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Hunger und Agrotreibstoff:

Vertreibungen in Guatemala

Von Danilo Valladares/IPS *

Guatemala-Stadt. In Guatemala sind am 15. März etwa 3000 arme Bauern von Grundstücken vertrieben worden, auf die Agrarunternehmen Anspruch erheben. Geräumt wurden Fincas im Polochic-Tal, Gemeindebezirk Panzós in Alta Verapaz. Bei den Bauern handelt es sich um Ureinwohner. Sie gehören der ethnischen Gruppe der Kekchíe an. Dutzende wurden verletzt, einer kam ums Leben.

»Es gibt hier nichts mehr, was wir ernten könnten«, sagt Jorge Chocoj, der mit seiner Familie von der Finca San Pablo Pamoxan vertrieben wurde. Den Unternehmern geht es darum, im Tal mehr Zuckerrohr anzubauen (Foto: Ernte im Südwesten des Landes), um die Produktion von Agrotreibstoffen zu forcieren. Zuckerrohr ist inzwischen das zweitwichtigste Anbauprodukt des Landes nach Kaffee.

Die Soziologin Laura Hurtado vom Guatemala-Büro der Hilfsorganisation ActionAid weist darauf hin, daß das geräumte Bauernland über Generationen genutzt wurde. Das ließe sich zurückverfolgen bis zur Ankunft der spanischen Kolonisatoren. Politischen Willen, den Bauern zu helfen, gebe es kaum. Ein Gesetz über ländliche Entwicklung stecke im Parlament fest. »Die ausschließlich strafrechtliche Auseinandersetzung mit einem sozialen Problem ist besorgniserregend.«

Carlos Barrientos, Leiter eines Komitees für bäuerliche Einheit, bestätigt, daß den Bauern im Polochic-Tal die Flächen für den Maisanbau fehlen. »Um zu überleben, sind sie gezwungen, Gründstücke zu besetzen.«

»Der Biotreibstoffboom verschärft ein altes Problem«, sagt Eduardo Sacayón von der staatlichen Universität San Carlos de Guatemala. Das Land ist unter Großgrundbesitzern aufgeteilt. Die Regierung vertritt seiner Einschätzung nach ausschließlich deren Interessen.

Derzeit besitzen fünf Prozent der 14 Millionen Guatemalteken vier Fünftel der Agrarflächen. Die Hälfte der Bevölkerung ist nach UN-Angaben arm, 17 Prozent sind extrem arm. Kriege um Land gehören zur jüngeren Geschichte. 1952 zog der damalige Staatspräsident Jacobo Árbenz qua Landreform brachliegende Grundstücke von Großgrundbesitzern ein, um sie an arme Bauern zu verteilen. Zwei Jahre später wurde Árbenz mit aktiver Hilfe der USA gestürzt. Landbesitzverhältnisse spielten auch eine entscheidende Rolle im Bürgerkrieg, dem von 1960 bis 1996 mehr als 200000 Menschen zum Opfer fielen. Die Friedensverträge von 1996 zwischen der linken Rebellenorganisation Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas und der Regierung beinhalten ein Kapitel, das neben sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit eine Demokratisierung der Landbesitzrechte in Aussicht stellt. Bis heute ist der Staat die Umsetzung schuldig geblieben. Die Vertreibungen in Alta Verapaz zeigen, auf wessen Seite die Regierung von Álvaro Colón steht. »Die Vertreibungen enthalten eine wahltaktische Botschaft an die herrschende Klasse: ›Seht her, wir sind mit Euch und haben kein Interesse daran, den Forderungen der Bauern nachzukommen‹«, meint Eduardo Sacayón. Die Wahlen finden im September statt.

Den Vertriebenen wurden bisher keine Alternativen angeboten. Einige Familien kampieren am Rand der Straßen und bitten um Lebensmittel.

* Aus: junge Welt, 31. März 2011


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