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Guatemalas Präsident unter Mordverdacht

Videobotschaft eines Toten bringt Alvaro Colom in Bedrängnis und schürt die Spekulationen

Von Markus Plate, Guatemala-Stadt *

Am vergangenen Sonntag wurde der Anwalt Rodrigo Rosenberg in Guatemala beim Radfahren erschossen. So zynisch das klingt, bei vier- bis fünftausend Mordopfern jährlich im kleinen Guatemala ist dies allein kaum eine Schlagzeile wert. Die Bombe platzte einen Tag später, am Montag. Zwei große Tageszeitungen veröffentlichen eine Videobotschaft des Ermordeten, aufgenommen eine halbe Woche vor dem Mordanschlag.

»Guten Tag, mein Name ist Rodrigo Rosenberg Marzano. Leider hören Sie diese Botschaft, weil ich ermordet worden bin - durch den Präsidenten Alvaro Colom.« So beginnt die Videobotschaft, die im Begriff ist, in Guatemala eine Staatskrise auszulösen. Und weiter: »Ich war Anwalt von Herrn Khalil Musa und seiner Tochter Marjorie, die beide auf feige Art und Weise ermordet wurden, durch Präsident Colom mit voller Unterstützung durch dessen Gattin Sandra de Colom.«

Rodrigo Rosenberg, ein integrer Anwalt. Ein bereits im April zusammen mit seiner Tochter ermordeter Unternehmer. Das sind die Opfer. Als Täter werden benannt: Der Präsident und seine Ehefrau, die den Sozialfonds der Regierung steuert. Außerdem der Finanzier der Wahlkampagne Coloms und der Sekretär des Präsidenten. Khalil Musa sollte in den Vorstand der privaten Bank für ländliche Entwicklung (Banrural) berufen werden.

Es geht um Politik, um viel Geld, um den äußerst gewinnträchtigen Bankensektor Guatemalas und um Geldwäsche aus dem Drogengeschäft, und das alles hängt zusammen. Denn Guatemala gilt als eines der Länder der Region, in dem das organisierte Verbrechen nicht nur große Gewinne macht, sondern auch paradiesische Zustände vorfindet, diese Gewinne weißzuwaschen. Und die Regierung Coloms soll tief in diese Machenschaften verstrickt sein und letztendlich - das ist im Kern die Videobotschaft - auch vor Mord nicht zurückschrecken.

Gut 2000 Menschen forderten am Dienstag vor dem Präsidentenpalast den Rücktritt Alvaro Coloms und Gerechtigkeit. Demonstranten aus dem gutbürgerlichen Spektrum an einem Ort, an dem sich sonst Indígenas oder Gewerkschaften einfinden. Warum hat sich die obere Mittelschicht bis heute Zeit gelassen, um angesichts der jahrelangen Gewalt in Guatemala den Rücktritt eines Präsidenten zu fordern? Weil es bis heute niemanden gegeben habe, der die Regierung und den Präsidenten direkt belastet hat, so eine Demonstrantin. Jetzt gebe es klare Beweise. Und nach dem guatemaltekischen Gesetz müssten die Beschuldigten ihr Amt ruhen lassen, solange gegen sie ermittelt werde.

Präsident Colom reagierte auf die Anschuldigungen ebenfalls mit einer Videobotschaft an die Nation, in der er alle Vorwürfe von sich weist und eine umfassende Aufklärung verspricht, durch den Oberstaatsanwalt der Republik und durch die Internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala CICIG. Das von der UNO unterstützte Gremium soll die Machenschaften illegaler bewaffneter Gruppen untersuchen und der Justiz bei der strafrechtlichen Verfolgung helfen. Auch Unternehmerkreise und rechte Politiker fordern die Einschaltung der CICIG und das ist einigermaßen pikant. Denn gerade dort regte sich erbitterter Widerstand gegen die Bestellung einer internationalen Kommission, die, von Menschenrechtlern seit Langem gefordert, die notorische Straffreiheit für schwerste Menschenrechtsverbrechen in Guatemala untersuchen und beseitigen helfen soll. Colom gilt als Unterstützer eben dieser Kommission.

Enrique Corral, Präsident der angesehenen Stiftung Guillermo Toriello, ist ein Kenner der politischen Situation Guatemalas und glaubt, das es dieser Tage um mehr geht als um ein Verbrechen und um Aufklärung: »Die Situation ist delikat und gefährlich. Die intransparenten Machtstrukturen in der Umgebung der Regierung sind besorgniserregend - von der Finanzierung der Kampagne Coloms bis hin zu Coloms Sicherheitsorganen.« Im Bankensektor, aber auch in anderen Bereichen gebe es zudem einen heftigen Disput zwischen Unternehmersektor und der Regierung. Eine Demonstration, die Colom absetzen wolle, spiegele auch die Bestrebungen derjenigen wider, die Vizepräsident Espada auf den Schild heben wollten. »Ihnen missfällt Coloms anti-oligarchischer und sozialer Touch, und Espada dient eher den Interessen dieser Gruppe«, so Corral, dessen Stiftung Kooperationspartner der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Guatemala ist. Diese Bestrebungen gebe es schon seit Längerem, aber dies sei sicherlich der perfekte Moment, um Colom loszuwerden.

Möglich ist derzeit Vieles: Dass aus der direkten Umgebung des Präsidenten ein Mord in Auftrag gegeben worden ist. Aber auch, dass Anwalt Rosenberg mit seinem Video eine Lebensversicherung abschließen wollte: »Ich weiß etwas, und wenn ihr mich umbringt, kommt das alles ans Licht.« Möglich ist dann auch, dass Coloms Gegnern aus dem Unternehmersektor ein perverser Plan eingefallen ist, den Präsidenten loszuwerden und durch den umgänglicheren Vizepräsidenten zu ersetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2009

Ein Jahr danach:

Das Opfer selbst bestellte den Mord
Guatemala: Anwalt Rosenberg löste vor einem Jahr politische Krise aus (1. April 2010)




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