Nach wie vor riesiger Hilfsbedarf in Haiti
medico international und terre des hommes ziehen ein Jahr nach dem schweren Erdbeben Bilanz: Überall herrschen Mangel, Armut, Korruption und Gewalt
Im folgenden dokumentieren wir zwei aktuelle Stimmen von Hilfsorganisationen, die seit Jahr und Tag mit Hilfsprojekten in Haiti tätig sind.
Wie weisen an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal auf die Spendenmöglichkeit hin:
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terre des hommes
Spendenkonto 700 800 700;
Volksbank Osnabrück eG; BLZ 265 900 25
Stichwort: Erdbeben Haiti -
medico international
Konto-Nr. 1800
Frankfurter Sparkasse; BLZ 500 502 01
Stichwort: Haiti
Ein Jahr nach dem Erdbeben
Die Hilfsmaßnahmen von medico international im Rahmen des Bündnis Entwicklung Hilft *
Von den 3,67 Millionen Euro, die medico international für seine Hilfsmaßnahmen in Haiti bisher aus Mitteln des Bündnis Entwicklung Hilft erhalten hat, wurden bislang 1,07 Millionen Euro eingesetzt.
medico international konzentrierte sich bei seiner bisherigen Arbeit nach dem Erdbeben neben der Soforthilfe auf die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen im Landesinneren sowie auf den Ausbau des Gesundheitswesens in der Region Artibonite. Dieser Ausbau ist auf drei Jahre angelegt und mit einem Finanzvolumen von 462.000 Euro der größte Einzelposten der medico-Arbeit in Haiti. Das Projekt mit dem haitianischen Partner SOE umfasst die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten auf dem Land, insbesondere Mutter-Kind-Gesundheit, sowie Hygiene- und Gesundheitserziehung und den Bau von Latrinen. Von diesen Maßnahmen profitieren ca. 100.000 Menschen.
Zudem leistet SOE in der Region Artibonite derzeit Cholera-Nothilfe, indem die SOEMitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bevölkerung durch Hygienepromotoren und Radiosendungen über Choleraprävention und -behandlungsmöglichkeiten aufklären und die Trinkwasseraufbereitung sicherstellen. Den Fokus auf Zahngesundheit legte die Dental-Brigade des guatemaltekischen medico- Partners ACCSS, die zwei Monate lang in Präventionsprogrammen zahnmedizinische Versorgung in der vom Erdbeben hart getroffenen Stadt Léogâne durchführte.
Planungen
Da die Philosophie von medico international in der Nothilfe darauf ausgerichtet ist, nach längerfristigen Entwicklungsperspektiven zu suchen, gibt es schon jetzt Projekte, die auf mehrere Jahre angelegt sind. Im nächsten Jahr ist geplant, eine haitianische Organisation bei der partizipativen Erstellung eines kommunalen Entwicklungsplans zu unterstützen – sowohl finanziell als auch beratend. In Haiti ist die zentrale Regierung nicht in der Lage, eine Antwort auf die Probleme des Landes zu geben. Die Dezentralisierung ist in der Verfassung verankert. Der Bürgermeister der entsprechenden Gemeinde, Aquin, hat medico und seiner haitianischen Partnerorganisation CRESFED eine Akkreditierung erteilt, mit der Ausarbeitung eines kommunalen Entwicklungsplans zu beginnen.
Desweiteren wird medico eine Basisorganisation im Dorf Kolora in der Region Belladère im Grenzgebiet zur Dominikanischen Republik, die über keinerlei Infrastruktur verfügt, dabei unterstützen, durch Latrinenbau und Sensibilisierung der Bevölkerung ihre sanitären Verhältnisse zu verbessern. Gerade in Zeiten der Cholera erhält die Verbesserung sanitärer Verhältnisse eine besondere Bedeutung. Im Rahmen des Süd-Süd-Austausches wird die Fortführung des Einsatzes guatemaltekischer Gesundheits- und Dentalpromotoren weiter verfolgt. Geeignete haitianische Landbewohner aus den unterschiedlichen Partnerorganisationen sollen eine entsprechende Ausbildung erhalten, die sie befähigt, anschließend in ihren ländlichen Gemeinden als Gesundheits- und Dentalpromotoren tätig zu werden. Dazu gehört der Auf- und Ausbau sowie die Stärkung existierender organisatorischer Strukturen, in die sie eingebunden sein werden.
Eine ausführliche tabellarische Beschreibung aller von medico international mit Mitteln des Bündnis Entwicklung Hilft geförderten Projekte finden Sie hier.
Brot für die Welt, medico international, Misereor, terre des hommes und Welthungerhilfe leisten als Bündnis Entwicklung Hilft gemeinsam akute und langfristige Hilfe bei Katastrophen und in Krisengebieten.
* Quelle: Website von medico international, 12. Januar 2011; www.medico.de
Haiti: Ein Jahr nach dem Erdbeben **
1. Haiti – Ein Staat ohne funktionierende Strukturen
Am 12. Januar 2010 wurden weite Teile Haitis, darunter auch die Hauptstadt Port-au-Prince, von
einem verheerenden Erdbeben verwüstet. Mindestens 230.000 Menschen kamen ums Leben, rund
eine Million Menschen wurden verletzt und verloren ihr Zuhause. Eine gewaltige Welle
internationaler Hilfe seitens staatlicher Organisationen unter logistischer Führung des US-Militärs
sowie durch Nichtregierungsorganisationen setzte ein. Im Oktober wurde Haiti vom Wirbelsturm
»Tomas« getroffen, gleichzeitig brach die Cholera aus, der vorsichtigen Schätzungen zufolge
bisher mindestens 2.000 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Nach dem Beben herrschte riesiger Bedarf an akuter Not- und Überlebenshilfe sowie an
unmittelbarer Versorgung für die Opfer der Katastrophe. Anders als nach dem Tsunami in
Südostasien, wo zwar breite Küstengebiete, nicht jedoch das Hinterland und seine
Verwaltungsstrukturen zerstört wurden, liegt in Haiti die gesamte Verwaltung des Landes in
Trümmern. Nicht nur die Behausungen der Ärmsten – die in der Regel aufgrund ihrer besonderen
Exposition für Gefährdungen bei Naturkatastrophen am stärksten betroffen sind – sind
eingestürzt, sondern auch der Regierungspalast und große Teile der Hauptstadt Port-au-Prince.
Doch neben der Erdbebenkatastrophe und ihren Folgen existiert in Haiti seit vielen Jahren eine
zweite, die eigentliche Katastrophe, auf die die internationale Aufbauhilfe reagieren müsste. Denn
die eigentlichen Probleme Haitis lauten Armut, instabile politische Verhältnisse, Korruption,
Fehlen einer verlässlichen sozialen Infrastruktur und Abhängigkeit des Landes von ausländischer Hilfe. Die Perspektiven für den Wiederaufbau sind damit denkbar schlecht. Denn es geht nicht
allein um den materiellen Wiederaufbau, die Neuerrichtung von Behausungen, Schulen,
Krankenhäusern und Verwaltungsgebäuden, die auch vor dem Erdbeben kaum vorhanden waren
oder funktionierten. Es geht um den Aufbau des haitianischen Staates als solchen: Behörden und
Institutionen müssen entstehen, legitimiert sein und von der Bevölkerung akzeptiert werden. Die
Gesellschaft braucht soziale Solidarität und Rechtssicherheit als Basis für Investitionen in
Wirtschaft und Wiederaufbau, und es gilt sicherzustellen, dass eingesetzte Fördermittel sinnvoll
eingesetzt und in ihrer Verwendung geplant und kontrolliert werden. Besitz- und
Bodenverhältnisse, die in der Regel nicht schriftlich dokumentiert sind, müssen gerade auch unter
dem Druck eines möglichst schnellen Wiederaufbaus mit friedlichen Mitteln und zur allgemeinen
Akzeptanz geklärt werden.
Neben der Stärkung staatlicher Strukturen ist eine organisierte Zivilgesellschaft als Partner für die
zahlreichen Nichtregierungsorganisationen unverzichtbar, um Verhandlungen,
Konfliktmanagement und vor allen Dingen die Vertretung der Interessen der Ärmsten
sicherzustellen. Alle Wiederaufbaumaßnahmen müssten sehr schnell gehen, um Menschen ein
Dach über dem Kopf, aber auch Bildung, Gesundheitsvorsorge, Schutz, Schutz vor Cholera usw.
zu gewähren. Andererseits muss sich jeglicher Wiederaufbau den Möglichkeiten und
Geschwindigkeiten der Menschen vor Ort anpassen und darf nicht von außen diktiert werden. Es
sind die Dynamiken und sozialen Verhältnisse in Haiti selbst, die das Tempo wie auch den Erfolg
der Wiederaufbauhilfe bestimmen. Führt man sich vor Augen, dass Hamburg und Berlin, die 1945 in Trümmern lagen, selbst mit Rückendeckung durch Marshallplan und schnellen
Wirtschaftsaufschwung noch Jahre später Spuren des Krieges aufwiesen, lässt sich verstehen,
dass auch der Wiederaufbau Haitis lange Zeit brauchen wird. Edmond Mulet, Chef der UNMission
»MINUSTAH« in Haiti, schätzt, dass es bis zu 100 Jahre dauern könne. Er meint damit
eben nicht die Rekonstruktion der fragilen Verhältnisse von vor dem Erdbeben, wo die Mehrheit
der Haitianer unter Armut, Korruption und einem unfähigen Staatswesen litt, sondern den Aufbau
einer Gesellschaft, in der Menschen die Chance auf ein Leben in Würde haben und in der
Rechtssicherheit und die Befriedigung der Grundbedürfnisse für die Ärmsten garantiert sind.
2. terre des hommes-Hilfsmaßnahmen
terre des hommes hat insgesamt 4.751.700 Euro Spenden für Haiti erhalten. Bis Ende 2010
wurden 3.066.580 Millionen Euro in Projekte eingesetzt. Die übrigen Spenden in Höhe von
1.685.120 Euro fließen in mittel- und langfristige Wiederaufbauprogramme in Haiti.
Soforthilfe-Maßnahmen nach dem 12. Januar 2010
terre des hommes Deutschland begann unmittelbar nach dem Erdbeben über die Schweizer terre
des hommes-Schwesterorganisation aus Lausanne mit ersten Nothilfemaßnahmen wie der
Bereitstellung von Unterkünften und der Erstversorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung. Die Hilfe konzentrierte sich zunächst auf
die Region Les Cayes im Südwesten Haitis, wo terre des hommes Lausanne bereits seit mehr als
20 Jahren tätig war und wohin viele Menschen aus dem zerstörten Port-au-Prince flohen. Nach
einigen Wochen wurden langfristig angelegte Projekte eingeleitet und andere Regionen mit
einbezogen. Zweiter terre des hommes-Partner ist die Organisation Uramel, die in der Hauptstadt
vor allem in Bereichen Trauma und medizinischer Versorgung tätig ist.
Partner terre des hommes Lausanne
Die erste Phase des Projekts mit terre des hommes Lausanne hat ein Budget von einer Million
Euro. Damit werden Maßnahmen in den Regionen Léogâne, Grand und Petit Goâve sowie im Sud
Department durchgeführt. terre des hommes Lausanne ist mit etwa 200 Helfern in Haiti tätig,
davon sind 185 lokale Kräfte. Das Projekt wendet sich vor allem an Kinder und Jugendliche und
ihre Familien.
Die durchgeführten Aktivitäten hatten zunächst den Schwerpunkt auf einer Katastrophen-
Erstversorgung: Diese beinhaltete die Bereitstellung von Unterkünften, Trinkwasser und sanitären
Anlagen. Dafür wurden Zelte, Plastikplanen und Baumaterial sowie Decken und Matratzen
verteilt. Um die Gesundheitssituation zu verbessern, erhielten Familien Lebensmittel,
Moskitonetze und Hygieneartikel wie Seife und Reinigungsmittel und konnten medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Die Zelte werden nach und nach durch stabilere
Übergangsunterkünfte ersetzt, die den Bewohnern für mehrere Jahre als Behausung dienen
können. Ergänzt wird das Programm durch Maßnahmen im Kinderschutz und einer
psychosozialen Betreuung der Opfer. Seit dem Ausbruch der Cholera wurde die
Choleraprävention in die Aktivitäten aufgenommen. In der ersten Projektphase bis Ende 2010
erreichten die Projektmaßnahmen etwa 75.000 Menschen.
Neben der Versorgung der Bevölkerung mit dem Allernötigsten liegt ein Schwerpunkt der Arbeit
von terre des hommes Lausanne auf dem Kinderschutz. Viele Kinder in Haiti lebten schon vor
dem Erdbeben in dramatischen Verhältnissen. Das Beben hat die Situation weiter verschärft.
Viele Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und litten in der Folge auf der Straße, in Notlagern
oder bei Angehörigen unter Gewalt, beengten Verhältnissen, fehlender Hygiene und Mangel an
gesundheitlicher Betreuung. In diesem Umfeld bestand für die Kinder die Gefahr, Opfer sexuellen
Missbrauchs oder Kinderhandels zu werden.
terre des hommes Lausanne hat ein Schutzsystem aufgebaut, das bedürftigen Kindern individuelle
Betreuung zukommen lässt. Dafür wurden neun Schutzzentren für sechs- bis zwölfjährige Kinder
gebaut. Etwa 2.600 Kinder wurden hier registriert. Sie werden täglich durch geschultes Personal
betreut. Hier werden gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten wie Spiel und Sport ermöglicht. Die
Kinder kommen nach der Schule ins Zentrum und verbringen ihre Freizeit in einem sicheren
Raum, in dem sie sich entfalten können. Sie können sich mit den Betreuern austauschen und ihre Ängste aufarbeiten. Mitarbeiter gehen bei Problemen in die Familien, suchen gemeinsam mit den
Eltern oder anderen Bezugspersonen nach Lösungen und bieten erzieherische und psychosoziale
Unterstützung. In den staatlichen Kinderheimen, mit denen terre des hommes zusammenarbeitet,
werden Kinder registriert, um zu vermeiden, dass sie verschwinden oder Opfer von Kinderhandel
oder illegaler Adoption werden. Die Familienmitglieder werden gesucht und, falls möglich,
wieder mit ihren Kindern zusammengeführt.
Der Ausbruch der Cholera erforderte sofortige Maßnahmen im Programm, vor allem im Bereich
der Prävention. Die Familien infizierter Personen werden versorgt: Fortlaufend besuchen sechs
mobile Teams die Angehörigen, informieren die Familienmitglieder, desinfizieren Wasserstellen
und führen Desinfektionen im Haus durch. Zudem untersuchen sie Wasserversorgungsstellen auf
Cholera-Erreger. Aufklärung durch Kampagnen und Schulungen zum Thema Cholera werden
insbesondere für Gemeindevorstände und für religiöse Autoritäten abgehalten. Insgesamt wurden
etwa 27.000 Menschen darüber aufgeklärt, wie sie sich effektiv vor einer Ansteckung schützen
können. In 52 Waisenhäusern und in der Kinderstation des Krankenhauses in der Stadt Les Cayes
wurde das Personal fortgebildet. Dabei wurden auch Seifen, Chlortabletten und Eimer mit
Wasserhahn zur Wasseraufbewahrung verteilt, mit denen sich die Handwäsche vereinfachen lässt.
Der Bau von Latrinen wurde insbesondere in Slumgebieten der Stadt Les Cayes intensiviert.
Fortlaufend werden Wasserversorgungsstellen auf Cholera-Erreger getestet. Derzeit wird in Petit
Goâve eine Gesundheitsstation errichtet, die von der Schweizer Sektion der Organisation
Médecins du Monde betreut werden wird.
In den nächsten Projektphasen wird terre des hommes Lausanne einen besonderen Fokus auf den
Bereich Kinderschutz und psychosoziale Betreuung legen. Der Schutz vor der Cholera-Epidemie
wird in alle Planungen miteinbezogen. Neben kommunalen Aufklärungsaktionen werden
insbesondere die Waisenhäuser der Region in die Maßnahmen miteingebunden. Die nächste
Förderphase wird ein Volumen von 1,2 Millionen Euro umfassen.
Partner Uramel
Der zweite terre des hommes-Partner in Haiti ist die Organisation Uramel. Sie kümmert sich um
die medizinische und psychosoziale Versorgung der Erdbebenopfer in der Hauptstadt Port-au-
Prince. Das Projekt hat ein Budget von 2.046.580 Euro und wendet sich vor allem an die
Menschen, die in den improvisierten Camps in der Innenstadt wohnen.
In einer Klinik richtete
Uramel eine erste
Gesundheitsversorgung ein.
Im Umfeld größerer
provisorischer Zeltstädte
wurden mehrere
Gesundheitsstationen
errichtet. Medizinisch
geschulte Teams informieren
die Bewohner in den
Zeltstädten im
Innenstadtgebiet über
notwendige
Hygienemaßnahmen,
insbesondere angesichts der
Cholera. Ein weiterer
Schwerpunkt ist die
HIV/Aids-Prävention, das
richtige Stillen von Säuglingen und die Durchführung von Impfkampagnen. Die Mitarbeiter
identifizieren Familien, die einen besonders hohen Bedarf an Hilfsleitungen haben und machen
sie auf die Angebote von Uramel aufmerksam. Zusätzlich gibt es mobile Teams mit Ärzten, Krankenschwestern und Apothekern, die an wechselnden Standorten in den Camps eine
medizinische Versorgung sicherstellen. Insgesamt wurden bisher etwa 48.000 Patienten betreut.
Uramel betreibt zudem ein Zentrum zur trauma-therapeutischen Behandlung. Hier arbeiten 22
Ärzte, Psychologen, Krankenpfleger, Sozialarbeiter und Absolventen der psychologischen
Fakultät. Etwa 2.400 Personen, darunter auch Hunderte Kinder, wurden hier behandelt. Trauma-
Aid, ein in Duisburg ansässiger Verein, schult die Psychologen in der Behandlung von Traumata.
Dazu wurden Fortbildungen für Ärzte, Krankenpfleger, Sozialarbeiter und Lehrer angeboten. Sie
wurden darin geschult, Personen zu identifizieren, die besondere Schwierigkeiten bei der
Verarbeitung der schrecklichen Erlebnisse haben und Symptome eines Traumas oder
Schockzustands haben.
Eine der Stärken von Uramel ist die politische Arbeit. Auf diesem Feld war die Organisation in
Haiti auch vor dem Beben tätig. Ziel ist es, in der breiten Öffentlichkeit und insbesondere bei
Entscheidungsträgern das Bewusstsein für die Bedeutung der psychischen Gesundheit zu wecken.
3. Cholera
Nach dem
Bekanntwerden der
ersten Cholera-Fälle
wurden Präventionsund
Schutzmaßnahmen
ergriffen, um eine
Ansteckung der
Menschen und dadurch
eine Ausbreitung der
Epidemie zu
verhindern.
Entscheidend ist die
Verbreitung von
Informationen darüber,
wie sich Menschen vor
einer Infektion schützen
können: Kein Genuss
von verseuchtem
Wasser oder
verunreinigten
Nahrungsmitteln,
Desinfektion und unbedingte Hygiene. Wenn Symptome der Cholera wie starkes Erbrechen und
Durchfall auftreten, ist sofortige medizinische Hilfe notwendig. Andererseits lässt sich die
Krankheit schnell und kostengünstig behandeln, wenn eine entsprechende
Gesundheitsinfrastruktur da ist. Doch während im Weltmaßstab die Sterblichkeitsrate von
Cholera-Erkrankten bei zwei bis drei Prozent liegt, beträgt sie in Haiti rund zehn Prozent.
Besonders gefährdet sind mangelernährte Personen, Kinder und schwangere Frauen. Zeltstädte,
beengte Siedlungsverhältnisse und dadurch bedingte mangelnde hygienische Verhältnisse
begünstigen die Ausbreitung der Cholera.
terre des hommes hat zahlreiche medizinische mobile Teams zum Einsatz gebracht, die in
besonders gefährdeten Gebieten Latrinen gebaut und Wasserstellen desinfiziert haben, zudem
wurden Pumpsysteme für die Chlorierung des Wassers eingerichtet und systematisch
Wasserkontrollen durchgeführt. Unterstützt wurde die Arbeit durch internationale Experten,
beispielsweise durch ein Team des Universitätskrankenhauses Genf. Zur Arbeit gehört auch die
Unterstützung der Kinderabteilung in öffentlichen Krankenhäusern wie in Les Cayes. Die
Präventionsarbeit wird in den weiteren Projektmaßnahmen verstärkt werden.
4. Herausforderungen
Direkt nach dem Beben ging es darum, schnell und effizient Überlebenshilfe zu leisten. Die
aufgebauten Kliniken, Gesundheitsstationen und Apotheken schufen eine bessere
Gesundheitsversorgung als vor dem Beben. Gleiches galt für die Wasserversorgung in den
ländlichen Regionen. Insgesamt jedoch sind auch nach einem Jahr erst recht wenige Schulen
wiederaufgebaut, da Baumaterial sehr schwer erhältlich ist. Preise und somit
Lebenshaltungskosten sind gestiegen, die Menschen jedoch ganz überwiegend nach wie vor arm.
Ungeklärte Grundbesitzverhältnisse erschweren die Situation; Regierung und Verwaltung sind
mit der Organisation des Wiederaufbaus und der Lösung konkreter Probleme vielfach überfordert.
Die Projekte der terre des hommes-Partner müssen daher derartige akute Probleme lösen, in ihrer
Arbeit aber zugleich viel grundsätzlicher ansetzen. Gerade im Bereich der psychischen
Gesundheit wird deutlich, dass für viele Krankheiten und Störungen die Ursache nicht primär das
Erdbeben ist. Sie liegen in den über Generationen erlebten gesellschaftlichen Missständen wie der
alltäglichen Gewalt und der Erfahrung von Mangel, Armut und Korruption.
Besonders schwer wirkt sich in dieser Gemengelage der Ausbruch der Cholera aus – in einer
Situation, in der die medizinische Grundversorgung in den bis dahin extrem unterversorgten
ländlichen Regionen sich im Vergleich zu der Zeit vor dem Beben verbesserte. Die Bemühungen
der Nichtregierungsorganisationen, die Phase der unmittelbaren Nothilfe abzuschließen und den Wiederaufbau konsequent voranzubringen, wurden vielerorts zurückgeworfen. Viele
Organisationen haben neben der Cholera-Behandlung kaum Kapazitäten, um andere
Erkrankungen zu behandeln. Mit einem baldigen Ende der Epidemie ist nicht zu rechnen.
Experten gehen von mehrere Wochen aus, bis der Gipfel der Epidemie erreicht sei, und auch
mehrere Wochen, bis sie wieder abklingt. Da das Bakterium nun im Land ist, zu befürchten, dass
es auch in den kommenden Jahren immer wieder Ausbrüche geben könnte.
5. Perspektiven und Einschätzungen
terre des hommes versteht seine Rolle als Akteur, der einen Beitrag zum Aufbau einer
haitianischen Infrastruktur zum Schutz von Kindern und zur Sicherung der Gesundheitsvorsorge
leistet. Dies geschieht in Abstimmung mit den vielen anderen internationalen Organisationen, die bestrebt sind, die schwachen Ansätze einer haitianischen Zivilgesellschaft zu fördern. Die
mittelfristige Perspektive dieser Arbeit liegt nach derzeitigen Plänen bei rund fünf Jahren.
Der terre des hommes-Projektpartner Uramel, der in seiner »Psycho-Trauma-Klinik« Hilfe für
Patienten anbietet, intensiviert die Fortbildung für haitianische Psychologen. Es geht besonders
um die sogenannte EMDR-Methode zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen.
Hier kann Uramel, unterstützt durch den Verein Trauma-Aid, auf zahlreiche internationale
Erfahrungen aus Katastrophenregionen wie dem Tsunami-Gebiet zurückgreifen. Der Bedarf der
Unterstützung im psychosozialen Bereich ist offenkundig, nicht nur in Bezug auf die Nachwirkungen des Erdbebens und dadurch ausgelöste Traumata, sondern auch mit Blick auf die
Erlebnisse vieler Menschen unter den katastrophalen gesellschaftlichen Verhältnissen Haitis vor
dem Erdbeben.
Erfolge und Misserfolge sowie Tempo beim Wiederaufbau hängen untrennbar zusammen mit der
politischen Situation des Landes, den Erfolgen bei der Rekonstruktion staatlicher Strukturen und
dem Aufbau einer legitimierten öffentlichen Verwaltung. Regierung und internationale Behörden
haben selbst hohe Opfer durch das Erdbeben zu beklagen, ihre eigene Infrastruktur und ihre
Häuser sind zerstört worden. Es fehlen Dokumente, Identifikationsausweise und Besitznachweise
für Grundstücke. In Port-au-Prince ist noch immer nicht entschieden, wo der Schutt abgelagert
werden soll, so dass sich die Aufräumarbeiten immer wieder verzögern. Mittelfristig sind die terre
des hommes-Programme jedoch auf eine Kooperation, zumindest jedoch auf eine Absprache mit
haitianischen Behörden und Institutionen angewiesen. Im Januar entscheidet die Bevölkerung in
einer Stichwahl über den neuen Präsidenten. Die Legitimität der Wahl wird von breiten Teilen der
Bevölkerung bezweifelt. Es ist zu hoffen, dass die neu entstehenden politischen Strukturen Haitis
den Hilfsorganisationen Planungssicherheit, Ansprechpartner, eine zeitliche und finanzielle
Perspektive sowie einen Rahmen bieten, innerhalb derer sie gemeinsam und zum bestmöglichen
Wohl der Menschen agieren können.
** Website von terre des hommes, 12. Januar 2011; www.tdh.de
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