Pipeline-Schach
Der Kaukasus-Konflikt aus geopolitischer Sicht
Von Thomas Immanuel Steinberg *
Am fünften Tag nach dem georgischen Überfall auf die südossetische Hauptstadt Tschinwali, am 12. August 2008, erklärte Georgiens Botschafter Michail Ukleba in Sofia vor der bulgarischen Presse, Rußland gehe es nicht um Südossetien, sondern darum, den wirtschaftlichen Fortschritt und die Aufnahme Georgiens in EU und NATO zu blockieren. Rußland wolle den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili und seine demokratisch gewählte Regierung stürzen. Der Gegner Georgiens wolle den US-amerikanisch dominierten Energiekorridor nach Süden zum Weltmarkt unterbrechen und den geplanten Erdgastransit via Nabucco-Pipeline (vom Kaspischen Meer bis über Wien hinaus) durch Georgien verhindern, um die Welt weiter mit Energieressourcen erpressen zu können. Der russische Feldzug habe die multinationalen Konzerne geschädigt. Sie würden schon bald auf Schadensersatz klagen. Der Botschafter sagte dann wörtlich: »Ganz Georgien, mit Ausnahme von Tbilissi, ist bereits von den russischen Truppen besetzt, die Völkermord begehen. (...) Wir glauben, daß Bulgarien unser Freund ist, wir sind Nachbarn am Schwarzen Meer, und wir sind byzantinisch-orthodoxe Nationen.«[1] Der Mann hatte Fakten mit Propaganda vermischt, aber alle Streitpunkte angesprochen, um die es geopolitisch geht: um Georgiens Ausrichtung von Volkswirtschaft und Außenpolitik, um die Aufteilung der Herrschaftsgebiete in Eurasien, um den Zugang zum kaspischen Erdöl und -gas, um Konzernprofite; und ein wenig auch um die Menschen und ihren Herrgott.
In dieser Gemengelage soll ein Blick auf die Weltkarte die Orientierung erleichtern. Von der Barentssee im Norden Norwegens bis Kotzebue an der Beringstraße in Nordwestalaska reicht der Ring US-amerikanisch-westlich ausgerichteter Gebiete rund um Rußland: über Finnland, die baltischen Staaten, Polen, die Ukraine, die Türkei, den Irak, Afghanistan und Japan. Die größte Lücke im Ring, China, ist ebenfalls umkreist, wenn auch nicht durchgängig oder gar nachhaltig. An der Südwestflanke Rußlands versuchen die US-Herrscher eine Lücke im Ring zu schließen. Sie klafft im Kaukasus und am Kaspischen Meer. Georgiens Krieg um Südossetien erklärt sich aus diesem Bemühen, ebenso wie die Vorbereitung der Vereinigten Staaten auf einen Krieg gegen den Iran. Zugleich versucht Washington, Segmente des Rings zu durchbrechen, den Rußland um die Erdöl- und Erdgasreichtümer Eurasiens zu legen bemüht ist. Mit dem Transportkorridor von Baku in Aserbaidschan über Georgien zum türkischen Ceyhan am Mittelmeer ist Washington das halbwegs gelungen.
Aus geographischen und technisch-wirtschaftlichen Gegebenheiten lassen sich die Grundlinien der Konfrontation zwischen den russischen und den US-Herrschern erklären, während Ethnien und Bekenntnisse den Hintergrund vor allem für ideologische Scharmützel liefern. Allerdings bilden Geographie, Verfügung über Ressourcen und Demographie ein Geflecht, aus dem machtpolitisch das wirkliche Leben nun einmal besteht.
Kaukasus strategisch wichtig
Der Kaukasus, teils über 5000 Meter hoch, schützt Rußland vor Überfällen aus dem Südwesten. Als sich nördlich, aus russischer Sicht diesseits dieser natürlichen Grenzanlage, Ende des vorigen Jahrhunderts die russische Republik Tschetschenien mit westlicher Unterstützung die russische Nachbarrepublik Dagestan überfiel, griff Moskau bereits hart durch.
Nun, 2008, schlug das russische Militär erneut energisch zu, weil georgische Soldaten, US-amerikanisch wie israelisch trainiert und bewaffnet, in den russischen Vorposten Südossetien südlich der Gebirgskette eingefallen war. Abchasische Truppen nutzten die Gunst der Stunde und eroberten das obere Kodori-Tal mit dem Paß über die Tschchalta-Gebirgskette nach Karatschajewo-Tscherkessien in Rußland zurück.
Noch weiter südlich des kaukasischen Hauptgebirgszugs verfügt Moskau mit den Armeniern über Parteigänger gegen das US-amerikanisch beherrschte Aserbaidschan, auch diese als Vorposten, die sich im Krieg um Nagorny Karabach zu Ende der Sowjetzeit bewährt haben.
Der Isthmus zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer, über den sich der Kaukasus erstreckt, hat neben der militärstrategischen auch große wirtschaftliche Bedeutung. Am Ufer und im Boden des Kaspischen Meeres liegen vermutlich vier Prozent der weltweiten Ölreserven und ebenso sechs Prozent der Ergasreserven unseres Globus -- etwa soviel wie in Nigeria.
Wie gelangt der kaspische Reichtum in westliche Hand? Über Land ist der Transport von Öl teurer als über See. Deshalb nahm das Öl von Baku am Kaspischen Meer Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts den kürzesten Weg zum nächsten, dem Schwarzen Meer und von dort per Schiff zum Balkan und die Donau hinauf, oder durch den Bosporus und die Dardanellen ins Mittelmeer. Doch inzwischen bildet der Bosporus einen Flaschenhals. Die Tanker können teils erst nach mehrtägigem Warten die Meerenge passieren. Der nächstkürzere Landweg fürs Öl, und der weit kürzere Gesamtweg ins wirtschaftlich aufstrebende Südasien, wäre der durch den Iran an den Persischen Golf. Doch die Herrscher der USA wollen zunächst den Iran unterwerfen -- die einzige große Lücke im westlichen Ring um Rußland. Erst wenn sie geschlossen sei, werde sich kaspisches Öl via Iran über die Welt ergießen dürfen. Für Erdgas gilt zur Zeit: Die Abfuhr per Pipeline am Meeresboden ist billiger und technisch einfacher als die Verflüssigung und der anschließende Transport per Schiff.
Also führen alle Wege für die kaspischen Reichtümer entweder über russisches Gebiet, was US-amerikanischen Interessen widerspricht, oder doch über den Kaukasus, und dann entweder Richtung Türkei oder Schwarzes Meer. Dort würde das Öl in Tanker gepumpt und am westlichen Schwarzmeerufer wieder in bereits geplante Pipelines, das Erdgas flösse durchgängig durch Pipelines.
Der Kaukasus bildet daher neben dem Bosporus einen zweiten Flaschenhals für die kaspische Abfuhr der Energierohstoffe. Von Baku durch den nördlichen Kaukasus führte eine dünne Ölpipeline aus sowjetischer Zeit zum russischen Noworossisk am Schwarzen Meer, jedoch durch tschetschenisches Gebiet. Im vom Westen geschürten Krieg gegen Rußland unterbrachen die aufständischen Tschetschenen die Leitung, und die Russen waren gezwungen, einen »Bypass« durch Dagestan zu legen.
Georgiens Schlüsselstellung
Dem Westen ist es inzwischen gelungen, Aserbaidschan und Georgien dem russischen Einflußbereich zu entziehen; doch Armenien im Süden sowie Südossetien und Abchasien im Norden Georgiens suchten das Bündnis mit Rußland. So ebnete die US-Regierung unter George W. Bush sen. und William Clinton in jahrzehntelangen Verhandlungen mit Aserbaischan, Georgien und der Türkei den Weg für den Bau eines Transportkorridors von Baku in Aserbaidschan über Tbilissi in Georgien, also südlich der russisch beherrschten politischen Einheiten Abchasien und Südossetien, um Armenien herum, bis an die türkische Mittelmeerküste bei Ceyhan.
Zu dieser fast 1800 Kilometer langen sogenannten BTC-Ölpipeline mit einer Tageskapazität von einer Million Barrel (ein Barrel=159 Liter) pro Tag gesellt sich seit 2006 eine Gaspipeline bis zum türkischen Erzurum. Sie kann 8,6 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag befördern. Ein Teil des Energierohstoffs wird abgezweigt und zum georgischen Hafen Poti am Schwarzen Meer geleitet, ein anderer über die Trasse von Baku zum georgischen Nachbarhafen Supsa. Georgien kommt als Transitland somit eine Schlüsselstellung im westlich beherrschten Energietransportsystem zu.
Das gewaltige Transportvermögen der BTC-Pipeline kann sogar auf 1,6 Millionen Barrel erhöht werden; doch da gibt es ein Problem: Schon die jetzige Kapazität ist nicht ausgelastet. Den Betreibern fehlt Öl aus Kasachstan; das meiste davon fließt nach wie vor über Rußland ab. Eine Pipeline müßte von Kasachstan durchs Kaspische Meer nach Baku geführt werden, doch die Anrainer können sich nicht auf die Aufteilung des Binnenmeeres verständigen.
Zudem hat man in Rußland auf den Bau des gigantischen US-Transportkorridors rechtzeitig reagiert. Zwei Erdgasrohre namens Blue Stream führen auf dem teils 2000 Meter tiefen Boden des Schwarzen Meeres über 1000 Meter hohe Unterwasserberge von der russischen zur türkischen Küste bei Samsun. Auch diese Leitung ist nicht ausgelastet, bildet aber eine Alternative zum US-Angebot.
Außerdem treibt Rußland die Verlegung einer Unterwassergasleitung namens South Stream von Rußland nach Burgas oder Varna in Bulgarien voran. Der Plan konkurriert mit dem westlichen Nabucco-Projekt, das der georgische Botschafter in Bulgarien ansprach: Nabucco soll von Aserbaidschan und Georgien durch die Türkei führen, und gleichfalls über Bulgarien, dann über Rumänien oder Serbien und durch Ungarn schließlich nach Österreich. Bleibt Georgien instabil, so spricht aus Investoren- und Kundensicht viel für das russische Schwarzmeerprojekt.
Das von Georgien abtrünnige Südossetien wird unterdessen durch eine kleine Erdgasleitung vom russischen Nordossetien her versorgt. Die Pipeline hat nur knapp ein Zehntel der Kapazität der Baku-Tbilissi-Erzurum-Pipeline, ist aber reichlich bemessen für das kleine Südossetien. Sie wird von Dzuarikau im russischen Nordossetien nach Tschinwali im georgischen Südossetien reichen.
Am 29. Mai 2008 begingen Russen und Osseten den 16. Jahrestag der einseitig erklärten Unabhängigkeit Südossetiens von Georgien mit einer »goldenen Schweißnaht« an der Pipeline bei der Stadt Kwaissi in der Kudarschlucht. Mit einer Gesamtlänge von 163 Kilometer, davon 92 in Nordossetien, wird die Gasleitung über den Hauptkamm des Kaukasus in 3000 Metern Höhe führen, durch erdbebengefährdetes Gebiet. Keine andere Pipeline der Welt wurde bisher unter solchen Bedingungen errichtet.
Bis zum georgischen Überfall auf Südossetien bezog das umstrittene Gebiet Erdgas aus der georgischen Tbilissi-Kutaisi-Pipeline zu etwa 300 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Die Russen werden ihr Gas zum russischen Inlandspreis, für 40 Dollar liefern. Die Eröffnung soll noch 2008 erfolgen. Ruslan Bzarow, Historiker an der nordossetischen Staatsuniversität, erklärte der russischen Nesawissimaja Gazeta: »Diese Pipeline ist ein Symbol für die russische Unterstützung Südossetiens. Dahinter steht das Bild Rußlands, das vom ossetischen Volk als ihr Staat betrachtet wird. Die Vereinigung des ossetischen Volkes ist ein Ziel, das sich unsere Zivilgesellschaft selbst gesetzt hat.«[2]
Die absehbare Fertigstellung der russisch-ossetischen »Pipeline der Unabhängigkeit« dürfte -- neben der ohnehin geostrategisch zentralen Bedeutung Georgiens -- die georgische Regierung und ihre US-amerikanischen Lehnsherren zum Überfall ermuntert haben. Doch auf dem eurasischen Energie-»Schachbrett« sind weitere wertvolle Figuren im Spiel.
Die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres streiten um die Aufteilung der Schürfrechte im Meeresboden und mit den Investoren und Abnehmern um Transportkorridore und Preise. Eine Einigung ist außer Sicht. Der östliche Anrainer Turkmenistan verfügt über gewaltige Erdgasreserven, vergleichbar denen Kasachstans, Rußlands und des Iran.
Westliche Interessen würde eine Leitung von den Ergasfeldern im Südosten Turkmenistans durch Afghanistan nach Pakistan und weiter nach Indien bedienen. Ende der 90er Jahre scheiterte die US-Firma Unocal mit dem Plan des Baus eines derartigen Transportkorridors; sei es, weil die damals dominierenden Taliban Afghanistan nicht vollständig befrieden konnten; sei es, weil sie zuviel Wegezoll verlangten, sei es, weil der Herrschaftselite der USA die rabiate Beendigung des Mohnanbaus durch die Taliban in Afghanistan mißfiel, sei es schließlich, weil der militärisch-industrielle Komplex der USA einen Ersatz für das Gespenst des Kommunismus brauchte.
Heute kommen die Pläne für die sogenannte TAPI-Pipeline von Turkmenistan über Afghanistan und Pakistan nach Indien angesichts des afghanischen Widerstands nicht voran, aber auch deshalb nicht, weil der Westen für Pakistan und Indien noch nach einer Aussöhnungsformel sucht. So ist die turkmenische Herrschaftsclique nach zahlreichen Unterbrechungen und Schwankungen dabei, sich mit der russischen Gasprom auf einen langfristigen Liefervertrag und eine dicke Gasleitung am Ostufer des Kaspischen Meeres nach Kasachstan und Rußland zu einigen. Gelingt der Plan, hätten die US-Konzerne und die US-Regierung das Nachsehen.
Die Folge für den Westen des kaspischen Beckens und damit auch für Georgien: Die Nabucco-Pipeline wäre nur ausgelastet, wenn zum aserbaidschanischen Erdgas weiteres kaspisches Gas hinzukäme. Der österreichische Energiekonzern OMV, am Nabucco-Projekt stark beteiligt, trat in Verhandlungen mit dem Iran über dessen bisher nicht einmal angerührten riesigen Gasreserven. Die israelische und die US-amerikanische Regierung zeigten sich alarmiert -- und sogleich bildete sich eine neokonservative Initiative in Österreich unter dem Motto »Stop the bomb«, die vor einem Pakt mit dem »iranischen Teufel« warnt.
Brzezinskis Geostrategie
Zbigniew Brzezinski, heißer Krieger des US-Präsidenten James Carter (1977--1981), hat sich inzwischen zu den verschlungenen geostrategischen Fragen in Zusammenhang mit Georgien geäußert. 1978 hatte er bereits die Mudschaheddin gegen die sozialdemokratische, sowjetisch unterstützte afghanische Regierung in der Hoffnung mobilisiert, die Sowjetunion zu schwächen. Und tatsächlich: Die Sowjetunion erschöpfte sich im Kampf gegen die Mudschaheddin und die afghanischen Feudalstrukturen -- doch der Weg nach Pakistan und Indien ist immer noch versperrt.
Der inzwischen achtzigjährige Brzezinski plädierte am 13. Juni 2008, also noch vor dem Kaukasus-Konflikt, für »gründliche Untersuchungen der Möglichkeit einer Pipeline von Zentralasien durch Afghanistan nach Süden, die den Zugang der Weltgesellschaft zu den zentralasiatischen Energiemärkten maximal ausweiten wird. (...) Wir sollten die baltischen Staaten, Schweden und Polen in ihrem Zweifel an der Nord-Stream-Gaspipeline unterstützen, die Rußland mit Deutschland verbinden soll. (...) Die Vereinigten Staaten sollten außerdem Deutschland zur Gewinnstreuung von Nord Stream ermutigen, bei Sicherstellung der Nutzung nicht allein durch Deutschland, sondern auch durch die EU-Mitgliedstaaten östlich Deutschlands.« Unter Verweis auf die »negative Rolle des früheren deuschen Kanzlers (Gerhard Schröder, SPD)«, der nach dem Nord-Stream-Deal mit Rußland von Gasprom angestellt wurde, meinte Brzezinski, daß diese Rolle »eine Komplikation ist, die nicht ignoriert werden sollte«.[3]
Brzezinski, immer den US-Ring um Rußland im Blick, mahnt nach dem Kaukasus-Konflikt die Aufnahme des Landes in die NATO an. Der Staatengürtel um Rußland soll vertraglich festgezurrt werden. In einem Interview mit Die Welt trommelt er jetzt für geschlossenes Vorgehen des Westens und bringt wirtschaftliche Sanktionen gegen Rußland ins Spiel.
Iranisch-russische Zusammenarbeit
Doch der Westen ist nicht durchweg antirussisch. Das Erdgas für Deutschland und daneben vor allem für die Niederlande kommt aus Rußland, und es soll später, von Polen oder Belarus unbehindert, auf dem Boden der Ostsee weiterfließen. Eine Konfrontation mit dem kapitalistischen Rußland liegt deswegen nicht im Interesse des europäischen Kapitals unter deutscher Führung. Merkels aktueller Schulterschluß mit Tbilissi und damit einher laufend die Konfrontation mit Rußland wird daher auf Dauer keinen Bestand haben.
Brzezinskis Konzept hat eine weitere »dünne« Stelle: Der Ring um Rußland weist am Südufer des kaspischen Meeres die zweite Lücke auf: den Iran. Verständigt sich der Iran mit Rußland, und dann wohl auch mit Turkmenistan, könnten nicht nur westliche Pipelinepläne scheitern, sondern sich manches russische Investitionsvorhaben in Sachen Pipelines wäre gar nicht mehr notwendig. Denn der iranische Bedarf an Ölderivaten und Erdgas besteht für den Norden des großen Landes, für Teheran und Täbris, der Hauptstadt des azeri-sprachigen Nordiran. Er könnte mit Erdöl und -gas der anderen Anrainer des Kaspischen Meeres befriedigt werden. Irans eigene Öl- und Gasreserven liegen im Süden, am und im Persischen Golf. Es müßten also im Falle einer Verständigung zwischen Rußland und Iran keine neuen Pipelines in dieser Region entstehen. Vielmeht böten sich sogenannte SWAP-Geschäfte an: Irans Nachbarn liefern eigene Mengen an den Norden des Irans und holen sich den Ertrag dafür auf dem Weltmarkt aus dem Verkauf entsprechender Mengen an Öl und Gas aus dem iranischen Süden.
Auch dieses Konzept hat einen Haken: Dem Iran fehlt die Technologie zur Verflüssigung von Erdgas durch Kühlung auf minus 163 Grad. Der Transport von Erdgas in Tankern setzt aber die Verflüssigung voraus. Der US-Think-Tank RAND Corporation hat deshalb die Nichtweitergabe dieser Technologie als Hebel gegen den widerspenstigen Iran vorgeschlagen. Freilich könnte Rußland aus der Front ausbrechen.
Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer hält eine Einigung zwischen Rußlands Ministerpräsidenten Wladimir Putin und dem iranischen Regime für möglich. Im US-Magazin Time vom 12. August 2008 schreibt Baer: »Ein iranisch-russisches Bündnis, das weiß Moskau, wäre ein israelisch-amerikanischer Alptraum, nicht zu reden von den großen Kopfschmerzen für die Weltwirtschaft. Rußland sitzt auf den eurasischen Ölexporten und Iran an der Straße von Hormus. Das brächte 22 Millionen Barrel Öl pro Tag unter die Kontrolle einer sehr unfreundlichen Allianz. Wird Moskau versuchen, mit Teheran zusammenzuarbeiten? (...) Das ist jedenfalls im Auge zu behalten.«
Ex-Agent Baer erwähnt Israel, dessen Mainstreampresse bei Ausbruch des Kaukasus-Konflikts ein wahres Triumphgeheul angestimmt hatte. In Georgien eingesetzte israelische Militärausbilder, israelische Söldner und ein gewaltiges israelisches Waffenarsenal würden sich nun gegen Rußland bewähren.
DEBKAfile, ein etwas aufgeregter israelischer Informationsdienst, berichtete von der vermeintlich neuen Entdeckung, daß israelisches Kapital und israelische Regierung unmittelbar am Gas- und Öltransport durch Georgien interessiert seien. Der Informationsdienst stützte seine These auf eine Erkenntnis, die jW schon am 29.September 2005 veröffentlicht hatte: Israel hat der Türkei den Bau einer Transporttrasse vom bisherigen Endpunkt der Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline an der türkischen Nordküste des Mittelmeers vorgeschlagen -- weiter auf dem Boden des Mittelmeers nach Ashkelon in Israel. Von dort könnte das Öl durch die Trans-Israel-Pipeline nach Eilat am Roten Meer und schließlich nach Südasien verschifft werden. Israel wollte die Russen als Rohstoffzulieferer und Investoren ins Boot holen. Doch die haben das inzwischen abgelehnt. Deshalb mische das zionistische Regime in Georgien mit und müsse nun Ärger mit Rußland befürchten.
Der Bericht von DEBKAfile läßt freilich einen wichtigen Punkt vermissen: Der billigste und kürzeste Weg kaspischer Energierohstoffe, da ist die Geographie vor, führt weiterhin durch Iran. Nun meldet GlobalResearch, eine zuverlässige kanadische Internetseite, US-amerikanische Kriegsflottenverbände hätten sich formiert.[4] Stratfor, ein alteingeführter Think-Tank, wiegelt ab: Die Verbände seien nicht zum Persischen Golf unterwegs. Doch zahlreiche US-Kongreßabgeordnete wollen eine Seeblockade des Iran auf den Weg bringen. Setzen sie sich durch, dann wäre der Kaukasus-Konflikt nur ein Vorgeplänkel gewesen.
Fußnoten
-
novinite.com/view_news.php?id=96047
- redorbit.com/news/business/1413099/russiasouth_ossetia_gas_pipeline_seen_as_landmark_of_integration/index.html
- kavkazcenter.com/eng/content/2008/06/13/9798.shtml
- globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=9817
* Der Autor ist Diplom-Volkswirt (FU Berlin) und Betreiber der Internetseite www.steinbergrecherche.com
Aus: junge Welt, 20. August 2008
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