker der Kongress-Partei erschossen. Nach Angaben der Polizei wurde Mohammad Sikander Khan am Samstag an einer Bushaltestelle in der Regionalhauptstadt Srinagar getötet worden. Zwei seiner Leibwächter wurden ebenfalls getötet, ein Passant wurde verletzt. Terroristen erschossen am selben Tag im Zentrum von Srinagar einen Polizisten.
Die Gruppe Al-Umar Mujahedeen hatte "gewaltsame Maßnahmen" angekündigt, falls Sayeed in der neuen Koalition mitarbeiten werde, die unter der Kontrolle Indiens stehe.
Indische Soldaten töteten am 2. November nahe der Waffenstillstandslinie zwischen Indien und Pakistan zwölf Guerillakämpfer. Die Polizei erklärte, die Männer hätten von Pakistan aus in Kaschmir eindringen wollen. Bei ihnen seien Waffen und Munition gefunden worden.
In Pakistan zeichnet sich knapp einen Monat nach der Parlamentswahl die Bildung einer neuen Regierung ab. Das Bündnis für Demokratie, das von der Volkspartei der ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto angeführt wird, und das Islamistenbündnis´MMA gaben am 6. November bekannt, sie hätten sich auf Maulana Fazlur Rehman als Kandidaten für das Amt des Premierministers geeinigt. Was die beiden Partner, die sonst nicht sehr viel gemeinsam haben, offenbar einigt, ist ihre Gegnerschaft zu Präsident Musharraf. Wie die Zeitungen berichten, ist der Geistliche Fazlur Rehman ein Freuund von Talibanführer Mullah Oman. Nach dem 11. September 2001 organisierte er einige Massendemonstrationen gegen die USA. Im Wahlkampf forderte Rehman die Schließung sämtlicher US-Stützpunkte in Pakistan.
Bei einem Bombenanschlag im indischen Teil Kaschmirs sind am 11. November 13 Mitglieder der - indischen - paramilitärischen Polizei getötet worden. Zu dem Anschlag bekannte sich nach Berichten der Nachrichtenagentur PTI die in Pakistan ansässige Organisation Hezb-ul Mujahedeen.
Der berühmteste indische Kamelmarkt, der am 15. November begann, ist in diesem Jahr von der Angst vor Terroranschlägen überschattet. Die USA und Großbritannien rieten ihren Bürgern davon ab, zum Jahrmarkt in Pushkar im Wüstenbundesstaat Rajasthan zu fahren. Der Kamelmarkt ist eine Touristenattraktion, bei der 50.000 Kamele, Pferde und andere Tiere vorgeführt und gehandelt werden. 50 Prozent der Touristen stornierten nach Angaben indischer Zeitungen wegen der Warnungen ihre Buchungen. Die Regierung Rajasthans sprach von einem Rückschlag für die Tourismusindustrie. (Quelle: Spiegel-online).
Bei einem Bombenanschlag in einem Bus in der pakistanischen Stadt Hyderabad sind am 15. November zwei Menschen getötet und neun verletzt worden. Der Anschlag ereignete sich ca. zwei Stunden, nachdem im US-Bundesstaat Virginia ein 38-er Pakistaner hingerichtet worden war. Gegen die Vollstreckung des Todesurteils (der Pakistaner soll zwei CIA-Mitarbeiterr ermordet haben) kam es in Pakistan zu Protestkundgebungen.
Drei Jahre nach seinem Militärputsch und einen Monat nach den Wahlen ist der pakistanische Machthaber Pervez Musharraf am 16. November als Präsident vereidigt worden. Wenige Stunden zuvor hatte er die alte Verfassung von 1973 wieder in Kraft gesetzt, die er nach seinem Putsch durch eine Militärverfassung ersetzt hatte. Nach dem Amtseid trat das erste gewählte Parlament seit Musharrafs Putsch 1999 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Damit endete formal die Herrschaft des Militärs in Pakistan.
18. - 30. November 2002
Die Koalitionsgespräche zwischen der Pro-Musharraf-Partei PML-Q und dem Islamistenbündnis MMA zur Bildung einer neuen Regierung sind am 18. November in Islamabad gescheitert. Die MMA hatte gefordert, dass Militärmachthaber Musharraf nur Präsident belieben dürfe, wenn er das Amt des Armeebefehlshabers aufgebe. Damit war die PML-Q nicht einverstanden.
Ein pakistanisches Gericht verfügte am 18. November die Freilassung von Hafiz Mohammed Saeed. Saeed gilt als Gründer der Lashkar-eTpiba, einer militanten Gruppe, die von Indien für mehrere Terroranschläge verantwortlich gemacht wird. Sie steht auf der US-Liste terroristischer Organisationen.
Chaudhry Amir Hussain von der Pakistan Muslim Liga PML-Q wurde am 19. November von der Nationalversammlung zum Ratsvorsitzenden gewählt. Die Sitzung wurde unterbrochen durch ein Gebet für Mir Amil Kansi, der vier Tage zuvor in den USA hingerichtet worden war und nun in seiner pakistanischen Heimat beigesetzt wurde.
Bei Schießereien an der Grenze und einem Bombenanschlag sind am 19. November im indischen Teil Kaschmirs 13 Menschen getötet worden. Die indische Armee erschoss in Balkote sechs bewaffnete Männer, die versucht hätten, von Pakistan auf indisches Gebiet zu gelangen. Dabei wurde auch ein indischer Soldat getötet. In Ramgarh erschossen Grenzsoldaten vier Männer aus Bangladesch, die ebenfalls von Pakistan aus in den indischen Teil von Kaschmir eindringen wollten. In Bandipora zündeten mutmaßliche Moslemextremisten eine Bombe und töteten einen indischen Soldaten und einen Zivilisten.
Das pakistanische Parlament hat am 21. November Zafarullah Khan Jamali zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Erstmals seit dem Militärputsch 1999 kommt damit ein Zivilist an die Regierung. Er wird von den Streitkräften unterstützt. Für Khan Jamali, der der Pakistanischen Moslemliga (PML-Q) angehört, stimmten 172 der 329 Abgeordneten in der Nationalversammlung. 86 bevorzugten den Kandidaten der islamischen Fundamentalisten, Fazlur Rahma.
Die erste Parlamentswahl seit dem Putsch hatte vor sechs Wochen die dem Militär nahe stehende PML gewonnen. Die Wahl von Khan Jamali ist nun der erste Schritt zur Bildung einer Koalitionsregierung, in der die Moslemliga mit abtrünnigen Anhängern der Pakistanischen Volkspartei (PPP) von Benazir Bhutto und parteilosen Abgeordneten zusammenarbeiten will.
Bei Gefechten zwischen islamischen Rebellen und Sicherheitskräften im indischen Teil Kaschmirs hat es am Freitag sechs Tote gegeben. Im Zentrum von Srinagar attackierten zwei bewaffnete Männer einen Posten der paramilitärischen Polizei mit Granaten und Maschinengewehren. Die Angreifer waren als Polizisten verkleidet, wie die Polizei mitteilte. Bei zweistündigen Kämpfen starben beide Angreifer und sechs Soldaten, weitere neun wurden verletzt. Zu der Tat bekannte sich die islamistische Gruppe Lashkar-e-Taiba.
Auf einer viel befahrenen Straße im indischen Unionsstaat Jammu-Kaschmir ist am 23. November eine Mine explodiert. Dabei starben zwölf Menschen, 24 weitere wurden verletzt. Unter den Toten waren acht Soldaten, zwei Frauen und zwei Kinder. Die Mine explodierte unter zwei Militärfahrzeugen, einem Lkw und einem Bus, mit denen die Soldaten unterwegs waren. Drei muslimische Extremistengruppen bekannten sich anschließend zu der Tat.
Islamistische Rebellen haben am 24. November einen Hindu-Tempel im indischen Teil von Kaschmir überfallen und fünf Menschen getötet. Mindestens 13 weitere wurden verletzt. Der private Fernsehsender Aaj Tak berichtete, die Angreifer seien in den Raghunath-Tempel in Jammu eingedrungen und hätten dort das Feuer eröffnet. Die Polizei teilte mit, die Fanatiker hätten sich in dem Tempel verschanzt und mit den Sicherheitskräften Schusswechsel geliefert. Viele Pilger waren in dem Tempel gefangen. Das Gelände wurde abgeriegelt.
Am 24. November wurde das neue Kabinett in Pakistan vereidigt. Der neue Ministerpräsident Zafarullah Khan Jamali übernahm die Regierungsgeschäfte von Präsident Pervez Musharraf. Damit endete formell die dreijährige Militärherrschaft. Der 58-jährige Jamali kündigte an, den Krieg gegen den Terrorismus an der Seite der USA fortzusetzen.
Bei einem Terrorüberfall auf einen Hindu-Tempel im indischen Teil Kaschmirs sind am Abend des 24. November 12 Menschen (11 Betende und 1 Polizist) getötet worden. Zahlreiche Menschen wurden verletzt. Die Kämpfe zogen sich bis in den Morgen des nächsten Tages hin. Indien machte die in Pakistan ansässige Moslemgruppe Lashkar-e-Toiba für den Angriff verantwortlich. - Aich die gerade vereidigte neue pakistanische Regierung verurteilte den Anschlag.
Am 25. November bot die pakistanische Regierung Indien Friedensgespräche an. Pakistan sei bereit, Indien in der Kaschmir-Frage entgegenzukommen. Man wolle aber einen "Frieden mit Ehre und Gerechtigkeit", sagte der pakistanische Außenminister Khurshid Mahmod Kasuri.
Nach Indien hat auch Pakistan einen Teil seiner Truppen von der gemeinsamen Grenze abgezogen. Man habe die Streitkräfte aus Gebieten verlegt, in denen Indien keine Bedrohung mehr darstelle, sagte ein Militärsprecher am 28. November.
1. - 15. Dezember 2002
Nach indischen Zeitungsberichten vom 2. Dezember will Indien ein atomgetriebenes U-Boot von Russland leasen. Der Besitz eines Atom-U-Boots würde Indien einen neuen militärischen Vorteil gegenüber Pakistan geben.
Drei Menschen starben und mehr als 30 wurden verletzt, als am 3. Dezember in Bombay eine Bombe in einem Bus explodiert. Zwei weitere Bomben konnten entdeckt werden, bevor sie detonierten.
Russland und Indien haben sich am 4. Dezember auf eine engere militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit verständigt. Putin besuchte in Neu-Delhi den indischen Präsidenten und den Ministerpräsidenten. Die Zusammenarbeit soll auf dem Gebiet der Terroristenbelämpfung intensiviert werden, was z.B. die gegenseitige Unterstützung bei der Ausbildung von Sicherheitsbehörden einschließt.
Wegen des anhaltenden Streits zwischen Indien und Pakistan ist der für Januar 2003 geplante Südasiengipfel abgesagt worden. Zur Begründung hieß es am 9. Dezember aus Islamabad, Indien und Bhutan hätten die Einladung aus Pakistan bisher nicht angenommen.
Im westindischen Bundesstaat Gujarat haben am 12. Dezember Parlamentswahlen begonnen. Rund 33 Millionen Stimmberechtigte sind dazu aufgerufen, 182 Abgeordnete zu wählen. Der Ausgang der Wahlen gilt als unsicher. Narendra Modi, der amtierende Chef-Minister von Gujarat, gilt als Hardliner innerhalb der nationalistischen Hindu-Partei BJP. Während des Wahlkampfes polarisierte er die religiösen Gruppen. Führende Moslempolitiker haben die moslemische Minderheit, die zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht, dazu aufgerufen, an der Wahl teil zu nehmen und die oppositionelle Kongress-Partei zu wählen.
Am 15. Dezember teilten die Behörden mit: Bei den Parlamentswahlen in dem von religiösen Unruhen heimgesuchten indischen Bundesstaat Gujarat hat die hindu-nationalistische Partei BJP einen überwältigenden Sieg errungen. Neun Monate nach den blutigen Zusammenstößen zwischen Hindus und Moslems erhielt die Regierungspartei des radikal-hinduistischen Chefministers Narendra Modi 127 von 182 Sitze und damit mehr als zwei Drittel der Mandate im Staatsparlament.
In Pakistan hat die Polizei am 15. Dezember einen Selbstmordanschlag auf amerikanische Diplomaten vereitelt. Drei Männer seien festgenommen worden, berichtete der Nachrichtensender CNN. Sie hätten in der Hafenstadt Karachi bereits einen Volkswagen mit Sprengstoff beladen, als die Polizei zugriff. Einer der Festgenommenen soll bereits in einen anderen Anschlag verwickelt gewesen sein.
16. - 31. Dezember 2002
Ein Jahr nach dem Anschlag auf das indische Parlament durch moslemische Rebellen hat ein Sondergericht am 16. Dezember in Neu Delhi vier Angeklagte für schuldig
befunden. Die drei angeklagten Männer hätten "eine kriegsähnliche Verschwörung gegen Indien" geführt, urteilte der Vorsitzende Richter. Es handelt sich um pakistanische Staatsangehörige, die im Dienst der Jaish-e-Mohammed, einer pakistanischen Terrorgruppe, gestanden haben. Die Ehefrau eines der Angeklagten wurde für schuldig befunden, der Polizei diese Information vorenthalten zu haben. Das Strafmaß wird erst
noch verkündet. Den drei Männern droht die Todesstrafe oder lebenslange Haft. Bei dem
Anschlag am 13. Dezember 2001 waren neun Menschen ums Leben gekommen, darunter acht indische Sicherheitskräfte. Der Richter sprach auch die fünf moslemischen Angreifer schuldig, die bei dem Überfall getötet worden waren.
Nach den Wahlen ist es im indischen Bundesstaat Gujarat wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Am 17. Dezember plünderten randalierende Hindus Geschäfte und steckten Häuser von Moslems in Brand. Die Polizei setzte gegen sie Tränengas ein.
Die drei Männer, die am 16. Dezember für schuldig befunden worden waren, ein Jahr zuvor den Anschlag auf daqs indische Parlament verübt zu haben, wurden am 18. Dezember zum Tod durch den Strang verurteilt. Die angeklagte Ehefrau eines der Verurteilten erhielt eine fünfjährige Haftstrafe. Die Verteidigung legte Verufung gegen die Todesurteile ein.
In der pakistanischen Stadt Lahore haben Sicherheitskräfte am 19. Dezember neun Personen festgenommen, die Mitgliedschaft im Terrornetzwerk Al Qaeda verdächtig werden. Während der Festnahme sei es zu einem Schusswechsel gekommen, bei dem aber niemand verletzt worden sei, teilten die pakistanischen Behörden mit. Zwei der Verdächtigen sind pakistanisch-stämmige US-Bürger, ein dritter Pakistaner mit kanadischem Pass. Die Staatsangehörigkeit der restliche Festgenommenen steht derzeit noch nicht fest. An der Aktion waren auch FBI-Agenten beteiligt.
Einen Tag später (20.12.) sind vier der neun verhafteten mutmaßlichen Al-Qaida-Mitglieder wieder frei gelassen worden.
Bei Kämpfen zwischen "Maoisten" und der Polizei sind am 20. Dezember im ostindischen Bundesstaat Jharkhand 18 Menschen, bei einem Gefecht in Andhra Pradesh vier "Maoisten" getötet worden.
24. Dezember: Bei einem Überfall auf eine Christmette am Heiligen Abend sind in Ostindien sechs Gottesdienstbesucher verletzt worden.
Im westindischen Unionsstaat Gujarat wurden zwei Muslime von militanten Hindus erstochen.
Bei einem Überfall auf eine presbyterianische Kirche in Chianwala, einem ostpakistanischen Dorf, sind am 25. Dezember drei Mädchen getötet und 14 weitere Menschen verletzt worden. Die Attentäter, die Burkas getragen haben sollen, sind unerkannt entkommen. Präsident Pervez Musharraf verurteilte den "niederträchtigen" Anschlag.
Am 29. Dezember kündigte die indische Regierung an, Tausende illegal nach Indien eingereiste Pakistanis in ihre Heimat zurückzuschicken.
Ein Jahr nach der Zuspitzung der Krise zwischen Indien und Pakistan wegen des Terroranschlags auf das Parlament in Neu-Delhi gab der pakistanische Militärmachthaber Musharraf zu, er habe damals mit einem nicht-konventionellen Krieg gedroht. Wörtlich sagte Musharraf am 30. Dezember: "Ich habe die Botschaft überbringen lassen, dass die indischen Truppen. Wenn sie einen einzigen Schritt über die Grenze oder die Teilungslinie (in Kaschmir) tun, keinen konventionellen Krieg von Seiten Pakistans erwarten sollten".
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