Der Hunger in Guatemala ist vor allem hausgemacht
"Energiepflanzen" verdrängen seit Jahren Grundnahrungsmittel
Von Markus Plate *
Am heutigen Mittwoch (16. Sept.) beschäftigen sich die Abgeordneten von Guatemalas Parlament erneut mit der von Präsident Álvaro Colom verlangten Notstandserklärung. Vergangene Woche lehnten sie es ab, einen Hungernot-stand auszurufen.
Die Situation in Guatemala ist dramatisch: Fast 500 Menschen sind in diesem Jahr bereits verhungert, über 50 000 Familien leiden Hunger. Auch im Dorf Santa Barbara, im Departement Huehuetenango, wird die Ernährungssituation immer ernster. Die Mam-Indígena-Gemeinden hier sind bettelarm, die Felder klein und die Böden schlecht. Mehr als Mais und Bohnen für den Eigenbedarf zu produzieren, war hier lange Zeit nicht drin, wie vielerorts in Guatemala. Es ist eine äußerst anfällige lokale Ökonomie: Konzentration auf zwei Nutzpflanzen, so gut wie keine Einkünfte, wenn Regen die Felder wegspült, eine Dürre oder Schädlinge die Pflanzen vernichten. Und die Menschen leiden Hunger, wie gerade in weiten Teilen des Landes. Geld, um Nahrung zu kaufen, haben die Menschen hier einfach nicht, klagt der sozialdemokratische Präsident Álvaro Colom.
Der Agrarexperte Eduardo Carceres arbeitet seit ein paar Jahren für die Nichtregierungsorganisation CODEFIM mit einem Dutzend Familien zusammen. Sein Ziel: Die Abhängigkeit von Mais und Bohnen aufzubrechen, die Eiweißversorgung zu verbessern und den Familien Einkünfte zu verschaffen. So sind in den letzen Jahren einfache Treibhäuser entstanden, in denen Tomaten wachsen. An den Hängen stehen Kaffeesträucher, Pflaumen und Pfirsichbäume wurden gepflanzt und, als Herzstück, eine Pilzzucht angelegt. In verlassenen Scheunen oder Häusern werden Austernpilze gezüchtet, mit einfachsten Mitteln auf einem Substrat aus Maiskolben. Ein hervorragender Proteinlieferant und dazu eine gute Einnahmequelle. Ein kleiner Erfolg ist schon sichtbar: Die Lage ist hier nicht so dramatisch wie im Rest des Departamentos und erheblich besser als in den von der Dürre besonders betroffenen Regionen im Süden und Osten des Landes.
Beispiele wie Santa Barbara zeigen, dass sich die Ernährungslage schon mit bescheidenen Mitteln verbessern ließe. Doch die Entwicklung geht genau in die entgegengesetzte Richtung. In einem Land mit seit Jahren angespannter Ernährungslage dehnen sich »Energiepflanzen« wie Zuckerrohr und Ölpalmen rapide aus, in nur vier Jahren hat sich Guatemala zu einem der wichtigsten Produzenten des Kontinents entwickelt. Fast die gesamte Produktion wird von einer Handvoll Großgrundbesitzer und Investoren kontrolliert. Das profitable Geschäft hat die Bodenpreise in die Höhe schießen lassen, viele Kleinbauern sind der Versuchung erlegen, ihr Land zu verkaufen, andere wurden schlichtweg vertrieben. Ihnen wurde der Boden für die Ernährung ihrer Familien entzogen.
Das kleinbäuerliche Guatemala ist, soll es eine Perspektive haben und Hungersnöte verhindern, dringend auf Wissen, auf Transportwege, auf Vertriebsmöglichkeiten und nicht zuletzt auf Land angewiesen. Doch eine umfassende Landreform, wie sie auch von Indígena-Organisationen und von internationalen Nichtregierungsorganisationen seit Jahren gefordert wird, scheitert am Widerstand einer rechten Parlamentsmehrheit und am Unternehmerverband CACIF. Geld für den Kauf der durchaus ausreichend vorhandenen Nahrungsmittel oder für Entwicklungsprojekte gibt es in Guatemala eigentlich genug. Die Banken erzielten 2008 trotz Finanzkrise eine Kapitalrendite von durchschnittlich 19 Prozent. Internationalen Bergbauunternehmen bescheren die konkurrenzlos geringen Förderabgaben hohe Profite. Die großen Unternehmen zahlen kaum Steuern an Guatemala. Und dem Staat fehlen die Mittel, um nachhaltig gegen Armut und Unterernährung vorzugehen.
Vergangene Woche bat die Regierung die internationale Gemeinschaft um insgesamt 80 Millionen Euro. Solange das Land sein strukturelles Problem in der Steuerpolitik nicht löst, brauche es solche Hilfe, rechtfertigte Regierungsvertreterin Karin Slowing die Anfrage - und nutzte damit die internationale Bühne für Kritik am Parlament, in dem Colom keine Mehrheit hat, und an Guatemalas Unternehmern, gegen die auch in der Regierungszeit Coloms Steuerreformen nicht durchsetzbar waren. Der Kongress dagegen verweigerte dem von Colom erklärten nationalen Hungernotstand vorerst die Zustimmung. Als existierte die Krise nicht, als wären Reformen unnötig. Ob die Zustimmung im zweiten Anlauf heute erfolgt, bleibt fraglich.
* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2009
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