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Grenzöffnung nach Gaza

Ägyptischer Militärrat will zur nationalen Versöhnung der Palästinenser beitragen

Von Karin Leukefeld *

Am heutigen Samstag öffnet Ägypten wieder den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. Vier Jahre lang war die Grenze in Absprache mit Israel und dem Nahost-Quartett (UN, EU, USA und Rußland) geschlossen und wurde nur in Ausnahmefällen geöffnet. Israel hatte nach seinem Abzug aus dem Gazastreifen 2005 durchgesetzt, daß die Grenze nach Ägypten von Polizei- und Grenzbeamten aus der Europäischen Union überwacht werden sollte.

Nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 setzte Israel im Zuge seiner Isolierungspolitik gegenüber der Hamas die Schließung des Grenzübergangs Rafah durch. Als Folge entstand ein weit verzweigtes Tunnelsystem, durch das die Einwohner von Gaza Waren, Vieh und Menschen über die Grenze nach Ägypten oder umgekehrt transportierten. Immer wieder griffen israelische Truppen oder Kampfjets die Tunnel an, die für die Menschen in Gaza eine Lebensader waren.

Im Januar 2008 sprengten palästinensische Unbekannte die Grenzmauer und ermöglichten so Tausenden Menschen den Durchgang nach Ägypten. Drei Tage lang strömten Palästinenser über die Grenze, um Verwandte zu besuchen oder Lebensmittel einzukaufen. Ägypten verschärfte daraufhin die Grenzüberwachung und begann mit dem Bau einer Stahlmauer, die 18 Meter tief im Boden versenkt wurde, um jede Tunnelverbindung zu stoppen.

In einer Stellungnahme des ägyptischen Militärrates hieß es nun, die Grenzöffnung sei Teil der ägyptischen Bemühungen, »die Spaltung der Palästinenser zu überwinden und nationale Versöhnung zu erreichen«. Die Grenze werde fortan bis auf Freitag und Feiertage täglich von 9 bis 21 Uhr geöffnet sein, berichtete die Nachrichtenagentur MENA. Die neue ägyptische Regierung wolle helfen, daß die Palästinenser ihre Uneinigkeit überwinden könnten, sagte Minha Bakhoum, Sprecherin des ägyptischen Außenministeriums, gegenüber dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira. Das sei umso wichtiger, als sich keine Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt abzeichne.

Allerdings wird es auch weiterhin Einschränkungen geben. So dürfen vor allem Frauen, Kinder unter 18 und ältere Männer ungehindert passieren. Männer, die jünger als 40 Jahre alt sind, können hingegen nur aus Gaza ausreisen, wenn sie ein ägyptisches Visum erhalten haben. Bisher muß das Visum für Ägypten in Ramallah, dem Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde beantragt werden. Das ägyptische Außenministerium plant allerdings die Eröffnung eines Konsulats in Gaza zu.

Israel kritisierte erwartungsgemäß die ägyptische Entscheidung. Der Minister für die Verteidigung der Heimatfront, Matan Vilnai, bezeichnete die neue Situation im israelischen Rundfunk als »sehr problematisch« für die Sicherheit Israels.

Hamassprecher Fawzi Barhum begrüßte dagegen die Grenzöffnung. Ägypten habe eine »mutige und verantwortungsvolle Entscheidung« getroffen, die mit der öffentlichen Meinung der Palästinenser und Ägypter übereinstimme. Die Welt solle dem ägyptischen Beispiel folgen, so Barhum.

Mustafa Barghouti von der Palästinensischen Nationalen Initiative äußerte sich vorsichtig optimistisch. Die Öffnung der Grenze sei »ein großer Schritt nach vorne«, so Barghouti, der die Grenzöffnung als »eine der großen Veränderungen nach der ägyptischen Revolution« würdigte. »Die Belagerung ist nicht vorbei«, sagte Barghouti im Gespräch mit dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira. Die ungehinderte Einfuhr von Baumaterial sei noch immer nicht möglich. Im Dezember 2008 und Januar 2009 hatte die israelische Armee den Gazastreifen im Rahmen der Operation »Gegossenes Blei« überfallen und in 25 Tagen mindestens 1400 Menschen getötet. Trotz verzweifelter Appelle der Palästinenser hatte Ägypten sich damals geweigert, den Grenzübergang Rafah zu öffnen.

Anfang Mai hatte der neue ägyptische Außenminister Nabil Al-Arabi ein Versöhnungsabkommen zwischen den palästinensischen Organisationen Fatah und Hamas vermittelt. Anfang Februar genehmigte Ägypten zwei Schiffen der iranischen Marine erstmals nach 30 Jahren wieder die Durchfahrt durch den Suezkanal. Vor wenigen Tagen kündigte Al-Arabi an, Ägypten erwäge die diplomatischen Beziehungen mit Iran wieder aufzunehmen. Inzwischen wurde Al-Arabi auf den Posten des Generalsekretärs der Arabischen Liga weggelobt. Wer ihm im ägyptischen Außenministerium nachfolgen wird, ist noch nicht bekannt.

* Aus: junge Welt, 28. Mai 2011


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