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Deutsche Militärbeobachter sollen nach Georgien

Bundeskanzlerin telefonierte mit Russlands Präsidenten / Militär: Tbilissi heizt Lage an

Der Westen erhöht den Druck auf Moskau, die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens rückgängig zu machen.

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch (27. August) die Entsendung von bis zu 15 deutschen Militärbeobachtern nach Georgien beschlossen. Zwei Bundeswehrangehörige werden sofort zur Teilnahme an der OSZE-Beobachtermission in die Krisenregion reisen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bekräftigte, die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland könne »unter keinen Umständen« akzeptiert werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel drängte in einem Telefonat mit dem Präsidenten Russlands, Dmitri Medwedjew, auf einen Rückzug der russischen Truppen aus dem georgischen Kernland. Nach Angaben von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm habe die Kanzlerin in dem halbstündigen Gespräch erneut die unverzügliche Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans für eine Friedenslösung im Südkaukasus verlangt. Merkel habe zudem in dem Telefonat mit Medwedjew dessen Entscheidung vom Dienstag, die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien anzuerkennen, scharf verurteilt.

Von russischer Seite hatte es zuvor geheißen, dass Medwedjew der Kanzlerin seine Gründe für die Anerkennung von Südossetien und Abchasien dargelegt habe. Medwedjew habe nach Angaben des Kreml in dem Gespräch am Mittwochmorgen seine Haltung bekräftigt, dass Russland alle Vereinbarungen in dem von Frankreich mit ausgehandelten Sechs-Punkte-Plan befolgt habe, wie die Agentur Interfax meldete. Der russische Präsident verteidigte in der Zeitung »Financial Times« vom Mittwoch seine Entscheidung. Mit Blick auf die Unabhängigkeit Kosovos erklärte er, bei internationalen Beziehungen könne man nicht »eine Regel für die einen und eine andere für die anderen« anwenden.

Auch die NATO hat Russland aufgefordert, die Anerkennung der zu Georgien gehörenden Regionen Abchasien und Südossetien rückgängig zu machen. »Russlands Handeln hat sein Bekenntnis zu Frieden und Sicherheit auf dem Kaukasus in Frage gestellt«, heißt es in einer Erklärung des NATO-Rats vom Mittwoch. »Georgiens Wiederaufbau, Sicherheit und Stabilität sind dem Bündnis wichtig.«

Unterdessen hat Georgien aus Protest gegen die russische Anerkennung der beiden Regionen sein Botschaftspersonal in Moskau auf ein Minimum reduziert. Bis auf weiteres blieben nur zwei georgische Diplomaten in Moskau, teilte die Botschaft am Mittwoch mit. Zuvor hatte jedoch die georgische Regierung erklärt, dass man ungeachtet des russischen Vorgehens einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen nicht riskieren wolle.

Wie in Moskau mitgeteilt wurde, wolle das russische Militär die Präsenz im Schwarzen Meer sowie die Zahl seiner Soldaten in Abchasien und Südossetien vorerst nicht erhöhen. Obwohl Moskau beunruhigt davon sei, dass die NATO in Kürze offiziell zu Manöverzwecken mit 18 Schiffen im Schwarzen Meer präsent sei, plane Russland keine Entsendung weiterer Schiffe, sagte Vize-Generalstabschef Anatoli Nogowizyn am Mittwoch laut Interfax in Moskau. Die NATO erhöhe aber mit dieser massiven Präsenz die Spannungen in der Region.

Auch zusätzliches Militär sei in den von Georgien abtrünnigen Gebieten nicht geplant, so Nogowizyn. Der Aufenthalt von mehreren hundert Soldaten stehe im Einklang mit dem Sechs-Punkte-Plan, betonte der General. Er warf der Führung in Tbilissi vor, die Lage in dem Konfliktgebiet anzuheizen. Georgien ziehe in mehreren Landesteilen Soldaten zusammen und stelle die Einsatzfähigkeit seiner Armee wieder her. Zudem habe Georgien unbemannte Aufklärungsflüge über Südossetien ausgeführt, was im Widerspruch zum Sechs-Punkte-Plan stehe.

* Aus: Neues Deutschland, 28. August 2008

NATO provoziert

Von Jürgen Reents **

Ganze drei Tage dauerte es im Februar dieses Jahres, da legte die Bundesregierung dem von Serbien abgespaltenen Kosovo die Anerkennung auf den Tisch. Die USA taten es binnen eines Tages. Von territorialer Unversehrtheit Serbiens als Rechtsnachfolger Jugoslawiens, die die UNO einst zusicherte, war in Washington und Berlin nichts mehr zu hören. Im Falle der russischen Anerkennung Südossetiens und Abchasiens -- die seit Auflösung der Sowjetunion darauf beharren, nicht zu Georgien gehören zu wollen -- wird nun eine Verletzung des Völkerrechts ins Feld geführt. Und eine Drohkulisse aufgebaut, als ob das Schwarze Meer (die US-»Küstenwache« an dessen Ostküste!) ein integraler Teil des Nordatlantik und des nach ihm benannten Militärpakts sei, und Russland dort eine fremde Macht. Der US-geschützte Überfall Georgiens auf Südossetien wird schnell ins Vergessen gedrückt, dem Angreifer sogar ein Lohn in Aussicht gestellt: Kurs auf NATO-Beitritt.

Der russische »Verteidigungsvorstoß« bis nach Georgien hinein war gewiss nicht angemessen (wie »angemessen« ist Krieg überhaupt?). Dass Moskau jedoch nicht still hält, während die NATO rund um Russland am Schraubstock dreht, war vorhersehbar. Was aber ist nun das Kalkül der NATO? War der georgische Angriff nur das Vorgefecht für eine weit größere Konfrontation? Die Kalten Krieger laufen sich wieder warm. Und sie finden in der Region allerlei Abenteurer, die die »russische Gefahr« herbeizuprovozieren wissen.

** Aus: Neues Deutschland, 28. August 2008 (Kommentar)



Tbilissi friert die Beziehungen ein

Trotz Kraftmeierei – georgische Führung steht auf wackligen Beinen

Von Irina Wolkowa, Moskau ***

Georgiens Beziehungen zu Russland hätten sich »für lange, wenn nicht für immer erledigt«. So jedenfalls sieht es Kacha Lomaja, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, gleich nachdem Russland am Dienstag (26. August) die Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens beschlossen hatte.

Eiszeit zwischen Georgien und Russland: Gestern beschloss das georgische Parlament, die diplomatischen Kontakte zu Russland auf ein Minimum zu reduzieren und auf die konsularische Ebene herabzustufen. Das Büro des Parlaments beriet zudem über den völligen Abbruch der Beziehungen. Eine diesbezügliche Entscheidung, meldete die Nachrichtenagentur IA Grusii werde bereits in den nächsten Tagen erfolgen.

Die Anerkennung der staatlichen Souveränität Südossetiens und Abchasiens, die Tbilissi und dessen westliche Partner weiter als Teil des georgischen Staatsverbandes betrachten, so Lomaja gegenüber Radio »Echo Moskwy«, werde keine juristischen Konsequenzen, für Moskau aber katastrophale Folgen haben. Russland stehe wegen der Massenflucht ausländischen Kapitals vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Vor allem die Energiebranche könne ohne ausländische Investitionen nicht existieren. In der Tat sackte der Index von RTS, der wichtigsten Börse Russlands, gleich nachdem Präsident Dmitri Medwedjew im Fernsehen die Anerkennung der beiden Regionen bekannt gegeben hatte, um fünf Prozent ab und erreichte damit den niedrigsten Stand seit 2005.

Ebenfalls vor dem Kollaps steht nach Meinung von Politikwissenschaftlern – darunter auch georgischen – die politische Führung in Tbilissi. Zwar hat die Bedrohung, die von Russland ausgeht – ob real oder imaginär ist irrelevant – Eliten und Gesellschaft kurzzeitig auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners konsolidiert. Dass Präsident Michail Saakaschwili momentan kein nennenswerter Widerstand entgegenschlägt, erklären Beobachter in Moskau wie in Tbilissi vor allem mit der fortdauernden militärischen Präsenz Russlands in georgischen Kernlanden. Spätestens einen Monat nach dem Abzug von Moskaus Soldaten indes, werde es für Saakaschwili verdammt eng, ahnt Georgi Chuchaschwili, der für eine Denkfabrik in Tbilissi arbeitet. Massiver Widerstand drohe dem Staatschef gleich von mehreren Seiten.

Zum einen hätten die Kriegsflüchtlinge – darunter auch jene ethnischen Georgier, die bereits während der Unabhängigkeitskriege Anfang der Neunziger aus Südossetien und Abchasien vertrieben wurden – nach deren Anerkennung durch Russland definitiv keine Chance mehr auf Rückkehr. Die Menschen in Südossetien sind nach Angaben der EU-Kommission auch derzeit von internationaler Hilfe abgeschnitten. Hilfsorganisationen wird der Zugang zu der Krisenregion von den russischen Truppen vielfach verwehrt. Auch in die von den Russen kontrollierte Pufferzone nördlich von Gori kämen Helfer nur schwer hinein.

Auch das Militär murrt und lastet Saakaschwili neben der Niederlage an, dass Georgiens Streitkräfte faktisch von null an neu aufgebaut werden müssen. Es gärt sogar in der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten. Die Mehrheit von dessen Paladinen, so Politikwissenschaftler Chuchaschwili, sei zur Zusammenarbeit mit der Opposition bereit.

Einer der Gründe dafür liegt darin, dass Saakaschwili zwar demokratisch gewählt wurde, aber kein Demokrat ist. Sein autoritärer Führungsstil und seine Personalentscheidungen, bei denen es nicht um Eignung, sondern um Ergebenheit der Anwärter geht, sorgten bereits vor dem Krieg dafür, dass die Mehrheit seiner Weggefährten bei der Rosenrevolution 2003 inzwischen zu seinen erbittertsten Gegnern gehört.

Darunter auch Ex-Parlamentschefin Nino Burdschanadse. Sie wird nicht nur in Russland als mögliche Nachfolgerin Saakaschwilis gehandelt. Auch im Westen, wo man trotz aller Solidaritätsbekundungen ernsthaft nach Alternativen für den unberechenbaren Saakaschwili sucht, gilt die 44-jährige Professorin für Völkerrecht als erste Wahl. Fraglich ist nur, ob die georgische Macho-Gesellschaft mitspielt.

** Aus: Neues Deutschland, 28. August 2008


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