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Saakaschwilis Krieg verhilft den Abtrünnigen zur Unabhängigkeit

Von Michail Logvinov *

Georgien brach den Olympischen Frieden und startete eine seit Jahren vorbereitete Militärkampagne gegen eine der schwächsten abtrünnigen Republiken - Südossetien.

Dies war ein gravierender Fehler von Tiflis. Denn die Aktion zur "Wiederherstellung konstitutioneller Ordnung", so die juristische und diplomatische Bezeichnung des Gefechtes um Zchinwali, führt zum Gegenteil dessen, was die Hitzköpfe in Georgien zu erreichen suchen. Der Krieg wird in einem regionalen wie internationalen Desaster enden.

Die Weltöffentlichkeit wird an der Nase herumgeführt

Die Situation rund um den georgisch-südossetischen Konflikt mutet mehr als seltsam an. Auf der einen Seite erteilt Saakaschwili am 07. August einen Befehl an die georgischen Truppen, das Feuer einseitig einzustellen.

"Der Präsident als Oberbefehlshaber der georgischen Streitkräfte befahl allen Einheiten, das Feuer der Separatisten nicht zu erwidern. Diese Entscheidung wurde getroffen, obwohl ein georgischer Friedenssoldat vor kurzem in der Konfliktzone ums Leben gekommen war", sagte der Sekretär des Rates für nationale Sicherheit Georgiens, Alexander Lomaia, am Donnerstag (7. August) in Tiflis.

Andererseits werden an den Grenzen zu Südossetien Militärkontingente verstärkt und in der Nacht zu Freitag greifen georgische Truppen Zchinwali massiv an. Das militärische Vorgehen wird damit begründet, dass die "Separatisten" sich nicht an die Waffenruhe gehalten hätten.

Unklar bleibt dabei jedoch, wie man eine einseitige Entscheidung als eine Vereinbarung verkaufen kann. Selbstverständlich bedeutet jeder Krieg auch Propagandagefechte, denen die Wahrheit als erste zum Opfer fällt. Dennoch kann man auf Grund des ganzen Konfliktverlaufs vermuten, dass es die georgische Seite war, die den wackligen Frieden gebrochen hat.

Einerseits verkünden die politischen Eliten in Tiflis, dass Georgien und die georgische Regierung nach den demokratischen Wahlen bereit sind, alle Konflikte mit friedlichen Mitteln beizulegen. Auf der anderen Seite lässt Tiflis die Waffen sprechen und erklärt am nächsten Tag Südossetien Krieg.

Einerseits versichert Saakaschwili: "Georgien ist ein natürlicher Verbündeter Russlands. Jeder georgischer Präsident soll gute Beziehungen zu Russland haben. Russland hat die Chance, den Konflikt in der Zchinwali-Region zu regeln." Andererseits befiehlt er den Beschuss einer Stadt, deren Einwohner zu 90 % russische Bürger sind.

Der Journalist Michail Leontjew hätte wahrscheinlich den georgischen Präsidenten für unzurechnungsfähig erklärt. Für meine Begriffe haben der Konfliktablauf und seine mediale Inszenierung denselben Regisseur. Dennoch kann dieser Spektakel - wie ja jedes mangelhaft geprobte Stück - aus dem Ruder laufen.

Georgien droht ein Zwei-Fronten-Krieg

Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich Abchasien und weitere Akteure in den Konflikt einmischen werden. So erklärte der Sekretär des Sicherheitsrates Südossetiens, Anatoly Barankewitsch, am Donnerstag, dass Abchasien eine zweite Front eröffnen werde, wenn Georgien einen Krieg gegen Südossetien beginne.

Mehrere Hundert Freiwillige aus Nordossetien sind laut Medienberichten schon auf dem Weg nach Südossetien, um dort die Kämpfe mit der georgischen Zentralregierung aufzunehmen. Dies bestätigte auch Teimuras Mamsurow, Chef der russischen Republik Nordossetien. Mamsurow behauptet, "man sei nicht in der Lage, diese aufzuhalten oder von ihrem Weg abzuhalten".

Der Nachrichtendienst Civil Georgia meldete einen Strom von Kämpfern und Waffen durch den Roki-Tunnel.

Dennoch ist diese Art von Unterstützern eine kleinere Gefahr für Georgien im Vergleich zu den Gruppen, für die Kriege profitable Geschäfte darstellen. Wird der Konflikt nicht in kürzester Zeit beigelegt, droht Saakaschwili die Kommerzialisierung des Krieges, was akute Gefahren für Sicherheit Georgiens und die seiner Partner mit sich bringen wird.

Nicht minder gefährlich wäre die Transformation des Krieges von einem "zwischenstaatlichen" in einen ethnischen Konflikt. Es sei dennoch darauf hingewiesen, dass die Handlungen der Zentralregierung in Tiflis auch zu Sowjetunionzeiten als ethnisch motiviert angesehen wurden.

Es gibt kein Zurück mehr

"Stellt das Feuer sofort ein, ich bitte euch. Wir wollen nicht gegen euch kämpfen. Strapaziert nicht die Geduld unseres Staates. Wir wollen die Eskalation stoppen und Gespräche aufnehmen - direkte, multilaterale, egal welche", beteuerte der georgische Präsident Südosseten.

Es scheint allerdings, dass die Georgier ihre Chance verpasst haben, den Konflikt effizient und mit friedlichen Mitteln zu lösen. Man kann einen Krieg nicht ohne Gesichtsverlust erklären und parallel Friedensinitiativen entwickeln, als ob nur die andere Seite ein Aggressor wäre.

Deshalb spricht die russische Seite - und zwar nicht ohne Grund - davon, dass die Saakaschwili-Regierung ihren Vertrauensbonus verloren hätte.

Nicht unwahrscheinlich sind nicht nur die unkontrollierbare Konflikteskalation im Kaukasus und das Drehen an der Gewaltspirale, sondern auch die Instrumentalisierung des Krieges durch die Russische Föderation mit dem Zweck, das Semi-Protektorat Südossetien unter ihre Kontrolle zu bringen (Balkan-Modell).

So beraubte sich Georgien - und zwar auf eigene Faust - der Möglichkeit, attraktiv für Südossetien zu werden. War es bis gestern ein eher wirtschaftliches Problem, riegelte Georgien mit der ersten Artilleriesalve ihre abtrünnige Republik mit einer Kapitalmauer des ethnisch-nationalen Hasses (deswegen wird der Konflikt als "Völkermord" an den Südosseten inszeniert) ab. Nicht zum ersten Mal spielte der georgische Nationalismus ein böses Spiel.

Inszeniert Russland den Krieg für die Zwecke der Südosseten, ist die Wiedervereinigung Nord- und Südossetiens unter dem Motto "Wir sind ein Volk!" und nach dem Balkanszenario mehr als wahrscheinlich. Das "Zchinwali-Massaker" hätte der Legitimation der Unabhängigkeit dienen können.

Dass Abchasien infolge der Vorbereitung zu den Olympischen Winterspielen 2014 immer tiefer in die russische Wirtschaft integriert wird, darf als unzweifelhaft erscheinen. Die Überreaktion der georgischen Regierung trägt zusätzlich zum Unabhängigkeitsstreben Abchasiens bei.

Wie reagiert Russland?

Der georgische Feldzug gegen Südossetien droht zur ersten internationalen Herausforderung für den liberalen Medwedew zu werden, denn Russland kann nicht in dieser Situation nicht reagieren. Das darf sie auch nicht, denn die Eskalationsprozesse im Verlauf des georgisch-südossetsischen Konflikts zeigten auf, dass nur das Eingreifen einer Drittmacht ein Blutbad verhindern kann.

Da ab Freitag (8. Aug.) die westliche Berichterstattung von den Olympischen Spielen in China dominiert wird und das Menschenrechtsproblem stärker gewichtet wird als das Problem der Auslöschung von Menschenleben, wird Russland versuchen, durch die Internationalisierung des Konfliktes eine möglichst schnelle Einstellung der Kriegshandlungen zu erwirken.

Nicht auszuschließen ist hierbei die Unterrichtung des UN-Sicherheitsrates über die Bereitschaft der russischen Streitkräfte, seine Bürger auf südossetischem Territorium zu verteidigen.

Nach Aufklärungsflügen russischer Flugzeuge über der südossetischen Hauptstadt und insbesondere nachdem sich Georgien davon nicht beeindrucken ließ, ist zu erwarten, dass die Falken im Kreml Druck auf den liberalen Präsidenten ausüben werden, um ein militärisches Eingreifen durchzusetzen.

Das Desinteresse der internationalen Gemeinschaft, die Eskalation der Gewalt, die Hilferufe der südossetischen Bevölkerung und mögliche Überfälle mit ethnischem Hintergrund lassen die russische Seite nur noch wenige Chancen für die Nicht-Einmischung in die "inneren Angelegenheiten" Georgiens.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. August 2008 (http://de.rian.ru)


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