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Der Fluch des trockenen Korridors

Im Südosten Guatemalas ist die Unterernährung ein Dauerthema, die Hungersnot ist aktuell

Von Knut Henkel *

Im Südosten Guatemalas versucht eine Hilfsorganisation vom Hungertod bedrohte Kinder aus den Bergen zu bergen. Oft wiegen sie nur wenige Kilo, sind bis auf die Knochen ausgemergelt und benötigen dringend medizinische Hilfe. Ein Wettlauf mit der Zeit in der von Dürre geprägten Region.

Die Regierung Guatemala hat den Notstand ausgerufen. Nicht im ganzen Land, aber im Südosten. Dort befinden sich mehr als 6400 Kinder in einem kritischen Zustand, berichten die guatemaltekischen Gesundheitsbehörden. Zu leicht und zu schwach sind sie und von diesen Kindern gibt es in den Bergen noch viele weitere, so berichten die Aktivisten der Stiftung »Hoffnung des Lebens«. Die sind jeden Tag in den Bergen unterwegs, suchen abgelegene Dörfer und Höfe auf und fragen nach Kindern. Immer wieder – und immer wieder spüren Carlos Vargas und seine Helfer federleichte Kinder auf, deren Knochen spitz hervorschauen und die nur wenige Kilogramm wiegen. Erst vor wenigen Wochen hat der Mann, den alle in der Region als Missionar bezeichnen, eine 15-Jährige auf den Armen gehalten, die gerade acht Kilogramm wog.

Kein Einzelfall im Corredor Seco, Trockener Korridor nennen die Menschen den bergigen Streifen im Südwesten Guatemalas nicht von ungefähr. Dort in den drei Verwaltungsbezirken Zacapa, Chiquimula und Izabal hat die Dürre in den vergangenen Jahren immer wieder die Ernte zerstört. Unterernährung ist weit verbreitet und wenn die Familienväter aufgrund der Dürre oder fehlender Arbeit kein Geld mehr nach Hause bringen, dann wird gehungert. Das ist seit Jahrzehnten so und besonders prekär ist die Situation in den abgelegenen Bergtälern. Dort ist Carlos Vargas seit 23 Jahren unterwegs, um chronisch unterernährte Kinder aufzusuchen, mit den Eltern zu sprechen und sie dann zum Aufpäppeln in die Stadt zu bringen. Nach Río Hondo zum Beispiel, wo die Stiftung von Vargas immer wieder chronisch unterernährte Kinder ins Krankenhaus einliefert und wo die vom Staat geförderte, aber auf freiwilliger Arbeit basierende Stiftung ihren Sitz hat.

Eine Notmaßnahme, denn manchmal ist das Risiko hoch, dass die Kinder auf dem Weg ins Krankenhaus sterben. Bei einem zwei Monate alten Säugling ist es vor rund zwei Monaten passiert. Der wog weniger als ein Kilogramm. Kein Einzelfall in der landwirtschaftlich geprägten Region, wo die Lebensmittelvorräte der lokalen Bevölkerung traditionell am geringsten ausfallen. Seit 2009 ist die Situation besonders gravierend, da die Dürre die 190 Landkreise fest im Griff hat. Rund 77 Prozent der Familien in der Region leben laut der französischen Hilfsorganisation »Aktion gegen den Hunger« von der Landwirtschaft. Doch für die Arbeit auf den eigenen Parzellen fehlt nach mehreren Dürrejahren das Saatgut und Arbeit auf größeren Höfen oder bei der Zuckerrohrernte ist nur tagesweise zu ergattern. Eine Situation, die in der Region zu chronischem Hunger geführt hat. Auch derzeit könnten sich viele Familien laut Angaben der staatlichen Sesan, dem Sekretariat für Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit, die hohen Preise auf den Märkten für Mais und Bohnen kaum leisten.

Eine seit 2008 kontinuierlich wiederkehrende Situation. Zum Amtsantritt von Präsident Otto Pérez Molina lag die Kindersterblichkeit basierend auf Unterernährung bei 22 Fällen je 1000 Kinder. Ein Grund, weshalb die neue Regierung das »Null Hunger-Programm« auflegte. Das hat erste Erfolge gebracht, aber reicht noch lange nicht aus, um das Sterben im »trockenen Korridor« zu beenden. Mindestens fünfzig Kinder sind in diesem Jahr bisher gestorben.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. August 2013


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