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Kein Plan für die Zukunft des Gaza-Streifens

Weder Ägypten noch Israel wollen sich mit der Hamas arrangieren / Wirtschaft im palästinensischen Küstengebiet liegt am Boden

Von Oliver Eberhardt *

Ägyptens Übergangsregierung hat ihren Kurs gegen die Hamas im Gaza-Streifen verschärft: Die Organisation wurde zur Terrorvereinigung erklärt, die Grenze wird schärfer bewacht denn je.

Am Wochenende öffnete sich plötzlich die Grenze: Zuerst ließen die ägyptischen Behörden einen internationalen Hilfskonvoi in den Gaza-Streifen einreisen. Und kurz darauf wurden auch Vertreter der Fatah durchgelassen, um mit der in Gaza regierenden Hamas über eine Versöhnung zu verhandeln. Man hoffe, dass die Verhandlungen dieses Mal Ergebnisse erzielen und die Vorherrschaft der Hamas im Gaza-Streifen beenden würden, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kairo. Denn dort wird die Organisation als Bedrohung für die eigene innere Sicherheit gesehen. Im Februar stufte ein Gericht in Kairo die Hamas als terroristische Vereinigung ein. Damit ist jede Form der Unterstützung für die Organisation nun untersagt; Eigentum der Organisation kann beschlagnahmt werden. Die Grenze ist seitdem ständig geschlossen gewesen; nur Anfang April war sie für drei Tage geöffnet.

Die Hamas ist nun weitestgehend von Finanzzuflüssen von außen abgeschnitten, und dies in einer Zeit, in der ausländische Geldgeber wie die iranische Regierung ohnehin schon zurückhaltender geworden sind: Bereits seit Monaten klagen Funktionäre der Hamas offen darüber, dass Iran die Unterstützung erheblich reduziert habe. Mit dem Verbot dürfte es nun extrem schwierig geworden sein, auch die verbliebene Unterstützung nach Gaza zu bringen.

Schon vor Monaten hatte die jordanische Regierung der in Jordanien ansässigen Cairo Amman Bank, die Filialen im Gaza-Streifen unterhält, verboten, Konten für die Hamas zu führen; ein Sprecher des jordanischen Justizministeriums sagte, man achte zudem sehr genau auf Auffälligkeiten im Privatkundenverkehr. Doch ein Großteil des Geldes wurde bereits seit Langem in bar durch die Schmuggeltunnel zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen eingeführt; und das auch, weil es in den Banken von Gaza und Umgebung kaum noch Bargeld gibt, mit dem Überweisungen ausgezahlt werden könnten.

Doch bereits zu Zeiten des seit Juli abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi wurde mit der Zerstörung dieser Tunnel begonnen; mittlerweile seien sie nahezu komplett zugeschüttet, sagt Ägyptens Militär. Zudem hat man, mit Billigung Israels, die Präsenz an der Grenze stark aufgestockt. Man habe nun die »absolute Kontrolle über alles, was dort passiert«, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Israels Regierung begrüßt die schärfere Gangart. Sehr medienwirksam hatte man Anfang März bekannt gegeben, die israelische Marine habe im Roten Meer ein Schiff mit iranischen Raketen gestürmt, die für die Hamas bestimmt gewesen seien. Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte daraufhin während eines Besuchs in den USA, dies bestätige erneut die Bedrohung, die auch unter dem gemäßigten neuen Präsidenten Hassan Ruhani von Iran ausgehe. Die Hamas trage diese Bedrohung bis vor Israels Haustür.

Nur: Wie es mit dem Gaza-Streifen weitergehen soll, dafür scheinen weder Ägypten noch Israel einen Plan zu haben. Hochrangige Vertreter des ägyptischen Geheimdienstes sagten vor einigen Monaten während eines Pressegesprächs, man wolle die Hamas auf jeden Fall von der Macht weghaben; ihre Aktivitäten gefährdeten die innere Sicherheit Ägyptens. Offen brachte man eine ägyptische Besatzung des Gaza-Streifens ins Spiel – eine Variante, die auch in Israels Sicherheitsapparat Unterstützer findet: Dort verweist man darauf, dass sich Gaza bereits vor 1967 jahrzehntelang unter ägyptischer Kontrolle befand.

Allerdings: Nach Jahren der Abriegelung liegt die Wirtschaft am Boden, ein Großteil der Bevölkerung lebt weit unter der Armutsgrenze. Wer immer die Kontrolle über den Gaza-Streifen erlangt, stünde vor einer gigantischen finanziellen und logistischen Herausforderung. Am liebsten wäre es deshalb allen Beteiligten, wenn die Hamas von der Bildfläche verschwinden würde, die Palästinensische Autonomiebehörde wieder die Hoheit über Gaza übernähme und das Ausland finanziell einspränge.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 23. April 2014


Eine Erfindung

Palästinenser bestreiten Gerüchte über Selbstauflösung ihrer Regierung. USA und Israel drohen trotzdem

Von Knut Mellenthin **


Zahlreiche Vertreter der palästinensischen Regierung (PA), der PLO und der Fatah sind Gerüchten entgegengetreten, daß Präsident Mahmud Abbas die Selbstauflösung der PA plane, um Israel unter Druck zu setzen. Die ganze Geschichte sei »eine israelische Erfindung«, sagte Generalmajor Adnan Dmeiri, Sprecher des Sicherheitssektors der PA, am Montag. Mit derartigen Falschmeldungen wolle Israel Frustration und Verwirrung unter den Palästinensern verbreiten.

Die Forderung nach Selbstauflösung der PA ist seit vielen Jahren aus Kreisen zu vernehmen, bei denen die Grenzen zwischen sinnlosem Pseudo-Radikalismus und zionistischer Provokation nicht mit Gewißheit auszumachen sind. Dieser Akt würde zwar auf der einen Seite Israel Schwierigkeiten bereiten, da seine Rolle als Besatzungsmacht auf der Westbank dann völlig offensichtlich würde und zusätzliche materielle Belastungen mit sich brächte. Auf der anderen Seite würde ein solcher Schritt jedoch die Palästinenser weitgehend ihrer Möglichkeiten berauben, im Rahmen der UNO und anderer Organisationen für ihre Rechte einzutreten. Mühsame und wichtige Erfolge auf dem Weg zur internationalen Anerkennung, die die PA im vergangenen Jahr und in den letzten Monaten erreicht hat, würden dadurch verschenkt und begraben. Auf diesen offensichtlichen Widerspruch wies Wasel Abu Jussef hin, ein hochrangiger PLO-Politiker, als er am Montag die Meldungen dementierte.

Entsprechend unwahrscheinlich und unglaubwürdig waren die Gerüchte, daß Abbas mit dem Gedanken an die Selbstauflösung der PA spiele oder damit gar zu drohen versuche, von Anfang an. Aufgebracht hatte die Geschichte am Sonntag Israels auflagenstärkste Tageszeitung Jedioth Ahronoth, die im Internet mit der Website Ynet präsent ist. Das Blatt, wie nahezu alle israelischen Medien in der Regel stramm zionistisch und tendenziös, hatte als Gewährsleute seiner »Exklusivstory« nichts weiter anzubieten als namenlose »palästinensische Quellen«.

Bemerkenswert sind die US-amerikanischen und israelischen Reaktionen auf die Meldung von Jedioth Ahronoth. Jennifer Psaki, die Sprecherin des State Department, vergaß, was man in ihrem Job normalerweise schon ganz am Anfang lernt: Anonyme, völlig unbewiesene Gerüchte, für deren Richtigkeit es nicht einmal schwache Indizien gibt, sind nichts, was man auch nur mit einem Wort kommentiert. Statt dessen verlor Psaki sich während ihrer Pressekonferenz am Montag in langatmigen Drohungen gegen die PA. »Solche Maßnahmen würden schwere Folgen nach sich ziehen« und seien »nicht im Interesse der Palästinenser«, warnte sie. Schließlich hätten die USA viele Millionen Dollar investiert, um »palästinensische Institutionen aufzubauen«. Damit wäre es im Fall einer Selbstauflösung der PA vorbei, drohte Psaki unmißverständlich.

Mit unverhohlener Begeisterung stürzte sich die israelische Regierung auf das von Jedioth Ahronoth in die Welt gesetzte Gerücht. Verkehrsminister Jisrael Katz, Mitglied der Likud-Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu, sagte am Dienstag, daß die PLO-Politiker ihre »Immunität« verlieren würden, falls die PA die ihr unterstellte Ankündigung wahr macht. Reisen zwischen der Westbank und dem Gazastreifen wären ihnen dann unmöglich. Die ganze PLO-Führung würde in diesem Fall als »Feind« behandelt. Kontakte arabisch-israelischer Politiker zur PLO wären, so wie es früher jahrzehntelang war, wieder strafbar.

Während Katz sich noch vergleichsweise vorsichtig ausgedrückt hatte, unterstellte Premier Netanjahu, das Gerücht sei einschränkungslos wahr, und erklärte die von der US-Regierung erzwungenen inhaltlosen »Friedensgespräche« mit der PA für vorläufig beendet. »Wenn sie Frieden wollen« – gemeint ist: zu den von Israel diktierten Bedingungen, einschließlich der dauerhaften israelischen Militär- und Siedlungspräsenz im Jordantal – »sollen sie sich wieder bei uns melden.«

** Aus: junge welt, Mittwoch 23. April 2014


Palästinenser beschließen Einheitsregierung

Vertreter von Hamas und PLO einigen sich bei Gesprächen in Gaza ***

Die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen streben die Bildung einer Einheitsregierung binnen fünf Wochen an. Eine entsprechende Erklärung unterzeichneten Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der im Gazastreifen herrschenden Hamas am Mittwoch bei einem Treffen in Gaza-Stadt, wie beide Seiten mitteilten. In Gaza reagierten Tausende Menschen mit Jubel auf die Versöhnung der beiden Palästinenserorganisationen. Es gebe auch Fortschritte in der Debatte über »künftige Wahlen und die Zusammensetzung der PLO«, deren wichtigster Bestandteil die Fatah des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas ist. Die Vertreter von Hamas und PLO tagen seit Dienstag hinter verschlossenen Türen in Gaza.

Auf die Bildung einer Einheitsregierung hatten sich beide Seiten bereits 2011 im Rahmen eines Versöhnungsabkommens geeinigt. Mehrere Fristen verstrichen seither jedoch. Die Hamas hatte im Juni 2007 die Macht im Gazastreifen übernommen. Eine Versöhnung mit der im Westjordanland regierenden Fatah gelang seitdem nicht.

Die Delegation der Vertreter aus dem Westjordanland wurde bei den Gesprächen in Gaza von Assam al-Ahmed, einem ranghohen Vertreter der Fatah, geleitet. Von Hamas-Seite nahm unter anderen Regierungschef Ismail Hanija teil. Er forderte vor den Verhandlungen eine Einigung auf »eine Regierung, ein politisches System und ein nationales Programm«.

Kurz nach der Verlesung der Erklärung durch Hanija griff die israelische Luftwaffe Gaza an. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu drohte für den Fall einer Einigung in Gaza den Abbruch aller Verhandlungen mit den Palästinensern an.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag 24. April 2014


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